KULTUR
Warum nicht einmal nach: Belfast
Warum nicht einmal nach: Belfast
Rostrot ist schön. Aber die nordirische Metropole hat mehr auf Lager als aufgewühlte Werften und politische Graffiti. Das Comeback der Titanic als multimediales Museum und eine boomende Clubszene verzaubern heute ganze Stadtteile.
TEXT: MAX WILDE
Wenn es mal eng wird und das Restbudget Richtung Keller rasselt, fällt mir neuerdings Cabbie Simon ein. Er ist der Typ, den ich zuletzt durch die regennassen Scheiben seines schwarzen Taxis sah – und der mich vorher auf ein fünfgängiges irisches Menü eingeladen hatte, bestehend aus vier Kartoffeln und einem Glas „Belfast Blonde“. Ich winkte ihm sogar zum Abschied, und Simons Scheiben wischer winkten quietschend zurück. Immerhin. Für eine tendenziell frisch befeuchtete Stadt wie Belfast sind solche Abschiede ganz normal. Taxifahrer Simon ist Spezialist für Polit-Graffiti Tours. Er rollte mich die Shankill Road und die Falls Road hinauf, wo Belfast mit jeder Ziegellänge grauer wird, und bunter zugleich. Mit Shabby Chic hat das nichts zu tun. Eher mit explosiver Vergangenheit. An Belfasts berühmter Peace Wall reihen sich politische Wandbilder zur Freilichtgalerie, neben der die mit Stacheldraht garnierten Hinterhöfe und Igelfrisur Typen plötzlich lammfromm wirken. Peace! In einer Stadt mit dem herrlich zweifelhaften Ruf, den Belfast noch vor Kurzem genoss, wiegt das mehr als ein paar Kilo Mauerfarbe. Rollt man die bunt bemalten Wände entlang, hat man sogar das Gefühl: Frieden wurde hier irgendwann zur Chefsache erklärt. Denn die Geschichte mit IRA und Sinn Fein, mit englischen Protestanten und irischen Katholiken war für die Shankill Galerie bloß ein Beginn. Längst zeigen die Bilder Helden und Konflikte aus aller Welt. Juden und Araber. Nelson Mandela und Emanzen mit Kalaschnikows. Breschnew schmust zungentief mit DDR-Honey Honecker. Gewerkschaftsführer von Bolivien bis Kamtschatka sind mit von der Partie. „Amerikanische Touristen“, sagt Simon und dreht die Heizung einen Zacken höher, „sind mitunter geschockt von unserer Peace Wall.“ Man sieht: Von Belfast kann man viel lernen. Etwa wie man sich mit Witz, 1 Pint & 4 Potatoes in der Hand gut durchschlägt. Auch Nutzloses ist dabei. Zum Beispiel, dass im Royal Victoria Hospital 1906 die erste Air Condition der Welt installiert wurde – eine original nordirische Erfindung. Simon dazu: „Ausgerechnet in Belfast! Ein Witz! Eine Heizung hätte es auch getan!“
Um eine kalte Stadt handelt es sich dabei nicht. Hart und ruppig – das schon. Aber zugleich optimistisch. Offen für neue Ideen, gerne auch für verrückte. Ich sehe Simons Taxi hinterher, und dann den kupfrig leuchtenden Belfaster Köpfen, die im leichten Nieselregen noch einen Hauch rostroter glühen. Auf der anderen Straßenseite der Great Victoria Street erzählen die orientalischen Kuppeln des Grand Opera House lieber von den Träumen des Jahres 1895, Zeitpunkt seiner Eröffnung. Zum bekanntesten Pub sind es nur ein paar Schritte: The Crown Bar sieht aus, als hätten Nordiren sie im Whiskey-Delirium eigenhändig geschnitzt. Schweres dunkles Holz, über das sich dicke Schichten von Whiskeydunst senken wie andern orts Staub. Einzelsäuferkojen mit Glasmosaikfenstern, die auch trocken nach Heiligem Geist aussehen. Eine rote Granit-Bar im sogenannten Altar Style. Mehr Liquor Saloon als hier geht kaum. Vielleicht hat der National Trust das Paradebeispiel eines viktorianischen Gin Palace auch deswegen.
Fotos: Max Wilde
Getty Images