AKUT

DIE GESCHICHTE DER WILDEN WANDA

Franz J. Sauer

In ihren großen Tagen war sie Österreichs erste Zuhälterin, bekannt als „Wilde Wanda“ und die schillerndste Figur der heimischen Gerichtsszene. Heute ist Österreichs erfolgreichste Popband nach ihr benannt. Noch zu Lebzeiten wollte die 2004 verstorbene Wanda Kuchwalek ihrer eigenen Legende entkommen – und hätte es auch fast geschafft. Wäre da nicht ihr großes Pech gewesen: Im Liebesrausch vergaß sie immer alle guten Vorsätze. Der WIENER berichtete 1996.

Text: Elisabeth Zacharia / Fotos: Gerhard Wartha

Ihr Ruf ist immer schon vor ihr da. Auch im Café Elvira in Wien Donaustadt, wo zu jeder Zeit klassische Typen des Milieus herumhängen. Der junge Dealer mit den Schneckerln. Der alte Ganove, der seine Goldketterln in den Ruhestand gerettet hat. Der Nachwuchs-Strizzi mit der Fußballerfrisur, der sich nicht lumpen lässt, wenn er eine Dame einlädt: „Trink ma an Weinbrand oder an echten Bouchet?“

Natürlich kennen die Herren die „Wilde Wanda“, und jeder hat vor ihr Respekt. Waren ja auch wirklich irre Geschichten, damals in den Siebziger Jahren, als Wanda Kuchwalek ihre größte Zeit hatte. Wiens erste und einzige Zuhälterin. Stocklesbisch, wozu sie dereinst schon so selbstbewußt stand, wie 20 Jahre keine mehr bis Martina Navratilowa. Dazu noch aggressiv und exzessiv. Dutzende Vorstrafen. Eine aufregende Pikanterie für Spießer – und ein gefundenes Fressen für die Presse.

Die Wilde Wanda: Schnell mit Fisch und Kandl

Einmal schoß die „Wilde Wanda“ einem Mann im Nachtcafé die Armbanduhr mit dem Revolver vom Handgelenk (!), dann ging sie einer ihrer Prostituierten mit dem Messer ans Gesicht. Zwischendurch ließen sich im Häfen zwei Wachebeamtinnen sexuell mit Wanda ein. Die bekam dafür besseres Essen; für die Uniformierten gab’s ein Verfahren wegen Amtsmißbrauchs.

Und das Beste für die Gäste im Café Elvira: Sogar vor Gericht streckte die unbeugsame Frau der Justiz die Zunge raus. Und danach „hat Wanda die Polizisten abgeführt, die sie abgeführt haben.“

Dann steht Wanda Kuchwalek im Lokal und an ihrem Lachen haben all die Jahre seither nichts geändert. Herausfordernd wie eh und je, das laszive Aufstülpen der schmalen Lippen, die Blitze in ihren Augen, das kraftvolle Bild der hohen, slawischen Backenknochen.

Die Tochter eines russischen Besatzungssoldaten (die Mutter war Bodenakrobatin) kennt nicht einmal ein Foto von ihrem Vater. Und am liebsten wäre ihr, es gäbe auch kein altes Bild mehr von ihr. Denn die Strizzi-Tage sind vorbei. Heute lebt die „Wilde“ von einst kärglich um rund 5.000 Schilling im Monat (Anm.: rund 350 Euro). In den Espressos und Beisln am Grund nennt sie sich Renate: „Damit mich keiner kennt.“

Die Wilde Wanda: Geachtet und geächtet

Die Rebellin Wanda, von der Gesellschaft verachtet, aber immer auch ein wenig bewundert wegen ihres ausgelebten Anarchismus, scheint müde geworden mit 49 Jahren. Ihre Stimme klingt nach Marlboro und Bacardi-Cola. Die schwarze Seidenglanzjacke spannt eher mehr am Bauch, als um die Schultern.

