ACTION

Björn Heregger

Maximilian Barcelli

Wir sind keine Helden. Also warum setzen wir uns freiwillig diesen Gefahren aus, warum befahren wir steile Flanken, wenn wir doch wissen, dass die Lawinengefahr mit der Hangsteilheit unmittelbar in Zusammenhang gebracht werden kann? Ich habe im Lauf der Jahre eine Antwort gefunden.

Text: Björn Heregger
Fotos: Hanno Mackowitz 

Winterräume auf Hütten versprühen einen Hauch Romantik. Dieser Hauch kriecht einem buchstäblich in die Nase, sobald man die Tür, die man zuvor freigeschaufelt hat, öffnet und den ersten Schritt in diesen Hort so vieler Sehnsüchte tut. Diese Romantik hat natürlich nichts mit jener gemein, die uns der Schweiger Til in seinen Filmen zu verkaufen versucht. Bodenständig geht es zu, es ist kalt und nass, die Decken möchte man lieber nicht unterm Mikroskop begutachten und sehr früh wird es dunkel. Unterhaltung bieten in die Jahre gekommene Spielkarten, von denen üblicherweise die eine oder andere fehlt. Das Wi-Fi funktioniert verdammt schlecht und eine Steckdose, um den Handyakku zu laden, sucht man vergebens. Ein kleines Schüsschen Schnaps in den Tee und man schläft besser, denn in der Regel klingelt der Wecker zu früh – immer zu früh.

Der Hauch Romantik riecht nach alten Füßen. Nach all den Stunden, die wir tags zuvor geschuftet, geschwitzt und gelitten haben. Am Ende aber auch nach all den Momenten, in denen wir erkennen, dass wir solche Orte lieben. Ja, brauchen, weil wir ohne diese Momente nicht sein können. Flüchtig sind sie, gerade erlebt und schon wieder verflogen. Gerade eben in einer anderen, unbeschreiblichen Welt und auf einen Schlag wieder von der Gegenwart auf den Boden geholt. Wir versuchen, diese Momente festzuhalten – in unserer Erinnerung, aber auch in unserem Handeln. Immer wieder zieht es uns an Orte unserer Sehnsucht. Einer Sehnsucht nach einem flüchtigen Moment, der es lohnt, den Duft alter Füße zu atmen.

Jedes Jahr um dieselbe Zeit, wenn man langsam realisiert, dass die Sonne früher als noch vor ein paar Wochen den Horizont küsst und sich in den Schaufenstern die Puppen ganz still und heimlich in warme Pullover und dicke Anoraks hüllen, tingeln die hiesigen Freeriderinnen und Freerider einmal quer durchs Land und präsentieren zu einem Film zusammengesetzte Bewegtbilder auf großen Leinwänden in größeren, des Öfteren auch kleineren Städten. Bilder von atemberaubender Schönheit und gleichzeitig Zeugnisse einer undurchschaubaren Ästhetik der Bergwelt in ihrem schönsten Winterkleid. Bilder, in denen der gähnende Abgrund das winzig erscheinende Menschlein beinahe zu verschlingen droht, und Bilder, die die magischen Momente des Skifahrens abseits der gesicherten Pisten für den Bruchteil eines Sekündchens greifbar und erlebbar machen.

Warum? Viele der Fragen, die man als Protagonist dieser Filme beantworten darf, fangen damit an. Warum setzt man sich freiwillig diesen Gefahren aus, warum fährt man steile Flanken, wenn man doch weiß, dass die Lawinengefahr mit der Hangsteilheit unmittelbar in Zusammenhang gebracht werden kann? In meinen naiven Anfangsjahren wollte ich selbst immer eine schlagkräftige Antwort finden, die sowohl für mich als auch für mein Gegenüber so zufriedenstellend ist, dass danach nicht weiter nachgefragt wird. Mittlerweile ist meine Antwort darauf, dass es keine hinreichende Antwort auf diese Frage gibt. Keine hinreichende Antwort, weil die Frage an sich keiner weiteren Erklärung bedarf. Jeder weitere Winter, der das Land mit himmlischer Ruhe beglückt, erweckt immer wieder aufs Neue eine gewaltige Gefühlslage. Eine Gefühlslage, die man in jungen Jahren oder als jemand, dem das Privileg nicht gegeben ist, seine Leidenschaft auch auszuleben, so nicht wahrnimmt: Demut.

