AKUT
Archiv 2004 – DIE SCHULE FÜR WIRTSCHAFTSKRIEG
Tarnen, Tricksen, Taktieren. Wirtschaftskrieg ist Informationskrieg. Nur wer weiß, wie man ihn führt, kann zurückschlagen. Genau das lehrt die Pariser „Ecole de Guerre Economique“. Sie schult eine ausgewählte Klientel für die waffenlosen Kämpfe von morgen. Der WIENER lernte mit – exklusiv für Österreich.
TEXT GÜNTHER FISCHER ILLUSTRATI0N ALBERT EXERGIAN
Es passiert im Verborgenen und wird schamhaft verschwiegen. Wie von der Lufthansa. Seit vier Jahrzehnten wartet die deutsche Fluggesellschaft auf die Maschinen der Iran Air. Vor einem Jahr jedoch wurde sie von einem US-Triebwerkslieferanten aufgefordert, keine seiner Ersatzteile mehr in persische Jets einzubauen. Im Folgejahr wurden die Amerikaner dann massiv: Falls die Lufthansa nicht nachgebe, werde man gar keine Teile mehr liefern, weder für die Airline noch für ihre Kunden. Das hätte die Hälfte der Lufthansa-Flotte betroffen – mehr als 1.000 Triebwerke. Derart in die Ecke getrieben, unterschrieb die Lufthansa binnen 14 Tagen ihre Kapitulation. Seitdem zehrt Iran Air von der technischen Substanz. Umgekehrt zeigte die US-Firma keine Scheu, mit dem Iran Geschäfte im größten Umfang zu machen, die sie über Kanada oder Dubai abwickeln. Abhängigkeiten auszunutzen: Das ist Wirtschaftskrieg.
Die Schwächen des Gegners erkennen ist nur ein Mittel, um auf ökonomischem Terrain zum Erfolg zu kommen. Die Schlapphüte der Zukunft werden auf Lauschen, Täuschen, Kopieren, Geheimnisse-Streuen und auf Medienkampagnen spezialisiert sein. Über militärische Auseinandersetzungen und der globalen Terrorismusbekämpfung übersehen viele europäische Firmen tatsächlich gern, dass vor allem auf ökonomischem Terrain ein wilder Streit um den Weltmarkt tobt, in dem alle Mittel recht sind. Gute Produkte und Innovationen machen schon lange keinen Verkaufserfolg mehr: Es geht um Boykottaufrufe, fiese Tricks, Schmutzkampagnen, Datenklau und feindliche Übernahmen.
Wie eine Firma erkennen kann, dass sie angegriffen wird, und wie sie sich dagegen wehrt, lehrt eine Schule in Paris: die Ecole de Guerre Economique (EGE). „In der Wirtschaft herrscht Krieg“, meint Christian Harbulot, Direktor der EGE. „In den meisten Fällen läuft es viel subtiler ab als offensichtlich Abhängigkeiten auszunutzen. Es geht um die Eroberung von Märkten. Die schärfste Waffe dabei ist eine falsche Behauptung, die wahr klingt.“ Oder, wie es Vizedirektor Didier Lucas beschreibt: „Im 21. Jahrhundert gewinnt nicht der den Krieg, der die größeren Bomben abwirft, sondern der, der die bessere Geschichte erzählt.“
An der EGE lernen die Studenten genau das: die bessere Geschichte zu erzählen. Und auf die schlechten vorbereitet zu sein, die die Konkurrenz verbreitet. Die Inhalte sind geheim, das gehört zur Aura der Schule. Die Studenten sind verpflichtet, über den Lehrplan dicht zu halten. Aber auch der WIENER versteht etwas von investigativer Arbeit und blickt erstmals hinter die Kulissen der EGE.
1997 gegründet, hat die EGE ihren Sitz in einem unscheinbaren Gebäude zwischen dem Invalidendom und der Ecole Militaire im 7. Arrondissement von Paris. Das französische Verteidigungsministerium, Geheimdienstler und die Rüstungsberatungsfirma Defense Conseil International standen Pate. Die Institution ist staatlich anerkannt und als Unterabteilung der renommierten Pariser Managerschule ESLSCA angegliedert. Nicht nur deshalb wird sie zunehmend von der französischen Regierung herangezogen, wenn es um mutmaßliche Störaktionen gegen die heimische Industrie geht.
