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Archiv 2007 – Mein Gott, Falco

Christian Jandrisits

Johann Hölzel wäre am Februar 50 geworden. Wir baten drei Weggefährten des Falken um eine Reflexion: Markus Spiegel, Thomas Rabitsch und lde Hintze.

Text: Franz J. Sauer

Wien, 1980/81: Welchen Nährboden gab es damals in Österreich für einen Künstler wie Falco?

MARKUS SPIEGEL: Der ganz große Unterschied zwischen 2007 und 1980 ist derjenige, dass die Medien damals gerne Künstler mitentdeckt haben. Es hat ja nichts gegeben außer Peter Cornelius, auch Fendrich hatte sich noch nicht erfunden…

THOMAS RABITSCH: Ambros verschweigst du bewusst?

SPIEGEL: Ambros hatte sich da bereits in Zement gegossen…

RABITSCH: Anfang der Achtziger gab es durch das Rüberschwappen der NDW und New-Wave-Bewegung aus Deutschland einen feinen Nährboden für Popmusik in Wien. Da sind im Dunstkreis des U4 eine Menge neuer Bands entstanden wie Chuzpe, Hansi Lang, Minisex…

SPIEGEL: Man fragte Medien damals um ihre Meinung zu einem Act und sie haben auch eine gehabt. Heute haben Medien keine Meinung mehr. Welche Medien waren das?

SPIEGEL: An vorderster Front der Wiener und der Falter, sehr wichtig auch der Rennbahn Express, für seine spezielle Klientel…

RABITSCH: … Ö3?

SPIEGEL: … und natürlich das absolut dezentrale Ö3. Weil damals gab es keine Musikberieselung à la Selektor, sondern eigenverantwortliche Sendungsredakteure, die das Programm zusammenstellten. Das bedeutete: Ist man heute hier nicht gespielt worden, wurde man morgen dort gespielt. So gab es pluralistische Meinungsvielfalt, eine ganz einfache Geschichte eigentlich.

Faksimile – Archiv 2007 – Mein Gott, Falco

HINLZE: Vielleicht noch kurz zum Zeitgeist damals; der war ja für Falco nicht unwichtig. Die wilden Sechziger waren vorbei, der Tunnel der Siebzigerjahre auch, der Yuppie, der gestylte, der keine langen Haare mehr hat, kam auf, und in der Sprache entstand ein neues, eigenes Image. Falco hat das sehr früh erkannt – eigentlich als einer der Ersten weltweit -, dass hier eine Globalisierung der Sprache passiert, in der österreichischen Literatur vertreten durch Artmann, Jandl oder Wolfgang Bauer, die damit angefangen haben, Sprachen zu mischen. Beispiel Bauer: Die Stücke waren auf Österreichisch verfasst, hatten aber englische Titel wie „Change“ der „Magie Afternoon“. Gleich bei seinen allerersten Texten hat Hans damit gearbeitet. Er hat Österreichisch genial mit diesem amerikanischen Jive-Talk gemixt.

RABITSCH: Er hat ja damals auch Worte erfunden, lautmalerisch passende Worte, Begriffe, die man erst beim zweiten Mal Hören verstanden hat. Oder auch erst beim dritten Mal.

HINTZE: Der Hans hat das gelebt, auch im persönlichen Kontakt. Wenn er dich angerufen hat zum Beispiel: „Let’s meet at Cafe Klein at nine o’clock in the morning, und i sog da ans…“ So hat er geredet.

SPIEGEL: Da gab es immer zwei Gesichter, die Privatperson und die Kunstfigur, für die es zwei eindeutige Prototypen gab. Zum einen David Bowie, der sich andauernd neu erfunden hat, zum anderen, und den kannte er sehr, sehr gut: Klaus Nomi, die Comicfigur mit der Falsettstimme, unglaublich stringent durchgezogen.

