KULTUR

DER MANN. ZERSTÖRT. VERLETZT. ECHT. ER

Neli Peycheva

Das mehrfach ausgezeichnete aktionstheater ensemble hat mit der aktuellen zutiefst herausfordernden Uraufführung von „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ nicht nur Mann, sondern auch Frau ins Herz getroffen.

von Dr. Neli Peycheva

Mit der Neuinszenierung „Die Wunderbare Zerstörung des Mannes“ setzt Regisseur Martin Gruber die sich stetig wandelnde Selbst- und Fremdwahrnehmung des Mannes von heute im Zeitalter des „Neopatriarchats“, eine brüchig gewordene Identität, die im Wirbel der Gender-Debatte bis an den Höhepunkt einer vollen Verstörung weggeschleudert wird, pointiert in Szene. Im vollbesetzten Kosmos Theater in Wien werden nämlich an fünf aufeinanderfolgenden Abenden, vom 13. Juni bis 17. Juni tradierte Männlichkeitsklischees wachgerufen, meisterhaft und gnadenlos inszeniert, um dann im Chaos der vermehrten Identitäten gesprengt zu werden. Das Werk ist eine Koproduktion mit der Landeshauptstadt Bregenz/Bregenzer Frühling sowie dem Kosmos Theater Wien.

Kann man immer noch seinen Pulsschlag messen?

Da steht er, auf der Bühne, ähnlich wie die Elementarteilchen im Kosmos in den Strom eines ewigen Schwankes zwischen Identitätssuche und -findung mitgerissen, zwischen Authentizitäts-Selbstversuchen und aufgesetzten Zuschreibungen nach Luft schnappend, umherirrend zwischen den Extremen – der Mann von heute. Destroyed und in den Wahnsinn getrieben durch die immer höheren und sich vermehrenden Gesellschaftserwartungen und die lawinenhaft wachsenden Ansprüche des Feminismus. Orientierungslos, fordernd und nur vermeintlich stark.

Die verzweifelte Suche nach dem verlorenen Ich der Machos, verkörpert durch das wunderbare Spiel der leidenschaftlichen Darsteller Andreas Jähnert, Sascha Jähnert, Thomas Kolle, Peter Pertusini, Fabian Schiffkorn und Benjamin Vanyek, wird pfiffig-ironisch in den Vordergrund gesetzt und hinterlässt beim empathischen Publikum einen bitteren Beigeschmack durch ihre brennende Aktualität.
Die sechs Männer auf der Bühne werden von Versagens- und von außen aufgesetzten Bindungsängsten gebeutelt, vom Konkurrenzdruck, tradierten Vaterrollen, verhängnisvollen Mutter-Sohn-Beziehungen und zerstörerischen Frau-Mann-Verhältnissen in den Abgrund getrieben, in ihren defensiven Grundhaltungen, Geschlechterkämpfen und erotischen Fantasien entblößt. Brennende Fragen werden aufgeworfen, die in die endlose, vergebliche Suche nach einem neuen „Männerbild“ münden.
Ist es doch etwas vom Mann noch unzerstört geblieben? Kann man immer noch seinen Pulsschlag messen? Oder sollten wir die Scherben einfach zusammenfegen und ihn mit dem Müll hinaustragen? Inszeniertes und Reales verschmilzt ineinander.

Er hat viele Namen und Gesichter

Zutiefst verunsichert zeigen sich die sechs Machos in ihren narzisstischen Erscheinungsformen. Ihr in Scherben gegangenes fragiles Selbstwertgefühl blitzt durch das verschleiernde Netz aus vermeintlicher Überlegenheit hervor. In ihrer Männlichkeit schon längst kastriert, vom Feminismus entmachtet, versuchen sie die Bruchstücke ihres Mannseins auszuleben, indem sie aneinander in der Reihe halten – sechs Verschwörer, die Hände vor der Brust zusammengefaltet – eine defensive Haltung gegen die Welt und gegen sich selbst –, sechs Lunatiker im Dunkeln zwischen gestern und heute tappend, sechs Männer.
Der Boden, auf dem der Name eines jeden von ihnen hingekritzelt wird, spiegelt ihre angeschlagene Identität wieder. Namen, die sie dann wieder zu verwischen versuchen, mit der Hoffnung, sich neu definieren zu können; die Suche nach neuer Identität führt aber ins Leere.

