AKUT

Kurt versucht’s nicht mehr

Foto Header: Franz Hausner

Ich schrieb jahrelang für einen großen deutschen Zeitschriftenverlag. Eines Tages kam der Stellvertreter der Chefredakteurin in mein Büro und sagte: „Wir sollten essen gehen.“ Er lud mich zum teuersten Italiener der Stadt ein und fragte mich beim Aperitivo: „Wie viel müssen wir dir zahlen, dass du gehst?“ Ich glaubte, mich verhört zu haben: „Darf ich den Grund wissen?“ Er lachte dreckig: „Na ja, formulieren wir es so: Du zeigst der Chefredakteurin zu deutlich, dass du sie nicht ficken willst.“ Ich war so sprachlos wie nie in meinem Leben – und gleichzeitig hocherfreut. Denn ich hatte schon längst keine Lust mehr auf den Laden und bereits ein anderes Angebot vorliegen. Ich schnalzte mit der Zunge: „Das wird teuer, mein Freund, sehr teuer.“ „Na komm, sag schon“, drängte er. „Immer mit der Ruhe, dafür brauche ich einen zweiten Drink.“ Ich bestellte noch einen Martini, leerte den zügig, sah dem Stellvertreter tief in die Augen und nannte dann eine sechsstellige Summe. Der Kerl schnappte nach Luft. Aber er reichte mir über den Tisch die Hand und ­lachte jetzt noch dreckiger: „Aber nicht, dass du sie doch noch fickst.“

Eine Woche später unterschrieb ich einen Auflösungsvertrag – die Beendigung des Arbeitsverhältnisses finde im beiderseitigen Einvernehmen statt und so weiter blablabla. Was mich besonders erheiterte: Da stand auch noch drin, dass ich über die Höhe der Abfindung zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen sagen dürfe, nie und nimmer. Bis zu meinem Tod also. Weil ich sonst mit rechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätte, den Betrag zurückzahlen müsste. Drei Tage nach der Vertragsunterzeichnung war das Geld auf dem Konto. Ich konnte mein Glück gar nicht fassen! Weil ich meine Vorgesetzte NICHT gefickt hatte, war ich plötzlich ein vermögender Mann. Meine ersten Anschaffungen: eine einsitzige Rennmaschine (Ducati 748R in Gelb mit Termignoni-­Auspuffanlage) und ein Schlachtengemälde (Feldmarschall ­Radetzky bei Novara, 1849). Aber das nur am Rande.

Am liebsten hätte ich natürlich so weitergemacht: die nächste Vorgesetzte NICHT ficken und wieder kassieren. So lange, bis ich ausgesorgt und mir eine Villa in Saint-Jean-Cap-Ferrat gekauft hätte. Allein, es kam anders. Weit und breit keine Vorgesetzte mehr. Na meinetwegen, ich drehte den Spieß halt um, ließ mir ein weißes T-Shirt mit dem Kopf von Charles Bukowski bedrucken und fickte in den Redaktionen alles, was nicht bei drei auf den Bäumen war: Sekretärinnen, Fotografinnen, Redakteurinnen, Volontärinnen, Putzfrauen, Praktikantinnen, Pförtnerinnen, Grafikerinnen, Artdirektorinnen, Kantinenköchinnen, Kantinen­abwäscherinnen, Kantinenkassiererinnen. Keine war mehr sicher. Irgendwann schrieb ich dann das Buch „Früher war ich ein richtiger Ficker.“ Es erschien in einem großen deutschen Verlag, und ich wusste nun klar: Ficken ist also doch besser als NICHT ficken – jetzt werde ich reich! Markus Lanz lud mich in seine ZDF-Talkshow, die damals noch zur besten Sendezeit lief. Er kündigte mich mit den Worten an: „Wir haben heute einen Mann hier, der das Skandalbuch des Jahres geschrieben hat: Kurt Molzer.“ Dann sagte er: „Herr Molzer, verraten Sie uns doch bitte, wie Ihr Buch heißt“ – „Nein, Herr Lanz, ich will, dass Sie den Titel nennen. Schließlich haben Sie mich eingeladen“ – „Nein, Herr Molzer, Sie haben das Wort“ – „Nein, Herr Lanz, Sie.“ Letztlich blieb dem bekanntesten Talkmaster Deutschlands nichts anderes übrig: „Also gut, das Buch heißt ‚Früher war ich ein richtiger Ficker‘“. Millionen von Fernseh­zuschauern hörten das. Und Karl Moik, der auch in der Runde saß und mit dem ich vor der Sendung in der Garderobe mehrere Gläser Champagner getrunken hatte und den Gott übrigens selig habe, grinste vor Freude. Und ich sprach zu mir selbst: „Hey, Alter, das ist jetzt dein endgültiger Durchbruch.“

