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#MeToo – eine Chance auf Neuverhandlung

#MeToo taugt ja bereits zum Witz in großer Runde und auch viele Frauen fühlen sich seltsam überfordert von all den scheinbaren Opfer-Storys im Netz. Dabei hat der Hashtag eine Revolution ausgelöst und beschreibt ein System von oben und unten, Macht und Unterwerfung, von Männern und Frauen. Haben wir Feministinnen es also irgendwie übertrieben? Nope. Es kann nämlich mit neuen Verhandlungen was wirklich Gutes dabei rauskommen. Ein Gastbeitrag von Barbara Haas, Chefredakteurin der WIENERIN.

Was hat #MeToo bewirkt? Beim Nachspüren dieser Frage festigt sich ein Bild: Ich bemerke eine recht locker sitzende Verhöhnung. In manchen Gesprächen, bei denen ich in letzter Zeit so dabei bin, gibt es selbstbewusste Stimmen, die das politisch Korrekte dieses Hashtags auslachen. Ganz unscheinbare Männer machen Schmähs von dieser Sorte: „Ich sag jetzt lieber nichts mehr, sonst hab ich gleich an MeToo-Hashtag picken …“ Auch Frauen klopfen neuerdings gerne solche Sprüche, nehmen die Position mancher Männer ein, weil sie wissen, dass ihnen deren Lob und damit auch die weitere gesellschaftliche Anerkennung sicher ist. Ein Beispiel, das ich jetzt schon mehrfach gehört habe: „Also #MeToo hat es schon übertrieben. Ich red‘ nicht von Vergewaltigung, das ist natürlich ein Verbrechen, aber nicht jede Frau, die es vorher darauf anlegt, kann sich nachher beschweren, oder?“ Tja, die nickenden Männerköpfe und die entlastenden Durchschnaufer, die man daraufhin beobachtet, sprechen eine eigene Sprache. Gott sei Dank gibt es sie noch, die Frauen, die Männer nicht in Bausch und Bogen verteufeln. Und Gott sei Dank gibt es Catherine Deneuve, Brigitte Bardot oder auch Nina Proll. Halleluja!

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Hat es #metoo also übertrieben? Haben wir Feministinnen uns ins eigene Fleisch geschnitten? Unsere Chance mit hysterischem Übereifer verpatzt?

Hat es #MeToo also übertrieben? Haben wir Feministinnen uns ins eigene Fleisch geschnitten? Unsere Chance mit hysterischem Übereifer verpatzt? Tja, das ist jedenfalls eine Stimmung, die ich wahrnehme. Aber es ist trotzdem nur eine Auslegung des Themas, das vielleicht die größte gesellschaftliche Sprengkraft der letzten Jahrzehnte in sich trägt. #MeToo hat nämlich eine Revolution ausgelöst. Unter #MeToo haben seit der Initialzündung letztes Jahr zigtausende Frauen etwas erzählt. Etwas über Macht und Geld, über oben und unten, über Besitz und Verlangen. Über die Tatsache, dass viele, ja ­Millionen Frauen in ihrem Leben mit sexuellen Übergriffen um­gehen müssen, mehr noch, sie als so selbstverständlich erleben, erleiden und erfahren, dass sie nicht einmal mit anderen Frauen, geschweige denn mit „der Welt“ reden können. Oder eben konnten, denn nun können sie. Und tun es. Sie reden über Übergriffe, die daraus resultieren, dass Männer Macht und Geld haben. Dass Männer Geld haben, und zwar in einer ganz eindeutigen Schräglage zu ihrem Anteil an der Bevölkerung, zeigt ein Zahlenbeispiel, das in seiner Deutung vielleicht aufs Erste zugespitzt klingen mag, aber eben ein System zeigt, nach dem unsere Welt funktioniert. Acht Männer besitzen mehr Vermögen als die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Soll heißen: Auf der einen Seite acht Männer mit 426 Milliarden Dollar und auf der anderen die halbe Weltbevölkerung mit 409 Milliarden Dollar (Quelle: Entwicklungsorganisation Oxfam).

