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Archiv 2003 – Die Metrosexuellen kommen

Christian Jandrisits

Die 80er gehörten dem Yuppie. Die 90er der Postfeministin. Und jetzt steuern die Metrosexuellen den Zug der Zeit. Der Mann des 21. Jahrhunderts hat alles, was der Markt der Zukunft von ihm will.

Text: Manfred Sax

Seit knapp einem halben Jahr läuft im US-TV eine faszinierend populäre Reality-Show mit dem Titel „Queer Eye For The Straight Guy“. Dort schnappen sich fünf Schützlinge jede Woche einen Hetero-Mann und beraten ihn in Stylingfragen. Worum es da geht, wissen WIENER-Leser ohnehin. Im „Hedonist“ genannten Teil im letzten Drittel unseres Blattes tun wir dasselbe ja schon seit einigen Jahren, selbstverständlich mit Hilfe einiger höchst kompetenter „Queer Eyes“. Es hat mit dem Trend zu tun, dass der Mann wieder Bock auf einen Lifestyle hat, der ihm gestattet, mit seiner Männlichkeit auch seinen Spaß zu haben.

Im spätsommerlichen New York wurde dasselbe nun etwas anrüchiger formuliert, nämlich: Die 80er-Jahre gehörten dem Yuppie, die 90er der Postfeministin. Nun kommen die Metrosexuellen. Zunächst die vorbeugende Entwarnung: Mit „metrosexuell“ ist nicht ein Perverser geoutet, der für das Schieben einer Nummer das Ambiente der U-Bahn braucht. Das „metro“ steht vielmehr für „Metropolis“ und deutet seine Liebe zur Großstadt an. Dieser neue männliche Prototyp ist also ein Mensch der Mode, und Sie sollten nicht von vornherein ausschließen, vielleicht selbst einer zu sein. Wenn Sie ein Mann unter 30 sind und tendenziell hetero, ohne deswegen in Anwesenheit eines Schwulen gleich Angst um Ihren Arsch zu bekommen, haben Sie alle Chancen.

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Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist dieser Mann für das 21. Jahrhundert gerade mal ein Hype. Ein sehr kompetenter Hype. Angesetzt wurde er von der amerikanischen Zukunftsforscherin Marian Salzman (43) mittels einer brisanten Studie des Titels „The Futureless Gender“. Dass mit diesem zukunftslosen Geschlecht das männliche gemeint ist, versteht sich von selbst. Allerdings nur die Variante des traditionell heterosexuellen, mit seiner maskulinen Identität zufriedenen Mannes. Der ist uninteressant, weil der hat sein Pitralon bereits und gibt sonst nichts aus. Der metrosexuelle Mann dagegen ist bei Salzman schwer im Kommen.

Salzman wird vom global aktiven Werbekonzern Euro RSCG Worldwide dafür bezahlt, die Märkte der Zukunft zu entdecken. Das kapitalistische System ist zwar recht robust, aber alle zehn Jahre braucht es einen neuen Markt mit neuen Produkten für neue Käufer nebst einer absoluten Mother von Shopaholic als Zugpferd, sonst plagt es die Rezession wie unsereins die Langeweile. Das gegenwärtige Zugpferd, die Postfeministin, hat bereits zwölf Jahre am Buckel. Fast doppelt so viel wie ihr Vorgänger, der Yuppie. Es war Salzman, die der schwer Starkfrau-süchtigen Postfeministin seinerzeit als erste das Talent attestierte, den 90ern einen hervorragenden Yuppie abzugeben.

Als die Postlerin endlich so weit war, war die Werbestrategie also schon lange auf Starkfrau umgepolt. Nicht schwierig. Um die Frau in der Werbung zu erhöhen, brauchte man nur den Mann erniedrigen, auf Höhe eines Armutschkerls, das wir unter anderem als Milchschnittenmann kennen. Aber selbst das beste Zugpferd hat nur eine begrenzte Zahl von Meilen in den Beinen, auch wenn man ihnen, wie wir das von den Parade-Starkfrauen aus „Sex And The City“ kennen, alle paar Wochen ein neues, sündteures Paar High Heels von Manolo Blahnik verpasst. Und irgendwann kam der Tag, an dem man mit den komplizierten Banalitäten der vier rüstigen TV-Singles nur noch Mitleid hatte. Daher treten sie heuer auch ab.