Anders als es ihr Name suggeriert, sei die EGE jedoch keine Schule für Spione, die das Ziel verfolgen, den Gegner hart anzugreifen. „Hier lernt man die Kunst der Polemik“, erklärt Harbulot. „Man lernt, Beweisführungen aufzubauen, Informationen zu gebrauchen, um die schwachen Stellen des Gegners zu orten, wie sie auch einem Journalisten ins Auge fallen. Zum Beispiel: eine Automobilfabrik, die technische Fehler hat.“ Das Studium an der EGE hat drei Schwerpunkte: Strategie, Competitive Intelligence (CI) und Krisenkommunikation. Nichts davon ist illegal. Nur wird die CI gerne in die Nähe von Industriespionage gerückt. Das Lehrpersonal hat einschlägige Erfahrung: Ranghohe Offiziere wechseln sich ab mit französischen Diplomaten, Wirtschaftsgrößen oder Privatdetektiven. Für den Informationsunterricht am Computer hat man Spezialisten aus der Hackerszene.
Der erste deutsche Absolvent ist Bernd-Oliver Bühler. Er entspricht ganz und gar nicht dem Bild eines modernen Wirtschaftsguerilleros. Wie auch? Er wurde weder in den Umgang mit Wanzen, Abhöranlagen oder Mikrofilmen eingeführt. Stattdessen qualifizierte ihn das Curriculum der EGE für eine saubere Analyse des Marktes, lehrte ihn die über Sieg und Niederlage bestimmenden Machtmechanismen. „Informationen zählen zu den wichtigsten strategischen Ressourcen“, erklärt er. Etwas, was deutsche Unternehmen noch nicht ausreichend erkannt hätten.
„Meine Bewerbungen wurden anfangs von allen Personalabteilungen an die Sicherheitsabteilung weitergeleitet, also dahin, wo der Werkschutz angesiedelt ist. Mit dem, was ich gelernt habe, gehöre ich aber in eine Marketing- oder Strategieabteilung.“
Davon, dass die Strategen in den Chefetagen der Wirtschaftskonzerne von Generälen, Geheimdienstlern und Informationskriegern eine ganze Menge lernen können, ist man an der EGE überzeugt. Allerdings, so Harbulot, wolle man in einem Informationskrieg im Gegensatz zum militärischen den Feind nicht notwendigerweise vernichten. Industriespionage oder Bestechung, so lehrt die Schule, kommen gern ans Licht. Ein via Medien oder Web verbreitetes Gerücht kann einem Unternehmen sinnvoller schaden. Beispiel gefällig? Vielleicht hätte sich mit der Hilfe eines Absolventen wie Bühler ein Desaster wie das von Audi vermeiden lassen. Vor einigen Jahren sah sich die Firma in Amerika mit der Behauptung konfrontiert, dass ihre Automatikgetriebenen Autos Unfälle verursachten, weil sie plötzlich von selbst beschleunigten. Der US-Absatz brach zusammen – die Ingolstädter brauchten Jahre, um in Amerika wieder Fuß zu fassen. Welcher Konkurrent auch immer am Werk war – er hatte vollen Erfolg. Dass Audi in den Jahren danach alle Schadensersatzprozesse gewann, weil an den Vorwürfen nichts dran war, interessierte niemanden. Den schwachen Punkt herauszufinden ist Ergebnis intensiver und systematischer Informationsbeschaffung. Das sei nicht Wirtschaftsspionage, das sei legaler bis halblegaler „defensiver Datenklau“. Hinter elektronischen Kulissen bereitet man den Schlag vor und präsentiert ein neues, unangreifbares Produkt, das die Konkurrenz vom Markt drängen soll. „Der Angriff ist im Informationskrieg die entscheidende Handlungsgrundlage“, so Harbulot. „Der Vorteil liegt beim Angreifer – im Gegensatz zur Clausewitz’schen Regel, nach der der Verteidiger in einer militärischen Auseinandersetzung den Vorteil hat.“
Langsam erkennt man auch in Deutschland die Gefahr, beginnt mit den Franzosen auf dem Gebiet des Wirtschaftskriegs zu kooperieren, versucht, amerikanische Ausspähungsmanöver, Kampagnen und Attacken zu analysieren. Für den Autor und Experten für Spionageabwehr Udo Ulfkotte ist der Fall Lipobay ein Lehrstück des Wirtschaftskriegs. Vor drei Jahren nahm der deutsche Chemiegigant Bayer das cholesterinsenkende Mittel vom Markt, weil es angeblich Todesfälle verursachte. Der Ruf war ruiniert, Klagen folgten – 8.400 in den USA. In diesen Tagen wurde das Unternehmen in einigen Fällen freigesprochen. Kenner der Branche sind sich einig, dass Bayer Opfer einer gezielten Kampagne der US-Konkurrenz war. Mit einiger Wahrscheinlichkeit habe es, so Ulfkotte, im Vorfeld auch eine nachrichtendienstliche Beteiligung gegeben. Beweisen lässt sich wenig, das ist ja der strategische Vorteil von dieser Art Angriff: Ein Gerücht muss man nicht beweisen.
