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Archiv 1992: Die nackte Wahrheit

Sunnyboy mit Charme und Erfolg – das war der Wiener Filmproduzent und Regisseur Helmut Frodl. Der spektakuläre Mord an seinem Konkurrenten, dem Filmproduzenten Fritz Köberl, offenbarte die andere Seite des vermutlichen Täters. Der WIENER versuchte, sein Doppelleben aufzudecken. Und landete in einer schäbigen Wohnung in Simmering. Sie gehört einer Dirne.

Donnerstag, 30. April 1992. 4 Uhr 30. Der livrierte Wagenmeister des Wiener Ringstraßen-Nobelhotels Bristol lüftet die Kappe: „Guten Tag. Herr Frodl.“

Der Barkeeper weiß, was sein Stammgast konsumiert. Gekonnt serviert er ein Gösser. Kurze Zeit später tritt ein unscheinbarer Mann mit abgetragenem Anzug in den holzgetäfelten Raum. „Darf ich bekanntmachen: das ist mein Freund Dr. Gabor Pesti“, stellt Helmut Frodl seinen Gast zwei Freunden vor, die zufällig dasselbe Lokal frequentierten.

Helmut Frodl weiß, wie man in fashionable Häusern verkehrt. Der ehemalige ORF-Mitarbeiter, Gestalter der TV-Society-Sendung Seitenblicke und Regisseur der Erfolgssendung Jolly Joker war berufsbedingt schon in jüngeren Jahren ein Mann von Welt. Während seiner Dreharbeiten im Ausland war ihm nur das Beste gut genug. Er verkehrte im New Yorker Luxushotel Waldorf Astoria ebenso selbstverständlich wie im Peninsula in Hongkong oder im sündteuren venezianischen Hotel Daniel des ägyptischen Halbgotts Aga Kahn.

In Österreich – wenn er Lust und Zeit hatte – parkte er seine Limousine der britischen Exklusivmarke Jaguar nicht nur vor First-class-Hotels. Wie der WIENER jetzt aufdeckte, stand der Luxusschlitten bis zu dreimal pro Woche bloß einen Steinwurf von Haus und Studio Fritz Köberls entfernt im Wiener Arbeiterbezirk Simmering. Jenes Fritz Köberl, den der Wirtschaftstreuhänder Gabor Pesti später in einer Budapester Wohnung mit Rohypnol Mitte Mai 1992 betäubt oder gar getötet haben soll. Dem Helmut Frodl angeblich Genickschüsse verpasste und dessen Leiche schließlich in einer Badewanne mit einem Elektro-Fuchsschwanz zerlegt wurde.

Nach Simmering trieb es den Regisseur nicht nur wegen seines Todfeindes Köberl. Hier öffnete im dritten Stock eines schäbigen Mietshauses regelmäßig Claudia S. im Negligé die Tür für den Fernsehstar. Von ihrer Existenz und damit von Frodls zweitem Ich ahnte bis jetzt nicht einmal die Polizei etwas. Claudia S. lebt seit mehr als zehn Jahren in Wien. Sie stammt aus Oberösterreich. Ihre Eltern glauben, dass sie als Verkäuferin in einer Boutique arbeitet. Tatsächlich aber lebt sie vom Verkauf ihres Körpers. Einer ihrer Stammkunden war Helmut Frodl.

Claudia S. erzählt: „Vor zehn Jahren kam Helmut durch ein Kurier-Inserat zu mir. Ein junger, sympathischer Typ.“

Die Gunstgewerblerin kannte den neuen Kunden allerdings schon von der Mattscheibe als Jungstar der damaligen TV-Sendung Okay. Vordergründig ein Mann, der es in der Glitzerwelt des Filmgeschäfts zu Erfolg und Publicity gebracht hatte. Ein Mann, dem die schönsten Frauen der Welt zu Füßen lagen. Was trieb so einen Typ zu einer Prostituierten, die nicht einmal in die Vorentscheidung zur Wahl der Miss Donauinsel kommen würde?

Freddy Iversen, Regisseur und Chef der Filmfirma Dan-Austria-Produktion, kennt Helmut Frodl lange: „Er war stets nett, aber für meine Begriffe fast schon zu freundlich, eine Art Zwitterwesen. Jemand, dem man auch ein Doppelleben zutraut!“

Den meisten seiner Freunde und Bekannten verbarg der mittlerweile Mordverdächtige seine dunkle Seite hinter seiner aufgesetzten Großspurigkeit.

Nach seinem ersten Besuch bei der Dirne Claudia S. hatte er selbstbewusst eine Visitenkarte gezückt. „Er wollte Eindruck schinden“, erinnert sich Claudia.

Er sei keiner jener vielen Kunden gewesen, die nur die schnelle Nummer bei einer Nutte suchten. Manchmal sei er fünf oder sechs Stunden lang bei ihr gewesen. „Besonders oraler Sex machte ihm Vergnügen. Er war ein guter Liebhaber, machte problemlos zwei bis drei Nummern an einem Nachmittag und brachte auch immer etwas zum Trinken mit – Sekt oder Champagner. In meiner Wohnung konnte er sein, wie er wirklich war – ungezwungen -, der Helmerl aus der Vorstadt“, sprudelt es aus Claudia S., wenn sie heute an die Zeit mit Frodl zurückdenkt.

Jetzt, im Nachhinein, zweifelt die Prostituierte, ob es dem feschen Helmerl nur um die Entspannung ging. „Ich glaube, er wollte mich tatsächlich befriedigt sehen, was diesem Geschäft unüblich ist“, weil die Mädchen ihren Kunden den Höhepunkt fast immer nur vorspielen.

