AKUT
Netflix killed my Sexlife
Netflix statt Sex: Der durchschnittliche Netflix-Konsument verbringt täglich 90 Minuten auf Netflix. Für Sex bleiben da nur noch 2 Minuten. Ein Trost immerhin, dass Netflix auch den horizontalen Horizont erweitert.
Text: Manfred Sax
Olga Kurylenko weiß, woran es liegt. Du kennst Olga sicher, das ist die in der Ukraine geborene Schauspielerin, bei der vom Kopf bis zu den Beinen alles so absurd perfekt ist, eine Schönheit, die umso weniger verwundbar rüberkommt, je entblößter sie ist. Egal, ob sie jetzt mit Daniel Craig (als Bond) oder Russell Crowe (als Wünschelrutengänger) oder Tom Cruise (als Whatever) im Bett liegt – es hat immer diese unantastbare Meinen-Körper-kannst-du-haben-meine-Seele-kriegst-du-nicht-Haftigkeit. Diese Olga also weiß, warum russische und ukrainische Mütter ihre Töchter von klein auf zwingen, Cabbage (engl. für Kohl und Kraut) zu essen. „Je mehr Cabbage du isst“, sagt Olga, „umso größer dein Busen.“ Die Männer der ehemaligen Sowjetunion seien nun mal ungeniert tittenfixiert, und das gibt den Müttern offenbar entsprechend zu denken.
Derlei Dinge können für Engpässe in deinem Kopf sorgen, wenn du im Netflix-Angebot surfst und an die ukrainische TV-Serie „The Sniffer“ gerätst. Dort gibt es ein seltsames Phänomen: Entweder tragen alle weiblichen Darsteller zu enge Blusen – oder sie stehen auf Cabbage. Resultat ist jeweils ein uferloses Dekolleté, das die Fähigkeiten des Kommissars beim Lösen von Mordfällen bedenklich beeinträchtigt. Also ruft er seinen Freund, den Sniffer an – einen Mann mit übernatürlichen olfaktorischen Kräften, der die Verbrecher buchstäblich riechen kann. Und nicht nur die. Die Nase verrät ihm außerdem, wenn Frauen schwanger sind oder gerade Eisprung haben – aber auch, ob sie Sex mit ihm haben wollen. Wenn also ihre Lockstoffe – die Kopuline – zu tanzen beginnen. Der Sniffer kann das riechen. Und so beginnen seine Beziehungsprobleme. Der Stoff , aus dem die TV-Dramen sind. Denn der Umstand, dass seine Flamme (eine Nasenärztin, was sonst) mit ihm bumsen will, bedeutet noch lange nicht, dass sie ungebunden ist. Ihr Gatte kann auch ein Mafiaboss sein. Macht in Summe eine TV-Serie, die dich zum Couch Potato degradiert. Und deinen horizontalen Horizont erweitert.
Tja: „Television! Lehrerin, Mutter, geheime Liebhaberin.“ So sah es Homer Simpson. Das Leben wirft viele Fragen auf, und wenn du jeder Frage bis an ihre Wurzel nachgehst, ist die Antwort immer Sex. Heutzutage leider nur im Kopf. Das Dumme ist, dass der Tag nur 24 Stunden hat. Das amerikanische Forschungsinstitut TDG Research enthüllte unlängst, wie der durchschnittliche Netflix-Konsument seine Zeit verbringt. Nach Abzug von Alltäglichkeiten wie Schlafen, Arbeiten, Essen, Pendeln und so weiter blieben da theoretisch noch 92 Minuten für Sex. Es sei denn, du hast Netflix, dann sind noch weitere 90 Minuten im Eimer. Und was fängst du mit zwei Minuten an, wenn du kein vorzeitiger Ergießer bist?
Zum Glück passt dieser Stundenplan perfekt in den aktuellen Zeitgeist. Ich meine: Kennst du den Blick, den Frauen draufhaben, wenn sie Sex haben wollen? Nein, ich auch nicht. Das ist es ja. Aber was soll’s? Keine Zeit! Und in Mexiko ist gerade wieder die Hölle los.
