AKUT
Archiv 2008 – Mobile Einheit
Am Stadtrand von Wien kämpft eine kleine Gruppe von Aussteigern für das Leben in einer Wagenburg. Und gegen die Behörden. Der WIENER war zu Besuch.
TEXT CLEMENS MARSCHALL FOTOS KURT PRINZ
Sieben Uhr früh. Die Bewohner der Wagenburg in Wien-Simmering werden aus dem Schlaf gerissen. Unangemeldeter Besuch, Magistratsbeamten und Polizisten schwärmen auf dem Gelände aus. Offizieller Zweck: Überprüfung der Meldeverhältnisse. Inoffizielle Vermutung: eine weitere Schikane. Erst vier Tage zuvor wurde ein Räumungsbefehl angekündigt. Dass einer neuerlichen Beschwerde nun per Vorort-Beamtshandlung nachgegangen wird, erscheint zumindest übermotiviert.
Ganz leicht ist der Schauplatz des Ganzen nicht zu erreichen. Die Endstation der Wiener U-Bahn-Linie U3 liegt ein Stück weit zurück, mit dem Auto geht es weiter nach Simmering, den elften Gemeindebezirk, hinein. Hier sieht Wien nicht mehr aus wie eine Großstadt: ein paar verstreute Häuschen, Fabriksgelände, ungenützte Grünflächen. Und mittendrin: die Wagenburg. Die einzige, die es in Österreich gibt. Zwanzig alte Wohnwägen, Bau-wägen oder umgerüstete Lastwägen gruppieren sich auf einem insgesamt 4.000 Quadratmeter großen Areal zu einer Freiluft-Wohnlandschaft, einer Art Dauer-Camper-Kommune. Zwischen den mobilen Behausungen sind Bretter und Ziegelsteine ausgelegt, die über Schlamm und die vom letzten Gewitter verursachten Drecklachen führen.
Den Bewohnern – derzeit leben zwölf Menschen permanent hier, dazu kommen noch ein paar Reisende und sieben Kinder, die durch ihre Familienverhältnisse zumindest zeitweise zu Wagen-bürgern werden – fällt der improvisierte Weg zwischen den Wägen nicht mehr auf. Den Komfort einer festen Wohnung haben sie alle bewusst aufgegeben. In einem Wagen zu leben passiert nicht einfach. Es geht um Mobilität und Freiheit, das Leben in der Natur und in der Gruppe – sagt einem jeder, den man hier trifft. Und dass das hier keine Notlösung aus finanziellen Gründen sei, auch wenn das Leben im Wagen billiger ist als jenes in einer durchgestylten Mietwohnung. Es gehe unter anderem auch darum, politische Arbeit zu leisten. Das indiziert nicht nur die Geschichte der Wagenplätze (siehe Kasten), das zeigen auch die gehisste Totenkopf-Flagge auf einem Riotanic-Hochstand und die aufgemalten Sprüche an und in den Wägen. „You can’t buy back your life. Stop consuming“ steht in einem Innenraum. Dazwischen gibt es Aufkleber mit „Wagenplatz Wien – Leben in Freiheit“.
Lena und Jacob, beide 26, haben erst nach mehreren Telefonaten eingewilligt, den wiener zum Hausbesuch einzuladen. Den Medien gegenüber ist man skeptisch hier, Hippie- und Hausbesetzer-Stempel wird man schwer wieder los, Entscheidungen ob und mit welchen Medien man spricht, werden meist im Plenum diskutiert. Das Reich des Pärchens ist ein Bauwagen, eine 15-Quadratmeter-Einzimmerwohnung. Holzofen, Bett, Waschbecken. An den Wänden hängen Fotos, überall steht Krimskrams. Seit gut anderthalb Jahren leben beide hier. Die gemeinsame Wohnung in der Stadt haben sie aufgegeben. Schrittweise. Erst zog Jacob in den Wagen. „Die Leute, die mich kennen, waren nicht wirklich überrascht davon. Die erwarten solche Sachen von mir.“ Nicht nur, weil er schon früher einmal in seinem alten Ford Transit gelebt hat. Lena kam erst nur zu Besuch, übersiedelte aber schnell ganz. Jacob: „Bauwägen sind am praktischsten zum Wohnen, weil sie keine Erhaltungskosten haben und Platz bieten.“ Das Ding allerdings erst einmal dort zu haben, wo man es haben will, ist eine andere Geschichte. Fünf Tage hat der 26-Jährige gebraucht, um seine neue „Wohnung“ mit konstanten zehn Stundenkilometern aus der Steiermark hierherzukarren.