RABITSCH: Ich kann mich erinnern, in der Hallucination Company war der Hans der stille kleine Bassist mit dem Pullmankapperl und machte auf Jaco Pastorius, weil er hat ja am Jazzkonservatorium Bass gelernt, orientiert an Funk. Über diese Funkriffs hat er seine Rhythmik geschärft, was ihm später beim Rappen viel gebracht hat. Er hat auch sehr gerne geslappt, also den Bass knallen lassen, bap bapp, bap bapp… ist heute übrigens sehr verpönt, so zu spielen… acht}. Damals war ich bei ihm in der Wohnung, und er hat mir „Heroes“ von David Bowie vorgespielt und gesagt: „Das is es!“, und ich hab mich gewundert, wieso gerade er, den ich als Zappa-Jünger eingeschätzt hatte, ausgerechnet auf Bowie steht. Dann hat er für sich selbst diesen hochtrabenden Gesang kultiviert, dieses dramatische, fast Juppie-Heesters-Mäßige, wie bei „Helden“ oder bei „Ganz Wien“ (singt mit großer Geste): „… amoi wird der Tag kumman…“ Das andere war dann halt der Rap (rappt): „1, 2, 3, es is nix dabei.“ So hat er den international angesagten Rap mit Glamrock à la Bowie verbunden.

„Ganz Wien“ war die erste richtige Falco-Nummer?

RABITSCH: Die Erste, die man gekannt hat. Mit ihr hat der Falco bei den Drahdiwaberl-Konzerten immer dann sein Solo gehabt, wenn sich der Stefan Weber umgezogen hat.

Wann trat Markus Spiegel auf den Plan?

SPIEGEL: Rasch. Winter 1980. Drahdiwaberl spielten in den Sofiensälen. Das war damals die Kultgruppe schlechthin…

RABITSCH: „Der Spiegel is ma ollaweu nochgrennt“, hat der Hans immer gesagt…

SPIEGEL: Ähm, na ja, das ist Hand in Hand gegangen. Jedenfalls, Drahdiwaberl war für mich das Nonplusultra. Dieses Konzert hieß „Selbsthilfe gegen Sucht“ (Gelächter), schon damals, ob’s wirklich was genutzt hat… Aber gut, ich hab sie gesehen und war hin und weg und hab sofort Falco bemerkt, der „Ganz Wien“ gespielt hat.

RABITSCH: Er war ja damals schon bekannt. In der Zeitung stand bei Drahdiwaberl stets: „Und Falco zupft den Bass.“

Wann entstand die Kunstfigur Falco genau?

RABITSCH: Da haben wir mit der Company in München gespielt, das erste Auslandsgastspiel.

Plötzlich taucht der Hans im gestreiften Satin-Anzug mit zurückgeklebten Haaren in der Garderobe auf und sagt zum Wickerl Adam: „Heut sagst mich bitte als Falco an.“ Den Namen hatte er von einem Skispringer, Falko Weisspflog. Der hat ihm scheinbar irgendwie getaugt. Warum, ist eigentlich nicht überliefert, oder …?

SPIEGEL: Falco hob sich schwer ab vom Rest der Partie. In der Drahdiwaberl-Zeit war die Kunstfigur schon gut über 50 Prozent entwickelt. Danach kamen natürlich noch sämtliche Feinheiten und vor allem die gesamte musikalische Ebene.

Wie darf man sich das vorstellen? Markus Spiegel sieht Drahdiwaberl und entdeckt gleichzeitig Falco?

RABITSCH: Der Stefan Weber kam zu mir und sagte: „Stell dir vor, da gibt’s einen, der will uns produzieren.“ Also haben wir diesen quirligen Menschen namens Spiegel, damals noch mit Schnauzbart, standesgemäß im Eissalon getroffen, obwohl wir bereits einen Deal mit dem Label Extraplatte hatten. Und der hat tatsächlich gesagt: „Ich will euch produzieren, ich kauf euch frei.“ Hast du denen eigentlich was gezahlt, Markus?

SPIEGEL: Keine Ahnung mehr, ich hab so viel gezahlt damals, dass ich nicht mehr weiß, wem und wie viel …

RABITSCH: Ich weiß es noch genau. Die Produktion hat 80.000 Schilling gekostet. Das war eine ganze Menge. Während dieser Session ist auch die uns allen bekannte Aufnahme von „Ganz Wien“ entstanden.

