Film & Serie
Binge-TV. Fauda: Auge um Auge, Habibi!
Der Konflikt? Interessiert im Nahen Osten keinen TV-Konsumenten. Dort regiert Eskapismus pur. Und genau das serviert die israelische Hitserie Fauda, die zum globalen Phänomen wurde: unwiderstehlichen Eskapismus – der aber mitten in den Konflikt führt.
Text: Manfred Sax
Auch Humor kommt vor. In besinnlicheren Momenten des brutalen Spektakels, etwa beim Casting für den nächsten Anschlag („Suizidbomber gesucht!“). Da tritt auch mal der simple Palästinenser vom Wüstenrand auf, der als Motiv für seine freiwillige Märtyrerschaft „weil mich meine Frau so nervt“ angibt. Aber sonst regieren die Köter des Krieges.
„Wir sind wie Kampfhunde“, erklärt Undercover-Soldat Steve seiner Kollegin Nurit, „darauf trainiert, nicht zu denken.“ Wenn sie denken, kommen die Zweifel, kommt der Horror, der Ekel, der Schiss. Nurit ist neu im Feld, es kommt ihr noch hoch, wenn sie zusieht, wie gefoltert wird. Aber bald steckt sie selbst in einer Fauda (Bild oben) und entrinnt nur knapp dem Tod, liegt blaupaniert im Lazarett und will nur eines: wieder zurück ins Feld. Es ist dieser Cocktail aus Hormonen, aus Adrenalin und Testosteron, die das Denken nehmen; dann die Endorphine, die den Schmerz erträglich machen. So was kann dich in einen Junkie verwandeln. „Es ist stärker als ich, Gali“, sagt Doron zu seiner Frau nach einem Einsatz.
Doron (Bild rechts, vorne) ist der Oberkampfhund, Frontmann der israelischen Elite- einheit Mista’arvin, einer der arabischen Sprache mächtigen Speerspitze des Geheimdienstes, die – als Palästinenser getarnt – in der Westbank rund um Ramallah und Nablus unterwegs ist, um Israeli-Killer zu fassen, ehe sie weitere Israelis killen können. Der Konflikt, du weißt. Äpfel vom gleichen Stamm (Abraham), die einander die Birnen eindreschen. Obwohl minutiös ausgetüftelt und von Drohnen überwacht, gehen die Einsätze selten wie geplant über die Bühne, meist fliegt die Tarnung auf und Chaos bricht aus, oder „Fauda“, wie die Araber sagen, man denke an Hornissen, die im Nest aus ihrer Apathie erwachen.
„Fauda“ ist auch der Titel dieser israelischen TV-Serie, die sich via Netflix zum globalen Hit mauserte und deren zweite Staffel zeitgleich mit einem Gemetzel am Gazastreifen ins Netzwerk geriet. Vorherzusehen war der Erfolg nicht, es war anfangs nicht leicht, eine heimische TV-Station zu interessieren – eine israelische Serie mit arabischem Titel? Wie waren die Autoren eigentlich drauf? Nun, Co-Autor Lior Raz war der eigenen Aussage nach auf Posttrauma. Er war mal einer dieser Geheimagenten, das Skript wurde seine Therapie, sagte er. Und dann schlüpfte er auch noch in die Rolle von Doron.
Die Ingredienzen zum Drama: keine oberflächlichen Hamas- oder Mossad-Platitüden, sondern Nahaufnahmen von Mensch zu Mensch in toxischer Atmosphäre; Hamas-Extremisten, die nicht nur Synagogen in die Luft jagen wollen, sondern auch ihre Familien lieben; Dorons Leidenschaft für eine palästinensische Ärztin; eine objektiv absurde Gleichheit aufgrund eines gemeinsamen Nenners – der mittelalterlichen Foltermethoden. Dazu die fast widerwärtige Kosmetik: Die weiblichen Protagonisten sind ausnahmslos fabulös attraktive Geschöpfe (herausragend: Laetitia Eido als Ärztin Shirin Al Abed, Bild unten). Wenn das Eskapismus ist, dann bitte mehr davon. ×
Fauda, Israel 2015 & 2016, mit Lior Raz, Laetitia Eido, Itzik Cohen, Rona-Lee Shimon; zwei Staffeln, die dritte ist in Produk- tion; auf Netflix. Fotos courtesy of Netflix