KULTUR

MAN KANN DIESEN TRÄNENFLUSS NICHT MEHR STOPPEN

MAN KANN DIESEN TRÄNENFLUSS NICHT MEHR STOPPEN

Adelmo „Zucchero“ Fornaciari predigt seit 46 Jahren den Blues, oftmals im Duett mit anderen Superstars. Bevor er im Herbst nach Österreich kommt, erzählt er uns nette Geschichten und bezieht Stellung zu anderen, nicht so netten.

INTERVIEW: FRANZ J. SAUER / FOTOS: ERICH REISMANN

Über Sie und Ihre Laufbahn gibt es eine Menge Geschichten und Anekdoten. Etwa diese: Stimmt es, dass Sie erst im Alter von 15 Jahren angefangen haben, Musik zu machen?

Musik gemacht habe ich schon früher, mit 12 oder 13. Mit 15 oder 16 war ich dann in meiner ersten Band. In meinem Dorf gab es viele davon und du gehörtest nur dazu, wenn du auch in einer spieltest. Ich fand dann bald mal eine Gruppe, die einen Saxofonisten suchte – also lernte ich einfach Saxofon spielen. Später wechselte ich zu einer Band, die einen Keyboarder suchte – und ich lernte Keyboard. Dann suchte jemand einen Drummer, einen Gitarristen, und so weiter … Irgendwann fiel dann mal bei einer Band der Sänger aus. Er hatte einen Streit mit seiner Freundin gehabt, am Abend des Gigs, und tauchte einfach nicht auf. Wir beratschlagten, was zu tun sei, und ich sagte: Leute, ich kenne die Texte, aber ich habe noch nie gesungen. Und alle sagten: Okay, du singst heute. Nach dem Auftritt haben sie den Sänger gefeuert – und von dem Tag an war ich Sänger.

Mit 27 gingen Sie in die USA – wieso?

Stimmt, 1982 ging ich nach San Francisco. In Italien gab es damals nur gut aussehende Musiker und die Plattenfirmen waren nur an gut aussehenden Sängern interessiert (lacht). Ich hingegen sah mehr aus wie ein bayerischer Biertrinker. Da half auch meine Bluesstimme nichts. Also ging ich weg und versuch- te in San Francisco mein Glück. Ich traf einen großartigen Gitarristen namens Corrado Rusticci, der schon mit Aretha Franklin und anderen Großen spielte. Er stellte mich vielen Leuten vor, darunter David Sancious und Randy Jackson. Ich hatte kein Geld für Studioaufnahmen, aber Corrado half mir aus und sagte: Wenn du einen Plattenver- trag bekommst, zahlst du es mir zurück. Also haben wir in einer Woche ein Album aufgenommen und ich kehrte nach Italien zurück. Das Demo habe ich dann unter dem Namen eines Freundes an die Plattenfirmen ausgeschickt. Sofort meldete sich jemand von Universal bei ihm und wollte sich in Mailand treffen. Die waren vielleicht überrascht, als ich dann dort auftauchte. So kam ich zu meinem ersten Plattenvertrag bei Universal, damals noch Polygram.

Sie sind einer jener Künstler mit den meisten Gastauftritten prominenter Kollegen. Eric Clapton etwa …

Anfang der 90er kam Eric zu einem meiner Konzerte in Sizilien. Er war da auf Urlaub, nachher besuchte er mich in der Garderobe, machte mir Komplimente, sagte, dass er mich für einen großartigen Musiker halte. Und lud mich ein, als Supporting Act bei seiner nächsten großen Euro- patournee dabei zu sein. Zuerst zwölf Nächte in der Royal Albert Hall, danach ganz Europa. Das brachte mir große Bekanntheit auch außerhalb Italiens.