SPIEGEL: Kurz darauf, 1981, kam es zu einem Vertrag mit Falco. Für das Album „Einzelhaft“.

1981 also die erste Platte. Vier Jahre darauf der Höhepunkt mit „Amadeus“, Nummer 1 in den USA. Wie konnte das passieren in so kurzer Zeit?

SPIEGEL: Das war ein gelungenes Puzzle. Da war zunächst der Kultstatus von Drahdiwaberl, deren erste Platte „Psychoterror“ ein absolutes Zeitgeistphänomen war. Songs wie „Großstadtdschungel“ oder „Lodenfreak“ konnten die Leute auswendig. Plötzlich gab es heimisches Kulturgut, und Falco war vorn dabei. Auf der anderen Seite kam auch sehr rasch internationale Bemerkbarkeit. Vor dem Erscheinen der „Einzelhaft“ waren die Amerikaner ja schon da …

Wie kam das?

SPIEGEL: Das größte Artist-Oriented-Label damals war A&M. Bei denen waren Acts wie Supertramp oder Sting unter Vertrag, die gesamte Intelligenzspitze des Business, wenn man so will. Die hatten einen Mann namens Russ Curry, sozusagen das A&R-Trüffelschwein in Europa, und dem ist nach unserer internationalen Bemusterung Falco aufgefallen.

HINTZE: Falco hat sich nicht bloß an Lokalgrößen, sondern immer an der Spitze orientiert. Der Mann hatte eine unglaubliche Imagination. Wenn er vor fünf Leuten gespielt hat, hat er sich vorgestellt, er spielt vor den Massen. Zudem hatte er ein immenses Reflexionsvermögen, er hat über die Dinge nachgedacht, das ist ihm nicht nur einfach so zugeflogen. Er hat ja auch den Umgang mit den Medien perfekt beherrscht, hat sich übrigens auch als einer der Ersten mit dem Internet beschäftigt, mit Cybersex und dem ganzen Drumherum. Er hat das alles sehr früh verstanden.

RABITSCH: Einmal hat er in einem unerwarteten Anflug von Bescheidenheit gesagt: „1 kann net viel, aber des was i kann, is mi verkaufen!“

SPIEGEL: Tatsächlich konnte er hervorragend mit den Medien. Ich wünsche dem Herrn Fendrich nur zehn Prozent von dem Talent das Falco diesbezüglich hatte. Er war so was wie der Kreisky der Popmusik, hat die Balance zwischen Geben und Nehmen perfekt beherrscht. Deshalb waren auch die Medien fasziniert von ihm. Weil wenn man als Journalist aus jedem Falco-Meeting mit einer sauberen Geschichte herausgeht -was will man mehr? Er wusste genau, was der Journalist braucht, wie viel Zeilen oder Geschichten er selbst benötigt, und so ist ein journalistisches Menü entstanden, das den Lesern wahnsinnig gut geschmeckt hat.

HINTZE: Also ich weiß nicht, wie’s euch gegangen ist, aber ich hab ihn über Jahre gekannt, und jedes Treffen war von einer scharfen Erotik. Ich mein‘, ich bin kein Schwuler, aber wenn er da war; ist dein Adrenalinspiegel gestiegen. Wie er das gemacht hat … ? Keine Ahnung. Ausstrahlung. Das hat er einfach gehabt.

SPIEGEL: Mauerblümchen war er keines. Er hat eine relativ hohe Luftverdrängung gehabt, sprich, er konnte seine Person gut verkaufen, mit einer ungeheuren Portion Wiener Charme.

RABITSCH: Es gibt eine Nummer auf der „Emotional“ namens „Tricks“, eine ganz tolle Nummer, die wir damals oft live gespielt haben. Da gibt es eine Textzeile: „Wollt Ihr einen Liedermacher oder wollt ihr einen Star?“ Das bringt ihn ziemlich auf den Punkt.

