Film & Serie
Nachtmahr
Plötzlich ist er da: Knorrig und gebückt kriecht der Nachtmahr ins Leben der jungen Tina und treibt sie langsam in den Wahnsinn.
Zwischen Schulbank, drogenberauschten Partys und einsamen Stunden im Kinderzimmer verzweifelt Tina zunehmend an den Erscheinungen des seltsamen Wesens und ihrer Einsamkeit – und wird von der Außenwelt für verrückt erklärt.
Interview: Kai Krösche
Im Blitzlicht und zum Sound von krachendem Techno zeichnet Regisseur AKIZ das Psychogramm eines Mädchens, das langsam an seiner Umwelt zerbricht. Konsequent und radikal in der Wahl seiner Stilmittel bestürzt und bewegt „Der Nachtmahr“ mit den lautesten und leisesten Tönen, die man seit Langem im deutschen Kino gesehen hat. Ein schauriger Glücksfall. AKIZ im Gespräch über Talent, künstlerische Freiheit und die Geburtsstunde des Rock ’n‘ Roll im Film.
Sie heißen mit bürgerlichem Namen Achim Bornhak und haben bis dato auch unter diesem Namen Ihre filmischen Werke veröffentlicht – wieso das Pseudonym AKIZ?
Ich hatte das große Glück, direkt nach dem Filmakademiestudium Angebote zu bekommen. Die waren allerdings anstrengend – es waren nicht meine Geschichten, ich hatte nicht die letzte künstlerische Entscheidung. Ich wollte aber meine eigenen Sachen machen und bin mit meiner damaligen Frau und meiner ersten Tochter nach Amerika abgehauen, wo ich dann allerdings auch weiter als Achim Bornhak Auftragsarbeiten erfüllt habe. Es war dann irgendwann in der Finanzierungsphase von „Der Nachtmahr“, als ich mich entschied, auf die weitere Geldsuche zu verzichten und den Film einfach so umzusetzen wie meine Bilder: „Mach’s einfach.“ Ich komme ja aus der Straßenkunst, war Graffitisprayer und mein Tag war „AKIZ“ – also hab ich mich AKIZ genannt.
Als Abgrenzung zum Auftragsfilmer Achim Bornhak?
„Der Nachtmahr“ war mit dieser persönlichen Kunst viel enger verwandt als mit den angesprochenen Auftragswerken, bei denen ich nur versucht habe, die Visionen anderer durchzusetzen. Das ist zwar auch eine Herausforderung – aber was völlig anderes. Man gibt viel weniger von sich preis, ist weniger angreifbar.
Sie arbeiten an der Schnittstelle von Film, bildender Kunst und Performance. Würden Sie sich als Multitalent bezeichnen?
Ich fand mich nie talentiert. Sie haben sicher auch wie jedes Kind in der Schule gemalt – der Unterschied zwischen uns ist lediglich, dass ich nie damit aufgehört habe. Für mich fühlt sich das auch nicht anders an, ob Film oder Bildhauerei – man hat ein grobes Gerüst und dann eliminiert man alles Überflüssige, lässt sich vom Instinkt leiten. Nur ans Schauspielen würde ich mich nicht herantrauen.
Für jemanden ohne Talent verstehen Sie allerdings recht viel von Ihrem Handwerk.
Ich bilde mir immer ein, das kann jeder, manche brauchen halt etwas kürzer, andere länger. Es kommt mir nicht vor, als sei ich von der Muse geküsst.
„Der Nachtmahr“ spielt in Berlin und zeigt authentische Bilder des Nachtlebens der deutschen Hauptstadt. Warum Berlin?
Ich habe in Berlin gedreht, weil ich selbst dort lebe und mein ganzes Netzwerk dort ist – der Film wurde für 80.000 Euro produziert, da guckt man sich dann um, wo man Übernachtungs- und Reisekosten sparen kann. Berlin ist zwar der Hintergrund, vor dem der Film stattfindet, aber ich habe nie versucht, die Stadt in einem besonderen Licht darzustellen. Letztlich ist es auch nur ’ne Stadt wie jede andere.
Hätte man den Film also auch woanders drehen können?