… oder Miles Davis …

Das ist eine lustige Geschichte. Ich war damals auf Urlaub auf den Malediven. Mit meiner jetzigen Exfrau. Wir hatten Streit, wollten mit dem Traumurlaub unsere Ehe retten. Das schien auch ganz gut zu klappen, wir waren sehr nett zueinander und genossen unser Zusammensein. Plötzlich ein Anruf, mitten in der Nacht. Einer meiner Promoter war mit Miles Davis essen, irgendwo in der Toskana. Im Restaurant wurde einer meiner Songs, „Dune Mosse“, gespielt und Miles fragte nach, wer der Typ sei, der da singt. Außer- dem wollte er den Song gerne spielen, gleich jetzt, in drei Tagen. Und ich sollte den nächsten Flieger zurück nehmen. Ich sagte aber brav, ich kann nicht, ich bin hier, um meine Ehe zu retten. Dann brüllte er ins Telefon: „Bist du verrückt, das ist MILES DAVIS! Was kümmert dich deine Ehe, wenn ein Genie wie Miles mit dir spielen will? Also fuhr ich zum Flughafen und flog ab. Das Ende meiner Ehe …

Und wie verlief Ihr erstes Zusammentreffen?

Wir fuhren nach New York zu den Hit Factory Studios. Wir hatten ein Multitrack-Tape dabei, das mein Manager und mein Promoter im Taxi vergaßen. Aber sie erzählten mir nichts davon, sondern mein- ten, ich solle mich erst mal hinlegen, um am Abend für die Aufnahme fit zu sein. Das war um drei, um neun Uhr abends wollten wir aufnehmen. In letzter Sekunde konnten die beiden Chaoten das Band auftreiben, weil der Promoter sich zufällig an den Namen des Fahrers erinnern konnte. Aber es war egal, weil Miles Davis sowieso eine Stunde zu spät kam. Wie immer komplett in Schwarz: Brille, Kleidung, alles. Er setzte sich ohne ein Wort ans Klavier und sagte zu mir: „Du spielst in der falschen Tonart.“ Ich hatte den Song doch geschrieben! Aber Miles sagte, b-Moll, nicht h-Moll. Vielleicht hatte das Kassettendeck im Lokal geleiert, war zu langsam gelaufen, was weiß ich.Er wollte, dass ich die ganze Aufnahme über bei ihm im Studio bleibe. „Ich will deine Energie hier haben“, sagte er. „I love your voice, I must cry everytime I play this song.“ Dann spielte er fünf oder sechs Soli ein, eines besser als das andere. Dann gingen wir essen. Im Restaurant war er richtig gut gelaunt, nahm sogar seine Brille ab. Ich kann euch hier verraten: Miles Davis hatte grüne Augen …

Sie spielten mit internationalen Künstlern wie Eric Clapton, Miles Davis, Brian May und Roger Taylor, Sting … aber Sie sangen immer italienisch. Wie ging sich das aus?

Alle sagten immer: Sing auf Italienisch! Das wirkt exotischer. Meine Musik ist ein Mix aus amerikanischer schwarzer Musik und mediterranen Melodien. Das kommt nur im Italienischen richtig zur Geltung. Die eigentliche Sprache ist ohnehin die Musik. Ich meine, wenn ich als Jugendlicher die Rolling Stones hörte, verstand ich kein Wort vom Text. Trotzdem liebte ich die Musik. Bei Verdis „Va, pensiero“ aus Nabucco lief es lustigerweise umgekehrt. Ich war damals depressiv, hatte gerade die Scheidung hinter mir und hörte viel klassi- sche Musik, Puccini, Verdi. Ich schaffe es bis heute nicht, eine ganze Oper durchhören, aber ich liebe einzelne Arien. „Va, pensiero“ fand ich immer schon fantastisch, sehr gefühl- voll, mein Onkel hat die Melodie auf seiner Ziehharmonika gespielt, eine Kind- heitserinnerung sozusagen. Eines Morgens wachte ich auf und dachte, wenn ich aus dem Dreiviertel- einen Vierviertel- takt mache und den schweren Chor kille, könnte es eine moderne Ballade werden. Und dann war da dieses Schlaflied für Kinder, das ich irgendwann geschrieben hatte, eben auf Englisch. Das passte perfekt. Hier in Österreich ist die Nummer sehr populär, höre ich …

Apropos Klassik: Wie kam es zum legendären Duett mit Luciano Pavarotti?