Wir haben kein Problem damit. Auch Salzman, die übrigens vor fünf Jahren im Bestseller „Next“ auf einen Herrn namens Osama Bin Laden hinwies, mit dem in naher Zukunft unbedingt zu rechnen sei, verhätschelt bereits ein neues Fohlen im Stall. Und wenn ein Profi ihres Kalibers den ominösen Mr. Metrosex zum Favoriten macht, die Postfeministin nun als Zugpferd und Chef-Shopaholic eines neuen Marktes ablösen, dann sollten wir ihn schleunigst kennenlernen. Es sollte mittlerweile transparent sein: Bei der Suche nach dem neuen Menschen für die neue Zeit geht es nie um einen besseren Menschen für eine bessere Zeit. Es reicht, wenn er der bessere Kapitalist ist. Zukunftsforschung geht davon aus, dass der Kapitalismus die Lösung ist. Gesucht wird ein möglichst zahlreich vertretener und kaufkräftiger Typ von Mensch mit neuartigen Defiziten und modifizierten Interessen, den der Markt mit neuartigen Produkten glücklich machen kann.

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An sich hat die Lösung „metrosexueller Mann“ bereits seit Anfang der 90er ein Gesicht, nämlich das des einstigen Rappers und heutigen Filmstars „Marky“ Mark Wahlberg, der sich in Unterwäsche von Calvin Klein fotografieren ließ. Das war ein Bild von Hetero, mit dem die Girls und die Schwulen ihren Spaß hatten. Vor allem war ersichtlich, dass Mister Wahlberg selbst Spaß hatte. Er musste sogar dementieren, dass in der Hose ein Fremdkörper nistete. Der Begriff „Metrosexueller“ schlich sich wenig später in den Sprachgebrauch. Er bezeichnete damals einen urbanen, selbstbesessenen Dandy, der auch in den Modestrecken von Style-Magazinen immer wieder gefeaturet wurde. Der Lifestyle dazu erforderte die unmittelbare Nähe der Großstadt. Dort gab es die entsprechenden Shops, Boutiquen, Friseure, Massagesalons und Ausgeh­zonen, die dem Ganzen den Kick gaben.

Für den selbstbewussten, maskulinen Hetero war der Spaß natürlich zu oberflächlich, zu weibisch, zu gay. Also setzten auch die Schwulen auf den Metro-Style. Ein Schwuler litt nicht an den entsprechenden Hemmungen. Der stand ja in der Gesellschaft als so gut wie „entmannt“ da. Schwule, sollte Amerikas Berufs-Macho Norman Mailer damals kommentieren, „sind auch nichts anderes als Narzisse, die gelegentlich aufeinander prallen.“ (*)

Ein Jahrzehnt später sieht die Sache nun gewachsen aus. Der Postfeminismus brachte ja nicht nur der Dame den Feelgood-Faktor Starkfrau, sondern auch dem Mann die durchgehend schnöde Presse. In gewissem Sinne war es eben verdammt einfach, die Postfeministin bei Laune zu halten. Ein Witz auf Kosten des Mannes brachte es bei ihr immer. Alt-Yuppies konnten damit leben. Die waren ja mal die Vorgesetzten der Damen und kannten ihren Humor. Aber bei späteren Männergenerationen konnte daraus ein eher schwach entwickeltes männliches Selbstwertgefühl entspringen. Die Frauenbewegung, schreibt Salzman, „wird uns wie ein Fluch verfolgen. Die moderne Frau erklärt sich, der Mann entschuldigt sich. Männer fühlen sich entmannt und verniedlicht. Sie haben den doppelten Wettbewerb am Arbeitsplatz und gleichzeitig schneidet ihnen die populäre TV-Kultur die Eier ab.“

Ja, der 90er-Trip war nicht das Beste, was der Maskulinität je passierte. Die Promi-Idole der Dekade spiegeln den Unterschied. Weibliche Starkmodelle inkludierten eine muskulöse Linda Hamilton, eine gefährliche Sharon Stone, eine topfitte Citysex-Crew. Der Top-Mann war, nun, Jim Carrey. Und auch John Travolta wurde wieder belebt, als Junkie.

