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Die neuen Regeln der Männlichkeit

Was ist männlich? Zum Beispiel Ritterlichkeit, Respekt und Empathie. Letzteres ist leider kompliziert, wenn es um gutmenschlichen Feminismus geht, der die triebhafte Natur des Menschen nie diskutiert.

Text: Manfred Sax / Fotos: Maximilian Lottmann

Also: Wie geht’s ihm denn dieser Tage? Es ist still um ihn geworden, Sie wissen schon, wer gemeint ist: jener Hollywood-Gönner, der so vielen großen Darstellerinnen unter die Arme griff, die uns so manche Unvergesslichkeiten bescherten: Selma Hayeks Schlangentanz in „From Dusk Till Dawn“; Eva Greens herbe Erotik in „Casino Royal“, vor der sich selbst James Bond verneigte; oder Uma Thurman, die in „Pulp Fiction“ an der Wiederauferstehung des lebendigen Toten John Travolta mithalf. Um nur ein paar zu nennen. Na gut, der Gönner war nicht an allen Filmen beteiligt. Aber diese großartigen Geschöpfe, deren Darstellungen uns in so mancher trüben Stunde die Öde des Seins vergessen ließen und lassen, die kannte er hautnah. Wie hautnah, darüber wird täglich mehr veräußert. Man will es nicht mehr hören, der Psychohygiene zuliebe.

Man will nicht bei Erwähnung von Namen, die einen verträumt so Dinge wie „mmh, der Schlangentanz“ oder „Oh, die Chuck Berry-
Nummer“ assoziieren ließen, plötzlich zunächst mal an Harvey Weinstein denken. Dem geht’s vermutlich nicht sonderlich gut. Er ist seit Monaten auf Rehab. In der berühmten Klinik „The Meadows“. Die laut Broschüre „existiert, um dein Trauma zu heilen“. In Weinsteins Fall das Trauma, das Männer seines Schlages haben, wenn sie „in 80 Frauen um die Welt“ spielen, und diese 80 Frauen plötzlich auspacken. Mehr braucht es nicht. Aber er ist in kongenialer Gesellschaft. Nebenan haust Kollege Kevin Spacey. Jener Spacey, der vor kurzem noch als US-Präsident-in-spe Frank Underwood in der ersten Staffel von „House of Cards“ jenen berühmten Sager von Oscar Wilde wiederbelebte, wonach sich das ganze Leben um Sex dreht, mit Ausnahme von Sex selbst – bei dem es nur um Macht geht. Sprach‘s in die Kamera, um sich dann der jungen Bloggerin Zoe Barnes (Kate Mara) a tergo zu nähern, mit der er einen entsprechenden „Deal“ hatte (Sex als Gegenleistung für Insider-Information). Sage noch mal einer, Fiktion reflektiere die Realität nicht.

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Weinstein und Spacey sind nur zwei von vielen männlichen Stars, die bei den Oscar-Feierlichkeiten fehlen werden. Casey Affleck, strahlender Gewinner im Vorjahr, wird fehlen. Und James Franco, vor wenigen Wochen noch verkrampft lächelnder Empfänger eines Golden Globe, verlor seine Nominierung, dank weiblicher Proteste zum Thema „Vaginaschutz bei Oralszenen“. Hat er nicht verstanden. Dass eine kleine Kollegin nicht nur nicht dankbar ist, wenn ihr ein großer Star einen Cunnilingus beschert, sondern sich auch noch darüber öffentlich ertwittert, das wollte nicht in seinen Kopf.

Francos Nominierung hat nun Denzel Washington, ein Fels von Mann: seit 35 Jahren verheiratet und im Wesentlichen skandalfrei. „Safe hands“, wie man sagt. Bleibt die Frage: Wen wird die Academy – jenes Gremium aus 6000+ Mitgliedern, die zu 94% weiß und zu über 75% männlich sind – letztlich wählen?

