AKUT
Kurt versucht’s nicht mehr
Im Jahr 2002 startete das deutsche Männermagazin „GQ“ eine Kolumne mit dem Titel „Kurt versucht’s wenigstens“. Und machte damit einen Mann namens Kurt Molzer zur Legende. Aber heute sieht Herr Kurt die Welt völlig anders.
Die erste Story damals: Kurt sprach in München, Berlin und Hamburg 100 wildfremde Frauen an. Auf der Straße, im Supermarkt, am Flughafen. Überall. Und er sagte Folgendes: „Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie anspreche, aber ich finde Sie schön und wahnsinnig erotisch. Möchten Sie mit mir schlafen?“ Sechs antworteten übrigens mit Ja.
Die Abenteuer des Herrn Kurt gingen weiter. Kurt fuhr mit dem Luxusschiff „Queen Elizabeth 2“ von England nach New York, um sich an Bord eine reiche Witwe zu angeln. Kurt machte einen auf Opernkenner oder Picasso-Experte und legte ein paar Intellektuelle flach. Kurt verkleidete sich als Priester und stellte fest: Die Damen rissen sich förmlich darum, Hochwürden zum Bruch des Zölibats zu verleiten. Eine Immobilienmaklerin flehte: „In Gottes Namen, fick mich endlich!“ Natürlich lief auch mal gar nichts – aber dann hatte Kurt es wenigstens versucht.
Dieser Kurt war ich.
Ich will nicht prahlen, aber Kurt war Kult. Ich gab Autogramme und hatte in gewissen Kreisen einen höheren Bekanntheitsgrad als Shakespeare. Der Condé-Nast-Verlag, in dem auch die renommierte „Vogue“ erscheint, zahlte mir pro Story 7.000 Euro, also monatlich. Aufs Jahr hochgerechnet klingt das noch unglaublicher: 84.000 Euro für zwölf Artikel! Damit war ich – jede Wette – der höchstbezahlte Kolumnist der Welt.
Bald kam auch die Automobilindustrie auf mich zu. Der Pressesprecher einer Edelmarke schrieb mir eine Mail: „Wir hätten da was ziemlich Passendes für Sie mit integrierter Champagner-Bar und hinten genug Platz zum Rummachen.“
Fehlte nur noch der Anruf des „People“-Magazins: „Mister Molzer, wir möchten Sie dieses Jahr gern zum ‚Sexiest Man Alive‘ küren. Sie haben doch nichts dagegen?“
Eine Figur wie Kurt wäre heute nicht mehr denkbar. Ich würde wie ein Verbrecher dastehen und hätte Dutzende Anzeigen wegen sexueller Belästigung am Hals. Die Zeitungen würden groß über mich berichten: „Unfassbar, dieser Mann fragt Frauen, ob sie Sex mit ihm haben wollen, anstatt im Internet nach einer Partnerin zu suchen!“
Die zeitgemäß weichgespülte „GQ“-Leserschaft von heute würde Sturm laufen wegen der „menschenverachtenden, frauenfeindlichen und entwürdigenden“ Wortwahl des Autors. Der Presserat würde nicht mehr nachkommen mit dem Verfassen von Rügen wegen des „Verstoßes gegen die guten Sitten“.
Mein lieber Mann, mir würde es heute mächtig an den Kragen gehen! Wie jenem Kollegen, der einen gewaltigen Shitstorm erntete, weil er im Kundenmagazin einer Drogeriekette geschrieben hatte: „Wer will schon eine Frau mit einer praktischen Frisur?“ Einhellige Meinung der Entrüsteten: „Eier ab, dem Lump!“
Vor ein paar Wochen saß ich in der Straßenbahn Linie D Richtung Nußdorf, unterwegs zum Grab von Niki Lauda auf dem Heiligenstädter Friedhof. Zwei Sitze nebeneinander. Ich innen. Eine ungefähr 40-Jährige mit langen schwarzen Haaren außen – Zwergpinscher (ohne Beißkorb) auf ihrem Schoß. Die Bim machte bei der Börse diesen scharfen Linksknick, der zum 9. Bezirk hinführt. Mein Oberkörper kippte dabei etwas nach rechts. Kann schon mal vorkommen. Naturgemäß kurze Berührung mit der Frau. Ich entschuldigte mich. Sie: „Was soll das?“ Ich: „Was soll was?“ Sie: „Auch noch blöd fragen.“ Darauf fiel mir nichts ein. „Fühlt die sich ernsthaft sexuell belästigt?“, dachte ich nur.
