AKUT
Jenseits der Komfortzone: Fessle mich …
… aber erdrossle mich nicht. Bondage-Techniken haben ihre Untiefen, die idealerweise der Liebe entspringen, wenn auch jenseits der Komfortzone.
Text: Manfred Sax
Du kennst sie, es sind die rosa schimmernden Dinger, die in deinem japanischen Restaurant im Seafood-Udong schwimmen, große Shrimps also bzw. kleine Garnelen, und bekanntlich kommen sie in der Suppenschale wesentlich gekrümmter daher als die Filetvariante am Sushireis. Letzterer Hinweis ist wichtig, „Ebi“ ist nicht nur eine Meeresfrucht, Ebi ist auch eine Befindlichkeit im Rahmen von Kinbaku, einer Bondage-Technik, die sich der „Schönheit des Festbindens“ widmet. „Ebi“ meint einen durch Fesselung erreichten Zustand, der einen bestimmten Körperteil des Objekts (tut leid, keine Subjekte hier) für „angenehmere Spielformen öffnet“, wie es im Handbuch heißt. Der Körperteil ist maximal entblößt, er ist ausgeliefert – und übermannt damit seltsam verblüffend den designierten Manipulateur, der die Fäden in der Hand zu haben glaubt.
Apropos Objekt. Ohne das entsprechende Bewusstsein geht es nicht, Madam. Es geht um die „Lust am Objektsein“, wie Dita von Teese sagt, wenn sie über ihren Hang zum Fetischismus redet. Um das sexuelle Abheben kraft eines Objekts oder einer Situation. Fetischisten leisten sich die bewusste Hingabe an die Neigung zur Entpersönlichung von Sex und PartnerIn zu Gunsten „objektiver“ Szenarien. Für die eminente amerikanische Feministin Camille Paglia ist übrigens der Mann der personifizierte Fetischist. Bist du Mann, bist du Fetischist. Weil Frauen nur sein müssen, um sexuell zu sein. Und der Mann müsse nun sein „kleines Ding“ (Paglia) in diese „dionysische“ Wesenheit tauchen, wenn er sexuell kommunizieren will – eine riskante bis unheimliche Angelegenheit. Also her mit den Fetischen, her mit „objektiven“ Szenarien und szenischen Objekten; her mit Kinbaku. Ohne jegliche Bändigung, meint Paglia, würde ihn die Frau mit Haut und Haaren verschlingen. Rituelle Fesselung ist ein Befreiungsakt. Für beide. Restriktion durch soziale Normen, zum Beispiel, fällt für den oder die Gefesselte(n) weg. Sie sind wehrlos. Das ist auch eine Freiheit.
„Es geht um die ‚Lust am Objektsein‘, wie Dita von Teese sagt.“
Die Regeln im Kinbaku sind strikt, das Seil muss aus Jute sein, die Knoten speziell, der Geist von einer Bonsai-Ästhetik inspiriert, bekanntlich schränkt der Bonsai-Gärtner die Bewegungsfreiheit seiner Bäumchen auf eine Weise ein, die der natürlichen Entfaltung der Pflanze zuwiderläuft. Der Schöpfer ist nicht mehr Gott, das ist nun der Gärtner – und das Bäumchen seinem Willen unterworfen. Das Seil hat in der japanischen Kultur große Bedeutung. Es ziert Shinto-Schreine, es umschlingt die Leibesmitte der Sumo-Großmeister, die Yokozuna genannt werden (zuna = Seil). Und es war in feudalen Jahrhunderten für Samurais und Polizisten das Mittel zum Zweck, Gefangene wehrlos zu machen – und sie kraft schmerzhafter Fesselung zu Geständnissen zu zwingen. Laut Meister „K“, Autor des Buches „Die Schönheit von Kinbaku“ entwickelte sich daraus die erotische Kunst.
Kinbaku ist im sexuellen Untergrund Japans seit dem 19. Jahrhundert populär, Kinbaku ist dort, wo Kunst und Sex einander treffen. Schmerz spielt eine Rolle, aber die Power kommt aus der Interaktion. Den Voyeur in mir beeindruckt das Unterwerfungs-Vokabular der Japanerin, der submissiven Haltung wird auf einem Niveau Ausdruck verliehen, das im Westen kaum andenkbar ist. Seit einem Abend mit einer Geisha, die mir submissiv kam und mich gedemütigt zurückließ, hab ich Respekt vor japanischer Sinnlichkeit. Als Gedemütigter bist du Wachs in ihren Händen, die noch dazu eine brennende Kerze halten.
Seit dem Transfer der Sexindustrie auf das Internet ist der Westen verstärkt mit japanischem Sex konfrontiert, in der westlichen BDSM-Szene steht fernöstliche Bondage hoch im Kurs. Allerdings läuft japanische Bondage im Westen meist unter „shibari“, das heißt lediglich „fesseln“, unterschlägt also die „Schönheit“ des Kinbaku. Für einschlägig orientierte Japaner ist der Unterschied essenziell, Kinbaku erfordert neben höher entwickelter Ästhetik auch Herz, Fessler und Gefesselte sind einander – jenseits der geteilten Fesselfaszination – emotionell zugetan, es geht um den Prozess, nicht um die finale Starre. Nenne es Liebe, wenn auch anders als wir sie kennen.
„Volltrunkenheit, zum Beispiel, ist nicht kinbaku, der Tiefgang der Interaktion kann bezweifelt werden.“
Shibari wiederum, im Westen gern damit gleichgesetzt, ist vergleichsweise kalt, das Fetischhafte dominiert etwaige kommunizierte Gefühe. Und es ist beliebiger, sogar Nylonstricke werden mitunter verwendet. Ein Wahnsinn, normal, erklärte mir mal ein heimischer Shibari-Freak. „Nylon kann nie die Reibung von Jute aufbringen, somit kann mit rein japanischer Technik keine sichere Fesselung zustande kommen.“ Soll heißen, es kommt im Westen immer wieder mal zu einschlägigen Unfällen. Berühmt ein Fall in Rom, wo sich ein 42-jähriger Ingenieur wegen Mordverdachts gerichtlich verantworten musste. Eine Studentin war erdrosselt aufgefunden worden, was anlässlich einer „Shibari“-
Session passiert war. Der Ingenieur leugnete jegliche Tötungsabsicht („Sie machte freiwillig mit, es war ein schrecklicher Unfall, wir waren besoffen“), es gab keine Zeugen, auch in römischen BDSM-Kreisen wurden keine Zweifel laut, dort kannte man den Ingenieur unter dem Künstlernamen „Kinbaku“.
Seiu Itu (so heißt der japanische „Vater“ des Kinbaku) würde sich bei letzterer Info vermutlich im Grab umdrehen. Dieser Kinbaku war sicher nicht „kinbaku“. Volltrunkenheit, zum Beispiel, ist nicht kinbaku, der Tiefgang der Interaktion kann bezweifelt werden, seine Wachheit fürs Tun war ganz offenbar im Eimer. Dann war da noch der Umstand, dass der Ingenieur kein Japaner war, er war ein Gaijin, das kann nicht kinbaku sein. Es gibt Gedanken und Gefühlswelten, die bleiben dem Westen für immer fremd, das wird auch das Schmücken mit einem japanischen Spitznamen nicht ändern. Das macht nur transparent, dass hier einer ist, der gern mit dem Feuer spielt, und Wasser ist nirgendwo zu finden.