Ihre Distanz zur Presse aber ist geblieben. Kuchwalek hat nicht vergessen, wie oft ihr Reporter mit Bezeichnungen wie „Monster“ oder „Gallionsfigur der Wiener Rotlichtszene“ ins Gesicht gefahren sind. Und ins Herz. Dabei ist sie nur ein einziges Mal wegen Zuhälterei verurteilt worden. „Aber ich werde am Stock gehen und die werden noch immer schreiben, ich bin Zuhälterin.“

Die alte Wut kommt hoch. Zumal sie tatsächlich um eine neue Existenz ringt. Dreimal nur in den vergangenen 13 Jahren findet sich ihr Name in Polizeiberichten. So ein Resultat schaffte sie früher spielend im Monat. Da gab es kaum eine durchsoffene Nacht, in der Wanda, rabiat auch durch Unmengen des Aufputschmittels Preludin, nicht ausgerastet ist, nach einem falschen Wort.

Und am Beginn ihrer Karriere herrschte kein Mangel an Halbstarken, die sie provozierten, weil sie an der „Wilden“ ihre Kräfte messen wollten. Bald aber war die Stahlrute in ihrem Stiefel so gefürchtet wie der Faustschlag von Hansi Orsolics in dessen süffigen Wirtshauszeiten. Die Frau walzte wie eine Dampfmaschine durchs Millieu. Wenn sie eines ihrer bizarren Stammlokale, ein Schwulenbeisl am Alsergrund, betrat, wurden die Kellner da um eine Konfektionsnummer kleiner, knicksten devot und flatterten zwitschernd um sie herum.Im Rausch ging die andere Seite Kuchwaleks verschütt, die ihr langjähriger Anwalt Dr. Herbert Eichenseder so beschreibt: „Im Grunde genommen ist sie ein netter Kerl. Und ein armer Teufel.“ Der Wiener Publizist Ferry Hirschmann bestätigt’s: „Auch ich habe Wanda ganz anders kennengelernt. Als Mensch, der eigentlich immer nur Liebe gesucht hat.“

Die Wilde Wanda sucht wen fürs Herz

Und auch konkrete Ereignisse sprechen dafür: Alkohol allein verwickelt die heutige Renate nicht mehr in Kalamitäten. Herzschmerz aber macht sie zur Furie. Und die brisante Mischung aus beidem verhindert, daß sie ihrem scheinbaren Schicksal entkommt: der Anklagebank vor Gericht.

Typisch dafür die Geschichte mit ihrer Hündin Lady: 1991 verlor Kuchwalek, in Erziehungsheimen aufgewachsen (und dort von Erzieherinnen ins Bett geholt) mit dem Tod ihrer Großmutter die wichtigste Bezugsperson. Wanda hatte noch mehr Kummer in ihrem patscherten Leben – und überhäufte ihren Pitbullterrier mit Streicheleinheiten. „Total verzogen hat’s den Hund, wie a Baby“ erzählt Frau Erna, Stammbedienung im Café Amigo gleich neben Wandas Haustür, „man kann schon sagen, der Hund war wie ein Kinder-Ersatz.“

Was den polizeibekannten Stänkerer Manfred V. im Wirtshaus Gollner offenbar störte. Jedenfalls trat der 40jährige Mann an einem Septemberabend ’91 Lady brutal in den Bauch. Sekunden später hatte er ein Messer im Hals – und Frauchen Kuchwalek eine weitere Vorstrafe.

Typisch auch die Geschichte mit Inge Marchi – eine Zellenbekanntschaft, sehr blond und sehr nett. Die Folge: eine Beziehung, in die sich Wanda ganz ohne Netz fallen ließ auf ihrer ewigen Suche nach ein wenig Geborgenheit und Glück. Aber einmal mehr hatte sie Pech.