Aber es ist nicht nur Geld, sondern eben die damit verbundene Macht, die das Werk antreibt. Macht zu haben, Einfluss zu nehmen, Regeln zu erstellen, Regeln zu brechen, Willen durchzu­setzen. Dass Geld und Macht zusammenspielen und in ihrer Aussage das ­Erscheinungsbild einer Gesellschaft prägen, zeigt der viel zitierte Gender Pay Gap. Auch hier kurz eine Zahl, nämlich die des Global Gender Pay Report 2016 des Weltwirtschaftsforums, der Österreich auf Platz 52 reiht
(15 Plätze sind wir zum letzten Report übrigens nach hinten gerutscht). In Summe heißt die Platzierung Folgendes: Erst in 170 (!) Jahren werden Frauen und Männer in Österreich die gleichen Chancen in der Gesellschaft, der Berufswelt, ihrem Leben vorfinden. Wir reden also nicht über ein diffuses Empfinden, wenn man von Ungleichgewicht und davon spricht, dass Männer auf der Welt über die Macht verfügen, sondern über eine Tatsache. Nun könnte es natürlich trotzdem sein, dass Männer – und viele davon können es auch – sozusagen als Kulturleistung diese Machtposition nicht ausnützen. Dass sie Menschen immer gut und wertschätzend behandeln, auch wenn diese weniger verdienen, weniger zu sagen haben, durch haufenweise unbezahlte Arbeit einen geringeren sozialen Stand haben – zusammengefasst also im Nachteil sind. Diese Leistung einer sozialen Wertschätzung wird auch von vielen Männern in vielen Situationen erbracht. Doch die Anforderung ist groß, immerhin ist das menschliche Dasein und Fortkommen auf der Welt immer auch davon geprägt gewesen, sich Dinge zu nehmen. In dieser Haltung wurden und werden Kriege geführt. Es ist also ein hoher Anspruch, trotz der ganzen Macht ein guter Mensch zu sein. Um diesem hohen Anspruch ein bisschen zu helfen, gibt es Gesetze. Plus: ethische und moralische Vorstellungen und Normen. Es könnte also funktionieren.

Tut es aber nicht. #MeToo hat es auf beeindruckende Weise gezeigt. Und warum funktioniert es nicht? Das Medienmagazin „Der österreichische Journalist“ hat es unlängst am Cover gut zusammengefasst. „Du bist so begehrenswert und ich habe Jobs zu vergeben.“ Zum ganzen Geld und der Macht kommt nämlich noch was dazu. Das Begehren. Die Mischung aus dem Machtmissbrauch und dem sexuellen Begehren hat #MeToo so groß gemacht. Und zum ersten Mal haben sich Frauen – verbunden über ein kleines Rautezeichen – auf der ganzen Welt getraut, über etwas zu sprechen, das im Frausein als Selbstverständlichkeit gesehen wurde. Nämlich mit diesen sexuellen Übergriffen, Belästigungen, Abwertungen, Demütigungen und Nötigungen einfach leben zu müssen.

Deshalb hat der Hashtag ja auch so viel Kraft, weil das simple „ich auch“ genau diese Haltung so wunderschön simpel beschreibt und zugleich so absurd ist. Und hier liegt auch die große Arbeit bei all der Revolution, denn natürlich ist ein Hashtag keine Forschungsarbeit, keine Studie, es hinterlässt neben Betroffenheit auch ein ganz schönes Chaos.

Diese Sammlung an Erlebnissen und mutigen wie von Scham gekennzeichneten Geschichten hat erst mal keine Struktur, weil es niemanden gibt, der diese einfordert. Im Gegenteil: Die strukturlose Anhäufung von Anklagen, Traumata (und mittlerweile auch bereits Entschuldigungen) hat eigentlich recht klar gezeigt, dass die einzige wiederkehrende Struktur eben jene des Machtmissbrauches ist. Und sie wirft – schaut man konstruktiv drauf – eine interessante Frage auf: Kann die Erkenntnis, dass es eine asymmetrische Machtachse zu Lasten von Frauen gibt und dass dieses Gefälle für Verletzungen sorgt, auch in einem Versuch münden, das Zusammenleben der ­Geschlechter neu zu verhandeln? Ich bin geneigt zu sagen: Ja, warum verdammt sollten wir das nicht können?

Viele Männer finden es grauenhaft, was ihre Geschlechtsgenossen alles so anrichten. Diese Harvey Weinsteins oder jetzt in Deutschland der Regisseur Dieter Wedel, dem vielfache sexuelle Belästigung bin hin zu Vergewaltigung vorgeworfen wird. Wobei man gerade im Fall Wedel sieht, wie viel Sicherheit diese Machtposition gibt, denn die betroffenen Schauspielerinnen sind ja erst in dem Moment zur deutschen Wochenzeitung Die Zeit gegangen, als Wedel plötzlich an die Öffentlichkeit ging und den #MeToo-Aufschrei so kommentierte: „Auch Männer sind Übergriffen ausgesetzt, ich wurde immer für schwul gehalten.“ Regisseure hätten ihn „schon mächtig unter Druck gesetzt, aber ich habe mich nicht brechen lassen“. Diese Aussagen waren in den Augen der betroffenen Frauen derart zynisch, dass sie ihre Geschichten erzählten. Mittlerweile ermittelt die Staatsanwaltschaft, mehrere Sender reagierten und – das für mich Beeindruckendste – erstmals gibt es auch von Männern eine ganz klare Distanzierung.

