AKUT

Liebe Frau Bell, was haben Sie eigentlich gegen Männer?

Ein Streitgespräch mit der deutschen Menschenrechtsaktivistin Inge Bell über toxische Männlichkeit, gemeinsame Ziele und verschie­dene Methoden.

Foto Header: Uwe Kloessnig

Lieber Herr Sauer, gar nichts. Im Gegenteil: Sie sind eine ganz wunderbare menschliche Spezies, so wie Frauen auch. Leider hat das Ende des menschlichen Nomadentums und die Sesshaftwerdung zur Entwicklung des Patriarchats geführt – einer schädlichen Institution für Männer und Frauen. Weil sich nun beide Geschlechter irre verbiegen (lassen) müssen.

Aber da widersprechen Sie sich doch jetzt! Wenn bis jetzt Patri­archat herrschte, dann müssen sich doch nun nur die Männer ­verbiegen, um das abzuändern.

Das Patriarchat herrscht ja immer noch. Und im Patriarchat werden Erwartungen an Männer und Frauen gestellt. Und an diesen Rollenerwartungen gingen und gehen auch Männer kaputt: Männer müssen stark sein, Jungs weinen nicht, Männer müssen die Familie ernähren, sich im Krieg metzeln lassen, dürfen keine Elternzeit nehmen, weil sie sonst vom Chef als Weichei/Schwächling gesehen werden. Das ist doch ein Wahnsinnsdruck, der auf Männern lastet. Das Ende des Patriarchats bedeutet Entlastung für Männer.

Also abgesehen davon, dass ich Ihr hier gezeichnetes Männerbild als reichlich veraltet empfinde: Ich habe den Eindruck, Sie wollen mir hier was verkaufen. Nämlich das Streben der Frauen, nun auch endlich an die Macht zu wollen, halt leider auf Kosten der Männer … oder etwa nicht?

Es ist das größte Missverständnis, dass Gleichberechtigung auf Kosten der Männer geht. Nein – es ist zu ihren Gunsten. Ich wünsche mir wirklich befreite Männer. Männer, die menschlich sein dürfen: eben auch verletzlich, weich, zugewandt, liebevoll – all das, was Menschsein ursächlich in seiner ganzen Bandbreite ausmacht. Wenn auch Männer aus der Fülle leben dürfen, dann verschwinden auch die Schattenseiten der erzwungenen, falsch verstandenen Männlichkeit: häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen, Kontrolle über den weiblichen Körper, Unterdrückung und Kleinhalten, um sich selber größer zu fühlen – oder nach außen zu zeigen, dass man „Herr im Haus“ ist, ob im Beruf oder privat.

Ach Gott, Sie scheren hier doch alles über einen Kamm! Sie tun so, als würden ALLE Männer darunter leiden, nicht weinen zu dürfen, weshalb ALLE Männer sexualisierte Gewalt, Unterdrückung und Kleinhalten der Frauen zelebrieren. Es handelt sich dabei aber bloß um einen verabscheuungswürdigen Teil der Entität Mann, den wir Männer ebenso bekämpfen wollen wie ihr Frauen.

Nun, gucken Sie auf die Statistiken: Es sind halt zur überwälti­genden Mehrheit Männer, die häusliche und sexualisierte Gewalt verüben. Frauenmorde werden von den (Ex-)Partnern begangen, Partnerschaftsgewalt wird von männlichen Tätern begangen. Wir haben es mit einem systemischen Problem zu tun, nicht mit ­einem individuellen. Gegenfrage: Was tun Sie – oder was tun Männer –, wenn in einer Runde ein sexistischer Altherrenwitz geklopft wird? Sagen Sie Nein zum Täter? Stehen Sie zum Opfer? Die meisten Männer schweigen –- auch weil sie das Gesicht vor anderen Männern vermeintlich nicht verlieren wollen. Das ist traurige Wahrheit. Und das gehört geändert.

Foto: Thomas Riess

Stellen Sie hier tatsächlich ein nicht identifiziertes, randomisiertes „Opfer“ eines Altherrenwitzes, den ich lustig finden kann oder nicht, tatsächlich mit einem echten Opfer häuslicher Gewalt gleich?

Ja, sexistisches Verhalten, sexistische Werbung und Sexismus ­generell sind strukturelle Gewalt. Und: Ein Altherrenwitz ist nicht lustig. Das ist ein großes Missverständnis. Er ist immer ­diskriminierend.