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War „Amadeus“ 1985 eine logische Nummer 1?

SPIEGEL: Nein. Musikalisch war „Amadeus“ nicht am Puls der Zeit.

HINTZE: Thematisch aber sehr wohl. Es gab damals ein sehr bekanntes Stück von Peter Shaffer namens „Amadeus“.

SPIEGEL: Stimmt, da hat er Recht …

RABITSCH: Das Stück oder dann den Film von Milos Forman. Der hat dem Hans extrem getaugt. Das hängt sehr wohl zusammen.

SPIEGEL: … ja, gut, so gesehen, ja …

RABITSCH: Ich hab das damals sogar ziemlich berechnend gefunden, mit so einer Nummer genau jetzt rauszukommen.

SPIEGEL: Es stimmt schon, wenn man die Theatervorlage nimmt, und dann kommt noch der Film, dann hat man schon eine ganz nette …

RABITSCH: … eigentlich die ideale Vorlage, eine solche Nummer zu bringen.

SPIEGEL: Gut. Was aber sicher nicht berechnet, was tatsächlich Zeitgeist war, das war „Einzelhaft“, und viel mehr noch „Junge Römer“. Das war auch der Zeitpunkt, an dem sich das Feuilleton begann mit Falco auseinanderzusetzen, Beispiel Michael Hopp und Wolfgang Kos im Wiener, nach dem Motto: „Jetz versteh ma’n endlich!“ Er wurde ja lange nicht verstanden und hat auch gar keinen Wert darauf gelegt, verstanden zu werden. Das hat ihm getaugt, dass man ihn nicht schubladisieren konnte.

RABITSCH: Dazu kommt noch ein soundtechnischer Trick. Die Produktionen von Hans waren sehr international angelegt. Die Stimme war bei ihm nicht zwingend im Vordergrund, so wie bei allen anderen österreichischen Produktionen. Ein Beispiel ist Peter Cornelius‘ „Du, entschuldige, i kenn di“. Da war der Text doppelt so laut wie die Musik, damit ihn auch der Letzte versteht. Beim Falco haben sich die Leute aber sogar beschwert, von wegen: „I hea eam net“ und so. Dafür war die Bassdrum fett und die Stimme trocken.

HINTZE: Ich glaube, zum Erfolg von „Amadeus“ trug auch sehr stark die optische, multimediale Inszenierung bei. Das Video, kombiniert mit den TV-Auftritten im selben Outfit. Diese Sachen.

Wieso wechselte Falco vor der „Falco 3″ seine Produzenten?

SPIEGEL: Weil schon die Platte „Junge Römer“ mit seinem ersten Produzenten Robert Ponger unter menschlich irrsinnig schwierigen Umständen entstanden ist. Obwohl das musikalische Ergebnis toll war. In meiner Berufslaufbahn sicherlich die anstrengendste, schwierigste, langwierigste Produktion, mit entsetzlichen Reibereien, Skandalen und Verzügen, gegenseitigen Beschwerden bis zum Produktionsabbruch. Eine Termin- und Nervenschlacht, die fast schon zu physischen Handgreiflichkeiten zwischen Falco und Ponger geführt hat. „Einzelhaft“ war ja wahnsinnig erfolgreich gewesen, auch in Deutschland, und „Römer“ war das typische zweite Album, und das muss bei einem Aufbaukünstler – was Falco damals noch war – zu einem gewissen Zeitpunkt am Markt sein, sonst verliert man den Anschluss. Auch die Amerikaner wollten eine Abgabe sehen, wir hatten also nicht nur die Deutschen im Nacken.

RABITSCH: Umso mehr war „Junge Römer“ ein irrsinnig starkes Album. Aber es war spürbar, wie die Leute gesagt haben: „Eh klar, Falco, die Eintagsfliege, und jetzt floppt er.“ Vor allem in Wien war das oft zu hören. Und dann kam der große Knall, „Falco 3″, produziert von den Bolland-Brüdern, da wurde aus dem Vollen geschöpft. Aufnahmen mit 300 Spuren, sieben Chören, alles doppelt und dreifach. Das war 1985 sicher das richtige Signal. Und damit hat er es endlich allen gezeigt.