Ich glaube, man hätte ihn überall drehen können, sicher auch in Wien. Ich war erst gestern noch vor dem Flex, von dem ich gehört hab, es habe eine Wahnsinns-Soundanlage. Wenn ich mich plötzlich im Flex wiederfände, wüsste ich wahrscheinlich nicht, ob ich mich jetzt in Wien oder anderswo befinde. Das ist dann ein bisschen wie mit den Einkaufs-Malls.
80.000 Euro für einen professionellen Langspielfilm, das ist Wahnsinn.
Ja, ist nicht viel, ’ne?
Beim Abspann wartet man vergeblich auf Logos öffentlicher Filmförderstellen.
So deprimierend die Finanzierungsphase war, so dankbar bin ich jetzt für die künstlerische Freiheit, die ich hatte. Allein der Sound mit seinen extrem leisen und extrem lauten Passagen – den hätte mir kein TV-Redakteur im Vorgespräch durchgehen lassen. Es gab ja auch keine erfolgreichen Referenzfilme in den letzten Jahren, mit denen ich die Produzenten hätte überzeugen können. Es war, als würde ich Ihnen einen Flug zum Mond ohne Sauerstoffgerät verkaufen wollen.
Es hat eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet diese persönlichen Werke, an die vorher kein Geldgeber glaubt, am Ende besonders gefeiert werden.
Weil sie authentischer sind, weil sie vor allem konsequenter sind. Am Anfang hat jeder Angst davor, doch letzten Endes ist es das, was alle am liebsten sehen.
Von der ersten Idee bis zur Fertigstellung des Films vergingen 13 Jahre.
Es waren zwar 13 Jahre, aber ich habe natürlich nicht täglich daran gearbeitet – das Projekt lag auch jahrelang brach. Es gab dann eine Phase in meinem Leben, zwischen 2009 und 2013, in der ich wirklich in einer prekären finanziellen Situation war. Da dachte ich mir: Ich hab so viel Zeit in das Projekt investiert, wenn ich jetzt aufhöre, dann war alles umsonst. Es gab wirklich nur noch diesen einen Rettungsweg: „Ich muss das jetzt zu Ende bringen, und wenn es den Bach runtergeht – aber dann hab ich’s wenigstens versucht.“
Dem titelgebenden „Nachtmahr“ setzen Sie mit der Schauspielerin Carolyn Genzkow eine junge Frau entgegen. Sind Frauen die besseren Hauptfiguren für Geschichten dieser Art?
Das ist ein bisschen wie mit den Komplementärfarben in der Kunst. Wenn du ein extrem hässliches, unattraktives Wesen hast und willst das Gegenstück dazu zeigen, dann landest du automatisch bei einer jungen, attraktiven Frau. Das ist ja ein Archetypus – „die Schöne und das Biest“, im konkreten Fall nur ohne die sexuelle Anziehung.
Der Film wurde nicht unter klassischen Filmsetbedingungen gedreht.
Ja. Wir haben komplett auf Filmbeleuchtung verzichtet.
Das wäre vor ein paar Jahren noch undenkbar gewesen.
Ich erinnere mich oft an einen Dozenten an der Filmakademie, der uns einmal aus dem Nichts heraus nach dem Ursprung des Rock ’n‘ Roll fragte. Er meinte, der Rock ’n‘ Roll sei entstanden, als die E-Gitarre auf den Markt kam und Teenager für wenig Geld einen Sound produzieren konnten, für den du vorher ein ganzes Orchester gebraucht hast. Wenn dieses Gerät, so der Dozent, für Filmemacher auf den Markt komme, dann sei das die Geburtsstunde des Rock ’n‘ Roll in der Filmkunst.
Sie haben Anfang der 90er studiert …
Und Mitte des letzten Jahrzehnts kam mit der Canon 5D dann tatsächlich diese neue Revolution, das war wie ein Befrei- ungsschlag. Tarantino in allen Ehren, aber mit seinem 70-mm-Format, bei dem eine Rolle Film so viel kostet wie unser gesamter Film – soll er machen! (Lacht.)
Der Nachtmahr (D, 2015). Genre: Drama/Horror/Mystery. Regie und Drehbuch: AKIZ. Mit: Kim Gordon, Carolyn Genzkow, Sina Tkotsch, Wilson Gonzalez Ochsenknecht. der-nachtmahr.com
Fotos: Peter M. Mayr, Luna Filmverleih