Apropos wählen. Es ist jetzt 100 Jahre her, dass Frauen in Europa, also auch in Österreich, am demokratischen Prozess beteiligt sind; dass sie also wenigstens wählen dürfen. Grund dafür war weniger die Einkehr von simpler Vernunft in den Gehirnen der (männlichen) Gesetzgeber, nachdem die Französische Revolution den Gleichheitsgrundsatz im öffentlichen Bewusstsein verankert hatte, sondern vielmehr die beharrliche Radikalität der Suffragetten unter Führung der wortgewaltigen Emmeline Pankhurst, die dank des Ersten Weltkriegs endlich auch die Unterstützung der Öffentlichkeit hatten. Frauen, die aufgrund männlicher Absenz (bedingt durch die Notwendigkeit, einander auf den Schlachtfeldern die Birnen wegzuschießen) plötzlich Männerarbeit verrichteten, ließen sich nicht mehr so einfach zurück an den Herd bewegen. Sie beharrten auf „suffrage“, das Wahlrecht. Und sie bekamen es. Nach einem Weltkrieg ist auch männlicher Starrsinn mal vorüber-
gehend im Eimer.

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Der andere Name für „Suffragetten“ ist heute „first wave feminism“, die erste Welle des Feminismus. Was natürlich bedeutet, dass der ersten einige weitere Wellen folgten. Tatsächlich herrscht bis heute rescher Wellengang. Die zweite Welle wurde in den Sechzigerjahren von Amerikanerinnen getriggert. Es ging zunächst um eine Erweiterung des Gleichheitsgrundsatzes, also etwa um die Frage, warum gleiche Arbeit nicht mit gleicher Bezahlung honoriert wird (der „Equal Pay Act“). Weiters aber ging es um das Recht zur Selbstbestimmung – die Nichteinmischung des Ehemannes in Karrierefragen, das letzte Wort bei Abtreibung; das Recht, im Bett zum Gatten „nein“ zu sagen. Selbstverständlichkeiten, die nicht selbstverständlich waren. Tatsächlich ist es erst 40+ Jahre her, dass der österreichische Mann in Karrierefragen der Frau kein Veto hat (1976) oder sich die Rolle des Familienoberhauptes abschminken musste (Familiengesetzreform 1978). Spät, aber doch. Und hauptverantwortlich dafür war die verblichene Johanna Dohnal, seinerzeit eine Hassfigur der Medien, heute eine Legende.

Vor allem aber mischte sich jene zweite Welle des Feminismus (Women´s Liberation) mit der Gischt der Sexuellen Revolution – die Selbstentdeckungen, die Freuden des miteinander Körperns, dank Pille ohne unmittelbare Konsequenzen und solange angstfrei, bis
Aids die Sache wieder verkomplizierte. Die Feministen waren generell sexpositiv unterwegs, aber es gab Zwischentöne. Zum Beispiel aus dem Mund der populären Feministin Gloria Steinem, die sich für eine Undercover-Story Bunny-Ohren umstülpte und in Hugh Hefners New Yorker Playboy Club erlebte, wie dort betuchte Gentlemen das „gentle“ ablegten. Es fehlten ihnen beim Umgang mit den Bunnys unter anderem so vitale Ingredienzen wie Respekt und Würde. Als dann beim „freien“ Festival des Sommers der Liebe in San Francisco (1967) neben freien Drinks und freien Drogen auch noch „freie Frauen“ angeboten wurden, war das Wort „Sexismus“ geboren. Es ist noch heute unter uns, massiver denn je.

Das vom Geist des Punk beseelte Aufkommen der Riot Grrrls signalisierte Anfang der Neunzigerjahre die dritte Welle des Feminismus. Grrrls, das waren Girls, die knurren konnten. Die nicht niedlich waren. Die auch so unter Männern geläufige, abwertend gemeinte Begriffe wie „bitch“ (Hündin) und „slut“ (Schlampe) zurück eroberten und positiv belegten. Themen wie „gleiches Recht für gleiche Arbeit“ waren weiterhin Dauerbrenner, aber „Gewalt gegen Frauen“ und „sexuelle Belästigung“ hatten zunehmend Priorität. Und stehen heute im Rahmen der vierten Welle in der öffentlichen Debatte fast allein da.

