AKUT
Kurt Molzer ist zurück
Vom PENTHOUSE-Chef zum WIENER TAXLER
Er war BUNTE-Reporter, GQ-Starschreiber und PENTHOUSE-Chefredakteur. Vor fünf Jahren tauchte er schließlich unter, verschwand aus dem Scheinwerferlicht der Medien. Nun ist Kurt Molzer zurück. Und erzählt in sieben Folgen von seinen Erlebnissen als Wiener Taxifahrer.
Text: Kurt Molzer, Fotos: Kurt Molzer sen., Franz Hausner
ICH WAR EINMAL CHEFREDAKTEUR. Nicht von der New York Times, nein, viel besser noch: Penthouse! Nackte Mädels von vorn bis hinten und so akrobatisch hingebreitet, dass mir der Playboy vorkam wie das Zentralorgan der Vereinigten Jungfrauen aus der Hinterbrühl.
Wir hatten eine feine Münchner Adresse und an meinem ersten Arbeitstag stolzierte ein blonder Vamp auf High Heels in mein Büro – unsere Empfangsdame. „Hallo, Herr Molzer … oder soll ich lieber … Kurt sagen?“ – „Aber ja sowieso natürlich gar keine Frage selbstverständlich eh klar.“ – „Schön, also ich wollte nur sagen: Ich bin immer für dich da … Kuuurt.“ Ich war sprachlos. So viel Kollegialität, man findet das heutzutage ja nimmer. Hier kriegt mich keiner mehr raus, schwor ich mir. Ich hatte einen Job, um den mich ungefähr zwei Milliarden Männer beneideten, und ich fühlte mich wie der tollste Hecht seit Dschingis Khan.
Die Vertreibung aus dem Paradies erfolgte schon anderthalb Jahre später. Der Verleger konnte die Gehälter nicht mehr zahlen. Wir packten unsere Siebensachen und zogen davon in alle Himmelsrichtungen. Aus der Traum, zum Heulen, ich war fix und fertig. Vom Journalismus wollte ich nichts mehr wissen. Ich hatte ja, für meine Begriffe zumindest, nach einem Vierteljahrhundert in dieser Zunft alles erreicht. Trotzig wie ein kleines Kind lehnte ich ein Fernsehangebot ab und kehrte zurück nach Wien. Hier schrieb ich noch ein Buch, was Autobiografisches. Ein großer deutscher Verlag hatte mir dafür einen üppigen Vorschuss bezahlt. Dann verschwand ich in der Versenkung. Von nun an lebte ich streng nach der Bibel. Heißt es doch wörtlich im Buch Jesus Sirach des Alten Testaments: „Was ist das für ein Leben, wenn man keinen Wein hat?“ Also soff ich kräftiger denn je. Und an anderer Stelle, nämlich in der Bergpredigt, spricht der Heiland persönlich: „Sorgt euch nicht um morgen, denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ Also trieb ich unbekümmert und schnurstracks dem Ufer der Armut entgegen. Bald lebte ich nur noch von einer meiner Exfrauen. Sie ist schön und reich und ein Engel auf Erden. Immer noch nahm sie mich gern in ihren Armen auf, gab mir eine warme Mahlzeit, kaufte mir Unterhosen und zahlte meine Miete.