Denn nach ein paar gemeinsamen Monaten auf freiem Fuß zog sich die Freundin plötzlich zurück und wollte auch keine Aussprache mehr. Ein Verhängnis, daß Wanda ihre Verbitterung mit Cola-Rum wegspülen wollte. Denn als sie dann betrunken an Inges Arbeitsplatz anrief und die Geliebte wüst bedrohte, waren die Schatten der Vergangneheit sofort wieder da. Eingedenk der Legende rückte die Exekutive vor ihrer Wohnung in der Engerthstraße an, als gelte es, dort die Russen-Mafia auszuheben.

Die Wilde Wanda und die Kieberei

Laut Polizeiprotokoll im Einsatz: die Funkstreifen „Sektor 6“ und „Sektor 7“, die Sonderkommandos „Wega 95, Wega 59 und Wega 400“ sowie ein „Tassowagen“ (mit Hunden), obgleich Kuchwaleks Schmuse-Pitbull Lady bereits verschieden war. Passend dazu der Rückfall der Gerichtsreporter beim folgenden Prozeß, die Laschen auf Wandas Stiefeln zu Sporen machten (Kroneund aus ihrem Tonfall Charles Bronson heraushörten (Standard).

Tatsächlich aber ist die Herrin von einst in die Jahre gekommen. Zwar führen sie gelegentliche Zechtouren noch immer bis weit in den 21. Bezirk hinaus. Aber heute verlaufen die friedlich. Ehrensache für Kumpane, die „Renate“ auf ein, zwei Gläschen einzuladen. Und angesichts ihrer finanziellen Situation lehnt die auch selten ab.

Zwar hat sie mit Kojak wieder einen Pitbull, den sie – krank, fast kahl und halb verhungert – vor einer Züchterin rettete. Aber der Hund ist etwa so gefährlich wie der Osterhase. Hat er heute schon seine Fruchtzwerge bekommen? Prophylaktisch schiebt ihm Frauchen ein Hustenzuckerl ins Maul.

Für Wanda selbst bedeutet Essen zwei Wurstsemmeln am Tag. Feiertag ist, wenn Christa, einzige Freundin der späten Jahre, ein Schnitzel mit Erdäpfelsalat vorbeibringt. Alltag ist, am Abend fernzusehen oder Erinnerungen nachzuhängen und vergilbte Polaroidfotos anzuschaun. Von Lady, dem Schatz. Oder von „Winnetou“, jener rothaarigen Hure, die vor mehr als 50 Jahren den damaligen Teenager Wanda in die Schattenwelt mitgenommen hat und bis zur Jahrtausendwende in der Zirkusgasse arbeitete.

Abwechslung ist, wenn ein ORF-Team anklopft, um die „Wilde Wanda“ für eine Late-Night-Sendung zu interviewen. Und das höchste der Gefühle ist, wenn die blonde Inge plötzlich wieder anruft – wie vor Weihnachten ’95. Worauf für Kuchwalek verheißungsvoll die Sonne aufging, im Dezember, und ein bekanntes Spiel von neuem begann.

Das Ende der Wilden Wanda

Das Ende folgte in einer kalten Jännernacht: viele Worte, noch mehr Achteln und dann auf dem Heimweg der Eklat. In Inges Auto schlug Wanda zweimal zu, worauf die Oberlippe der Geliebten platzte. Und einmal mehr saß Kuchwalek in Untersuchungshaft.

Irgendwie erinnert sie an Kurt Helds Die Rote Zora. Die sagt im Roman: „Ich tue einfach immer das, was ich tun muß. Man muß überhaupt nicht so lange über etwas nachdenken.“

Lieber schnell vergessen.

Wanda Kuchwalek verstarb am 4. 9. 2004 im 58. Lebensjahr. Sie fand am Stammersdorfer Zentralfriedhof in der Gruppe 42, Reihe 6 in Grab 34 ihre letzte Ruhe. Sie hinterließ weder Kinder noch Verwandte, war am Ende mittellos. Ihr Begräbnis wurde von privater Hand finanzie