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Die vierte Welle (2012) wird durch neue Technologie definiert und von Sozialen Medien angetrieben. Die Shitstorms. Plus die Selfiekultur. Visionen, die über das Thema Frauenbewusstsein hinausgehen – und beispielsweise die Spezies Homo Sapiens betreffen – sind praktisch nicht vorhanden. Erweitert dagegen das frauliche Spektrum, die betonte Verschwesterung mit Geek-Feminismus (die einzigen vorbeugend expliziten Feministen, sagen die Geeks) und Transfeminismus (eine Transfrauen-Bewegung). Letzteres brachte nun etwa Zweitwellenfeministinnen wie die legendäre Streitmacht Germaine Greer (Buch: „Der Weibliche Eunuch“) in Harnisch, die meinte, dass man durch ledigliche Umwandlung des Penis in eine Vagina noch lange nicht Frau ist. Die aber vor allem – wie auch ihre Wellengenossin Catherine Deneuve – um die große Errungenschaft „ihrer“ Welle besorgt ist: den Genuss freier Sexualität jenseits der Ehe, den erfolgreichen Kampf gegen die Tabus der patriarchalischen Gesellschaft. Es gehe darum, einer sexuellen Belästigung sofort zu begegnen, „wenn sie ihre Beine spreizt, nicht erst 20 Jahre später“ (Greer). Und sie fürchtet, dass die angeprangerten „älteren mächtigen Männer“ mit gerichtlichen Klagen auffahren werden, die den Feminismus durch Jahre dauernde Prozesse zermürben. Es herrscht großer Wellengang zwischen F2 und F4.

In all diesem Getöse hat sich der Mann ziemlich verloren. Was, zum Beispiel, will der Mann? Was ist männlich? Was haben die Weinsteins mit Männlichkeit zu tun? Und was ist nun wirklich diese Konstante, die sich in der öffentlichen Debatte bislang kristallisierte: Was ist „consent“? Dieses Wort, das beim Thema „sexuelle Belästigung“ die Grenze zwischen „Einverständnis“ und „Nötigung“ zieht, macht übersetzt Nuancen frei. „Consent“ kann etwa „Erlaubnis“ heißen („na gut, wenn du meinst“), aber auch „Konsens“ („ja, wir wollen dasselbe“). Ein Unterschied, der das Dilemma des Geschlechtsverkehrs offenbart. Dass Sex Kommunikation ist, eine weitgehend nonverbale Sprache, durch welche die Beteiligten einander Bedeutung vermitteln und die bei leidlicher Beherrschung großartige Höhenflüge gestattet.

Klar ist, dass jenen älteren Mächtigen offenbar die Vokabeln für so ein Ereignis fehlen und die Frage „Welche Art Mann kriegt eigentlich einen hoch, wenn die Frau seiner Wahl nicht will?“ einer eingehenden Untersuchung bedarf. Wenn Sie, mein Herr, so einer sind, dann haben Sie Grund für eingehende Beschäftigung mit sich selbst. Der Rest kulminiert zunächst in einer Wiederfindung von positiver männlicher Haltung: nicht nur expliziter Distanz zu den Arschlöchern, sondern auch aktiver Einmischung bei Gewahren eines entsprechenden Exemplares; das Wiederentdecken von Qualitäten wie Respekt und Empathie; eine Ortung der innewohnenden Ritterlichkeit. Das wär schon mal ein Rüstzeug.

Foto: (c) Maximilian Lottmann

Für einen Dialog, der weiterhin schwelen wird, ein Ende ist nicht abzusehen. Meint jedenfalls die formidable Feministin Camille Paglia, in deren Augen der praktizierte Feminismus eine Grundschwäche hat: Er ist von Rousseaus Gesellschaftsvertrag (1762) inspiriert, sagt sie, einer Denke, die vom „Guten“ im Menschen ausgeht; die ein Problem als etwas sieht, das durch soziale Reformen beseitigt werden kann. Ein großer Fehler, meint Paglia, Sex sei eine weit dunklere Macht, als der Feminismus je zugeben würde; Sex sei der Punkt zwischen Mensch und (gewalttätiger) Natur, an dem Moral und gute Vorsätze gegen primitive Triebe den kürzeren ziehen. Insofern spinnt sie den von Freud angeführten Faden weiter, der einerseits über Dekaden hinweg der Frage „Was will das Weib?“ nachging und nie eine Antwort fand.

Andererseits spürte auch er diese höllische Natur in seinen Eingeweiden, wie er seiner Verlobten Martha Bernays in einem Brief einst signalisierte: „Ich werde dich bis zur Röte küssen und dir etwas Plumpes einverleiben. Und wenn du unfolgsam bist, werden wir ja sehen, wer stärker ist: ein sanftes kleines Mädchen, das kaum etwas isst, oder ein großer wilder Mann mit Kokain in seinem Körper.“ Der Satz könnte auch von Weinstein stammen. Aber im Unterschied zum Machthaberer hat Freud gewusst, dass die notwendige Verfeinerung der sexuellen Triebe der Preis ist, den Männer für die Zivilisation bezahlen müssen.