Eines Abends saßen wir auf der riesigen Terrasse ihres Hauses und schlemmten Lammbraten. „Schatzilein“, fing sie an, „du musst irgendwas tun.“ Ich leerte zügig ein Glas Champagner und sah sie ganz verdattert an: „Wie meinst du das?“ – „Na ja, du kannst doch nicht ewig ohne Arbeit weiterleben.“ Ich ließ mir erst noch von dem ausgezeichneten Taittinger nachschenken und antwortete schließlich: „Baby, weißt du, das Genie des Mannes dauert so lang wie die Schönheit der Weiber, nämlich fünfzehn Jahre, vom zwanzigsten bis zum fünfunddreißigsten. Das ist von Schopenhauer, und ich glaub, es stimmt. Warum soll ich also noch schreiben?“ – „Wer redet vom Schreiben? Es gibt tausend andere Berufe.“ Sie machte eine künstliche Pause und setzte nach: „Taxifahrer zum Beispiel. Warum machst du nicht den Taxischein?“ Ich glaubte, mich verhört zu haben: „Ich soll Taxler werden? Verlangst du das wirklich von mir?“
Das ist, im Großen und Ganzen, die Vorgeschichte, und so kam es, dass ich nach vielem Hin und Her im November 2011 allen Ernstes in die Taxischule ging – obwohl ich es natürlich immer noch als Jux betrachtete. Wird schon für irgendwas gut sein, dachte ich, vielleicht inspiriert mich das Taxifahren zu einem Drehbuch und die Verfilmung wird ein Welterfolg. Ja, ganz bestimmt.
UND SO GEHT DAS GANZE WEITER…
DIE SCHULE DER FUNKTAXI-ZENTRALE 40100 befand sich in einem Flachbau in der Laaer-Berg-Straße im zehnten Bezirk. Tiefstes Austrianer-Revier, das Horr-Stadion war nicht weit. An der Wand des gegenüberliegenden Gemeindebaus las ich jeden Morgen in violetten Buchstaben die freundlichen Worte: „Rapid verrecke!“ In meiner Gruppe gab es nur drei Österreicher, die Teilnehmer stammten hauptsächlich aus Serbien und der Türkei. Wir hatten auch einen Afghanen mit langem schwarzen Bart, Tunika und Aladin-Hose. Mehrmals am Tag verließ er wortlos den Schulungsraum. Ich wunderte mich: Der hat aber einen Druck auf der Blase! Es stellte sich heraus, dass er zu seinen heiligenZeiten aufs Häusl marschierte, um Allah anzubeten. Vor jedem Gebet vollzog er offenbar sehr gründlich die rituelle Wäsche, weshalb das Klo dann jedesmal komplett unter Wasser stand. Unser Kursleiter, ein Wiener Taxi-Unternehmer, fand das wenig lustig. Am ersten Tag sagte er noch nichts. Aber am zweiten Tag platzte ihm der Kragen: „Wir respektieren Ihre Religion, und Sie werden auch uns respektieren!“ Der Gläubige verzichtete auf seine Gebete und wir konnten wieder mit trockenen Sohlen pinkeln. Allerdings beschlich mich die leise Angst, dass unser Mitbürger vom Hindukusch irgendwann mit einer Kalaschnikow daherkommen könnte.
Der Kurs dauerte fünf Tage. Vier Wochen später legte ich in der Wirtschaftskammer am Schwarzenbergplatz die Prüfung ab. Nicht schwer, aber eine Menge Holz: Ortskunde, Sozialrecht. Ich bestand auf Anhieb. Keine Selbstverständlichkeit, neunzig Prozent der Kandidaten rasseln durch. Mein erster Arbeitgeber war Boris (Name von der Redaktion geändert), ein kumpelhafter, baumlanger Bulgare mit längeren dunkelblonden Haaren, der aussah wie ein Rockmusiker. Ich las seine Stellenanzeige in der Kronen Zeitung und rief ihn an. Seine Flotte bestand aus alten, rostzerfressenen Mercedes-Modellen. Genau das Richtige für einen Anfänger, dachte ich. Beim Vorstellungsgespräch trug ich mein englisches Tweedsakko. Boris musterte mich belustigt und dachte wahrscheinlich: Was will denn der Sohn von Miss Marple bei mir? Aber er war freundlich und stellte mich sofort ein. Ich bekam einen dunkelblauen Kombi mit Handschaltung. Die Kiste war so verdreckt, dass ein ganzer Tag für die Reinigung draufging.