Als ich mit Pavarotti zusammentraf, das war zur selben Zeit. Ich war aus unserem gemeinsamen Haus ausgezogen, lebte in einem kleinen Haus an der Küste, allein mit meinem Hund. Eines Morgens kom­ ponierte ich die Nummer „Miserere“ am Klavier, fast wie einen Popsong. Es passte für mich überhaupt nicht zum Album, das ich gerade aufnahm. Aber die Plattenfirma wollte es unbedingt draufhaben. Also sag­ te ich, bene, aber für die Aufnahme brau­che ich einen Tenor. Fragt Pavarotti! Das war natürlich ein Trick, weil man wusste, Pavarotti arbeitet nicht mit Pop­ künstlern, er tat so etwas bis dahin nicht. Die Leute von der Plattenfirma flogen nach Philadelphia, Pavarotti mochte den Song, lehnte aber trotzdem ab. Damit war die Sache für mich eigentlich durch, aber meine Eitelkeit war getroffen, das be­ schäftigte mich. Also rief ich bei Pavarotti in Philadelphia an. Seine Tochter hob ab, und ich konnte hö­ren, wie sie aufgeregt flüsterte: „Papa, es ist Zucchero! Es ist Zucchero, der dich sprechen will!“ Schließlich meldete er sich: „He, Champion, wie geht’s dir? Wa­rum kommst du nicht rüber und wir essen zusammen?“Gesagt, getan. Wir trafen uns, sprachen über alles, haben Unmengen gegessen, spielten Karten, lachten viel, über die dümmsten Witze. Nur über Musik wurde nicht geredet. Das Thema wurde irgend­ wie umschifft.

Irgendwann sprach ich ihn dann doch auf das Lied an und er wehrte sich mit Händen und Füßen. „Ich weiß nicht, ob ich das kann“, sagte er. „Selbst wenn ich wollte“, sagte er, „ich habe keine Zeit dafür, sieh dir nur meinen Kalender an“, er jammerte rum, drückte sich. Also wusste ich, okay, es ist jetzt Zeit für die große italienische Oper, das große Drama. „Na gut“, rief ich, „wenn du das Lied nicht singen willst, dann soll es niemand singen.“ Und mit theatralischer Geste warf ich die Demokassette ins Ka­ minfeuer. Bam! Pavarotti erschrak, brauste auf, schrie. „Du Verrückter! Du hast diese großartige Nummer zerstört!“ Natürlich hatte ich noch drei Kopien des Tapes im Auto liegen, aber das konnte der Maestro ja nicht wissen … Nach langem Hin und Her meinte er schließlich, in fünf Monaten habe er einen Tag Zeit für die Aufnahme. Aber wir müssten zu ihm kommen, in sein Haus. Und alles Nötige mitbringen, das Studio, die Aufnahmegeräte, alles. Also tauchten wir zum vereinbarten Termin bei ihm zu Hause auf, mit einem mobilen Studio, das wir aus London eingeflogen hatten. Er hatte noch immer seine Zweifel. „Wo ist das Orchester? Wo ist der Diri­ gent? Ich kann nicht singen ohne Dirigen­ten, so was hab ich noch nie gemacht!“ Ich beruhigte ihn, sagte, „Maestro, alles kein Problem. Ich nehme deine Hände; wenn ich an der linken ziehe, singst du los, wenn ich an der rechten ziehe, hörst du wiederauf.“ „Bene“, sagte er. Aber bevor wir los­ legten, musste er noch etwas essen – zwei große Portionen Spaghetti bolognese. Da­ nach machte er noch ein Nickerchen von einer Stunde, und dann ging es endlich los.

Woran arbeiten Sie jetzt gerade?