Frodl, der Imagepolier, auch im Simmeringer Strichmilieu. Ein Mann, der die Herzen selbst von Huren brechen wollte und deshalb auch im Rotlichtbereich das Savoir-vivre des Mannes von Welt vorspielte. Zustatten kam ihm dabei seine Physiognomie, die Frauen auf den ersten Blick als schutzbedürftig empfanden. Eine Schutzbedürftigkeit, die Frodl nach Bedarf einsetzte, genauso, wie er für andere glaubhaft in die Maske des Helfers schlüpfen konnte.

„Er war der erste Freund – nicht Liebhaber -, den ich in Wien hatte“, zeichnet ORF-Society-Lady Lisbeth Bischoff auch heute noch das Bild ihres Ex-Kollegen, „Er half mir wahnsinnig, unterbrach seine Arbeit, wenn ich irgendetwas brauchte. So einer wie Helmut ist selten in der Branche. Er teilte sogar einmal sein Honorar mit mir, nur weil ich ihm ein bisschen geholfen habe.“

Frodl, der Arbeitsame, der gute Freund, der Hilfsbereite also, dem es auf ein paar Tausender mehr oder weniger nicht ankam, wenn es galt, zu helfen. Er verdiente an die 250.000 Schilling pro Monat, vermuten Insider. Drei- bis fünftausend davon legte er für jeden Nachmittag bei Claudia S. ab. Ihr kam es manchmal vor, als wollte er sich damit die wahre Liebe anstatt geiler Wollust erkaufen. Aber die Rolle als spendabler Kavalier, perfekter Liebhaber und liberaler Familienvater, der angeblich vor seiner Frau kein Geheimnis aus seinen Champagner- und Hureneskapaden machte, scheint nur Tarnung für das wahre Ich des Helmut Frodl gewesen zu sein.

Für sein wahres Gesicht, das sich bei den harten Polizeiverhören im Wiener Sicherheitsbüro offenbarte: Eine von Missgunst, Neid und Profitgier zerfressene Persönlichkeit, die es anscheinend nicht vertrug, dass der ehemalige Freund Fritz Köberl beruflich auf der Überholspur war.

Anfänglich mag der Fernseh-Mann den zunehmend größer werdenden Schatten, in den ihn Köberl drängte, durch sein geziert weltmännisches Gehaben zu überspringen. Als Frodl zum ersten Mal mit seiner Nobellimousine in Simmering aufkreuzte, musste ihn die Hure extra auf die Straße begleiten, damit er ihr sein neues bestes Stück vorführen und sie es gebührend bewundern konnte.

Aber auch ein anderes Mal konnte Claudia S. hinter die Maske Frodls blicken: „Vor etwa einem Jahr besuchte er mich, obwohl ich ihm am Telefon gesagt habe, dass ich keine Zeit habe. Er flippte total aus, lief mir in der kleinen Wohnung ständig nach und griff dauernd nach meinen Brüsten. Er wollte Sex, koste es, was es wolle. Ich bekam Angst. Große Angst.“

Frodl, der Jähzornige, im Affekt zu vielem fähig. Claudia S. war die erste, die zu spüren bekam, dass Frodl ein Mensch war, gewohnt, sich zu nehmen, was ihm seiner Meinung nach zusteht.

In Claudia S. verfestigte sich ihre Meinung über den anderen Frodl, als sie Monate darauf den nunmehr illegalen Wohnungsstrich verließ, um auf der Straße anzuschaffen. Der Familienvater und Villenbesitzer aus dem fashionablen 13. Wiener Gemeindebezirk holte sie jetzt von der Straße ab. „Meist im 14. Bezirk beim alten Gloriette-Kino. Er hat sich um die Leute ringsum überhaupt nicht gekümmert.“

Manchmal steuerte der Noch-Sunnyboy in irgendeine Garageneinfahrt. Öfter dagegen entpuppte er sich dabei als makabrer Improvisierer. „Wenn die Garageneinfahrten verparkt waren, fuhren wir auf den Penzinger Friedhof. Er kam immer vor Mitternacht, nicht sehr spät, weil er ja nach Hause musste.“ Dann liebte er die schnelle Nummer: „Während ich meine Beine auf dem Armaturenbrett hatte, brachte er mich zum Höhepunkt. Das konnte er gut, er konnte überhaupt immer.“

Aber er konnte noch etwas anderes zeigen: eiskalte Augen. „Die haben einen Teil von ihm preisgegeben, den er sonst problemlos hinter seinem Charme verstecken konnte“, erinnert sich eine Frau, die Frodl auf einer Party kennengelernt hat.

Ein eiskaltes Improvisationstalent, das Frodl später in Budapest an den Tag legen sollte. Als ihm ein Vermieter absagte, erkundigte er sich kaltblütig in der Nachbarschaft nach einer anderen Mordwohnung. Als sich herausstellte, dass in der ein Kamin zur Verbrennung der Leichenteile Köberls fehlte, orderte er telefonisch über seine Firma Frodi-Film eine vollautomatische Häckselmaschine. Da sich diese zum Zerteilen des Leichnams als unbrauchbar erwies, griff er zum Elektro-Fuchsschwanz.

Heute räsoniert Claudia S.: „Er war ein sonderbarer Typ, an der Oberfläche glatt, im Inneren anders, aber das hat er wahrscheinlich unterdrückt, bis es nicht mehr ging.“

Der gesunde Menschenverstand der Dirne trifft ins Schwarze. „Leute, die in der Öffentlichkeit stehen, sind Projektionsflächen“, meint die Psychologin Anneliese Fuchs von der Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie. Dieser Druck erzeuge den Wunsch, Dinge auszuleben. Menschen mit einem fixen Image würden dadurch gefesselt. Und dieser Druck suche irgendwann nach einem Ventil. Frodl fand sein Ventil.