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Archiv 1991: Sonne im Tank
Solar- und Elektroautos sind die gute Nachricht für unser schlechtes Gewissen: Es gibt ein Leben nach dem Verkehrsinfarkt. Vorläufig sind sie allerdings nicht mehr als eine teuer erkaufte Mühsal. Der WIENER fand Idealisten, die trotz allem schon jetzt auf ein Auto ohne Auspuff abfahren. Report von Andreas Wollinger (Text) und Robert Mayr (Fotos).
Das Ankommen ist mit Solarautos kein Problem. Sie kommen an, ohne auch nur einen Meter gefahren zu sein. Wo sie auftauchen, lodert das öffentliche Interesse auf wie Strohfeuer. Lauter freundliche Gesichter, wohlwollende Kommentare, und die Welt ist voller Schulterklopfer. Egal, ob es um die Eröffnung einer Solartankstelle geht, um Ausstellungen, wo Solarmobile vorgeführt werden, oder um die „Austro Solar“, die vom Autoclub ÖAMTC seit 1989 groß aufgezogene Alternativ-Rallye: Das Publikum applaudiert begeistert, die Prominenz lässt den Umweltschützer raushängen, und Politiker nutzen die gute Gelegenheit, die heile Welt anzukündigen. Und anschließend steigen alle wieder in ihre Limousinen, um zum nächsten Termin zu kommen. Denn unbestritten sind Solarautos recht langsam auf dem Weg von A nach B. Dafür sind sie schneller im Fernsehen. Gemessen an ihrer Präsenz auf der Mattscheibe und ihrer Bedeutung in der veröffentlichten Meinung haben die Autos ohne Auspuff längst den Durchbruch geschafft.
Das wirkliche Leben ist anders: Den knapp drei Millionen Pkw und Kombis mit Verbrennungsmotoren in Österreich stehen nicht viel mehr als 50 Elektrofahrzeuge gegenüber. Gut drei Viertel davon sind bei Elektrizitätsgesellschaften und Autoclubs angemeldet, wo sie wohl eher der guten Nachrede als der Fortbewegung dienen. Und die Stromautos, die ihren Energiebedarf aus der Kraft der Sonne decken und daher als Solarmobile gelten dürfen, kann man überhaupt an den Fingern einer Hand abzählen. Das schwache Dutzend privater E-Autobesitzer hat deshalb inzwischen mit einem lästigen Problem zu kämpfen. Bei Veranstaltungen und auf Ausstellungen sind ihre smarten Mobile unglaublich gefragt, und so sind sie ständig verliehen. „Wenn ich alle Anfragen in diese Richtung befriedigen wollte“, stöhnt Christoph Chorherr, Energiesprecher der Grünen Alternative und stolzer Besitzer eines elektrisch angetriebenen Microcars, „käme ich überhaupt nimmer zum Fahren.“
Es ist die alte Geschichte von Traum und Wirklichkeit, und so gesehen sind Solarmobile richtige Traumautos. Wir gleiten in kleinen, extrem leichten Konstruktionen mit Elektromotor fast lautlos dahin. Den Saft dazu liefert die Sonne, das größte Kraftwerk aller Zeiten. Natürlich funktioniert der himmlische Energietransfer nicht auf direktem Weg. Um den Strombedarf eines Kleinwagens zu erzeugen, braucht es mindestens 8 bis 10 Quadratmeter photovoltaischer Solarzellen, die auf dem Dach eines Wohnhauses oder im Garten einfacher unterzubringen sind als auf der begrenzten Oberfläche eines Autos. Ganz abgesehen davon wäre der unmittelbare Zusammenhang zwischen Sonnenschein und Weiterkommen an verregneten Tagen eine ziemlich lähmende Sache. Also wird der Sonnenstrom zu Hause erzeugt und vorläufig ins öffentliche Netz eingespeist, weil er sich dort am einfachsten zwischenlagern lässt. In der Nacht, wenn die ausgehungerten Batterien unseres Solarmobils an der Steckdose aufgeladen werden, holen wir uns die eingespeicherte Energie wieder zurück. Wer weder über ein eigenes Hausdach noch einen Garten verfügt, kann sich an genossenschaftlich organisierten Solarkraftwerken beteiligen und sich seine zehn Quadratmeter Solarzellen mieten. Egal: Unterm Strich bleibt das tolle Gefühl, weder die Energiebilanz noch die Umwelt zu belasten zu haben und trotzdem beweglich geblieben zu sein.