Allein, es kam anders. Das Buch schaffte nicht einmal eine zweite Auflage. Ich verfiel in Trübsinn. Da fickst du dir die Seele aus’m Leib für nix und wieder nix. Was soll denn das? Es brauchte eine gewisse Zeit, bis ich darüber hinwegkam. Heute sage ich mir: eine schöne und lehrreiche Erfahrung, aber Schnee von gestern.

Vor ein paar Wochen traf ich mich mit einem befreundeten Literaturagenten. Wir sprachen über alte Tage und neue Projekte. „Du hast“, sagte er, „ein Buch über ­deine ganzen Bettgeschichten geschrieben. Dabei ist die Story mit der Chefredakteurin, die du nicht gefickt hast, viel, viel besser.“ Er steigerte sich richtig hinein: „Das ist absolut geiler Filmstoff, deutsche Komödie at its best, weißt du das eigentlich? Du solltest gleich ein Drehbuch machen! Ich seh das alles schon vor mir, allein die Szene beim Italiener mit dem schmierigen Stellvertreter. Was glaubst du, was erst los sein wird, wenn der sich wiedererkennt in dem Film! Das gibt einen Skandal und eine Mega-PR!“ „Der Stellvertreter kann sich nicht mehr wieder­erkennen, der ist nicht nämlich tot“, entgegnete ich. „Egal, dann wird eben die Chefredakteurin sich wiedererkennen – und das gibt einen noch größeren Skandal!“ „Fein, und ich hab die Mörderklage am Hals.“ „Ach, das wird dich höchstens ein Achselzucken kosten.“

Er konnte mich nicht überzeugen. Vielleicht auch, weil ich das Wort Ficken nicht mehr hören kann. Ich habe es in meinem Leben drei Millionen Mal gesagt und eine Million Mal geschrieben. Selbst in einer Komödie, in der es um eine von mir NICHT gefickte Chefredakteurin geht, würde dieses Wort ja zwangsläufig vorkommen. Ich sagte ihm also: „Vergiss es.“ „Versuch’s doch. Kurt, versucht’s wenigstens, hm?“ „Ich versuch’s nicht mal.“ Worauf er genervt einen Schluck Bier nahm und sagte: „Dann fick dich doch selbst, Molzer.“ (Anmerkung der Redaktion: Allein in diesem Beitrag verwendete Herr Molzer das Wort Ficken in mehreren Abwandlungen zwölf Mal. Bei den sensibleren unsere Lesern möchten wir uns dafür hier ausdrücklich entschuldigen.)


Foto: Maximilian Lottmann

Kurt Molzer
ist eine der heißesten Aktien unter den deutschsprachigen Journalisten. Er war Chefreporter bei „Bild“ und „Bunte“, Chefredakteur von „Pent­house“ und ist auch den Lesern von „RAMP“ kein Unbekannter. Für den WIENER lässt der gebürtige und nun auch wieder hier lebende und arbeitende Buchautor seine Hochzeiten
als „GQ“-­Kolumnist wieder aufleben. Allerdings in leicht veränderter Form.