KULTUR

Die nackte Wahrheit – Warum Frau und Mann einander nie verstehen werden

Klar: Wenn du immer die Wahrheit sagst, bist du ein einsamer Mensch. Aber manchmal muss sie sein. In diesem Sinne: Frau und Mann werden einander nie verstehen. Und das ist gut so.

Text: Manfred Sax / Fotos: Oliver Gast

Schuld ist Hollywood. Dank dieser Filmindustrie wuchsen viele Frauen im Glauben heran, dass Männer so denken wie sie. Sie denken, dass Männer auf Shopping stehen und gern reden. Aber schon beim Reden geraten die Leut’ auseinander. Frauen reden in indirekten Begriffen, Männer in direkten. Ein Männersatz hat Anfang und Ende, da­zwischen regiert Information und nach dem Ende herrscht Schweigen. Frauen interpretieren das häufig als Aggression. (1) Für sie ist so ein Männersatz erst der Beginn einer Konversation. Frauen sagen nie genau, was sie wollen. Sie lassen einen Hinweis fallen und hoffen, dass der Mann versteht. Frag deine Frau, wann sie ihre Mutter besuchen will, und sie wird dir erzählen, ja, die Mutter hat in der Tat Rückenschmerzen, wahrscheinlich sollte sie mal zum Arzt. Sie wird dir nicht verraten, wann sie die Mutter ­besuchen will. Und so beginnen die Probleme.

Die Wissenschaft spricht schon lange von männlich geladenen und weiblich geladenen Gehirnen. Erstere haben ein besseres Raumbewusstsein, sie kapieren Länge mal Breite – sie können, zum Beispiel, besser einparken. Frauen wiederum hassen Rückspiegel. Dafür packen sie mehr Wörter in einen Tag (bis zu 24.000 kommunikative Signale). Auch das ist nicht unproblematisch. Wenn zwei Männer schweigend an einem Tisch sitzen, ist das kein Problem. Aber zwei schweigende Frauen an einem Tisch – das ist Drama.

Die weibliche Spezies redet, weil sie binden und belohnen will. Wenn sie dich gern hat, redet sie auf dich ein. Sie schweigt, wenn sie dich strafen will. Wieder so ein Missverständnis: Es können Stunden vergehen, bis du endlich überreißt, dass sie dich eigentlich straft. Die eigentliche Strafe wäre, neben ihr Platz zu nehmen und über Gefühle zu reden.

Wenn zwei Männer schweigend an einem Tisch sitzen, ist das kein Problem. Aber zwei schweigende Frauen an einem Tisch – das ist Drama.

So sieht es also aus, das Gefühl ist alltäglich und manchmal ist es dir nicht einmal bewusst: Männer sind anders als Frauen. Sie missverstehen einander. Und das größte Missverständnis der Frau ist, dass sie meint, sie könne ihn ändern. Das kann sie, erstens, nicht. Er ist, wie er ist. Zweitens hat er dieses Problem nicht einmal mit der langjährigen Partnerin. Ein Frauen­körper wird von Hormonen kon­trolliert, sie ist alle paar Jahre eine ganz andere. Er wiederum ändert sich nur dann, wenn er Sex will. Und das ist wohl der Kern. Der Sex macht die Unterschiede erst so richtig transparent.

Bekanntlich ist Gott ein Joker. Mit Frau und Mann hat er zwei Arten Mensch erschaffen, die hervorragend ohne einander können. Aber dann hatte er einen grantigen Tag. Und beschloss, dass sie miteinander kopulieren müssen, wenn sie sich fortpflanzen wollen.