Aber auch ohne Sonnenstrom gehen Elektroautos vorbildlich mit Energie und Umwelt um. Hin nach den jüngsten Erkenntnissen des Leichtbaus konstruierte Kleinwagen kommen spielend mit zehn Kilowattstunden (derzeitiger Preis je kWh: zwischen einem und zwei Schilling) auf 100 Kilometer durch, was dem Verbrauch einer mittleren Tiefkühltruhe entspricht. Oder dem Energiepotential von genau einem Liter Benzin. Selbst wenn in Österreich eine Million dieser Autos herumfahren würde, und für alle käme der Saft ausschließlich aus der Steckdose, würde der Stromverbrauch pro Jahr bloß um knapp 3,5 Prozent ansteigen.
Und dann kommt das böse Erwachen. Elektroautos widersprechen so ziemlich allen Vorstellungen, die wir uns bis jetzt von einem tollen Auto gemacht haben. Sie sind so langsam, dass sie in der Regel Mühe haben, mit einem aufgerüsteten Moped mitzuhalten. Sie haben eine lächerliche Reichweite von kaum mehr als 100 Kilometern. Im Winter ist oft schon nach 30, 40 Kilometern der Ofen aus. Einmal volltanken dauert sieben bis acht Stunden, und nach 400 bis 500 Aufladungen müssen die Batterien (durchschnittlich acht bis zehn Stück) ausgetauscht werden. Das Streben nach besonders leichten Konstruktionen führt fast zwangsläufig zu zwergenhaften Formen, die den Charme eines Seifenkistens und das Transportvermögen einer Beiwagenmaschine haben. Natürlich sagen die Verfechter der Idee vom alternativen Fahren an dieser Stelle, dass ein Auto mit 85 Sachen ohnehin schnell genug ist, dass der tägliche Weg zur Arbeit in 87 von 100 Fällen kürzer als 20 Kilometer ist, da wir meistens sowieso allein in einer viel zu großen Kiste hocken und dass extrem kleine Autos ideal zu den Raumverhältnissen einer modernen Großstadt passen. Allein: Wen kümmern logische Argumente?
Alles in allem kommen diese Autos weder unserer Eitelkeit noch unserer natürlichen Bequemlichkeit entgegen. Das genügt. Den Rest erledigen die unbarmherzigen Gesetze der Marktwirtschaft. Kein persönlicher Vorteil, keine Nachfrage, keine Massenproduktion, keine Gewinne, kein Geld für Entwicklung, kein Händlernetz, kein Service, kein gar nichts. Was bleibt, sind ein paar rührige Bastler, die für ihre schwer umweltbewegten Kunden in Handarbeit Kleinstserien zu wahnwitzigen Preisen herstellen. Im Schnitt kostet das reine Gewissen auf allen Straßen zwischen 200.000 und 300.000 Tausendern und jede Menge Nerven, weil das Leben mit Elektroautos aufgrund der kleinen Zahl noch mit einiger Mühsal verbunden ist. Sei es, dass man die meisten Typen eigenhändig importieren muss, dass die Anmeldung bei den Zulassungsbehörden oft auf blankes Unverständnis stößt oder dass die Autos natürlich nicht jene Perfektion bieten können, die man bei jedem stinknormalen Pkw als selbstverständlich voraussetzt. Und eine Solaranlage, die das Elektroauto zum Solarmobil adelt, ist derzeit nicht mehr als ein recht kostspieliges Hobby: unter 200.000 Schilling ist da nichts zu machen. Der erzeugte Strom kommt damit ungefähr fünfmal so teuer wie der aus der Steckdose. Wenn Sie Glück und viel Verhandlungsgeschick haben, dann zahlt Ihnen die E-Gesellschaft für den ins Netz eingespeisten Saft gerade den Nachtstrom-Tarif. Denn eine Abnahmeverpflichtung oder gesetzlich festgelegte Mindestpreise für solar ins Netz eingespeiste Energie wie in der Schweiz oder in Deutschland gibt es hierzulande noch nicht. „Man muss schon ein sehr innovativer Typ sein“, umschreibt es Gerhard Obermayr von der Firma Solarstromtechnik, des derzeit einzigen österreichischen Importeurs von Elektroautos und Solaranlagen, „damit man das alles durchdrückt.“
Wo ist der große Haken im System? Im Prinzip lassen sich alle Nachteile des Elektroautos auf die Tatsache zurückführen, dass sich elektrische Energie nur sehr schlecht speichern lässt. Noch immer ist die gute, alte, schwere Bleibatterie die einzige brauchbare Möglichkeit, Strom zu lagern. In eine drei Zentner schwere Batterie passen etwa zehn Kilowatt, was dem Energiepotential von einem Liter Benzin entspricht. Was das für die Konstruktion bedeutet, ist klar: Stellen Sie sich einmal ein Benzinauto vor, das mit einem Liter Sprit im Tank durchkommen muss. Keine leichte Übung, besonders wenn jeder Liter 300 Kilo wiegt, die erst einmal transportiert werden müssen. Daher der Zwang zum Leichtbau, zu den brustschwachen Motoren, daher auch die eingeschränkte Reichweite. Spätestens an dieser Stelle leuchtet auch ein, dass es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, herkömmliche Benzinkarossen auf E-Antrieb umzurüsten. Alle Hoffnungen ruhen nun auf den schon seit Jahren angekündigten Alternativen zum Bleiakku. Die Natrium-Schwefel-Batterie von Asea Brown Boveri etwa kann viermal so viel Energie aufnehmen wie eine Bleibatterie. Die Zink-Brom-Batterie der Forschungsgesellschaft SEA im steirischen Mürzzuschlag bringt es immerhin auf die dreifache Energiedichte. Aber irgendwie sind diese Wunderdinger bis jetzt über das Prototypenstadium nicht hinausgekommen, von einer Serienproduktion zu vernünftigen Preisen ganz zu schweigen.