UND WEITER GEHT ES SO…
MEINE ALLERERSTE FAHRT (bzw. Fuhre, wie es im Fachjargon heißt) wird mir immer in Erinnerung bleiben. Ich wartete am Standplatz vor dem Hotel InterContinental. Hinten rechts stieg ein abgehetzter Typ in Anzug und mit Aktenkoffer ein. Kein „Grüß Gott“ oder so was, irrsinnig sympathisch. „Zum Flughafen, ich hab’s eilig.“ Gleich um die Ecke, am Heumarkt, der Mörderstau, eh logisch. „Hätten Sie nicht anders fahren können?“, giftete er mich an. Obwohl ich ihm die Zähne einschlagen wollte, antwortete ich ruhig wie ein buddhistischer Mönch: „Mein Herr, eine Stadt ohne Stau ist ein Dorf.“ Rein gedanklich musste ich klarerweise hinzufügen: Du Wichser!
Fahrgäste wie dieser sollten die Ausnahme bleiben. Schnell wurde mir klar, dass ich den Österreicher-Bonus genoss: „Jö, ein Wiener Taxler, na gibt’s denn des! Ma sicht do nur no Tschuschn und Näga im Taxi!“
Ein Beispiel: Standplatz Kärntner Straße. Zwei Herrschaften im besten Alter stiegen ein, allem Anschein nach gutbürgerlich. Sie wollten in die Böcklinstraße, Prater-Cottage. Nachdem wir uns zu dritt sehr angenehm unterhalten hatten, fragte mich einer von den beiden nach einer Visitenkarte. Ich gab ihm eine. „Wunderbar!“, freute er sich, „beim Funk will ich nämlich kein Taxi mehr bestellen. Da muss ich immer extra dazusagen: ,Bittschön, gell, kan Nissan und kan Neger.‘“ Oder: Standplatz Stallburggasse. Geschäftsmann, Ende vierzig, sehr höflich. Er wollte in die Wickenburggasse, achter Bezirk. „Das ist aber eine nette Überraschung, ein einheimischer Taxifahrer“, war er froh – und setzte gleich hinzu: „Da kann ich Ihnen ja gleich einen Superwitz erzählen: Saalwette bei ,Wetten, dass …?‘, der Wettkandidat zu Thomas Gottschalk: ,Ich wette, dass ich einen Türken mit dem Mokkalöffel erschlagen kann.‘ Riesenapplaus, auch Gottschalk ist begeistert: ,Tolle Wette! Aber was machen Sie, wenn Sie verlieren?‘ – ,Dann nehm ich eine Schaufel.‘“ Mein Fahrgast brüllte und schlug sich mit beiden Händen auf die Schenkel.
UND SO GEHT DIE GESCHICHTE WEITER…Drei fette Schotten wollen von Wien nach Bratislava. Einer verbrennt sich, die Fahrt brennt keiner.
EIN ÖSTERREICHER tut sich diesen Job nicht mehr an. Der Stundenlohn eines Taxifahrers liegt zwischen vier und fünf Euro. Dafür stellt sich nicht mal mehr eine Putzfrau im Kaukasus den Wecker. Nach der ersten Arbeitswoche – montags bis freitags zehn Stunden täglich – blieben mir rund zweihundert Euro. Ich fuhr ohne Funk und bekam fünfundvierzig Prozent vom Umsatz, die Spritkosten übernahm Boris. In dem kaputten Gewerbe gilt folgende Regel: Nur wer jeden Tag fährt, und zwar zwölf bis fünfzehn Stunden, kommt halbwegs über die Runden. Aber das ist natürlich kein Leben mehr. Viele Taxler hocken wie die Zombies hinterm Lenkrad. Ich erlebte einen Ungarn, der nach achtzehn Stunden im Dienst um sechs Uhr in der Früh noch vor dem Hotel Sacher stand. Sein Gesicht war grau und er hatte Augenringe wie ein Pandabär. „Mir bleibt nichts anderes übrig, meine Kinder haben sonst nichts zu essen“, sagte er mir mit einem verzweifelten Lächeln.