Laut Wissenschaft allerdings wurde der Geschlechtsverkehr bereits vor knapp eineinhalb Milliarden Jahren erfunden. Demnach setzte sich ein tropfenartiger, einzelliger Meeresbewohner, den man „eucaryote“ taufte, in einer Sternstunde für alle späteren Lebewesen auf eine vermutlich extrem attraktive Eucaryotin, und heraus kam ein Eucaryote Junior. (2) Bis zum Sex, wie wir ihn kennen, mussten noch einige Jahre vergehen. Evolutionsexperten gehen davon aus, dass das menschliche Gehirn erst seit knapp 100.000 Jahren imstande ist, seinen Träger zu einer Nummer aus purer Lust zu animieren. Aber der Gedanke, dass der Orgasmus ein entsprechender Motivator ist, liegt auf der Hand. Dieser Motivator ist außerdem ein kompetenter Trigger für Ingredienzen, die dem menschlichen Gehirn gehörigen Interpretationsdrang einbläuen. Viele dieser Ingredienzen haben Säugetiere schon vor zig Millionen Jahren dazu animiert, ihren Genpool auf die nächste Generation zu übertragen. Dennoch ist der moderne Homo sapiens – und insbesondere die Frau – geneigt, derlei Animation als Liebe zu deuten.

Von seiner Natur her will der Mann so viel Sex wie möglich. Von ihrer Natur her will die Frau so guten Sex wie möglich.

Warum gerade die Frau? Ganz einfach: Der Treibstoff für Sex ist das Hormon Testosteron. Und die Evolution wollte es, dass der männliche Körper 20-mal so viel Testosteron produziert wie der weibliche. Anders gesagt: Nach einem Tag ohne Sex ist der Mann sexuell ungefähr so drauf wie die Frau nach zwanzig Tagen ohne Sex. Von seiner Natur her will der Mann so viel Sex wie möglich. Von ihrer Natur her will die Frau so guten Sex wie möglich. Und um den beiden Geschlechtern (die, wie gesagt, ohne einander hervorragend können) eine Plattform der horizontalen Verständigung zu bieten, hat die Natur eine Art „Happy Hour“ eingerichtet, in der die Hormone mächtig tanzen und die ein paar Monate dauern kann. Eine generell großartige Zeit, in der sie verliebt ist (würde sie sagen) und er permageil ist (fällt ihm auf). Aber natürlich sind sie im Wesentlichen ähnlich drauf. Testosteron steuert die Triebe, Oxytocin erzeugt Zuneigung und das vorübergehend reichliche Dopamin gibt eine Art Verzerrer ab, es vernichtet die Fähigkeit, rational zu denken – bei ihr mehr, bei ihm weniger (wegen seines Überschusses an Testosteron).

Aus diesen Umständen hat sich im Lauf der Zeit ein Klischee entwickelt. Frauen wollen Liebe, heißt es, und geben dafür Sex. Und bei Männern soll es umgekehrt sein. Tatsächlich kommt man mit diesem gedanklichen Rüstzeug ganz leidlich durchs Leben. Allerdings fand die Wissenschaft immer wieder mal die eine oder andere Variation. Zum Beispiel wurden einmal technologische Toys erhoben, die als Ersatz für fehlenden Sex eingesetzt werden. Frauen wählten zumeist einen Vibrator, Männer bedienten sich lieber beim Porno. In Sexshop-Sprache übersetzt: Frauen kaufen Toys zur Stimulation, Männer konsumieren Behelfe zur Simulation. Für Sexperten eine Evidenz, dass Männer eher geteilte Erfahrungen antörnen, während Frauen sich nach kompetenterer Behandlung ihrer Körper sehnen. Der typische Mann ist mit seinem Körper auf du und will empathischen Genuss, bei Frauen ist es umgekehrt. (3) Das liest sich anders als obiges Klischee, zeugt aber vom vertrauten Gegensatz: Männer sind anders als Frauen.

