AKUT
Archiv 1993: Illegale Partys
Sie treffen sich an geheimen Orten und zelebrieren die neue Lust der Ekstase – Microrave. Illegale Techno-Sessions in Kirchen, Fabriken, Bunkern. Der Strom – abgezapft. Die Bässe wie Panzer. Gerhard Kummer (Text) und Stephan Boroviczény (Optik) ergaben sich dem Wahnsinn. Inkognito.
Wo. Keiner weiß wie. Oder wer. Keiner weiß wann. Keiner weiß aber es passiert. Fast Woche für Woche rund um Wien. Illegale Megapartys der anderen Art. Man trifft die Schlepper auf Großparkplätzen. Man wird abgeholt und führt im Konvoi durch die Nacht. Man stolpert im Licht von Mond und Taschenlampen durch unwegsames Gelände. Man weiß nicht, wo man landet. Man kennt nur das Ziel. Und das heißt Techno. Die Musik der Ekstase. Das definitive Evangelium der Neunziger. Der meditativste Lärm seit dem Fall der Mauern von Jericho. Musik vom Härtesten, sicher, aber Vaselin für tanzfreudige Seelen. Besonders in der neuesten Version.
Denn der irrste Szenehit rund um Wien ist illegal. Und Bullen mögen es nun mal nicht, wenn Kirchen rund um Wien über Nacht zu Tempeln der Tanzwut mutieren. Oder Fabriken. Oder Bunker. Und nur Gleichgesinnte wissen, wo das nächste Freskenvibrato steigt. Und es steigt so wahr wie das Amen im Gebet. Genauso sicher, wie die Diskjockeys das eingefrorene Weihwasser kurz zuvor geknackter Kirchen zum Kochen bringen werden.
Microrave heißt das Ding und ist die konsequente und konsequent steuerfreie Fortsetzung der sommerlichen XXX-Events im Simmeringer Gasometer, unter Autobahnbrücken, in der Schwechater Raffinerie. Ein Anruf genügte, und ein Tonbanddienst wies den Kindern der Nacht den legalen Weg. Microrave ist einen gewaltigen Zacken schärfer. Es ist die Summe aus rhythmischer Gemeinschaft (Rave) und der Angst, dass plötzlich Blaulicht die Lightshow ergänzt – und der Mikrokosmos der Eingeschworenen (Micro) platzt. Hatten die XXX-Organisatoren die Sache brav angemeldet, zelebrieren die Microraver Kult und Magie jenseits der Gesetze.
Tage zuvor werden die Locations sondiert, die ausgewählten möglichen Immobilien beobachtet, Stunden vor Beginn starten die Aufbauarbeiten, Nacht-und-Nebelaktionen, die für erstaunlich gutes Ambiente sorgen: von Mega-Verstärkern bis hin zu Garderoben, Bar und Feuerlöschern. Der Strom stammt aus oft weit entfernten Fremdleitungen, Funkgeräte stützen die Sicherheitsmaßnahmen, die schon in der Idee über die Klingen bau- und feuerpolizeilicher Anordnungen springen würden. Doch genau daraus resultiert die Spannung. Und peitscht auch die DJs, einige der besten Technoisten in Österreich, zu Höchstleistungen. Ihnen geht es nicht mehr darum, einen Song nach dem anderen in lauwarmen Soundpfannen halb durchzubraten. Stakkato ist der Rhythmus und sorgt für das nette Gefühl von Lungen- und Bauchdeckentransplantationen. „Tanz den Schamanen“ heißt die Devise, stelle dich den Salven von 160 Schlägen. Pro Minute, versteht sich. Konferenzschaltung zwischen Rhythmus und Herz. Heb den inneren Hörer ab und horche auf das Wesentliche. Und das ist Techno, ein musikalischer Virus, deutschen und holländischen Clubs entsprungen – und gerne mit rechtsorientierter Musik verwechselt. Eingemixte Chöre klingen wie Fußball-Live-Übertragungen aus englischen Stadien, die Rhythmuspartien erinnern frappant an marschierende Heere.
Einer der Techno-DJs sagt: „Doch es zählt einzig und allein das Gemeinschaftsgefühl. Nicht umsonst ist der Ursprung der klassische Rhythmus der Schamanentänze!“
Sechs Leute organisieren das Ding. Leute wie du und ich. Leute mit ganz normalen Jobs. Elektriker, Graphiker, Freelancer. Wir organisierten ein Gespräch. Und sie kamen. Im Techno-Outfit: dunkle Sweater, Stiefelschuhe, Wollmützen mit Sehschlitzen. Lifestyle radikal. Doch genau das Gegenteil passiert beim Clubbing.
Einer der Veranstalter, nennen wir ihn X, sagt: „Verrückt, was die Leute da auf sich nehmen. Zum Teil irre Fußwege, die ganze Ungewissheit des Wo, doch das Erstaunliche ist die Disziplin. Keine Randale, kein Stress, nichts, was an die Ellbogenrempeleien in Discos erinnert. Jeder ist für sich selbst verantwortlich. Und dadurch für alle zugleich. Man hilft uns sogar, die Spuren vor dem Morgengrauen zu beseitigen. Die Location, egal ob Kirche oder Fabrik, verbleibt im Urzustand.“
Dabei war die Idee dahinter einfach eine spontane Gettoblaster-Sonntagabend-Session auf einem Großparkplatz. Waren es damals knapp zehn Techno-Freaks, hat das Ganze inzwischen einen Hubraum von 300 bis 400 Besuchern, die sich dem haarigen Vergnügen verschreiben. Mit Haut und Haar.
Einer der Jungs sagt: „Einmal kam zufällig die Polizei in die Nähe des Geländes. Angelockt durch die Autos. Doch der Schmäh mit der Grillparty ist glatt durchgegangen. Kommt eben keiner auf die Idee, dass da tatsächlich jemand ganze Hundertschaften durch die Nacht leitet, um musikalische Apokalypsen zu feiern.“
Wie auch? Mundpropaganda und ein ausgeklügeltes System in Umlauf gebrachter Einladungen positionieren erst mal den Treffpunkt. Der Rest sind ein Hunderterschein Eintritt und die eine Message: Okay, du weißt nicht, wohin wir dich und die anderen in dieser Nacht verschleppen. Aber genau das ist Rave. Eine kurze Gemeinschaft mit Unbekannten und doch Gefühl hoch Power im Klarsichtpack. Oder Trance im Tanz. Die einzige Garantie dabei: das Feeling. Und das bleibt. Bis weit hinter die Nacht. Ganz legal.