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MemoryLane WIENER 1987: Escort-Service in Wien – Eine Frau für gewisse Stunden
Escort-Service ist in Wien ein anderes Wort für geheime Prostitution. Die Justiz sagt: Wo kein Kläger, da kein Richter. Der WIENER sagt: Wo ein Geschäftsmann, da ein Genießer. Manfred Sax testete als englischer Businessman die Escort-Dienste aller Klassen.
Text: Manfred Sax / Fotos: Gerhard Wartha, Faksimile WIENER-Archiv, Ausgabe November 1987
Zeit ist Geld, wie du und ich wissen. Daher nur kurz zum Geschäft: Es lief wie üblich. Mehr wird dich interessieren, was ich in den kostbaren Momenten des Tages trieb, jenen Stunden, in denen das Dasein als Sklave des Business pausiert; jenen Juwelen der Zeit, da es einer Frau zur Muße wird, Mann zum König zu machen. Wir Geschäftsleute brauchen diese Stunden. Würden wir je ohne sie der Firma die Stange halten? Nun, in Zeiten wie diesen kann man nicht der Gunst des Zufalls trauen. Nicht in einer fast fremden Stadt. Nicht nach einem harten Tag. Ich ging den sicheren Weg: Ich mietete eine Frau . Aber nicht als Österreicher. Ich tauschte für einige Tage mein Reporterdasein mit dem eines englischen Businessman.
Man kennt meine Liebe zum Systematischen: Ich wußte, was ich wollte – eine echte Wiener Begleiterin mit Niveau und Englischkenntnissen. Aus Inseraten in Zeitungen und em Touristenführer „Servus Wien“ erstellte ich ein Sample: Die billigste frauliche Eskorte verkaufte sechs Stunden Niveau um 1.500 Schilling. Die Teuerste war um 10.000 Schilling zu haben. Ich suchte das Mittelmaß. Also eine Frau für 5.500 Schilling.
Das Mittelmaß hieß Diana und Carolyn. Das Inserat ihrer „Diana Escort Agency“ sprach von netter Begleitung für angehmen Zeiten. Die Telefonstimme betonte, daß es sich um Inklusivpreise und reine Mädchen handle. Wir wollten einanderin der Bar meines Hotels treffen, des „SAS“. Oh dear, die österreichische Mentalität mutet seltsam an. Es herrscht hier ein radikaler Trend zur Mitte. Das Durchschnittliche wird gern als Spezialität geboten. Diana zum Beispiel hatte sich als „Sofia-Loren-Typ“ beschrieben. Wahr daran war, daß sie ein intalienisches Hauskleid trug. Sie selbst entpuppte sich als Anita Ekberg nach fünf Jahren süßen Lebens. Sie konnte kaum atmen, als sie in der „SAS-Bar“ neben mir saß. Ihr Vorteil war der Ruf einer standfesten Trinkerin. Bei Gin Tonic schlug für sie keine Stunde, schwor sie. Leider sei sie nur aus Finnland, kenne Wien aber sehr gut. Im übrigen konnte sie Wiener nicht leiden. Im übrigen war sie Russin.
Carolyn war anders: Ich sah ihr Gesicht und war geblendet. Ich sah ihren Unterkörper und war erleuchtet. Ich weiß nun, was Mittelmaß ist. Um es am Beispiel Auto zu verdeutlichen: Carolyn hatte das Antlitz eines Porsche und das Heck einer 2 CV-Ente. Diana verabschiedete sich. Wir hatten sechs Stunden. Ich bat Carolyn um psychologisches Gespür. Sie sollte mich einschätzen und mir ein Wien zeigen, das kaum ein Tourist je sieht. Sie führte mich zu einem „Geheimtip“ unter den Heurigen, einem Lokal namens „Figlmüller“. Daß es dort kein Bier gab, war bitter. Schlimm aber war, daß sie mir einen Tafelspitz als Schmuckstück der Wiener Küche empfahl. Mir blutete das Vegetarierherz, aber ich aß alles auf.