In Wien sind zirka fünftausend Taxis unterwegs – etwa tausendfünfhundert zu viel. Es gibt kein Gesetz, das die Genehmigung neuer Konzessionen einschränken könnte. Die Nacht-U-Bahn, die billige Jahreskarte der Öffis, der Dumping-Anbieter Uber, das Car-Sharing-Angebot und die nicht gerade rosige Wirtschaftslage sind weitere Gründe für den steten Niedergang der Taxi-Branche. Aber gerade dieses Elend spornte mich jetzt an. Mein Reporter-Instinkt wurde mit jedem Tag mehr geweckt.
Über das Elend gibt’s viel zu berichten. Ich schrieb mein Taxi-Tagebuch. Wer weiß. Gespräch unter Kollegen am Standplatz in der Rotenturmstraße. Ein Türke, ein Ägypter, ein Kongolese, ich. Der Türke zum Ägypter: „Wie gät Geschäft bei dir?“ Der Ägypter im breitesten Ottakringerisch: „Oaasch.“ Der Kongolese zu mir: „Warum du fahren Taxi?“ Der Türke kam mir zuvor: „Weu is a deppata Trottl, hahahaha!!!“ Endlich einmal eine gute Fuhre. In der Herrengasse hielten mich an einem frühen Nachmittag drei betrunkene Schotten an. Zielort: ein bestimmtes Bordell in Bratislava. Wir vereinbarten eine Pauschale von hundertsiebzig Euro. Ein Goldbarren für einen lausigen Taxler. Fröhlich glitten wir über die slowakische Autobahn, als aus dem Mercedes vorn plötzlich weißer Rauch aufstieg. Wir rollten aus. Der Mercedes stellte sich tot. Einer der Schotten fühlte sich im Suff zum Kfz-Mechaniker berufen. Er kroch unbeholfen aus dem Auto, öffnete die Motorhaube und stützte sie ordnungsgemäß ab.
Wir sahen nichts mehr von ihm, hörten ihn nur herumhantieren. Und dann übertönte ein gellender Schrei den Lärm eines vorbeidonnernden Lkw. Der Schotte sprang vor Schmerzen orientierungslos wie ein angeschossenes Känguru kreuz und quer über den Pannenstreifen. Er hatte sich an beiden Händen schreckliche Brandblasen zugezogen. Die zwei anderen Saufbrüder lachten sich auf der Rückbank schief. Erst drei Stunden später war Boris, mein Arbeitgeber, mit einem Ersatztaxi zur Stelle. Der mit den verbrannten Pratzen woll- te jetzt aber natürlich nicht mehr zu den Huren, weshalb er mit den anderen in Streit geriet. Das Ende dieses Dramas: Ich fuhr mit allen dreien zurück nach Wien und kassierte für die verpatzte Spritztour exakt null Euro. Von dem alten Kübel hatte ich genug. Ich kündigte bei Boris und heuerte bei einem Perser an. Mein Dienstfahrzeug: eine neuwertige Mercedes-B-Klasse.
UND WEITER GING ES SO…
Sie sagte: „Herr Kurt, gehn’s, wär’n Sie so freundlich und würden mir beim Reintragen helfen.“ Ich ahnte was.
MEHR UND MEHR FAHRGÄSTE, hauptsächlich reifere alleinstehende Damen aus vornehmen Bezirken, verlangten nach meiner Telefonnummer. Eine rief mich besonders häufig an. Sie stieg einmal am Petersplatz bei mir ein, mit dreiundachtzig „Gucci“-Sackerln überladen und schon bedrohlich in Schieflage wie ein ostsibirischer Schweinetransporter. Sie war, wie sie mir selbst sagte, sechzig Jahre alt und verwitwet, und sie wohnte in einem ziemlich sagenhaften Palast in Döbling. Ein wenig erinnerte sie mich an Waltraut Haas.