Neben dem schnöden Männerbild unter Frauen waren noch zusätzlich abschwellende Faktoren am Werk. Die Wissenschaft zum Beispiel teilte uns mit, dass die Existenz des Y-Chromosoms ziemlich für den Hugo sei. Und die Sprachregelung der politischen Korrektheit erwies sich für das männlich-sexuelle Bewusstsein als ungefähr ebenso sinnvoll wie Viagra für einen Priester. In ihrer Studie vom zukunftslosen Geschlecht fand Salzman denn auch ein völlig verändertes Männerbild vor. Einen Zeitgenossen, der sich geschlechtlich als „versächlicht“ empfindet und extrem passiv ist. Einen Mann, der sich mit den gängigen Männerbildern nicht identifizieren kann. Einen Hetero, dessen Maskulinität beileibe nichts mehr mit Promiskuität und Seitensprung am Hut hat. Aber sie reicht, um von einer glücklichen Familie zu träumen und auf Monogamie zu setzen.

Besonders positiv nehme dieser neue Zeitgenosse einen Crossover, den er bewusst oder auch nicht angestellt hat. Während ihm die moderne Frau traditionelle Männerwelten übervölkert, habe er Berührungsängste abgelegt und seine femininen Seiten entdeckt. Man stelle sich einen emotional angreifbaren Menschen vor, der wie einst Narziss vor sein Spiegelbild gerät und einen Entschluss fasst. Etwa: Wenn ich mich nicht selbst liebe, liebt mich niemand. Oder: Wenn es schon mit meiner Identität hapert, dann arbeite ich eben an meinem Image.

Das besondere Plus – und die Zukunftschance – des neuen Männertyps ist daher, dass er nun am historischen Urdefizit des Mannes arbeiten kann. Bekanntlich lebt der ja etwa sieben Jahre kürzer als die Frau. Nun aber sei er fähig, sich mal ordentlich zu verhätscheln, auf Fitness zu setzen, sich Massagen zuzuleisten, etwas fürs Aussehen zu tun, etcetera. Und so kam es, dass die Schwulen ihren neuen Job als Lifestyle-Gurus der Metros haben.

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Man sieht: Die neuen Chancen in der Warenkultur sind von der Metro-Perspektive her in der Tat gewaltig. Die Beauty-Industrie für den Mann steht erst am Beginn. Sein Body ist ausbaufähig. Männermode kann noch viel Fantasie vertragen. Shopping kann ihn glücklich machen, wenn die Warenkultur stimmt. Es wird demnächst, verspricht Frau Salzman, eine ganze Menge neuer Produkte geben, die den Mann entsprechend ermächtigen, wenn auch nicht Richtung Macho. „Bei Autos, zum Beispiel, dominiert nicht mehr die Geschwindigkeit. Die Vermarktung wird auf die Möglichkeiten des Fahrers abstellen, mit dem Beifahrer eine nette Konversation zu führen.“ (Salzman) Schöne neue Welt. Und so nimmt der Metrosexuelle Gestalt an. Er ist ein „straighter“ Mann, der sich ohne Probleme ein rosa Hemd in die Garderobe hängt, wenn ihm danach ist. Er steht auf die Innenstadt, weil es dort die besten Shops gibt und kulturelle Toleranz herrscht. Er findet die Metropolis tatsächlich sexy.