Demut ist meine Antwort auf die Fragen nach dem Warum, nach dem Gefühl, das man dabei verspürt, und vor allem nach dem Verständnis und Verhältnis der Natur gegenüber, diesem überwältigenden Raum, in dem wir uns bewegen, der uns die Möglichkeiten erst bietet.Bitte versteht mich jetzt nicht falsch, mit religiösem Glauben habe ich nicht viel am Hut. Religion und die Idee einer personifizierten höheren Gewalt, die die Geschicke der Menschheit auf dieser Welt seit Anbeginn der Zeit lenkt und denkt, halte ich persönlich für Nonsens. Kein Bärtiger wird uns am Ende unserer Tage erwarten und den Daumen nach oben oder nach unten strecken..

Wir sind keine Helden. Wir bezwingen keine Berge und auch keine Abfahrten. Unsere Spur, unsere Linie zwingen wir nicht dem Gelände auf – nein, das Gelände, die Natur gibt uns vor, wie wir uns zu bewegen haben. Spielen wir nicht mit, haben wir schon verloren. Manchmal sind wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Manchmal passen alle Umstände in just jenem Augenblick, in dem auch wir zugegen sind, zusammen. Dann entfaltet dieser Sport, der sich Freeriden nennt, seine Magie. Dann erleben wir jene Momente, von denen wir zehren – ein Leben lang.
Ein idealer Schwung zwischen tief verschneiten, winterlichen Bäumen erwärmt die Bauchgegend mit einem angenehmen Gefühl. Dem kurzen Eintauchen in den luftig-lockeren Pulverschnee, dieser kurzen Phase, in der wir unsere Umwelt wie in Zeitlupe wahrnehmen und die Schneedecke für einen Hauch alle Geräusche ringsum dämpft, folgt eine Phase der Schwerelosigkeit, das Auftauchen, das Schweben und Realisieren, welcher Perfektion wir gerade Zeuge wurden.

Das mühsame Klettern in einer steilen, nordseitigen Schneeflanke. Die ersten Sonnenstrahlen streifen über die Bergrücken und entreißen uns zärtlich der Routine der Stapferei. Man hält inne, sieht sich um und verfällt in sprachlose Bewunderung. Vergessen die kalten Füße, die uns seit den frühen Morgenstunden daran erinnern, dass wir hier nur zu Besuch sind. Wie weggefegt die Gedanken an den düsteren Abgrund, der unter uns seinen dunklen Schlund für uns weit offen hält. Das Glitzern des Schnees, das Spiel des Lichts mit dem Schatten auf kupierten weißen Schneehängen, das warme Gefühl auf den Wangen. Noch bevor uns die Schwerkraft mit jedem Schwung daran erinnert, dass wir es bloß nicht übertreiben sollen, erstarren wir in Demut ob einer Größe, einem Gefühl von Unendlichkeit, das Relationen ins rechte Licht rückt, und wir erkennen ein unerreichbar Größeres.Das sind Momente meines Freeridens. Momente der Demut, die mich Orte suchen lassen, die nach alten Füßen riechen. Und der Wecker klingelt immer zu früh – welch ein Glück, welch Privileg …

BJÖRN HEREGGER:
Geboren am:
24. Jänner 1982 in Lienz
Homespot: St. Anton am Arlberg
Beruf: Freeride-Profi, Bergführer
Wichtigste Filme: „Hike 2 Ride“ (2010), „Lost & Found“ (2012), „Dasein“ (2013), „Schneewallfahrt“ (2014), „Spurtreu“ (2016)
Ausrüster/Sponsoren: Salewa, Black Crows, Uvex, Zanier, Pieps