Meist holte ich sie am Vormittag von zu Hause ab. Wir fuhren dann in den ersten Bezirk. In der Mahlerstraße stieg sie aus und begann ihre Tour: Friseur, Kosmetiksalon, Juwelier, Demel, Gucci, Gucci, Gucci … Ich parkte mein Taxi in der Tiefgarage der Ringstrassen-Galerien, setzte mich dann in irgendein Kaffeehaus, um ihren Anruf abzuwarten. Zum vereinbarten Zeitpunkt trafen wir uns vor der Garage und ich brachte sie wieder heim. Jedesmal gab sie mir zweihundert Euro.
Einmal kam sie mit einer goldenen Halskette zurück, die eine halbe Tonne wiegen musste – und sie hatte schon leicht einen im Tee: „Herr Kurt, gehn’S, wär’n Sie so freundlich und würden mir beim Reintragen meiner ganzen Sachen helfen.“ – „Aber gern, Madame.“ Ich ahnte was. In der Eingangshalle ihrer Residenz hätten die Wiener Philharmoniker Platz zum Proben gehabt.
Die Herzogin von Döbling drückte mich am Arm: „Ein Glaserl Wein?“ – „Danke nein, nicht im Dienst.“ – „Aber gehn’S, sind’s nicht komisch, ich zahl Ihnen ein Ausfallhonorar.“ Darauf el mir nichts ein und schon rief sie, dass es hallte wie im Dom von Notre-Dame: „Dragica! Eine Flasche Chardonnay mit zwei Glaserln – in den Salon! Danke, bist ein liebes Mausebärli!“ Ein junges hübsches Dienstmädchen in Rock und Bluse erschien. Sie brachte das Gewünschte und entschwebte sofort wieder in das obere Stockwerk.
Wir saßen im Salon unter einem Ölgemälde, das einen in die Tiefe stürzenden Gebirgsbach zeigte. Die Flasche war bald leer. Das goldene Monstrum um den Hals und das von Falten zerfurchte Dekolleté meiner Gastgeberin wirkten langsam bedrohlich. Sie rückte immer näher und ich wünschte mir nur noch, dass der Gebirgsbach da oben echt wäre, über sie fällt und sie fortspült und meinetwegen ersäuft. Mit einem Ruck stand ich auf, täuschte Unwohlsein vor und flüchtete. Meine steinreiche Verehrerin rief mich nie wieder an.
UND DAS PASSIERT IN TEIL 6…
Aggressive Saufköpfe, geile Fummler und potenzielle Mörder – drei gute Gründe, den Benz in der Nacht schlafen zu lassen.
EINE ZEIT LANG FUHR ICH NUR NACHTS. Drei Gründe bewogen mich aber, da- mit wieder aufzuhören. Erstens: Ich hielt die Betrunkenen nicht aus. Ein junger Kerl, der schon Seestärke neun hatte, beschimpfte mich auf der kurzen Strecke vom Schottentor zur Nussdorfer Straße völlig grundlos auf das Übelste: „Du Scheißtaxler, wenn du einen Umweg fährst, hau ich dir in die Fresse.“ Ich sah mich zu einer Notbremsung veranlasst, worauf mein neuer Freund mit vollem Hammer gegen den Beifahrersitz krachte. Zufrieden vernahm ich sein Röcheln: „Eujegerl, nicht angegurtet? Tut mir wirklich leid, aber da war so eine liebe Ameise.“ Ich stieg aus und öffnete hinten die Tür. Das Schandmaul hatte eine blutige Nase.