Es treibt mir die Schamesröte ins Gesicht, wenn ich daran denke, wie der Kurt von früher womöglich gekontert hätte: „Gnädigste, ich will doch gar nichts von Ihnen. Sie haben mir, viertens, viel zu kleine Tutteln. Erstens, zweitens, drittens will ich gar nicht aufzählen, sonst tun Sie sich am Ende noch was an.“
Der Zwergpinscher starrte mich an und stank aus seinem kleinen Maul, als hätte er drei Kilo Scheiße gefressen. Der Zwergpinscher war meine Rettung! Er gab mir die Chance, diese Groteske doch noch hoch erhobenen Hauptes zu überstehen. Also sprach ich laut und deutlich, sodass alle es hören könnten: „Legen Sie Ihrem Hund gefälligst einen Beißkorb an! Sie handeln gesetzwidrig, man nennt das Gefährdung der öffentlichen Sicherheit.“ Sie wollte kein weiteres Aufsehen erregen, wickelte dem Pinscher, der vor einem Hamster davonläuft, ein Maulband um, stieg zwei Stationen später aus und zeigte mir von draußen hübsch den Mittelfinger.
Der vermeintliche Sexstrolch hatte sich innerhalb kürzester Zeit in den rechtschaffenen Bürger verwandelt. Als solcher hätte ich nachlegen können, zum Beispiel mit der Anzettelung eines Shitstorms: „Frau mit Zwergpinscher ohne Beißkorb im D-Wagen! Wo sind wir denn! Und dann zeigt sie mir, einem unbescholtenen Bewohner der Stadt, der sie auf diese Unzulässigkeit aufmerksam gemacht und den sie zuvor bezichtigt hatte, ihr an die Titten zu wollen (!!!), auch noch den Stinkefinger! Ja wo sind wir denn! In den Hades, die Alte!“
Vielleicht hätte ich dann Blut geleckt. So ein ehrenamtlicher Nebenjob als Wachmann, Sittenhüter, Moralapostel, Gutmensch und Shitstormist in Personalunion hätte schon was. Da fallen mir auch auf Anhieb ein paar Megashitstorms ein. Gegen den Wiener Fleischhauer zum Beispiel, der immer noch einen Sauschädel in seine Auslage legt. Barbar! Gegen meinen eigenen Vater, der es wagt, sich in einem Schanigarten eine Marlboro anzuzünden. Ekelhafter! Gegen meinen eigenen Bruder, der mit 180 auf der Autobahn geblitzt wurde. Mörder! Asoziales, widerwärtiges Pack, ihr werdet mich alle noch kennenlernen!
Und dann könnte ich ja auch noch einen Blog gestalten: „Faschismus von links – Kurt versucht’s wenigstens“. Shitstormisten aller Länder, vereinigt euch bei mir zum freien Gedankenaustausch, damit wir die Welt zu einem besseren Ort machen!
Okay, Freunde, ich merke selbst, ich würde von einem Extrem ins andere fallen. Ich muss einen Mittelweg finden. Wie wär’s damit: „Kurt versucht’s nicht mehr“. Mal probieren.
Kurt Molzer
war die heißeste Aktie unter den deutschsprachigen Journalisten. Er war Chefreporter bei „Bild“ und „Bunte“, Chefredakteur von „Penthouse“ und ist auch den Lesern von „RAMP“ kein Unbekannter. Für den WIENER lässt der gebürtige und nun auch wieder hier lebende solche und arbeitende Buchautor seine Hochzeiten als „GQ“-Kolunmnist wieder aufleben. Allerdings in leicht veränderter Form.