Die Autoindustrie zeigt bis jetzt wenig Lust, dem Elektroauto den dringend notwendigen Innovationsschub zu spendieren. Ihr Engagement beschränkt sich überwiegend auf halbherzige Umbauten von serienmäßigen Benzinautos zu Forschungsprototypen, und manchmal sieht das Ergebnis so aus, als ginge es bloß darum, aller Welt zu beweisen, dass diese Antriebstechnik keine Zukunft hat. Wie sonst wäre es zu erklären, dass die vom Kärntner Elektroniker Emil Ogris selbstgestrickten Umbauten eines Fiat Panda oder eines VW Golf wesentlich bessere Ergebnisse liefern als die ab Werk gelieferten Prototypen?
Ein gutes Beispiel dafür ist die Zeno-Emissionsregelung, die in den USA ab 1998 gelten wird: 2 Prozent aller verkauften Fahrzeuge müssen dann abgasfrei fahren, sonst setzt es hohe Strafen für Händler und Hersteller. In den darauffolgenden Jahren wird dieser Prozentsatz dann noch gesteigert. „Das“, ist Christoph Chorherr begeistert, „müssen wir auch machen.“ Vorerst aber geht es um eine vernünftige Förderung für umweltfreundliches Fahren, denn „im Augenblick hat der einzelne davon nur Nachteile. Alle Vorteile hat die Gemeinschaft.“ In Deutschland und in der Schweiz werden Solarmobil-Fahrer bereits großzügig belohnt. In Hamburg gibt es etwa 4300 Mark Zuschuss für jeden Sitz des Autos und eine Investitionsförderung von 70 Prozent des Kaufpreises einer Solaranlage. In Österreich steht der Käufer eines Solarmobils noch ziemlich im Regen. Vater Staat kassiert ungerührt 32 Prozent Luxussteuer. Und bisher hat sich nur das Land Oberösterreich zu einer Förderung durchringen können. Seit 1. Jänner werden 25 Prozent des Kaufpreises rückerstattet. Über alles andere wird derzeit erst in einem Unterausschuss des Parlaments verhandelt. „Alles nur eine Frage der Zeit: Ich bin recht zuversichtlich“, sagt Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel zum WIENER, „dass wir in den nächsten fünf bis zehn Jahren was weiterbringen.“ Und: „Ich bin persönlich der Meinung, dass die Solartechnik in 20 Jahren wirkliche Bedeutung haben wird.“ Rudolf Langmahr, Minister Chauffeur im Umweltministerium, hat die Erfahrungen mit einem Elektroauto schon wieder hinter sich. Eine Zeit lang hatte sich seine frühere Chefin Marlies Flemming einen umgerüsteten Nissan Mira als Dienstfahrzeug eingebildet. Einerseits kam das wirklich nur in den Zeitungen und im Fernsehen an. Andererseits sind wir am Abend kaum zur Wohnung der Frau Minister auf den Schafberg hinaufgekommen. Und für den Spott brauchte Langmahr unter seinen Kollegen vor dem Parlament auch nicht zu sorgen. „Die haben gesagt: Wos wüst denn mit dem Bledsinn?“
Jedenfalls hatte das Ding nach vier Wochen seine Schuldigkeit getan. Es wurde mit Dank zurückgeschickt. Jetzt ist die Welt im Umweltministerium wieder in Ordnung. Rudolf Langmahr fährt wieder Audi 100.