Ich schreibe gerade Texte für mein nächs­ tes Studioalbum, das im Frühjahr erschei­ nen soll, wie ich hoffe. Fünf Jahre nach meiner letzten Platte „Chocabeck“ und dem wunderbaren Kuba­Abenteuer 2012 (Anm.: Zucchero spielte Ende 2012 ein Gratiskonzert in Havanna, bei dem er all seine großen Hits in lateinamerikanischen Versionen spielte, mit lokalen Künstler­größen wie Chuco Valdes oder den Leuten vom Buena Vista Social Club nahm er da­ mals das Album „La Sesión Cubana“ auf.) geht es nun wieder zurück Richtung Rhythm & Blues. Wir haben in Los Angeles aufgenommen, wieder mit vielen Gast­ musikern. Blues ist meine Heimat, meine Leidenschaft, dahin kehre ich immer wie­ der zurück. Das Album wird voraussicht­ lich im April erscheinen, genau wissen wir es noch nicht. Und im Herbst gehe ich auf Tournee, komme auch für, ein zwei Dates nach Österreich. Ich freue mich darauf.

Zuletzt waren Sie beim „Refugees Wel­come“­ Konzert am Wiener Heldenplatz zu Gast …

Ja, das war eine schöne Sache, ein emotio­naler Moment, eine gute Sache für die Flüchtlinge. Man kann diesen Tränenfluss nicht mehr stoppen. Es gibt keinen ande­ ren Ausweg, als den Menschen zu helfen. Wenn ich mir vorstelle, in der gleichen Situation wie diese Menschen zu sein, die mit ihren Familien mit kleinen Kindern nicht in ihrem Land bleiben können, weil man sie sonst umbringen würde, und dann schickt man sie wieder zurück … Wo sol­len sie hin? Es geht hier nicht um Religion, es geht um Menschlichkeit. Die Politiker und diverse Institutionen sollen eine Möglichkeit finden, die Menschen zu integrieren. Na­ türlich muss man sie auch kontrollieren, wegen der Extremisten. Das haben sie in Italien, also in Sizilien/Lampedusa, sicher­ lich verabsäumt … Ich meine, die Sizilianer haben ein großes Herz gehabt, sie haben alle genommen, kein Boot versenkt oder wieder zurückgeschickt. Das haben andere Länder wie zum Beispiel Frankreich sehr wohl gemacht. Grausam … Es ist eine neue Epoche angebrochen, sie verändert gerade die Geografie der ganzen Welt. Logischerweise gibt es sehr viel Politik, die Menschen mit der Angst vor Extremisten und Migranten manipuliert. Aber man darf die echten Flüchtlinge nicht vergessen. Das sind Flüchtende, keine Migranten. Die Migranten sind Leute wie wir, Leute wie ich, der die ganze Welt auf seinen Tourneen bereist.  Flüchtlinge sind aber Menschen, die ge­flüchtet sind, weggelaufen von zu Hause, um nicht zu sterben. Ich finde, Migranten ist ein zu banales Wort, um sie und ihre Situation zu bezeichnen.

Sie sind nun fast 45 Jahre im Musik­ geschäft unterwegs. Was hat sich in all den Jahren im Verhältnis zwischen Ge­ sellschaft und Musik verändert?

Meiner Ansicht nach geht es als Musiker darum, das Feuer in sich zu bewahren. Weiterzumachen, weiter Alben aufzuneh­ men. Und ich meine anständige Platten, auf denen elf anständig gemachte, gute Num­ mern sind: Text, Musik, Produktion, Arran­ gement, Gesang. Elf, nicht vier oder drei oder zwei. Elf Songs. Anständig produziert. Ich meine, die Welt von heute ist nicht mehr gut zur Musik. Internet, Facebook, YouTube – man behandelt Musik nicht mehr gut. Ich mag diese ganzen Plattfor­ men nicht – Spotify, iTunes. Es ist gut für junge Künstler, die sich über das Internet verbreiten können. Für andere, ältere Mu­siker ist das eher schlecht. Alles läuft schnell, die Musik ist sehr vergänglich. Die Leute suchen sich Musik aus wie Wurst im Supermarkt, schnell und ohne nachzudenken. Das ist schade, da komm ich nicht mit …