SPIEGEL: Es gab große stilistische Differenzen zwischen „Junge Römer“ und „Falco 3″, textliche aber kaum. Auch die Bolland-Zusammenarbeit geschah unter Blut und Tränen, vor allem aus dem Spagat heraus, immer sowohl den Kommerz als auch die Kunst zu bedienen. Diese Sprungpirouette hat er sich sein ganzes Leben lang als Ziel gesetzt.

Als Markus Spiegel dann die Nachricht von der Nummer 1 in den USA bringt, feiern alle, nur Falco ist traurig. Weil, „das schaffst nur einmal in deinem Leben“ …?

SPIEGEL: Das stimmt so nicht ganz. Er hat gesagt: „Wie sollen wir das toppen?“ Er war ja wahnsinnig intelligent in der Schnelligkeit, neue Situationen kognitiv zu erfassen und zu verarbeiten. Und er hat gewusst, dass eine Nummer 2, eine Nummer 3, eine Nummer 8 zwar auch toll, aber nicht mehr dasselbe sein werden. Und eine römische Eins gibt’s ja leider nicht.

Aber eine erneute Nummer 1 hätte es geben können.

SPIEGEL: Ja, die passiert aber a ned von heut auf morgen. Plötzlich gab es nicht mehr nur terminlichen oder kommerziellen Druck – er hatte ja unglaubliche finanzielle Vorschüsse bekommen, einzigartig hoch im deutschsprachigen Raum -, sondern auch noch den Erfolgsdruck, sozusagen eine Platzierungsvorgabe. Für Falco hat sich ab sofort alles nur mehr an der Nummer 1 gemessen. War das Falcos Karriereknick?

SPIEGEL: Kann man so nicht sagen. Ich meine, es war natürlich ein einschneidendes Erlebnis. Deshalb war er ja so verhalten; weil er wusste, wenn nicht sofort die nächste Nummer 1 daherkommt, dann wird’s ein Knick …

War die nächste Platte „Emotional“ kommerziell erfolgreich?

SPIEGEL: Ähnlich wie „Junge Römer“, sagen wir es einmal so. Also nicht weltbewegend, obwohl gute Titel drauf waren. Der Downer kam erst mit „Wiener Blut“, wo sogar die Live-Tournee abgesagt werden musste, wegen schlechter Kartenverkäufe und wegen – wie Falco selbst sagte – „ana lauen Platt’n am Start“ …

SPIEGEL: Das kann man so sagen. War das Problem von „Wiener Blut“ der Text?

SPIEGEL: Überhaupt nicht. Erstens sind zu diesem Zeitpunkt die ersten Wörterbücher der Wiener Gaunersprache erschienen, Falco war also wieder mal am Puls der Zeit. Zweitens hatte Falco zeitlebens eine gute Nähe zur Halbwelt, wie es sich für einen echten Popstar gehört, siehe Frank Sinatra. In diesen Kreisen fand er die Gelegenheit, sich mit einer neuen Sprache, der Gaunersprache, auseinanderzusetzen. Außerdem bot ihm das Rotlicht so etwas wie Schutz. Als Falco geht ja nicht einfach so durch die Gegend, das geht ja net einmal mehr bei mir. Du wirst dauernd blöd angredt oder sonstwie gestört. Das Rotlichtmilieu lebt von der Diskretion. Und wenn ein Falco am Abend fertig ist, einen trinken und dabei nicht gestört werden will, dann wird im Milieu am nächsten Tag keiner mehr darüber reden. Zahlen muss man halt. Das Rotlichtmilieu umgekehrt wiederum mag Stars sehr gerne. Es mochte auch Falco sehr gerne. Ihn und sein Geld.

Der Song war aber trotzdem der Aufhänger eines Albums, und das Album ist gefloppt.