Was soll ich über Carolyn erzählen? Sie weiß, was sie will: schnelles Geld und dann ab in die Welt, Ziel unbestimmt. Sie arbeitet tagsüber als Sekretärin. Sie trägt eine blonde Zopfberücke als ihren Beitrag, optisch der Provinz zu entfliehen. Sie war schon mal in England, wodurch ich gezwungen war, meinen Aknzent im nördlichen Schottlan anzusiedeln. Sie ist 25 Jahre alt. Wie jeder Geschäftsmann willst du wohl wissen, was Carolyn für ihr Geld bietet. Nun, sie zündet dir keine Zigarette an, und auch dein Getränk schenkt sie nicht nach. Wir sind hier nicht in Japan, sagt sie da nur. Aber sie kennt sich in der Szene aus. Mit Carolyn kannst du in die Disco „Queen Anne“ gehen, in Bars, die „Eden“ und „Reiss“ heißen. Und sie ist dir auch sexuell zugetan, wobei ihr die griechische Philosophie nicht liegt. Sie ist deswegen keine Prostituierte. Sie macht es unentgeltlich. Die 5.000 Schilling sind für ihre Dienste „als Begleitung“. Und was geheime Prostitution betrifft, geht Österreich einen bewundernswerten Weg. Wo kein Kläger, da kein Richter, sagt die hiesige Justiz.
Zugegeben, ich wollte Sex. Sonst hätte ich mich betrogen gefühlt. Ein Geschäftsmann will eben „value for money“. Den hatte ich nicht. Nach viereinhalb Stunden und einem Drink in der „Mariott“-Bar lagen wir in meinem Hotelzimmer. Das heißt, ich lag und sie saß. Sie hatte im „Sky-Channel“ einen Film mit Arnold Schwarzenegger aufgestöbert. Es war schwer, ihre Aufmerksamkeit auf meine verspannte Schulter zu lenken. Sie war ganz Arnold. Schließlich massierte sie mich doch. Sie tat es, indem sie mit einer Hand meinen Rücken auf und ab fuhr, bis sie irgendwann wieder der TV-Lähmung erlag. Der Rest ist schnell erzählt: Ihr Piepserl schlug Alarm. Also mußte sie telefonieren. Offensichtlich sprach sie mit Diana. „Öde Partie“, sagte Carolyn, „hättest du ihm gesagt, daß du Russin bist, wär‘ er mit dir gegangen.“ – Gut, daß ich kein Deutsch verstand.
Das Ende war schließlich eine Diskussion über Präservative. Der „London gefühlsecht“ bringt es, meine sie. Carolyn hat panische Angst vor Aids. Sie läßt sich von niemandem unten berühren. Sie setzt ihren Hintern auf keine Saunapritsche. Sie macht es nur mit Gummi. Um Mitternacht war es soweit. Unsere sechst Stunden waren um. Nächstes Mal solle ich mehr Initiative zeigen, meinte sie. Sonst komme ich nie zu was. Bollocks, sagte ich. Bloody Bollocks!
Du willst wohl wissen, ob es in diesem Business Zuhälter gibt. Es gibt sie. Sie nennen sich zwar Agenten, aber einer bot meiner lieben Freundin Lena an, ihn Zuhälter zu nennen. Lena hatte mir die Brücke zur nächsten Dame gelegt. Sie sollte meinetwegen solid, jedenfalls aber erstklassik sein. Das Angebot des „Exclusiv-Escort-Service“ klang am besten. Obiger Agent, ein Herr Weber, verlangte 10.000 Schilling, bot den Männertraum einer Frau und meiner Freundin einen Nebenjob. Sie könne ja, meinte er, von mir 15.000 Schilling fordern. Dann habe sie auch fünf Blaue „verdient“. Lena willigte ein. Natürlich nur zum Schein. Sie traf Mister Weber in einem „Wienerwald“ auf der Mariahilfer Straße, zahlte für das Mädchen 4.000 Schilling an und ließ ihn eine Quittung über 9.000 Schilling unterschreiben. Aug‘ in Aug‘ mit Lena relativierte er auch gleich: Übermäßige Intelligenz solle ich, der englische Gentleman, eher nicht von meiner Begleitung erwarten.
