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Der Tag, an dem Cordoba starb

Österreich ist frei! Das Legendenspiel, das 3:2 von Cordoba bei der WM in Argentinien, 1978, ist seit dem 3:2 gegen die Niederlande bei der EM 2024 nur mehr ein nachrangiges Ereignis. Ein Satz aber wird bleiben

von Manfred Klimek

Da sind sich nationale und internationale Medien unisono einig: Österreich ist von nun an der „Angstgegner“ (BBC-Sports heute früh – das Wort „Angstgegner“ in deutscher Sprache gesprochen) aller anderen bei der EM noch beteiligten Nationalmannschaften, die wie Österreich in das Achtelfinale aufsteigen. „Angstgegner“ im Fußball zu sein: das wäre vor dieser EM in diesem „kloan Landl, mit lauta kloane Mandln“ niemandem eingefallen. Doch wie Österreich eben so ist: wir wachsen mit den Aufgaben. Das Spiel gegen die Niederlande gestern hat auch das Wichtigste hervorgekehrt: Österreich kann kämpfen und Österreich kann Team. Dass ein deutscher Trainer unsere Mannschaft formte und formt – geschenkt. Sir Ralf ist reif für den Großen Verdienstorden der Republik am Goldenen Band.

Doch dieser Beginn einer neuen Ära des österreichischen Fußballs, der Gruppensieg gegen Vize-Weltmeister Frankreich und der Mannschaftssieg gegen die siebentbeste Fußballnation der Welt, die Niederlande, signalisiert das Ende einer Legende: der Legende von Cordoba, dem grandiosen Spiel der Krankl-Prohaska-Mannschaft in der argentinischen Millionenstadt Cordoba bei der Fußball-WM am 21. Juni 1978. Zu lange haben wir uns an diesem Erfolg aufgerichtet; zu lange schon schwebte dieser Schatten eines zunehmend verblassenden Siegesereignis über dem österreichischen Fußball und wurde von Generation zu Generation weitergetragen – wie ein Pokal, den man poliert, um sich in der Spiegelung des Metalls selbst ins Gesicht zu sehen.

© ÖFB

Mit dem gestrigen Tag, mit dem 25.6.20224 können wir das fast genau 46 Jahre zurückliegende Ereignis WM-Sieg gegen „de Piefke“ endlich zu Grabe tragen. Und nein: Der Pokal von Cordoba verdient kein Ehrengrab.

Denn Cordoba war ein Racheakt an der deutschen Mannschaft und den Deutschen generell, die damals, zugegeben, als invasive Touristen nicht die sympathischsten Besucher des Landes waren („Ich zahle hier mit der deutschen Mark!!“). Im Match von Cordoba ging es für die österreichische Mannschaft um nichts mehr, für die deutsche hingegen um den Aufstieg in die nächste Runde. Noch lange nach Cordoba, ein Spiel, das deutsche Medien, vor allem die BILD, als „Schmach“ betitelten, manifestiere sich der Kanon der Freude in Österreich in dem Satz: „Da homma de Piefke haamg’schickt.“

Als dieser Satz nach und nach als revanchistisch dämlich erkannt wurde, blieb Cordoba immer noch der Sieg des Fußballzwergs Österreich gegen den damals noch amtierenden Fußballgiganten-Weltmeister Deutschland. Einer jungen Generation Österreicher wohnt aber weder Verachtung noch Niedertracht gegen die Deutschen inne: zu häufig stellen sie heute Gastronomie- und Handelspersonal in der reich gewordenen österreichischen Nation; zu sehr schreibt Österreich seit den 1990er-Jahren, trotz einer Phase der Stagnation gerade (die Deutschland noch massiver trifft), eine Geschichte ökonomischen und auch ökologischen Aufstiegs, die in diesen Bereichen erfolgreicher ist als jene der Deutschen. 

Sich an Deutschland und den Deutschen zu messen – das ist Geschichte, das ist das Gestern. Das hat Österreich nicht mehr notwendig. Und es wäre peinlich für Land und Leute, wenn Nation und Bevölkerung sich heute in revanchistischer Manier an einer Petitesse und Lappalie wie Cordoba 1978 weiter aufrichten. 

So sind wir nicht.

Was wir sind: stolz auf diese Mannschaft, glücklich über Sir Ralf, unseren deutschen Trainer und ein bisschen mutig im Denken auch, eventuell ins Finale zu kommen. Und wenn dieses Finale Deutschland auf Österreich treffen lässt, dann wäre das diesmal die Begegnung zweier Fußballnationen auf Augenhöhe. Und keine Neuauflage von Cordoba.

Adieu Cordoba: du kriegst ein Reihengrab nahe der Ehrengräber. Und ab und zu legen wir auch Blumen nieder. 

Und der Satz von Cordoba, der ewig bleibt, also Edi Fingers „I wea narrisch“; dieser Satz heißt seit gestern: „Mia wean narrisch!“

Cordoba, du Revanchismusglück: Ruhe in Frieden. Für immer! 

(Manfred Klimek, 62, ist regelmäßiger Autor bei WELT und WELT am SONNTAG in Berlin)