AKUT

Videos die alles zeigen – Pornografie 1985

Franz J. Sauer

250.000 Österreicher besitzen häufig einen Videorecorder. Viele haben sich das Gerät nur deshalb gekauft, um ihr Wohnzimmer in ein Pornokino verwandeln zu können. Und auch der WIENER lässt nichts aus: In langen Nächten haben wir uns durch das riesige Angebot an harten Kassetten durchgekämpft und präsentieren Ihnen nun einen Überblick über die heißesten und über die ärgsten Videos. Und über ihre Stars. (Aus der März-Ausgabe 1985 des WIENER)

„In keinem Land der Welt ist die Pornografie so ins Schmuddeleck gedrängt“, beklagt Hans L., ein Wiener Pornokönig. Ein vielleicht beklagenswerter Umstand, der L. allerdings nicht daran hinderte, sich eine schöne, scharfe Videothek zuzulegen. Denn so dubios einzelne Wiener Video- respektive Pornoshops auch sein mögen, eines kann man ihnen nicht vorwerfen: dass sie schlecht sortiert seien.

Tatsächlich bekommt man in Wien einen repräsentativen Querschnitt all dessen, was weltweit – vor allem aber in den USA, in der BRD und in Frankreich – produziert wird: kein noch so ausgefallener Geschmack konnte sich beklagen, übergangen worden zu sein. Einschlägige Wiener Videoshops und deren sachkundige Verkäufer sind keineswegs in Verlegenheit zu bringen, wenn es dem Fan nach Bondage-, Spanking- oder Künstler-„Filmen“ verlangt: Mit einem schnellen Blick prüfen sie, ob der Kunde nicht vielleicht ein getarnter Sittenpolizist ist.

Unter der Theke müssen die „wirklich interessanten Videos“ (so ein Verkäufer) aufbewahrt werden: Ihr Vertrieb verstößt gegen das Pornographiegesetz. Als einzige Folge der juristischen Achtung – die Zuwiderhandelnden sind immerhin mit bis zu einem Jahr Gefängnisstrafe bedroht. Es kann angesehen werden, dass sie die Preise in die Höhe treibt: Ein gepflegtes Sado-Maso-Video wird kaum unter 3.000 Schilling angeboten (bei einer durchschnittlichen Spieldauer von 60 Minuten und oft minderer technischer Qualität), während „normale“ Genitalopern oft schon um die Hälfte zu haben sind (bei längerer Spieldauer und oft tadelloser Qualität). Der Handel lässt sich sein Risiko bezahlen.

Wie überhaupt Pornovideos ein teures Hobby sind: Abgesehen von den „soften“, von den Prüfstellen freigegebenen Streifen, die freilich für den verwöhnten Fan uninteressant sind, werden Pornos nur verkauft, nicht verliehen. Sie kommen nur in geringen Stückzahlen nach Österreich, und die Branche ist zu schmalbrüstig und auch zu risikoscheu (in diesem Fall gegenüber den Produzenten), um sich selbst Kopien zu ziehen.

Die Leihgebühr für „softe“ Filme für einen Tag beträgt momentan circa 600 Schilling; für harte muss, falls sie überhaupt verliehen werden, der ganze Kaufpreis als Einsatz hinterlegt werden. Doch der Liebhaber lässt sich auch von überhöhten Preisen nicht abschrecken: die österreichische Pornovideobranche frohlockt über noch nie dagewesene Zuwächse. Über den österreichischen Markt führt niemand Buch, aber die Händler versichern glaubhaft, „dass das Geschäft mit jedem Tag besser“ werde.

Es nähme auch Wunder, wenn es nicht so wäre. Schließlich eröffnet das Pornovideo dem Sexgeschäft eine Klientel, die bisher als unerreichbar galt: jene große Mehrheit der Schamhaften und Schüchternen, die um Pornokinos bisher einen großen Bogen gemacht hat. „Zu uns kommen sie rein“, sagt ein Videoshop-Besitzer, der neben Kung Fu und Bud Spencer auch ein wohlsortiertes Pornoangebot bereithält, nehmen drei Kassetten für die ganze Familie mit und zwei „Besondere“. Ganz so einfach ist es freilich nicht: Wer etwa eine Dame beim Ablassen einer „goldenen Dusche“ beobachten will, muss sich nach wie vor in einen Sex-Shop wagen.