Webers Unternehmen ist unter dem Namen Marta Weber und der Adresse Alszeile 84 im Handelsregister eingetragen. Alszeile 84, eine ehemalige Swingerhütte mit Garten, Swimmingpool, Sauna und Blick über Wien, hätte der Traum jedes Normalbürgers mit Gruppensexphantasien sein können. Aber irgendwas funktionierte nicht an dem Geschäft. Heute umspannt die Escortage Webers etwa 25 Frauen und zumindest drei Agenturen, deren Telefondrähte in der Lobenhauerngasse enden.
Samstag um Punkt 8 Uhr klopfte Claudia an die Tür zu meinem Hotelzimmer, un hinter ihr schlüpfte Weber nach, fürwahr ein schleimiger Patron: Hakennase, schnale Schultern, wabbeliger Bauch und Rolex am Arm – ein echter Wally. die Debatte um die Bezahlung des Mädchendienstes vor oder nach der Leistung schnitt sofort 30 Minuten von den sechs Stunden meines Zeitguthabens. Ich zahlte vor, damit er endlich verschwand. Claudia sagte „how are you“. Sie trug ein babyboy-blaues Kostüm mit wadenlangem Rock. Ihre Frisur war Richtung Madonna unterwegs, an ihren Fingern steckten billige Ringe.
Theoretisch bietet die Agentur bei Unzufriedenheit dem Kunden einem Mädchentausch an. Praktisch ist gerade in Zeiten der Not kein Ersatz zur Hand. Praktisch könnte ein Kunde, der solcherart 10.000 Schilling den Kamin hochgehen sieht, ein Mädchen wie Claudia zum Blitzableiter machen. Escort-Damen sind Glücksbringer für Casinobesucher. Sie sind in Oper und Theater Objekte des Neides anderer, in dem sich der Damenmieter sonnt. Sie sind Gesprächsspiegel zu Tisch. Claudias Stärken mußten anderswo liegen. Ihr Lachen war glücklos. Sie wirkte wie unter Schock. Sie kannte Kokain. Sie war mal Sekretärin.
Oh dear, stell‘ dir Wien mit Claudia vor: Es war ein Besuch des Restaurants „3 Husaren“, in dem sie noch nie war. Ein Gang in dieses Lokal ist eine beinharte Übung in Sachen bourgeoiser Lebenskultur. Die Gäste wirken wir tot und wagen kaum zu kauen. Mit dem ersten Schnitt in ihr Kalb begann Claudia zu lachen und hörte nicht mehr auf. Der Ober strafte mit Seitenblicken. Wien mit Claudia war eine kurze Sonnenphase im Bowling-Club. Wenn das Gewicht der Kugel sie hinunterdrückte, schien sie kurz auf den Boden der Dinge zu blicken. Wien mit Claudia war ein Ausreißversuch, weil ein anderer Job in Aussicht stand. Wien mit Claudia war langes Warten auf ihre Rückkehr vom Klo. Insgesamt verbrachte sie Zeit für 2.500 Schilling auf der Toilette. Wien mit Claudia schließlich war eine Stunde Sprachlosigkeit im Hotelzimmer. Sie zog den Pullover aus, verwandelte ihren Rock in ein Minikleid und legte sich aufs Bett. Was blieb, war Sex. Oder Fernsehen. Oder beides. Oder keines von beiden.
