AKUT

KINBAKU – Die Schönheit des Fesselns

Franz J. Sauer

Marie Sauvage ist New Yorkerin, lebt in Paris und gilt als eine der begehrtesten Meisterinnen auf dem Gebiet von Bondage, der kunstvollen Fesselung – Kinbaku. Für den WIENER schlang sie ihre Seile um den slowakischen Burlesque-Star Ms. Lottalove

Von Manfred Sax / Fotos: Leon Laganini

„Wenn ich sie fessle, ist das Seil mein verlängerter Arm“, sagt Marie Sauvage. Ms Sauvage – ihr ziviler Name tut nichts zur  Sache – ist eine New Yorkerin mit drei Jahren Paris im Lebenslauf und das Seil, mit dem sie hier eine Schönheit umgarnt, ist ein sechs Millimeter dickes Ding aus Jute. Es ist nicht irgendein Seil, sondern ein von einer Fachkraft in Kyoto extra zum Zwecke geflochtenes  „asanawa“. Der Zweck hat historische Relevanz, er führt in die japanische Edo-Epoche (17. – 19. Jh.) zurück, als Samurai noch etwas hießen und beim Fesseln ihrer Gefangenen eine „Hojojutsu“ genannte Technik des Fesselns entwickelten.

Es blieb dem Künstler Seiu Ito (1882 – 1961) vorbehalten, die Technik zu studieren und das daraus zu entwickeln, was ihn heute als „Vater des modernen Kinbaku“ verewigt – letzteres Wort übersetzt: „die Schönheit der Fesselung“. Im Westen ist die Technik als „Shibari“ geläufig, was aber lediglich „fesseln“ bedeutet. Das soll vorab erwähnt sein, es geht hier um die japanische Kunst der Bondage, und Marie Sauvage ist eine Meisterin des Fachs mit entsprechender Ausbildung.

Die Location ist das Wiener Hotel Orient und Ms Sauvages „verlängerter Arm“ kreiert Muster auf der nackten Haut des Models, allerdings wehrt sich die Künstlerin gegen das Wort  „Model“, es ist zu kalt, sagt sie, „für mich ist es eine Muse, da kann ich mich einbringen, es inspiriert mich, wenn jemand tapfer genug ist, sich von mir fesseln zu lassen.“ Die Muse zum Kunstwerk ist hier die slowakische Burlesque-Künstlerin Ms Lottalove, ein Naturereignis, nicht weniger.

Eine „magische Erfahrung“, sagt die Muse, Resultat eines Prozesses, dessen unverzichtbare Prämisse Vertrauen (”trust“) ist, das ihr gestattet, sich aus einer Position der Verletzlichkeit „fallen zu lassen“ (Lottalove). Die Meisterin selbst geht behutsam vor, „du kannst die Kunst ohne dominant-submissive Schemata praktizieren“, sagt sie, „ich gebe der Muse Raum, um ihr nicht nur körperliche, sondern auch emotionale Sicherheit zu gestatten.“ Treibende Kraft zum Werk ist Erotik, „Sex muss nicht hetero-normative Penetration sein, Intimität ist auch ohne sexuelle Ausbeutung machbar.“ (Sauvage)

Die Kreationen sind mannigfach, eine der resultierenden Befindlichkeiten wird beispielsweise „Ebi“ genannt. Liebhaber von Sushi identifizieren mit den drei Buchstaben eine Garnele – die bekanntlich in der Schale gekrümmt daher kommt. Im Kinbaku meint „Ebi“ einen durch Fesselung erreichten Zustand, der einen bestimmten Körperteil der (üblicherweise weiblichen) Gefesselten für „angenehmere Spielformen öffnet“, so ein Handbuch. Jenseits der geteilten Fesselfaszination sind Fessler und Gefesselte einander emotionell zugetan und während eines Akts permanent auf einander konzentriert, es geht um den Prozess, nicht um die finale Starre. Es ist Liebe, wenn auch anders als wir sie kennen.

Der immense BDSM-Boom der jüngeren Vergangenheit hat mit einer ”50 Shades of Gray“ genannten Katastrophe zu tun. Auch Ms Sauvage sah BDSM als attraktive sexuelle Linie, via Portal ”FetLife“ begann sie sich für japanische Bondage zu interessieren. Aber wie fand die New Yorkerin ihren japanischen Meister? Well, sie investierte in ein Ticket nach Tokio. Der Rest war ein bisweilen Angst einflößendes Abenteuer.

Der Meister hieß Hashime Kinoko, seines Zeichens der berühmteste Kinbaku-Künstler der Gegenwart, der vergangenen Mai seine Seil-Installation ”Samsara“ als NFT vermarktete, „damit die ganze Welt imstande ist, meine kreative Vision zu teilen.“ Der Anfang war kompliziert, sie musste japanisch lernen, worauf folgte, was sie ”Karate Kid-Feeling“ nennt: „die ultimative japanische Lehre“, erzählt sie, „mein Sensei“ ( = Lehrer, Anm.) war streng mit mir, während er zu allen anderen Schülern nett war.“ Was war da los, hatte es damit zu tun, dass sie ein „Gaijin“ ( =Nichtjapaner, Anm.) war? Keineswegs, wie sich letztlich herausstellte. Der Sensei war streng, weil er ihr Talent erkannte, „weil ich an dich glaube“, wie er ihr abschließend flüsterte. Marie Sauvage war geboren.

Somit zur Session im Orient. Begleitende Worte erübrigen sich, wir genießen und schweigen und lassen die Bilder sprechen. Mit Dank an die Künstlerin und ihre Muse Ms Lottalove.

PS: Beim Dinner danach wurde auch der Film „Der Nachtportier“ (1974) mit Charlotte Rampling erwähnt, nicht ganz zufälliger Weise der Lieblingsfilm von Ms Sauvage. Bekanntlich stand das „Hotel“ dazu am Wiener Naschmarkt, also war der Besuch der Location ein Muss. Möge die Enttäuschung der Künstlerin ob des Umstands, dass dieses Gebäude in der banalen Realität eine Bank war, nicht von Dauer sein.