Während Jacobs Blick über den Wagenplatz schweift – Wiens (inoffiziellen) 24. Gemeindebezirk –, nickt er anderen Bewohnern zu. Man ist nicht mit jedem eng befreundet, aber man schätzt sich. Und kennt die Eigenheiten. Lena: „Da ist etwa der Martin, der Sammlertyp. Du brauchst was, fragst ihn – und er zieht es aus seinem Wagen hervor.“ Jacob lacht: „Ich bin einmal mit meiner Tochter in der Nacht am Feuer gesessen und wollte ein Fernrohr haben. Also haben wir ihn gefragt, ob er eins für uns hätte. Gleich darauf kommt er mit einem Feldstecher und einem Teleskop aus seinem Wagen.“ Der Wagenplatz ist für ihn eine exakte Replik der Gesamtgesellschaft: „Es gibt Arbeiter, Studenten und Leute, die keiner bezahlten Arbeit nachgehen. Wie überall halt.“ Er selbst hat einen Job. Jacob ist selbstständig, seine Firma „aufgemoebelt“ stellt Dekorationen und Transporte für Filmarbeiten bereit. Lena wiederum hat soeben ihr Physikstudium abgeschlossen und beginnt demnächst in einem Spital als Physikerin zu arbeiten. „Man muss, rein rechnerisch, nicht zu viel bezahlte Arbeit leisten, weil wir hier eine verhältnismäßig geringe Miete zahlen“, erzählt Jacob. „Aber es geht den Leuten, die hier wohnen, in der Regel nicht um die Kohle, sondern um die Philosophie, die dahinter-steckt.“ Eine Philosophie, die für eine stärkere Autonomie und gegen die Konsumspirale steht. Erst wer kulturelle Normen abstreift, könne sich bewusst positionieren, gültige Werte hinter-fragen, anstatt sich ihnen automatisch zu unterwerfen, ergänzt Lena. Und: „Dazu kommt man ja gar nicht, wenn man einen 40-Stunden-Job hat und im Gemeindebau wohnt. Hier aber fängt man an nachzudenken und geht anders mit den Ressourcen um: Was passiert mit dem Wasser, wenn ich die Klospülung drücke? Wo kriege ich mein Wasser überhaupt her?“
Problemstellungen, die die Bewohner lösen mussten. Das Grundstück, auf dem sie leben, lag brach. Ständig wird hier gehämmert, gelötet, gebaut. Mittlerweile gibt es einen eigenen Senkgrubencontainer, Strom, die Wagen haben Internet. Im gemeinsamen Sanitärwagen versorgt eine Grundwasserpumpe Duschen, Waschmaschinen und Waschbecken – Warmwasser inklusive. Trotzdem: Abstriche gibt es zuhauf. Jacob: „Einmal ist uns die Bettdecke an der Wand angefroren, weil unser Wagen so schlecht isoliert ist.“ Nachsatz: „Aber das hat auch was, zumindest eine gewisse Romantik.“
Eine Romantik, die die Behörden wenig beeindruckt. Demnächst soll ein Räumungsbefehl exekutiert werden, die Wagenburg gilt bei der Baupolizei und beim zuständigen Magistrat als illegal. Seit Monaten tobt ein erbitterter Kampf zwischen den Behörden und den Wagenplatz-Bewohnern, der Jacob und die anderen Bewohner zu Rechtsexperten gemacht hat: „Wir stehen hier auf Grünland. Sobald ein Wagen längere Zeit steht, wird er zum Bauwerk – und braucht dazu eine Baugenehmigung. Das Problem ist aber, dass man für Grünland gar keine Baugenehmigung kriegen kann.“ Das wäre nur bei einer Bauland-Widmung möglich. „Aber ein Baugrund dieser Größe in Wien ist völlig unmöglich zu finden.“
Der Besitzer des Grundstücks, Michael Raidl, kann bei diesem Konflikt nicht helfen. Auch wenn er das vielleicht möchte. Er hat von sich aus das Land angeboten, nachdem er einen Zeitungsartikel über die Grundstückssuche der Wagenbürger las. Kurz danach wurde der Mietvertrag unterzeichnet. „Es sind nette Leute, die ihre Vereinbarungen korrekt und pünktlich erfüllen und die sich hier bereits ,häuslich‘ eingerichtet haben. Mir wäre am liebsten, wenn die Leute bleiben könnten, um hier in Ruhe und Eintracht mit den Nachbarn und in Einklang mit der Natur zu leben.“ Bloß: Gesetz ist Gesetz.
