GENUSS
Feuerwasser frei – Spirits ohne Alk
Genug gefeiert. Für die Fastenzeit, die dringend benötigten Detox-Tage, kommen die neuen alkoholfreien Destillate gerade rechtzeitig. Gin Tonic ohne Promille? Geht doch!
Text: Roland Graf
Während die angelsächsische Welt ihren „dry January“ schon hinter sich hat, beginnt mit dem Aschermittwoch hierzulande die „trockene“ Jahreszeit. Am Grund-Problem ändert der Zeitraum aber nichts: Verweigerung von Alkohol klingt immer ein wenig verdächtig. „Soziales Trinken“ gehört in Österreich – einem Land, das statistisch 30,6 Liter Wein und 106 Liter Bier pro Kopf und Jahr trinkt – beim Fortgehen wie im Job einfach dazu. Doch Hoffnung für die (Teilzeit-)Abstinenzler naht aus dem Land des „Gin & Tonic“. Denn auch Ben Branson hatte es satt, in geselliger Runde süße und belanglose „Mocktails“, also Drinks ohne Alkohol, oder Mineralwasser zu trinken: „Ist es zu viel verlangt, sich von einer Bar etwas Erwachsenes und Komplexes zu wünschen?“ Mit dieser Frage und seinem alten Brenner-Handbuch (John Frenchs 1651 publiziertem „The Art of Distilling“) ging der Brite nun denn also selbst ans Werk.
Denn auch wenn „alkoholfreies Destillat“ nach einem Widerspruch in sich klingt, hat das schon seine Richtigkeit. Denn während Spirituosen per Definition mindestens 15% Alkohol aufweisen müssen, verweist Destillat nur auf das Verfahren. Mehr noch: Blumenaromen oder Kräuterarzneien standen am Beginn der Destillation, die im von den Arabern nach Süditalien gebracht wurde. Als „Spagyrische Präparation“ etwa weist Bransons altes Buch das Verfahren der Alchimisten aus, das darin bestand, die Wirkstoffe „herauszuziehen“ (das griechische Wort „spao“ bedeutet „ziehen“). 2014 gründete Ben Branson „Seedlip“. Und da der Gründer ursprünglich Designer war, sind bereits die Flaschen seiner mittlerweile drei Sorten für die Bar – „Spice“, „Garden“ und „Grove“ – auffällig.
Branson traf offenbar einen Nerv; schon zwei Jahre später sicherte sich der weltgrößte Spirituosenkonzern Diageo Anteile am promillefreien Start-up. Im Vorjahr haben dann Raphael Vollmar und Gerald Koenen den Trend für den deutschsprachigen Raum aufgegriffen. Eigentlich stellte das Duo mit „Rheinland Distillers“ in Bonn unter der Nibelungen-Marke „Siegfried“ Gin her. Seit einem halben Jahr auf dem Markt, sind bereits 35.000 Flaschen des „Siegfried Wonderleaf“ verkauft worden. „Vor allem die Schweiz sticht hervor“, so die alkfreien Pioniere, „hier hat eine führende Supermarktkette „Wonderleaf“ gelistet. Fragt man die beiden nach der Zielgruppe, dann sind es „fundamental Leute, die wir mit unseren bisherigen Produkten nicht erreicht haben“.
Als Marktführer in Deutschland haben Vollmar und Koenen auch ein klares Bild, wie komplex die Herstellung einer alkoholfreien Gin-Alternative ist: „Nicht alle Botanicals (aromagebende Stoffe wie Kräuter oder Früchte) eignen sich in gleicher Weise für eine alkoholfreie Extraktion. Das erfordert ein Umdenken bei Rezepturen, bei Mengen und beim Verfahren“. Ein gutes Jahr dauerte daher die Entwicklung für „Wonderleaf“. Explizit empfehlen die „Rheinland Distillers“ den Konsum mit Gin & Tonic. Und die Welle rollt ohne Promille, wie unsere WIENER-Auswahl zeigt. Fügt man etwa die alkoholfreien Versionen vom Gin und Wermut zusammen, wird aus dem Italo-Klassiker „Negroni“ eben ein „Nogroni“. Soll noch wer sagen, gesünder leben kann nicht auch lustig sein!
Abstinente Bar
Entalkoholisiertes schmeckte schon beim Bier nicht wirklich. Doch neue Verfahren schaffen eine neue Kategorie an „nachgebauten“ Spirituosen. Hier unsere Auswahl an Alternativen zu bekannten Produkten, nur alle eben ohne Alkohol.
Schwacholder
Vor vier Jahren startete der Engländer Ben Branson die Destillation auf seiner Farm, der Weltkonzern Diageo stieg rasch ein: Bransons Gin-Ersatz hatte eine eigene Kategorie geschaffen!
„Seedlip Spice“, um 29,90 Euro (0,7 Liter) bei tastillery.com; Info: seedlipdrinks.com
Wer ist weniger!
Entalkoholisierter Weißwein und Kräuterextrakte machen es möglich – auch Wermut ohne Promille gibt es! Die Bremerhavener „ENBio“ hat die Cocktailzutat auf den etwas eigenwilligen Namen „Blutul“ getauft.
„Blutul“, um 9,90 Euro (0,75 Liter) bei freiwein.at; Info: enbio-drinks.com
Wunderblatt
18 Aromageber, die sogenannten Botanicals, kommen bei diesem alkfreien Rheinländer in die Brennblase. Das Ergebnis ist der kleine Bruder des „Siegfried“-Gin und explizit für den Einsatz in Cocktails gedacht.
„Siegfried Wonderleaf“, um 19,90 (0,5 Liter) bei urban-drinks.at; Info: siegfriedgin.com
Malz-Extrakt
Der Geschmack von Whisky, als Art Sirup eingefangen in Granada: „Whissin“ wird nicht aus destilliertem Getreide, sondern durch Lösung der Aromen von Mais und Gerstenmalz gewonnen.
„Whissin“, um 11,90 Euro (0,7 Liter) bei freiwein.at; Info: espadafor.es/es/30-whissin