RABITSCH: Ein Grund dafür war sicher auch, dass der Falco am Cover mit seiner Frau und seiner vermeintlichen Tochter zu sehen war. Das war für viele Mädels unter seinen Fans das falsche Signal. Sich am Plattencover mit halblangen Prolo-Federn, einer Sonnenbrille und seiner Frau neben einen goldenen Spiegel zu setzen, war ein riesiger Blödsinn.

SPIEGEL: Es kam dann eine Zeit der persönlichen Inkontinenz, der Labilität. Das Privatleben lief aus dem Ruder, das emotionale Gleichgewicht auch und die Karriere obendrein. Außerdem, ganz wichtig: Falco hatte für sich beschlossen, nicht nach Amerika zu gehen. Er hatte mittlerweile herausgefunden, dass er mit dem Schmäh der Amerikaner nicht konnte. Die haben ihn nicht verstanden, und er wollte sie nicht verstehen. Er hat gesagt: „Schluss, Aus, Ende, ich habe den größten Erfolg in Amerika gehabt, ich gehe zurück nach Österreich und verzichte.“

Er hat also bewusst in Kauf genommen, nicht ganz groß rauszukommen?

SPIEGEL: So ist es.

Wie ging es weiter?

RABITSCH: Mit einem noch viel größeren Flop namens „Data de Groove.“

SPIEGEL: Die Songs darauf waren sowohl textlich als auch kompositorisch sehr gut. Das Problem war nur: Die Produktion und er waren nicht gut. Das Ganze ist ja auch unter grässlichen persönlichen Umständen entstanden.

RABITSCH: Er kam damals von einer halbjährigen Weltreise zurück und versuchte es erneut mit Ponger, was ein Fehler war. Das nächste Album „Nachtflug“ war dann wieder mit den Bollands, die eine richtige Oper produziert haben, was 1992 leider völlig out war. Damals passierten ja eine Menge Dinge, Kruder & Dorfmeister kamen auf, die Wiener Elektronik-Szene startete durch …

Richtigen Erfolg hatte Falco erst wieder unter dem Pseudonym TMA …

RABITSCH: TMA war Falcos Versuch, sich selbst mit diesen neuen Sounds auszuprobieren. Die deutsche Techno-Schiene war 1995 sehr angesagt. Das hat ihm eigentlich überhaupt nicht in den Kram gepasst, er hat es aber mit „Mutter, der Mann mit dem Koks ist da“ versucht und geschaut, was passiert, wenn er zu so einer Techno-Scheibe einfach nur dazuspricht. Das war ja eigentlich ein uraltes deutsches Arbeiterlied. Und das hat er hier im Studio eingesungen, oder eigentlich: eingesprochen. Er hat das übrigens exzellent deklamiert …

SPIEGEL: Damit hat er wieder den Bogen zu „Ganz Wien“ gespannt. sublimest. Dass er mit Drogen zu tun gehabt hat, war auch den Medien nicht fremd, und er hat das perfekt verarbeitet. Man hat hier schließlich nicht den Herrn Kardinal mit den kleinen Buben erwischt. Ich meine, einen Popstar am Klo mit Stoff zu erwischen war ja keine große Sache.

RABITSCH: Er hat das bewusst nicht unter seinem Namen herausgebracht, wollte es von der Ferne aus betrachten, als Testballon, ob ihn die Leute erkennen, wenn sein Name nicht auf dem Cover steht. Und das hat sehr gut funktioniert, natürlich haben sie ihn sofort erkannt.

War Falco happy mit dem Song?

RABITSCH: Wenn etwas gegangen ist, war er immer happy. Es gab noch andere Angebote, zum Beispiel Modo mit diesem „Eins, zwei, Polizei“, das hat er aber abgelehnt, das war ihm zu tief …

SPIEGEL: Zu tief, ha! „Eins, zwei, drei, es is nix dabei …“ Auch nicht weit weg vom „Kommissar“ …

Falco stirbt im Februar 1998 in der Dominikanischen Republik bei einem Autounfall. Ein idealer Abgang für die Kunstfigur?

SPIEGEL: Er hat schon in ganz jungen Jahren von so etwas gesprochen. Er hat – sagen wir es einmal so – gleichzeitig aber immer auch große Angst vor dem Tod gehabt.