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Der deutsche Regisseur Simon Verhoeven (übrigens der Sohn von Senta Berger) meinte, dass er sich für Dieter Wedel schäme. Und sich als Mann, Regisseur und stellvertretend für die Branche bei den Schauspielerinnen entschuldigen möchte, die unter einem „Tyrannen“, wie Verhoeven schreibt, gelitten haben. Diese Entschuldigung könnte die erste neue Verhandlung dieser Machtstruktur einläuten. Sein Satz „Ich schäme mich für die Mechanismen meiner Branche“ könnte also somit schon ein erster Verhandlungsschritt sein.

Zum ersten Mal haben sich Frauen auf der ganzen Welt getraut, über etwas zu sprechen, das im Frausein als Selbstverständlichkeit gesehen wurde.

Es geht nicht darum, einen Kniefall zu machen oder seine Männlichkeit auf­zugeben. Ganz und gar nicht, die Entschuldigung Verhoevens und das Ein­geständnis, dass „jeder in der Filmbranche von den ätzenden Geschichten über Wedel wusste“ (Verhoeven), ist eine Geste reinster Männlichkeit. Sie bedeutet nämlich, dass Männersolida­rität dort aufhört, wo man ein Unrecht erkannt hat und damit zwar zugibt, auch selbst Mitwisser und Wegschauer gewesen zu sein, sich mit diesem Fehler der Gesellschaft aber zumutet, weil man findet, anders wäre es einfach besser.

Mit diesen Männern kann man den Umgang mit Macht neu verhandeln. Auch Manuel Rubey, österreichischer Schauspieler, der 2012 durch die Rolle als „Falco“ seinen Durchbruch feierte, sagte mir in einem Interview zu dem Thema etwas, das wohl viele Männer unterschreiben können. „Ich finde es auffällig, dass zu diesem Thema so viele Männer diskutieren und es dann recht schnell wieder darum geht, wie sich Frauen verhalten oder zu verhalten haben. Das ist aber nicht der Kern des Aufschreis. Das ganz simple Beispiel, ob man sexuelle Belästigung bei der eigenen Tochter oder Nichte als störend empfinden würde, sorgt aus meiner Sicht ganz schnell für andere Parameter.“ Das ist es doch. Es geht doch auch um jene Art von Empathie, sich vor­zustellen, wie das ist, wenn gegen den ­eigenen Willen die sexuelle Integrität verletzt wird.

Ich erzähle jetzt ein Beispiel von mir, weil man damit vielleicht sehen kann, wie schnell diese Empathie herstellbar ist. Es war der Freund einer Freundin, sehr charmant, sehr gute Manieren, aber betrunken „anlassig“, wie man so schön sagt. Hat mich immer wieder mal betatscht, ganz zufällig. Ich hab’s weg­gelacht, so hat man das gelernt. Seine Freundin hat weggeschaut, so hat sie das gelernt. Als ich meinem Freund erzähle, dass ich es unangenehm finde, hab ich das seltsame Gefühl, irgendwie eine Schlampe zu sein. Oder andersrum, es mir größenwahnsinnig einzubilden. Von wegen: Hätt‘ ich wohl gern. Mein Freund nimmt es aber ernst. Das nächste Mal sieht er genau hin, sagt das stimmt, redet mit dem Mann. Der lacht es weg, ­Schulterklopfen und so. Da macht mein Freund etwas Übergriffiges, er packt ihn bei seinen „Balls“. Nicht ganz fest, aber doch so, dass der andere sich erst zu Tode schreckt, dann vor Wut aus dem Raum rennt und erst nach einer halben Stunde zurückkommt. Fazit: Er entschuldigt sich bei mir. Und bei seiner Freundin. Wir verstehen uns immer noch, wenn er heute zu viel getrunken hat, ist er einfach betrunken. Aber die Grenzen sind seitdem glasklar abgesteckt. Ein Mann hat sie für mich ­abgesteckt.

Ich hab’s weggelacht, so hat man das ­gelernt. Seine Freundin hat ­weggeschaut, so hat sie das gelernt.