„Mama wartet schon auf dich, es ist spät, komm jetzt“, forderte ich ihn auf. Er kippte zur Seite und fiel auf die Straße. Kein Mucks mehr. Zweitens: Ich konnte es nur schwer ertragen, wenn langbeinige Disco-Miezen hinter meinem Rücken von ihren Typen begrapscht wurden. Das kratzte an meinem Ego: Wieso der und nicht ich? Drittens: Wenn ein Taxifahrer niedergestochen und ausgeraubt wird, so geschieht es in der Regel nachts. Einmal war ich gegen zwei Uhr in der Früh in der Nähe der Prager Straße unterwegs. Ein Mann mittleren Alters hielt mich an. Er hatte dunkle Haare, trug eine Lederjacke und sprach nur gebrochen Deutsch: „Ich dir sagen, wie fahren.“ Er dirigierte mich Richtung Floridsdorfer Brücke. An der großen Kreuzung, die Brücke schon in Sichtweite, gab er mir zu verstehen, dass ich in die Nebenfahrbahn der Donauuferautobahn einbiegen sollte. Ich bekam von einer Sekunde zur anderen Herzrasen. Meine Kehle wurde so trocken, als hätte ich Sand gefressen. Der will mich umbringen, durchfuhr es mich. Denn meines Wissens ging es von da zu einem entlegenen Parkplatz. Um diese Uhrzeit! Was jetzt in mir vorging, kann ich heute nicht mehr begreifen. Einerseits dachte ich, zu meiner Hinrichtung zu rollen. Erschieß mich, ehte ich im Stillen, nur nicht lang mit dem Messer rumstochern in den Eingeweiden. Aber warum sprang ich nicht einfach aus dem Auto und lief davon? Noch wäre Zeit gewesen. Weil ich andererseits Angst vor einer furchtbar peinlichen Szene hatte. Was, wenn dieser Mann nur zu seinem Auto wollte – und dann heim zu Frau und Kind? Wir kamen zu dem Parkplatz. „Weiter, weiter.“ Jetzt ist es zu spät, dachte ich, gleich gibt’s ne Leiche. Da schälte sich plötzlich ein schwarzer Audi aus der Dunkelheit. „Bei Audi stop.“ Ich hielt die Luft an und beobachtete ihn im Rückspiegel. Er langte in die Brusttasche seiner Jacke. Zieht er die Brieftasche oder eine Waffe? Die Brieftasche! Die Brieftasche! Er zog einen Zwanzig-Euro-Schein daraus hervor, sagte „Passt“, klopfte mir zum Abschied freundschaftlich auf die Schulter, stieg in den Audi und fuhr davon. Ich konnte nicht weg. Noch eine Viertelstunde stand ich mit zitternden Knien an meinen Mercedes gelehnt und an der Alten Donau wurden die Schwäne von meinem Zähneklappern wach. Ich schwör’s bei Zeus: Ich berichtete als Reporter vom Bürgerkrieg in Bosnien und verbrachte eine Woche im Hexenkessel von Sarajevo – aber noch nie in meinem Leben hatte ich so eine verdammte Angst wie in dieser Nacht.
UND DAS PASSIERT IM LETZTEN TEIL….
Als der Kotzbrocken hinten bei mir einstieg, wusste ich, ich musste aussteigen.
SEIT EINEM JAHR WAR ICH NUN TAXLER. Das Geschäft mit meinen Stammkundinnen lief immer besser. Ich beschloss daher, mich ausschließlich auf diese erlauchte Kundschaft zu konzentrieren. Das stundenlange Warten auf den Standplätzen ersparte ich mir. Gelegentlich war aber der Zufall nicht zu biegen, immer wieder hatte ich auch Prominente an Bord. Besonders gern denke ich an eine Fahrt mit dem Schriftsteller Robert Menasse. Ich stand im Stau in der Kärntner Straße, zwischen Karlsplatz und dem Ring. Vor mir auch ein Taxi. Bei dem ging hinten plötzlich die Tür auf und Robert Menasse stieg aus, genervt den Kopf schüttelnd. Er stieg bei mir ein. „Grüß Gott, Herr Menasse.“ – „Sie kennen mich?“ – „Wer kennt Sie nicht?“ – „Ihr Kollege da vorn fährt schon eine halbe Stunde im Kreis mit mir, der kennt sich ja überhaupt nicht aus. Bringen’s mich bitte in die Große Sperlgasse.“ Ich bog links in den Ring und lobte sein Buch „Don Juan de la Mancha“. Und dann bedankte ich mich für den grandiosen ersten Satz in diesem herrlichen Buch, indem ich ihn aus dem Gedächtnis zitierte: „Die Schönheit und Weisheit des Zölibats verstand ich zum ersten Mal, als Christa Chili-Schoten zwischen den Händen zerrieb, mich danach masturbierte und schließlich wünschte, dass ich sie – um es mit ihren Worten zu sagen – in den Arsch ficke.“ Da grinste Herr Menasse und freute sich sehr, dass ich das so schön aufsagen konnte.