Wie dem auch sei, nach spätestens drei Jahren ist es vorbei mit der hormonellen Großzügigkeit der Natur. Was sich die beiden Partner in der horizontalen Disziplin nicht bewahrt haben, ging verloren, und der Rest ist Beziehungsalltag. Er sitzt schweigend im Wohnzimmer, also weiß sie, dass er eigentlich reden will, und schlägt einen Shopping-Trip vor, natürlich nicht gerade heraus, sondern per indirekten Hinweisen, wovon er nur die letzten drei Worte aufschnappt. Immerhin genug, um zu wissen, dass ihr nach Shopping ist. Nicht mitgekriegt hat er, dass sie zwar weiß, wo es einen um 30% verbilligten Fetzen gibt, allerdings den Weg zum nämlichen Shop nicht kennt. Also setzt er sich mit ihr ins Auto und preist insgeheim die Erfindung des Navi, das hat die Frequenz ihres Wegweisens („da ummi, dort ummi“ statt „links, rechts“) auf ein erträgliches Minimum reduziert. Trotzdem, so ein Beziehungsalltag drückt nicht halb auf die Lebenslust.

Für Sexperten eine Evidenz, dass Männer eher geteilte Erfahrungen antörnen, während Frauen sich nach kompetenterer Behandlung ihrer Körper sehnen.

Kurz: Irgendwann im Lauf eines Beziehungslebens wird auch das Fremdgehen ein nicht mehr zu ­ignorierendes Thema. Für ihn kein Problem, er braucht nur eine Gelegenheit. Auch der Sex sollte kein Problem sein, er hat Testosteron im Überschuss. Für ihn ist auch von vornherein klar, dass er seine Beziehung mit dem eingespielten Alltag nicht gefährden will, sehr wohl aber kann so eine kleine Affäre auch wieder das gewisse Knistern in die Partnerschaft bringen. Eine Win-win-Situation also, die einzige Sorge gilt der Wahrung einer gewissen Ehrlichkeit, die nur möglich ist, wenn du nicht erwischt wirst. Vor echten Geständnissen ist er gewarnt, letztlich weiß jeder Mann: Sei täglich 24 Stunden radikal ehrlich und du hast binnen einer Woche keinen Freund mehr.

Dumm nur, dass auch der Partnerin gar nicht so selten nach einem Seitensprung ist. Der Gründe hat sie einige: Sie mag reich sein (Geld schafft Testosteron), sie hat Lust auf Rache (der Gatte/Boyfriend ging fremd, weil er ein Arschloch ist; sie geht fremd, weil der Gatte/Boyfriend ein Arschloch ist), die Menopause ist im Anmarsch (ein letztes Hurra bitte). Aber ­welche Gründe sie auch haben mag, es ist immer eine schlechte Idee. Wegen des Hormontanzes, der bei einer frischen Beziehung wieder einsetzt. Eigentlich will sie ja nur das Testosteron für den Sex, aber das anhänglich (also treu) machende Oxytocin spielt unweigerlich mit, und das Dopamin wirkt sich natürlich besonders verheerend aus. Es verwandelt den Durchschnittstypen vom Typ Beamter in Superman, sie glaubt nur, was sie glauben will, und jedenfalls wird sie sich in ihn verlieben (weil das wiederum Testosteron schafft). Vielleicht will sie sogar ihr Leben ändern. Der Seitensprung, für ihn eine simple Sache, wird für sie zum Minenfeld.

Das gilt es unbedingt zu verhindern. Wie schon Oscar Wilde sagte: Treue Menschen kennen nur die ­trivialen Seiten der Liebe. Es sind die Treulosen, die um die Tragödien der Liebe wissen. Und wer seine Partnerin liebt, der will sie vor ­Tragödien bewahren.

(1) Quelle: Allan & Barbara Pease: „Why Men Don’t Listen and Women Can’t Read Maps“, NY2001
(2) Quelle: Jonathan Margolis: „O – the Intimate History of the Orgasm, Century 2004
(3) Ken Blackman, Sexcoach, ken@kenblackman.com

Model: Marion Mandl
Hair & Make Up: Manja Mietho
Social Media: Billy Sax