Anderes Beispiel: Die Destabilisierung des deutschen Ex-Bundeskanzlers Helmut Kohl. „Das wurde als Korruptionsaffäre dargestellt – was erstaunlich ist, da es auch andere Hypothesen gibt“, so der EGE-Direktor. „Es gibt deutsche Journalisten, die im persönlichen Gespräch die Möglichkeit einer US-Manipulation mit dem Ziel erwähnen, die deutsch-französischen Beziehungen zu schwächen. Hintergrund ist, dass es eine Allianz Deutschland-Frankreich gab, um Frankreich den Zugang zu osteuropäischem Öl zu ermöglichen. Deutschland hat dem Ölkonzern Elf-Aquitaine deshalb den Kauf der Leuna-Raffinerie ermöglicht. Die gleichen Journalisten stellen erstaunt fest, dass alle Informationen gegen Kohl aus der gleichen Quelle, den Schweizer Banken, kommen. Wissend, dass diese Banken zuvor selbst destabilisiert wurden, durch den ‚Zweite-Weltkrieg-Skandal‘, bei dem es um die Vermögen jüdischer Nazi-Opfer ging. Und dass es sonst sehr schwierig ist, Informationen von Schweizer Banken zu bekommen.“
Das zurzeit beste Instrument zur Informationsbeschaffung und -verbreitung ist das Internet. Quellen also, die jedem zugänglich seien, so Harbulot. „Nur man weiß, wo man suchen muss. Das kostet weniger als herkömmliche Wirtschaftsspionage mit ihren Techniktricks. Nichts ist einfacher, als kurz vor der Bilanzpressekonferenz einer Firma gefälschte Zahlen in Umlauf zu bringen. Bis man reagieren und berichtigen kann, ist der Schaden angerichtet und der Aktienkurs im Keller.“
An der Ecole de Guerre Economique beschäftigt man sich ganz besonders intensiv mit den Strategien von Globalisierungsgegnern wie Attac oder den Umweltschützern von Greenpeace. Ihre Innovationskraft und Kreativität bei der Entwicklung von Kampagnen gelten als vorbildlich. Als ein Paradebeispiel wird an der Schule immer wieder die Greenpeace-Kampagne zur „Brent Spar“ genannt: Der Ölmulti Shell wollte die Bohrinsel im Meer versenken, statt sie fachgerecht abzubauen. „Da konnte man perfekt die Auswirkungen geschickt gestreuter Fehlinformation beobachten. Schließlich musste Shell nachgeben, obwohl gar nicht so viel Öl in der Plattform war, wie von Greenpeace behauptet.“
Überhaupt seien vor allem die Globalisierungsgegner und US-Manager besonders geschickt in den Techniken des Wirtschaftskriegs: „US-Firmen kennen sich besser mit Lobbying oder Gerüchte-Streuen aus als europäische“, sagt der Schulleiter. Die Amerikaner würden derzeit die antieuropäische Stimmung in Amerika nutzen, um Konkurrenten aus dem Markt zu drängen. „Europäische Unternehmen müssten in einer konzertierten Aktion dagegenhalten“, meint Harbulot. „Doch genau das fehlt.“ Nur langsam setzt sich bei Betroffenen in Europa die Erkenntnis durch, dass man vielleicht doch nicht so wehrlos ist, wie man befürchtet.
Genau das ist auch der Grund, weshalb das Forschungszentrum des US-Congress inzwischen Jahr für Jahr die EGE als einzigen ernst zu nehmenden Think-Tank für CI in Europa erwähnt. Harbulot gibt zu, dass eine vergleichbare Institution in Deutschland – noch – nicht denkbar wäre. Die Abhängigkeit von Amerika sei zu groß. Immerhin will die EGE aber heuer noch CI-Seminare für deutsche Manager einführen. Und Österreich? „Wir führen erste Gespräche“, so Bühler. „Aber es ist ein sehr sensibler Bereich – gerade weil Österreich relativ überschaubar ist.“
Es gehe nicht darum, „kriegslüsterne Fanatiker zu erzeugen oder die Konfrontation zuzuspitzen“, sagt Harbulot. Ziel sei es, aus der Position der Schwäche die Öffentlichkeit zu erobern. „Wir haben die Schule gegründet, weil es ein Defizit gab. Was wir uns wünschen, ist Möglichkeiten für einen Ausgleich zu erforschen, von Feindschaften abzuraten, unfaire Maßnahmen zu stoppen. Aber um das zu erreichen, genügt es nicht, nur die andere Wange hinzuhalten. Man braucht Argumente.“ Harbulots Credo: „Geschlagen zu werden ist verzeihlich. Es ist aber unentschuldbar, sich überraschen zu lassen.“ Angriff ist die bessere Verteidigung. Was im Duktus der EGE nichts anderes heißt als: „Machen Sie Ihrem Konkurrenten klar, wie stark Sie sind“, so Harbulot, „und er wird Sie nie attackieren“.