Das Beispiel – das zwar nicht #MeToo mit Machtmissbrauch war, sondern die ganz simple sexuelle Belästigung als Selbstverständlichkeit – bringt mich zum zweiten Teil der Geschichte. Wie tun wir zwischen Männern und Frauen beim Sex, beim Werben und beim Flirt nach #MeToo? Meine Botschaft dazu ist: Ich will nicht, dass wir uns künftig alle in Ruhe lassen. Ich will nicht, dass wir nur noch uns selbst im Fokus haben, keinen Platz für Spiele mehr bieten. Ich will nicht, dass es kein Werben oder Wählen mehr gibt, dass Menschen nicht mehr neugierig aufeinander sind, nicht mehr Grenzen ausloten, sich nicht mehr zu nahe kommen. Ich will keine Separation. Ich finde, dass die Separation von Geschlechtern für eine Gesellschaft giftig ist. Was ich aber will, ist, dass
sexuelle Grenzen in kleinen Schritten ausgelotet werden und dass es dabei ein gewisses Wohlwollen von beiden Seiten gibt. Dass man Männer, auf die man nicht steht, zwar abweist, aber ihnen die Würde lässt. Und dass Männer in kleinen Schritten ihr Begehren ausloten und auch die Lust von Frauen anerkennen. Dass sie nicht dem Irrglauben verfallen, nur sie selbst hätten Lust und die Frau – als sexuelles Objekt – müsse entweder gewähren oder sich eben wehren. Die meisten Männer machen es übrigens eh genau so, sie begehren jemand anderen und versuchen herauszufinden, ob es auf der anderen Seite auch ein Begehren gibt.

Was nach #MeToo nur dazukommt, ist, dass man manchmal als Mann nicht mehr wegschauen sollte, wenn ein anderer Mann diese kleinen Steps nicht gehen will. Aus Egomanie, Größenwahn, Narzissmus oder vielleicht, weil er betrunken ist. Das wünsche ich mir von den Männern. Dabei bleibt alles andere wie immer. Es soll flirren, man soll spielen, tanzen, sich gegenseitig verführen und im besten Fall verlieben. Bei den Erlebnissen und Geschichten, die #MeToo an die Oberfläche geschwemmt hat, ging und geht es in 99 Prozent der Fälle aber eben nicht um das Spiel des Begehrens und des Begehrtwerdens, die Anmache oder die Abfuhr. Ausschlaggebend für diese Bewegung war und ist der massive Missbrauch von Macht. Und das hat in vielen dieser Fälle eigentlich noch nicht einmal was mit Sex zu tun. Oft genügt ja schon die Demütigung, die Unter­werfung. Es ist eben ein lange geübtes ­Muster – Macht lässt Unterwerfung zu, und unterworfen wird gelernterweise die Frau. Dabei haben die Frauen schon viel erreicht, seit Feministinnen in den 70er-Jahren auf die Straße gegangen sind, um für Frauenrechte zu kämpfen. Um lautstark zu sagen, dass der Körper einer Frau ihr selbst gehört und damit auch die Selbstbestimmung, um über Schwangerschaft oder nicht, Abtreibung oder nicht zu entscheiden. Es ist nur halt alles noch nicht so lange her. Seit 1975 erst darf die Frau in Österreich ohne die Erlaubnis des Mannes einer Arbeit nachgehen. 2018 „feiern“ wir, dass Frauen in Österreich seit 100 Jahren wählen dürfen. Die Gleichberechtigung ist gesetzlich verankert, im echten Leben gibt es sie noch nicht.

Was ich will, ist, dass sexuelle Grenzen in kleinen Schritten ausgelotet werden und es dabei ein gewisses Wohlwollen von beiden Seiten gibt.

Das nennt man strukturelle Benachteiligung. Das möchte ich gerne nicht für immer hinnehmen, denn auch daran kann man arbeiten. Tatsächlich nützt ja Feminismus nicht nur Frauen, sondern auch Männern. Und daher sind neben den wichtigen Schilderungen des Hashtags auch vor allem die Männer wichtig. Sie müssen in der Aufarbeitung mitgenommen werden, denn sie sind unsere Verhandlungspartner. In der Verantwortung, aber auch in der Chance auf ein neues Kapitel. Die US-Schauspielerin Susan Sarandon sagt es im exklusiven Interview mit der WIENERIN (März- Ausgabe 2018) goldrichtig: „#MeToo war gedacht, um Frauen zu ermutigen, mit ihren Erlebnissen an die Öffentlichkeit zu gehen. Viele dachten ja tatsächlich, mit sexuellen Belästigungen konfrontiert zu sein gehöre einfach zum Frausein dazu. Mir fehlt bei der ganzen Debatte aber der Fokus auf die Männer. Welche Verantwortung und welche Konsequenzen tragen sie, nachdem das Ganze ans Licht gekommen ist? Was haben sie sich dabei gedacht? Welche Wiedergutmachung wollen sie leisten? Nur wenn man hier ansetzt, kann man so was in Zukunft vermeiden.“

Barbara Haas
Chefredakteurin der WIENERIN (seit 2014). Sie arbeitet seit mehr als 15 Jahren als Journalistin in Österreich, ist leidenschaftliche Feministin und trotzdem auch überzeugte Optimistin.