Sorry, aber da werden wir uns nicht einigen. Ich bin sogar der Meinung, dass diese Ansicht gefährlich ist, da sie eine Bagatellisierung echter, physischer Gewalt bedeutet. Ich möchte ein Gegenbeispiel anführen. Auch ich wurde als Vorgesetzter schon mit der üblen Nachrede konfrontiert, ich hätte eine Mitarbeiterin nur kritisiert oder mich gar von ihr getrennt, weil ich „in sie verliebt war und sie mich nicht erhörte“, ebenso wie auch schon mir gegenüber von durchaus attraktiven Damen versucht wurde, durch Einsatz körperlicher Reize Vorteile zu erhalten. Wäre es nun gerecht und angebracht, den Altherrenwitz „Alles Schlampen außer Mutti“ anzubringen, oder, eine Stufe weiter, dies mit Frauen gleichzusetzen, die, aus welchen Gründen auch immer, ihre Männer ermorden?

Frauenverachtende Bemerkungen und Handlungen – also Sexismus in Wort und Tat – sind Methoden des Patriarchats, um Frauen klein zu halten. Und übrigens: Natürlich gibt es auch ­Frauen, die das mitmachen oder aktiv machen – ich nenne sie gern „Fahnenträgerinnen des Patriarchats“: Sie denken, wenn sie mitmachen und -lachen, also die Seite der Täter ergreifen, sind sie geschützt vor dieser strukturellen Gewalt. Sind sie aber nicht. Ja, auch Frauen schlagen Männer – und auch Frauen bringen ihre Partner um. Aber auch hier ist klar in Studien erwiesen: als Reaktion. Weil der Mann zuerst (und meist lange Jahre schon) ­zuschlug.

Gut, wenn Sie hier zum Beispiel Fremdgehen des Mannes als ausreichenden und gerechtfertigten Grund für die Reaktion „völlige Zerstörung auf wirtschaftlicher wie gesellschaftlicher Ebene durch gezielten Einsatz systematischen Verbreitens von nachträglich gerichtlich als Lüge festgestellten Falschaussagen“ ansehen, werden wir uns, wie gesagt, nicht einigen. Aber vielleicht verstehe ich ja auch nur die Ausgangssituation nicht. Erlauben Sie mir daher die Frage: Wie kam es durch Sesshaftwerdung zum Patriarchat? Hat sich das entwickelt? Und wenn: warum? Wie haben die Männer das angestellt?

Als die Nomaden sesshaft wurden, begannen auch die Kämpfe um und Verteidigung von fruchtbarem Land als Lebensgrundlage – und dazu brauchte es starke Krieger. So kam es, dass die Männer als körperlich stärkere auch besser „gefüttert“ wurden – zu Lasten der Frauen und Kinder, die dann oft unterernährt blieben. So kristallisierte sich bald die männliche Erbfolge heraus – und die vermeintliche männliche Überlegenheit und Das-Sagen-Haben in allen Dingen. Das Patriarchat.

Nun, die „vermeintliche“ Überlegenheit war in Zeiten, als „starke Krieger“ das Sagen hatten und ihre Familien davor bewahren mussten, umgebracht zu werden, ja irgendwie manifest. Aber heute haben wir ein Strafgesetzbuch, gesellschaftliche Strukturen, die von den allermeisten Menschen beiderlei Geschlechts anerkannt und respektiert werden, und zumindest in unserer wohlgenährten „westlichen“ Welt isst kein Mann mehr seiner Frau oder seinen Kindern das Essen weg, weil er sich ihnen überlegen fühlt oder das Sagen hat. Ist der „Kampf“ gegen das steinzeitliche Patriarchat nicht eher ein Elitenthema, das von echten Problemen ablenkt? Wäre das Bekämpfen tatsächlicher sexualisierter Gewalt – was meiner Meinung nach durchaus bei Dick Pics beginnt, und nicht erst beim Hinschlagen – nicht dringender gefragt? Und zwar durch Männer und Frauen gemeinsam? Oder, polemisch überzeichnet: Ist die generelle Entmannung und das permanente Einfordern von Schuldeingeständnissen und Entschuldigungen der Männer bloß dafür, dass sie Männer sind, wirklich die Lösung aller Probleme? Ich bin eher der Meinung, dass man durch den Generalangriff auf alles Männliche Drehmoment an tatsächlich wichtigen Fronten verliert. Und die Arschlöcher unter den Männern damit entweder gar nicht erreicht oder aber die sich ins dreckige Fäustchen lachen, weil sie in ihren Kreisen ihr unsägliches Tun weiter ungestraft fortsetzen können, während wir über Quoten und das Binnen-I diskutieren.