1996/97 war Falco in der Wiener Wahrnehmung ja eigentlich schon ein alter Hut …

RABITSCH: Das war vielleicht in der allgemeinen Masse so. Aber ich war mit ihm 1995 unterwegs, und da war dasselbe Theater um ihn wie zehn Jahre zuvor. Vor allem die Frauen haben noch immer einen langen Hals bekommen, wenn sie ihn gesehen haben.

SPIEGEL: Kruder & Dorfmeister haben sich auch nicht mit jedem getroffen damals, den Falco haben sie aber sehr wohl in Gars besucht. Wäre er so unterm Hund gewesen, hätten ihn die beiden Hochnäsigen sicher nicht sehen wollen.

RABITSCH: In der Kreativszene hatte er schon noch seinen Status. Aber es stimmt schon, für die Kunstfigur Falco war dieser Tod das Beste, was ihr passieren konnte.

HINLZE: Ich glaube, dass Falco zum Zeitpunkt seines Todes an einem Scheideweg gestanden ist. Er hätte sich künstlerisch und persönlich ändern müssen. Künstlerisch tat er das ja bereits …

RABITSCH: Kurz bevor er zum letzten Mal in die Dom Rep abgeflogen ist, haben wir noch telefoniert, und er war irrsinnig motiviert, was sein kommendes Album betraf. Er hat gesagt: „Da muss noch eine Menge daran gefeilt und verändert werden, da steht noch viel Arbeit vor mir.“ Er hatte also sicher nicht vor zu sterben.

HINTZE: Nein, er hatte sicher nicht vor zu sterben. Aber ich meine trotzdem, dass sein Tod kein Zufall war. Das war vorbestimmt.

SPIEGEL: Er hat mich ja auch immer damit gepflanzt: „No, Markus, nur tote Künstler sind gute Künstler, gelle?“

HINTZE: Eigentlich hat die Kunstfigur Falco irgendwann aufgehört, sich weiterzuentwickeln, der Mensch Hans Hölzel tat das aber sehr wohl. Und in regelmäßigen Abständen hat es ihn dann, wie wenn er an einem Gummiband hängen würde, zur Kunstfigur zurückgeschnalzt. Das hat ihn immens aufgehalten in seinem Leben.

SPIEGEL: Man hat ja oft nicht gewusst, ob er den nächsten Tag noch erleben würde. Ich erinnere mich an Abende, an denen er Sachen gemacht hat, die kein menschlicher Körper im Grunde genommen aushält.

RABITSCH: Das ist ihm oft einfach passiert. Wir haben hier im Studio mal Demos aufgenommen, und er ist nur kurz Zigaretten holen gefahren, runter zum Würstelstand. Dort haben sie ihn erkannt, haben ihm gesagt: „Komm, setz di her, du bist ana von uns…“ Und er ist dann drei Stunden später etwas derangiert wieder im Studio aufgetaucht, mit einem Sekt unterm Arm und hat gesagt: „Ich hab ka Ahnung, was passiert ist…“

SPIEGEL: Manchmal hat man sich nur kurz umgedreht, und die Whiskyflasche war leer…

RABITSCH: … vertragen hat er nämlich gar nix.

Als Falco starb, lag offensichtlich ein fertig produziertes Album irgendwo in der Schublade, von dem keiner wusste, und auf dem es die Nummer „Out Of The Dark“ gab. Sieht nach Suizid aus…

SPIEGEL: „Out Of The Dark“ gab es definitiv schon länger.

RABITSCH: Er hat mir bereits im Sommer 1997 das Demo vorgespielt und mich nach meiner Meinung gefragt. Ich habe gesagt, es erinnert mich von der Struktur her an „Jeanny“, wieder mal ein Drogenlied, hahaha. Da hat auch er gelacht, also das war längst im Kasten. 1997 im Herbst gab es auch schon den Song „Egoist“, eine der wenigen Nummern, wo er weder Text noch Musik geschrieben hatte. Die Nummer hat ihm einfach gut gefallen. Er hat gesagt: „Oida, des bin ganz genau ich!“ Und wir haben damals auch schon eine Tour geplant. Die Tour hätte „Egoisten“ geheißen. Er wollte das Album also eigentlich rund um diesen Song aufbauen, nicht um „Out Of The Dark“.