Der Schritt aus dem um jeden umgerissenen Kreis führt in den Kreis zurück: Mann kann nicht weg von den Ängsten, Verletzungen, Deformationen, auch dem Stereotyp kann man nicht entfliehen. Sascha, Thomas, Andreas, Benjamin… „Ich nehme mich so wichtig, so wahnsinnig wichtig, wisst ihr.“, schreit der Eine laut, „Wie hättest du als Mädchen geheißen?“ sucht der Andere die Frau in sich, „Die Liebe ist das Einzige, was mich in Bewegung setzt!“, dröhnt der Dritte, „Das Wort Versager trifft ja nur auf Männer zu. Versagerin hört man nie.“, ringt der Nächste verzweifelt gegen das Klischee. Aufrichtigkeit pur.
Er hat viele Namen und viele Gesichter. Er ist einer und viele. Wenn wir alle Fetzen zusammennähen, ergibt sich jedoch ein Bild, das aus vielen Fragmenten besteht – der Mann von heute in der Ganzheit seiner Verstörung.

Körper, Wort, Klang und Gesang fließen ineinander

Die schonungslose und unverblümte Inszenierung der Männlichkeit zielt darauf hin, einerseits den Körper als Tempel von Geist und Seele mit einzuschließen, und andererseits alle Sinne anzusprechen, indem neben der Kraft des Wortes in der Beichte- und Dialogform auch Körperbewegung, Musik, Klang und Videoprojektion eingesetzt werden. Der Effekt ist beeindruckend.
Die sorglos flatternden Schmetterlinge (Videoprojektion von Claudia Virginia/dORNwITTCHEN) im Hintergrund, die die Kulisse der Ambiguitäten bilden, verwandeln sich später in Schauder erregende kläffende Hunde und bluten sogar verwundet in der letzten Szene.
Die eindrucksvolle musikalische Begleitung des Stückes durch den Gesang und die unter die Haut gehende Klänge der Wienerin Nadine Abado/PH LION wird in die Dialoge mal sanft, mal intensiver hineingewoben, ergänzt sie wirkungsvoll, füllt die gedanklichen Zwischenräume aus und lässt gleichzeitig Platz für Interpretationen.

„Ich will nur akzeptiert werden!“

Mann darf nicht in Dichotomien, in sich gegenseitig ausschließende Begriffspaaren gedacht werden, so etwa die Botschaft des Regisseurs Martin Gruber und des Dramaturgen Martin Ojster, die durch das prägnante geistreich-ironische Spiel das Publikum erreicht und da tiefe Spuren hinterlässt. Denn ein solches engstirniges Denken verkennt ignorant die Fülle von Erscheinungsformen der Männlichkeit, gibt dem Mann keinen Freiraum für eigene Identitätsfindung und zerstört ihn letztendlich. Versuchen wir den Mann in ein festes Korsett hineinzupressen, riskieren wir die ganze Fülle von Identitätsmöglichkeiten zwischen Pol und Gegenpol (schon wieder ein Stereotyp!) zu übersehen und den Mann in seiner wunderbaren Eigenart bis auf ein starres Klischee zu reduzieren, das sein Wesen nicht mal ansatzweise wiederspiegelt.

In „Die wunderbare Zerstörung des Mannes“ wird der Mann bis auf den nackten Kern seiner angeschlagenen Männlichkeit entblößt, indem man ihm ein ganz einfaches und durchaus menschliches Recht zuerkennt – er selbst zu sein. Der Regisseur Martin Gruber und sein Team aus Co-Autoren und Schauspielern (Texte lieferten nicht nur der Regisseur selbst und das aktionstheater ensemble, sondern auch Elias Hirschl und Wolfgang Mörth) bringen das fulminant auf den Punkt. Jetzt sind wir am Ball, dem Mann diese Freiheit zuzustehen. Weil es ihn gibt. Weil wir ihn nicht aufgeben. Verstört. Echt. Er.

Idee, Konzept, Regie: Martin Gruber
Mit Texten von: Martin Gruber und aktionstheater ensemble sowie weitere Texte von Elias Hirschl und Wolfgang Mörth | Dramaturgie: Martin Ojster | Musik: Nadine Abado/PH LION | Video: Claudia Virginia/dORNwITTCHEN | Regieassistenz: Florian Haderer | Darsteller: Andreas Jähnert, Sascha Jähnert, Thomas Kolle, Peter Pertusini, Fabian Schiffkorn, Benjamin Vanyek

Und hier gehts zum ZIB-Bericht.