Mit der Nachfrage ist auch die Qualität der Filme gestiegen – dies lässt sich zumindest für die „Hits“ des Pornofilms postulieren. In Amerika bemüht sich die Pornobranche nach Kräften, Hollywood zu imitieren: Stars werden etabliert, „Oscars“ vergeben. Magazine wie Hustler schreiben bierernste Rezensionen und führen Bewertungslisten über den Grad der Erregung, den das jeweilige Video auszulösen vermag. Streifen wie der Porno-Oscar-preisgekrönte „Sexworld“ bemühen sich um Handlung und Logik, sind sauber ausgeleuchtet, ordentlich ausgestattet und gut fotografiert. Trotzdem soll man sich nicht blenden lassen: Das Niveau von Darstellung und Dialog ist auch in den aufwendigst produzierten Streifen durchwegs letztklassig, und die Dramaturgie kann sich durch das ungeschriebene Gesetz, dass mindestens alle zehn Minuten ein GV stattzufinden hat, nicht recht entwickeln. Trotzdem: In den besseren Filmen gibt es ansehnliche Darsteller, und nur ein Pharisäer wird ihnen eine erotisierende Wirkung absprechen.

Kenner beklagen an den US-Streifen das „amerikanische Ritual“, das immer wiederkehre: „Blasen, Lecken, Ficken – immer in dieser Reihenfolge“, ist das Kennzeichen des amerikanischen Pornos. Es wäre interessant zu untersuchen, wie weit sich die Rituale des Pornofilms in den tatsächlichen Sexgebräuchen niederschlagen.

Doch auch der US-Branche ist es bei weitem noch nicht gelungen, sich aus der „Schmuddelecke“ freizuspielen: Sie sei aufs Engste mit der Mafia verwoben, heißt es; die Darsteller stünden vor der Kamera stets unter Kokain, weil sie dem Stress sonst nicht standhielten. Ein über Jahre hinweg aufgebauter Star wie John Holmes – der mit dem Superpenis – musste wegen Mordverdachts ins Gefängnis, wo sein berühmter Kollege Harry Reems schon sitzt: wegen Beteiligung an einem Pornofilm, deren Herstellung in manchen Bundesstaaten verboten ist. Dann passiert es wieder, dass ein Star wie Linda Lovelace – sie galt mit „Deep Throat“ jahrelang als Pornoqueen – in Büchern und Illustriertenserien beklagt, von Pornoproduzenten geprügelt und hypnotisiert worden zu sein. Die Pornobranche sieht sich stets bedroht: In den Staaten hat kürzlich Ronald Reagan eine Anti-Porno-Kampagne angekündigt; in Europa ist sie immer davon abhängig, wie lange die Staatsanwälte ein Auge zudrücken. Die Folge ist, dass sie um jeden Preis „normal“ und angepasst erscheinen mag. Am deutlichsten ist dies in Deutschland zu beobachten, wo Fachmagazine wie „Video Intim“ oder der „DBF-Katalog“ die Pornovideos kreuzbrav als Mittel gegen eheliche Fadesse anpreisen und wo eine Beate Uhse, die den BRD-Markt kontrolliert, eher als Gesundheitspolitikerin denn als Porno Tycoon gilt.

Der eigentliche Reiz des Pornovideos liegt darin, dass es keine Tabus kennt. Nach und nach werden bislang tabuisierte Sexualhandlungen salonfähig gemacht. Der monströse Erfolg des bescheidenen Filmchens „Deep Throat“ lässt sich nur daraus erklären, dass er das „Blasen“ in den Vordergrund gestellt und damit enttabuisiert hat: Vor „Deep Throat“ wurde der Cunnilingus in Filmen nicht gezeigt, nach „Deep Throat“ konnte kein Film mehr darauf verzichten. Derselbe Vorgang ist nun mit Sado-Masochismus zu beobachten: Ohne Peitschen-Szene kommt kein Film, der auf sich hält, auf den Videomarkt. Die Schmerzgrenze wird, im wahrsten Sinne des Wortes, immer weiter nach oben verschoben. Pornovideo-Seher wissen, dass es eigentlich keine Perversion gibt: Wenn alles möglich ist, ist nichts mehr pervers.

Freilich gibt es im S/M-Regal Videos etwa der Serien „Erotic Perversion“ oder „Bizarre“, die die Liberalität auf eine schwere Probe stellen. Wenn sich ein Messer in die Vagina gräbt, ist nicht nur die Frage nach dem Schicksal der Darstellerin zu stellen, sondern auch jene, wie weit sich die Schmerzgrenze tatsächlich nach oben verschieben lässt. „Die Problematik mit den ganz extremen Sachen hat sich durch die Videowelle eigentlich nicht verändert“, findet ein Händler. „Früher war’s in Hefteln, dann in Super-8-Filmen und jetzt eben auf Video. Diese Sachen wird’s immer geben.“ Wahrscheinlich hat er recht, und alles ist ein alter Hut. Neu ist einfach nur, dass Videos so praktisch und perfekt sind.