Mit dem Zustrom aus der Hetero-Szene, der laut Salzman insbesondere in den vergangenen drei Jahren passierte, habe sich der Metrosexuelle Richtung Mainstream bewegt. Er ist nicht mehr ein eitler Geck, sondern auch familienorientiert. Seine „Versächlichung“ – die den Jäger in ihm entsorgte – macht ihn ja nicht nur zum Idealkandidaten für Monogamie, sondern auch zu einer passablen Alternative für die Postfeministin, die mittlerweile ihren Single-Status auch etwas satt haben müsste. Kurz: Der Metrosexuelle ist höchst vermarktungsfähig.

Klar, dass die notwendigen „Alpha-Metros“ bereits existieren. Der Vorzeige-Metro par excellence ist David Beckham, seines Zeichens der global vermarktbarste Mann der Gegenwart, der alle Metro-Elemente auf sich vereint: Ein Einfrauenmann, der mit den Stark-Allüren seiner Victoria keine Probleme hat. Ein passionierter Vater, der im August in Tokio allein im Hotel mit Sohn Brooklyn telefonierte, während seine Kollegen von Real Madrid sich das japanische Nightlife reinzogen. Ein Hetero, der keine Probleme hat, sich für das Cover eines Schwulenmagazins fotografieren zu lassen. „Ich liebe es, wenn man mich liebt, egal, ob das Frauen sind oder Männer“, meinte er dazu. Und ein begnadeter Shopping-Freak ist er wie kein Zweiter. Beckham, meinte der englische Essayist Mark Simpson, „ist ein Mann, der dem ganzen Weltmarkt einen Blowjob verpasst, ohne deswegen an Brechreiz zu leiden.“ So ist es eben, wenn man gelernt hat, sich selbst zu lieben.

Ein weiterer Alpha-Metro ist der australische Weltklasse-Schwimmer Ian Thorpe, der unlängst in einem Interview über seine Sexualität sprach. Er fühle sich geschmeichelt, meinte er, dass die australische Schwulenszene sich mit ihm identifiziere. Aber er sei heterosexuell, wenn auch nicht der übliche Australier. Er liebe halt Armani, sei fast ebenso oft als Fashion-Model am Catwalk wie in der Schwimmbahn und nehme sein Äußeres sehr wichtig. Nicht unmutig, so etwas in Australien von sich zu geben.

Als weitere Metros werden die Schauspieler Hugh Jackman und Ben Affleck genannt, Letzterer wegen seiner Fähigkeit, die superlaunische J-Lo ohne Probleme auszuhalten. Selbst Eminem, der live on stage eine affektierte Homophobie bemüht, wird als Metrosexueller sozusagen „geoutet“. Seine Liebe zu alles anderem als straighter Mode und seine viel zitierte Beziehung zu Tochter Hailie, so heißt es, hätten ihn verraten. Außerdem sei es so, dass seine Gattin ihn verdroschen habe, nicht umgekehrt, wie er in einem seiner Lieder sang. Dass auch seine Kollegen metrosexuell unterwegs sind, sollte evident sein. Überhaupt sind ehemalige Mitglieder von Boybands der klassische Stoff, aus dem die Metrosexuellen geschnitzt sind, bestätigt Mister Robbie Williams.

Sogar Hollywood hat sich bereits metrosexuell bemüht. Filme wie „Fight Club“ und „Spiderman“ behandeln die Angst des maskulinen Mannes vor seiner Metrosexualität. Brad Pitt gilt als Hollywoods führender Metrosexueller. „Spinne“ Toby Maguire demonstriert praktisch auf der Leinwand, wie sich ein unscheinbares Männchen in einen kühnen Metrosexuellen verwandeln kann.

Kein Zweifel, die Metrosexuellen kommen. Auch nach Österreich. Denken Sie an Leute wie Mister Almdudler Thomas Klein und den omnipräsenten Hubertus Hohenlohe. Möglich, dass sich die beiden Ösi-Promis der Sache noch nicht bewusst sind. Aber sie sind der Metrosexualität schon verdammt nahe. ◄ (*) Zit. nach: Mark Simpson, 22.7.2002, Salon.com