Wo wäre Falco heute? Würde er noch Musik machen? Wie würde das klingen?

RABITSCH: Falco würde immer Musik machen. Er hätte nie aufhören können. Ich habe eigentlich auch immer geglaubt, er würde es allen – so wie damals nach dem „Römer“-Flop mit „Amadeus“ – noch einmal beweisen. Er hätte immer wieder was Neues gemacht, hätte allen Leuten noch öfters gezeigt: „Ich kann’s.“

SPIEGEL: Musikalisch würde er hervorragend zu Robbie Williams passen. Titel, die der singt, hätte er locker auch interpretieren können. Er könnte aber auch dieselbe Klientel bedienen wie Wir sind Helden oder Silbermond, weil er auch immer diesen großen Melodiezug gehabt hat. Ich denke da beispielsweise an „Symphonie“. Dazu kommt noch: Sein Interesse an Ideen und der Schule hätte mit Sicherheit wesentliche Inspirationen in textlicher und musikalischer Hinsicht eingeholt. Er hat sich ja manchmal drei Wochen lang mit einer einzigen Textzeile beschäftigt.

HINTZE: Das kann man laut sagen. Allein wie lange er sich mit den Vorbereitungen für seine Klasse bei uns geplagt hat, drei Monate lang… Er hat sich einen Wahnsinnsstress gemacht.

SPIEGEL: Da war ja immer diese elende Angst vorm Scheitern.

HINTZE: Einmal wollte er mit seiner Klasse eine Walter-Serner-Vorlesung machen, vor Publikum. Er hatte unheimliche Angst davor, hat gesagt: „Stell dir vor, wenn da der Artmann unten sitzt…“ Dann nahm er sich Ernie Mangold als Sprechtrainerin, obwohl er es freilich selbst auch gekonnt hätte. Aber letzten Endes war der Stress für ihn doch so groß, dass er das Ganze abgesagt hat. Dann kam dieses Benefizkonzert in den Sofiensälen, und die bange Frage: Was spiel ich dort? „I kann ja net spielen: Drah di net um…“ Das war ihm zu wenig poetisch. So kam es dann zu diesem legendären Beatles-Medley, wo er den Bauer und den Artmann als Background-Sänger auf die Bühne geholt hat. Das war für ihn eine historische Begegnung.

Gab es außer dem neuen Album irgendwelche Projekte, die Falco bereits geplant hatte und verwirklichen wollte?

SPIEGEL: Er hat sich viel mit Theater beschäftigt, mit darstellender Kunst kokettiert. Er hat auch seinen Körper genau vermessen lassen, um ihn per Hologramm nachbauen zu können, was ja Manker dann in der „Falco Cybershow“ gemacht hat.

HINTZE: Irgendwann sind wir zusammengesessen, und er hat auf einmal gesagt: „Scheiße, jetzt ist mir der Paul McCartney zuvorgekommen.“ Er meinte damit das Liverpool Institute of Music, das McCartney gegründet hatte, eine Art Popmusik-Akademie, die eigentlich schon länger Falcos Idee gewesen wäre. Ich bin mir sicher, dass er diesen Plan irgendwann verwirklicht hätte – eine Art Akademie hier in Wien aufzuziehen. Für mich hat Falco sowieso noch immer eine große Zukunft. Ich glaube, dass es da noch viel tolles Material gibt, das die Leute nicht kennen und womit wir uns noch viel zu wenig beschäftigt haben. Eigentlich gehört ein Falco-Archiv zusammengestellt, eine Art „gesammelte Werke“ aufgelegt. Das passiert ja auch jedes Mal, wenn irgendein berühmter Dichter stirbt. Vielleicht tut sich da ja noch was. Zu hoffen wäre es jedenfalls.