Mein Wien-Bild war verworren. Wien war eine Stadt des Nepp ohne Besonderheiten. Was tun? Mir vor dem „Marriott“ vom Fahrer eines teuren Schlittens ein Girl um 20.000 Schilling andrehen lassen? Den Hotelportier um saftig geschmierte Tios anwinseln? Ich setzte auf den „Insider Guide Service“ im dritten Bezirk. 1.500 Schilling für einen Halbtag klangen nach Bodenständigkeit. Der „Insider“ ist eine zwei Monate alte Vermittlungshütte. Üblicherweise sind vier Mädchen im Einsatz. Zur Zeit meines Besuches war eine der vier im Krankenhaus, eine zweite in Ungarn, und auf den restlichen beiden ruhte die Last des Wochenendes.
„Die erste war Wienerin und konnte kaum Englisch. Die andere sprach Englisch, war aber aus Innsbruck. ‚Macht ja nix‘, meinte der Hauswart mit einem Nicken in meine Richtung, ’setz‘ ihn halt in eine Kutsche und laß den Fiaker reden.’“
Die erste war Wienerin und konnte kaum Englisch. Die andere sprach Englisch, war aber aus Innsbruck. „Macht ja nix“, meinte der Hauswart mit einem Nicken in meine Richtung, „setz‘ ihn halt in eine Kutsche und laß den Fiaker reden.“ Wir verhandelten im Gesprächszimmer, einer Bude mit Bar, Bett und Waschbecken. Zwischendurch mußte die Wienerin telefonieren. „Ich bin einsfünfundsechzig groß, dunkelblond und langbeinig”, sagte sie. So konnte man es auch sehen. Der Hauswart telefonierte mittlerweile mit der Stadtinformation. Da sein ein Engländer, meinte er, der sich einfach nur Wien anschauen möchte. Ob sie nicht einen offiziellen Touristenführer hätten?
Die Mühe war unnötig. Ich wollte mit der Wienerin ausgehen. Für 1.500 Schilling den Halbtag. Sie hieß Silvie, war 21 und eigentlich aus der Steiermark. Sie war mit 15 von zu Hause ausgerissen, weil sie unter sieben Kindern das einzige nicht von ihrem Vater gezeugte war. Sie arbeitete sechs Jahre als Serviererin im Prater. Sie hat den „Deckel“, eine Art Mutter-Kind-Paß für Prostituierte. Das bedeutet einmal in der Woche Abstrich auf Gonorrgonorrhö und alle sechs Wochen einen Check in Sachen Aids und Lues.
Endlich, jetzt endlich sah ich Wien. Ein Fiaker zog uns durch das Zentrum und engagierte nebenbei Silvie für einen der nächsten Tage. 1.500 Schilling, meinte er, das sei so etwas wie ein Furz im Wald. Die 500 Schilling für den Fiaker schmerzten. Als Trost spendierte mir Silvie eine U-Bahnfahrt in den Prater. Ich fuhr Riesenrad wie Orson Welles im „Dritten Mann“. Von ganz oben zeigte sie mit die „UNO-City“ als „University“, und am Mexiko-Platz stand ausnahmsweise die Votivkirche. Zu guter Letzt genoß ich doch noch eine Besonderheit: das Weilen am Grab von MOzart … in der Dunkelheit nach Friedhofsschluß! Als wir an Stelle zu einer guten Partie Snooker Richtung Hotel aufbrachen, meinte Silvie zum Taxler: „Jetzt spielen wir im Hotel unser eigenes Billard.“ Es wären 1.000 Schilling extra für sie gewesen. Zeit und Laune ihres Kunden reichten aber nur zu einem Drink. Dieser Sonntag, der letzte Tag meiner Recherche, sollte ungetrübt in meine Erinnerung gleiten. Es war ein lovely sunday, indeed.
PS: Du magst jetzt denken, es gäbe in Wien keinen einzigen normalen Escort-Service. Das ist unwahr. Ich weiß nur nicht, wo die normalen zu finden sind.
Anmerkung der Redaktion: Der Artikel stammt aus dem Jahr 1987 und ist deshalb in der alten Rechtschreibung verfasst.
Die WIENER-MemoryLane-Reihe:
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