Der Präsident des Landes ist ermordet worden, die vermutliche Mörderin – seine Gattin bzw. Witwe – hat Leine gezogen. Allein, sie ist unschuldig. Das beweist sie mithilfe eines Ex-Häftlings, in den sie sich dann auch noch verliebt. Wie das Leben in der Netflix-Serie „Ingobernable“ (= unregierbar) eben spielt. So was kostet Zeit, in diesem Fall 15 mal 45 Minuten. Die du vorzugsweise non-stop genießt. Es ist schwer, nicht zum Dauervoyeur zu werden, wenn eine umwerfende Latina schwere Jungs auf die Matte wirft, während die Tochter „lesbisch“ probiert. Das hat mit Sex, wie wir Europäer ihn kennen, wenig zu tun. Apropos Latina. Dieses Komaglotzen frisst natürlich auch in die Zeit, die bislang dem Pornokonsum gewidmet wurde. Weil Netflix-Sex den besseren Kontext, die besseren Storys hat. Dort gibt es keine Silikon-erweiterten Blondinen, die den Autoschlüssel verloren haben und daher dem glücklichen Finder dankbar den Anus zur Verfügung stellen.
Stattdessen gibt es, wie in der norwegischen TV-Serie „Nobel“ einen heldenhaften Afghanistan-Veteranen, der sein Land vor der Blamage bewahrt, während seine Frau mit dem Mann fremdgeht, der für die Blamage verantwortlich ist. Ist das nicht typisch? Kaum denkst du, hey, diese nette Norwegerin, die eigentlich eine Schwedin ist, das wäre mal was, die ideale Frau fürs Leben, schon entpuppt sie sich als „cheating wife“.
Ja, die Stichworte für die Synapsen mit Short-cut zum Unterleib sind immer die gleichen, da ist Netflix wie Porno. Latina-Fans wissen schon lange, dass sie abgesehen von „Ingobernable“ (derzeit 2 Staffeln), insbesondere bei den fabelhaften Knastschwestern von „Orange Is The New Black“ fündig werden, dort kommen auch Fans von „lesbian scissoring“ großartig auf ihre Rechnung, und der witzige Gefängnisboss Caputo demonstriert seine Überzeugungskünste im Genre „B wie Blackmail und Blowjob“. Check:
Inzwischen, in der fantastischen Macho-Serie „El Marginal“ zeigt die argentinische Schauspielerin Adriana Salonia ihre Milf-Künste, sieh dir mal DAS HIER an (Stichworte: „Polizeiknüppel“ und „anal“ – na hallo!), und wer bestätigt haben will, dass es ohnehin keinen Sinn hat, selbst sexuell aktiv zu sein, weil „Blacks“ das besser können, der hat bei den Muskelpaketen von „Luke Cage“ oder „Power“ den optimalen Anschauungsunterricht, noch dazu mit genialem Soundtrack, zumal ja 50 Cent Co-Produzent bei letzterer Serie ist …
Ja, früher musstest du Reisefieber haben und deine promiske Natur äußerln führen, um Menschen aus aller Welt kennenzulernen, heute reicht ein Druck auf den Netflix-Kanal. Da lernst du anhand des Geheimdienst-Thrillers „Fauda“ (unbedingt klicken!!!!), dass Israelis und Palästinenser sehr wohl miteinander können. Der kanadische Klon-Krimi „Orphan Black“ unterstreicht, dass Schwule die besseren Freunde sind. Und wahrscheinlich ist es ja so, dass die ultimative Traumfrau eine Nordkoreanerin ist. Wenn es stimmt, was in der asiatischen Agentenserie „Iris“ so läuft, findest du in Nordkorea die Frau, von der du immer schon geträumt hast, ich sag nur Kim So-yeon …
Zugegeben, zu viel Netflix-Konsum kann deiner Gesundheit schaden, er kann dich in einen asozialen Menschen verwandeln. Aber wie wir von der sagenhaften, an Asperger-Syndrom leidenden Kommissarin Saga Noren aus „Die Brücke“ wissen, könnte das der Trick sein, der dich wieder auf die sexuelle Straße bringt. Saga funktioniert im sozialen Leben nicht, hat aber im Bett keine Probleme. Wenn sie was von dir will, dann Sex. Und nur Sex. Ist das nicht tröstlich? Es gibt noch Hoffnung.
So kriegst du Netflix USA:
netzwelt.de/laendersperren-umgehen/148918-netflix-us-portal-deutschem-account-nutzen.html
chip.de/bildergalerie/Netflix-So-nutzen-Sie-auch-die-Angebote-aus-Amerika-und-Co.-Galerie_72248658.html
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