Mode

Die Mode der Befreiung

Alex Pisecker

Die Welt tanzte auf dem Vulkan – und es ging nicht gut aus –, für die Frauen jedoch bedeutete dieses Jahrzehnt den Beginn der Unabhängigkeit!

Text: Alex Pisecker / Foto: Getty Images

Der Weltkrieg war vorbei, die Spanische Grippe überstanden: Die wilden 20er-Jahre brachen an, und zwar jene mit einem 19er davor. „The places to be“ waren die Metropolen Berlin, Wien, Paris, New York und Buenos Aires. Eine Zeit der Befreiung brach an, der Bruch von Konventionen und Tabus.

Vor allem die Damenmode spiegelte diese Entwicklung wider. Das Korsett wurde durch einen Hüftgürtel ersetzt. Die Rocksäume rutschten deutlich nach oben, man sah plötzlich Damenbeine. Die Taille fiel ganz weg oder begab sich auf Hüftniveau. Die Schnitte waren einfach, entweder mit tiefen Ausschnitten auf beiden Seiten oder dem sehr beliebten Bubikragen, der den Damen ein schulmädchenhaftes Aussehen verlieh. Die Flappergirls (engl. „flattern“), die diese Mode trugen, setzten sich über gesellschaftliche Konventionen frech hinweg, schminkten sich, tranken hoch­prozentigen Alkohol und rauchten. Auch die Hose hielt Einzug in die Damengarderobe.

Die blutjunge Marlene Dietrich propagierte den Herrenanzug, sie soll ihn angeblich immer nachts in der Bar des Hotels Adlon getragen haben. Zu diesen neuen Kleidern gehörte selbstverständlich auch eine neue Frisur – erstmals trugen die Damen das Haar kurz, den sogenannten Bubikopf. Die Haare ­wurden onduliert, also in platte glänzende Wellen gelegt.

Accessoires gewannen enorm an Bedeutung: lange, über die Ellenbogen reichende Handschuhe, Federboas, überlange Perlenketten und natürlich der Zigarettenspitz. Frauen war es unter Zähneknirschen erstmals erlaubt, auch in der Öffentlichkeit zu rauchen, ­davor galt das als verpönt. Die Tanzpaläste und Revues sorgten für Unterhaltung, abends trug man Kleider aus Seidenorganza und Moire, dicht mit Pailletten und Perlen besetzt, dazu Seidenstrümpfe mit Naht; es wurde verhältnismäßig viel Bein gezeigt.

International gesehen hatte Gabrielle „Coco“ Chanel wohl den intensivsten Einfluss auf die Mode der 20er-Jahre. Ihre Modelle aus dieser Zeit haben bis heute Bestand – ihr verdanken wir Kleidung aus Jersey und Strick, vor allem aber Bewegungsfreiheit. Sie glaubte an die Stärke der Frauen und gab ihnen Selbstbewusstsein.

Der Modestil der 20er zog über den gesamten Globus von den Jazzclubs in Harlem bis hin in die Tanzpaläste von Buenos Aires, wo Gigolos mit Pomade im Haar Schönheiten beim Tangotanz im Arm hielten.

Die Zeit war reif für die Befreiung von Beengtheit, nicht nur in der Mode. Wir verdanken diesen Pionierinnen, die sich mittels ihrer Kleidung gegen gesellschaftliche Normen und Konventionen auflehnten und deshalb sicherlich viele Diffamierungen ertragen mussten, einen Großteil unserer heutigen Freiheit. Sie waren ­tapfere Kämpferinnen!