Mit Verlaub, Herr Sauer, alle gesetzlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte sind Reaktionen auf die offenbar gewordenen Missstände. Es wäre ja schön, bräuchte man keine gesetzlichen Regelungen gegen häusliche Gewalt, Reformen von Sexualstrafrecht und Gesetze zur Antidiskriminierung oder Entgelt­gleichheit (ich weiß jetzt nicht, ob es in Österreich ein Entgelttransparenzgesetz gibt). Die mehr oder weniger effektiv oder zahnlos sind. Wir müssen aber den Tatsachen ruhig ins Auge sehen: Männer tragen Verantwortung. Für die ganze Bandbreite toxischer Männlichkeit im Patriarchat. Sie müssen sich dieser Verantwortung stellen – Männer und Frauen sollen gemeinsam Nein sagen zu Machtmissbrauch und Verbrechen, die Mädchen und Frauen nur deshalb geschehen, weil sie weiblich sind. Und um in Ihrem Bild zu bleiben: Männliche „Arschlöcher“, denen von Männern ­gesagt wird, dass sie „Arsch­löcher“ sind, nehmen einen solchen Schuss vor den Bug ernst. Eine Frau, die ihnen denselben Spiegel vorhalten würde, wird von ihnen fertiggemacht. Schauen Sie: Ich stehe als Menschenrechtsverteidigerin im Licht der Öffentlichkeit, bekomme regelmäßig übelste sexualisierte Beleidigungen und auch Bedrohungen – und übrigens auch Dickpicks, um mich auf den Platz zu verweisen. Eine klassische Strategie des Silencings, des Kleinmachens von Frauen, die eine Meinung haben. Ich gehe sehr oft ­gerichtlich dagegen vor und ­gewinne auch oft. Nicht immer. Aber ich tu das, um ein Signal zu setzen, um Mut zu geben. Kein Mädchen, keine Frau sollte sich das bieten lassen müssen, sexuell belästigt oder beleidigt zu werden. Nicht im Internet, nicht im echten Leben. Und doch gehört es zu jedem Mädchen- und Frauenleben dazu. Männer können sich das oft nicht so vorstellen. Und genau deshalb braucht es die gute Kraft der Männer, dem Einhalt zu gebieten. Es braucht deren Bewusstsein, deren aufrechte Haltung und deren ­Zivilcourage.

Foto: Thomas Riess

Nun, darauf können wir uns ­einigen. Wir helfen gerne gegen Männer, die ihre Schwäche durch Drohungen, Beleidigungen oder Abbilder ihrer Geschlechtsteile ausdrücken ­müssen – und das mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln. Allerdings muss hier direkter, konfrontativer agiert werden. Wenn ich einem „Arschloch“ direkt sage, dass er ein solches ist, wird er vielleicht darüber nachdenken, wenn ich ihm allerdings mitteile, dass ich ja auch so ein Arschloch wie er bin, weil ich ja ein Mann bin, dann fühlt er sich nicht angesprochen und denkt sich „Du vielleicht. Ich bin eh ­super.“ Hier vielleicht noch ein „Tipp“ aus rein männlicher Sicht: Ich denke, dass diejenigen (Stichwort: Dick Pics) durch andere als die von ihnen erwartete Reaktion, nämlich Empörung, Widerspruch, Klage (wobei man gegen hand­feste, körperliche Drohungen natürlich so vorgehen muss) mehr getroffen werden. Daher mein Vorschlag: Verschwenden wir doch weniger Zeit mit dem Alterieren über zotige Werbungen, Männerwitze oder plumpe Anmache, sondern jagen wir die echten Arschlöcher!

Ich weiß nicht, ob ich Sie da recht verstanden habe. Wenn Sie dafür plädieren, dass es die ­noblere und für den Täter ehrenkränkendere Reaktion ist, zu schweigen und ein Dick Pic oder sexualisierte Beleidigung zu ­ignorieren und hinzunehmen, da sag ich kategorisch Nein. Täter müssen lernen, dass sie Täter sind. Ja, wir müssen benennen, wenn wir Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt in all ihren Facetten sehen. Und Männer und Frauen müssen dagegen vorgehen. Es gibt nämlich einen Unterschied zwischen einem Flirt und einem sexuellen Übergriff, zwischen einem Kompliment und einer sexistischen Bemerkung. Genau so, wie es einen Unterschied gibt zwischen männlicher Stärke und Vergewaltigung. Er liegt immer in der Haltung begründet. In einer Haltung der echten Augenhöhe und des ­Respekts.

Inhaltlich sind wir uns völlig einig, bei den Methoden müssen wir uns noch annähern. Unter ihrem „ignorieren und hinnehmen“ verstehe ich „bloßstellen und aufs Maul hauen“, wenn zweiteres auch im übertragenen Sinn. Dann lernt der Täter. Und mit dem letzten Satz haben Sie sowieso in jeder Hinsicht recht.


Inge Bell
(53) ist Medienunternehmerin, Menschenrechtsverteidigerin und Management Coach. Sie engagiert sich als stv. Vorstandsvorsitzende bei TERRE DES FEMMES, Deutschlands größter Frauenrechtsorganisation, und im Vorstand von SOLWODI, der internationalen Hilfsorganisation für Frauen in Not. Beide Organisationen sind auch in Österreich vertreten. Inge Bell wurde mit dem Preis „Frau Europas“ und dem deutschen
Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Ihr Motto: „Mut ist stärker“.

www.ingebell.de