Und dann geschah etwas Furchtbares: Stau an der Freyung in der Innenstadt. Starker Regen. Rechts hinten stieg wer ein bei mir. Ich drehte mich um und bekam eine Gesichtslähmung. Da hockte der größte Kotzbrocken, der mir in meiner ganzen Journalistenlaufbahn je begegnet war (Gleiches würde der ehemalige Kollege übrigens von mir behaupten). Ich möchte es nicht unbedingt Abneigung nennen, was zwischen uns bestand, ich will es Hass nennen. Herr B. verfolgte mich bis in meine Albträume und ich komme nicht umhin, hier den schlimmsten von allen zu schildern: Herr B. paarte sich mit meiner damaligen Freundin. Er hatte dabei seine Socken an. Bei der Zigarette danach fragte er sie: „Sag mal, ganz ehrlich, ist dieser Molzer nicht ein entsetzlicher Jammerlappen?“
Sie streichelte zart seine Brust und antwortete: „Das kannst du laut sagen, der ist ja sogar zum Fremdgehen zu blöd.“ Jedenfalls hatte ich den jetzt in meinem Genick. Er konnte es auch nicht fassen: „Ich glaub, ich träum. Du bist … Taxler?“ Mir war die Situation so peinlich, dass ich am liebsten in die nächste Betonmauer fahren und uns beide umbringen wollte. Aber ich steckte immer noch in dem Stau und log ihn an: „Ich mach gerade so was Ähnliches wie früher der Wallraff : Report aus dem Niedriglohnsektor. Letzte Woche hab ich Pakete ausgeliefert.“ Mein früherer Lieblingskollege zog eine Braue hoch: „Aha, und für welche Publikation, wenn ich fragen darf? Hab ewig nichts mehr von dir gelesen, muss kurz nach dem Zweiten Weltkrieg gewesen sein.“ So witzig war er schon immer. „Ähm … für … die Gewerkschaftszeitung.“ – „Und dafür hast du extra den Taxischein gemacht?“ Er glaubte mir nicht. „Nein, den hab ich schon mit achtzehn gemacht“, log ich aus lauter Scham weiter. „Gibt’s ja nicht, ich bin so was von baff! Na ja, whatever, ich muss zur Albertina, leider nur eine kurze Fahrt, aber ich will nicht nass werden.“
Der Stau löste sich auf, die Fuhre machte drei Euro und achtzig Cent aus. Er gab mir fünfzig Euro und sagte: „Behalt den Rest, Mister Wallraff , man sieht sich.“ Mir wurde schlecht. Herr B. demütigte mich mit einem Trinkgeld von sechsundvierzig Euro! Und in dem Moment wusste ich: Es ist zu Ende, hier und jetzt, unwiderruflich. Ich kann kein Taxler mehr sein. Also nahm ich das Taxischild ab, fuhr in die Operngarage und ging ins Schwarze Kameel – um dem Trinkgeld seinen Sinn zu geben. Wie es dazu kam, dass ich am nächsten Morgen in dieser Währinger Villa aufwachte, in einem Zustand wie Nicolas Cage am Ende von „Leaving Las Vegas“, gefüttert mit Tee und Zwieback von dieser immer noch atemberaubenden rothaarigen Fünfzigjährigen, die sich in letzter Zeit zu meiner besten Stammkundin gemausert hatte – ich wusste es nicht mehr. Merkwürdigerweise trug sie nur Unterwäsche. Sie fuhr mir so vertraulich durch die Haare und dann – was bislang nie der Fall gewesen war – duzte sie mich auch noch: „Irgendwann wirst du das alles aufschreiben, mein Ärmster.“