Und die Auslegung nimmt laut den Wagenplatz-Bewohnern inzwischen kuriose Formen an. Lena erinnert sich etwa an einen Vorfall im Dezember 2007, als der Wagenplatz von 2.000 auf 4.000 Quadratmeter erweitert wurde: „Wir haben jene E-Mail gelesen, in der der Grundstücksbesitzer bei der Bezirksvorstehung anfragt, ob das okay sei, wenn wir hier sind und unser Mietgrundstück noch erweitern. Die Bezirksvorstehung hat ihm am Telefon gesagt, dass es keine Probleme gebe – dann aber hinterrücks die Baupolizei kontaktiert und gesagt: ,Schaut’s euch das mal an!‘ Es gibt auch eine E-Mail, in der wiederum die Baupolizei dem Umweltamt empfiehlt, hier einmal vorbeizuschauen. So geht es munter weiter.“ Jacob erinnert sich an eine andere Episode: „Die Verhandlungsleiterin, die mit der Baupolizei angerückt war, hat uns gesagt, dass wir das Feld räumen müssen. Bei der Verabschiedung hält sie mir die Hand hin und sagt: ‚Das ist ja ganz, ganz toll, was ihr da macht! Bleibt’s dran! Ich hab auch schon Urlaub im Wohnwagen gemacht.‘“
Ein bürokratischer Dschungel, bei dem wenige durchblicken, allein der Baupolizeiakt umfasst 137 Seiten. „Das eine Magistrat sagt, wir dürfen hier nicht wohnen, das andere sagt wieder, wir sollen uns hier melden – was uns dann natürlich postwendend angekreidet wird. Wenn Menschen das Bedürfnis haben, in einem Wagen zu leben, muss Platz dafür geschaffen werden!“, will Lena nicht aufgeben. So hält es auch der Rest der Bewohner. Ab Mai wollen sie regelmäßig Besetzungen leer stehender Gründe organisieren, um auf ihre Situation und ungenutzte Grundstücke in Wien hinzuweisen: „Wir werden uns mit unseren Wägen nicht in Luft auflösen. Wenn wir hier nicht stehen dürfen, müssen wir eben irgendwo anders stehen“, sagt Jacob. Sein Vorschlag: „Eine Vereinbarung mit der Stadt Wien, die uns leer stehende Gründe für einen beschränkten Zeitraum vermietet.“ Und Harmonie zwischen die Fronten bringt.
Das sagt die Stadt
Renate Angerer, Bezirksvorsteherin in
Wien-Simmering, über den Wagenplatz.
Warum dürfen die Wagenbürger das angemietete Grundstück nicht bewohnen?
Die Benützung von Grundstücken ist in der Bauordnung für Wien geregelt. Derzeit ist ein behördliches Verfahren anhängig.
Gab es bisher Probleme mit dem Wagenplatz oder einzelnen Bewohnern?
Es gab Anrainerbeschwerden.
Welcher Art?
Ich bin nicht bereit breitzutreten, was der oder der gesagt hat.
Wohin mit den Wagen – was ist Ihr Lösungsvorschlag?
Es muss ein geeignetes Grundstück gefunden werden, das alle notwendigen Voraussetzungen erfüllt.
Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Um weitere Schritte setzen zu können, muss zuerst das Ergebnis des behördlichen Verfahrens abgewartet werden.
Werden die Wagenplatzbewohner Unterstützung vonseiten des Magistrats bekommen?
(Ein Stellvertreter Angerers teilt mit, dass die bereits gegebenen Antworten reichen müssen.)