AKUT
Millennials – Sex nur wenn das WLAN läuft
Die drei Zutaten zum Sex der Millennials: Internetverbindung, Social-Media-Profil und klar kommunizierte Bindungsangst.
Text: Frederika Ferkova / Fotos: Hilde Van Mas
ÖKM, Playboy und Softporno-Sendungen waren ohne Frage unser erster Kontakt mit Sex. Wir sind die letzte Generation, die Papas Heftchen im Keller gefunden hat, und auch die erste und letzte, die das erste Kribbeln im Lendenbereich mit den deutschen Privaten nach 0 Uhr erfahren hat. Abgesehen von den natürlichen Evergreens wie Radfahren (Frauen verstehen mich), Eltern erwischen und die Nachbarn beobachten waren unsere ersten Zugänge also medialer Natur. Irgendwann tauschten wir unsere GameBoys gegen richtige Bildschirme und stierlten in den prähistorischen Gefilden des Internets herum.
In dieser Zeit, als alles im Cyberspace noch neu war und man noch typischen Darknet-Content auf Google finden konnte, entdeckten wir die ersten Pornoseiten. Ein Blick in die Kategorien und man war – zumindest was die vielfältigen Durchführungsmöglichkeiten des Sexualakts betrifft – mit einem Schlag ziemlich gut informiert. „Ein Gangbang ist quasi wie Bukkake, nur ohne viele Cumshots“, sagte mir mal mein Klassenkollege Lukas in der Unterstufe. Mit 13 war das eine urweise Aussage, der man bedächtig und schweigend lauschte. Er hat mir auch aufgezeichnet, wie man sich als Frau klitoral befriedigt, und mir Videoseiten für daheim mitgegeben.
Zirka zu der Zeit, als wir den Film mit den zwei Mädels und dem Becher gesehen haben, wurde alles sehr einfach. Viel zu einfach, meinen einige bedeutungsschwangere Artikel zu unserer Generation. Sex war und ist überall im Internet, das Internet und seine Anfänge zeichnen uns aus. Damals hat’s gereicht, seinen Verlauf zu löschen, um nicht von den Eltern erwischt zu werden. Heute sperren und zensieren Eltern gern das gesamte Internet zum Wohl des Kindes, lassen die Sprösslinge aber Snapchat benutzen. Eine App, über die man bis heute Schwanzfotos von unbekannten Fremden bekommt. Das finden wir Millennials lustig, weil wir von den Apps der Generation nach uns Ahnung haben. Die Tatsache, dass die App Fotos und Videos nach dem Öffnen löscht, macht sie zur perfekten Nude-Austausch-Börse. Irgendwer musste es euch sagen.
Was für die Kiddies jetzt Snapchat ist, waren für uns MSN, ICQ und Skype. Mit 14 spielten so manche meiner Generation vor der Kamera mit sich rum. Die erste mediale und pädagogische Aufarbeitung mit der Message, dass man sich vielleicht nicht im Internet nackt zeigen sollte, kam zwei Jahre später. Sexualität ohne Kamera kennen wir zwar schon auch, wir wurden aber darauf trainiert, zuzusehen und gegebenenfalls vor ihr zu performen.
Die Freiheit zeichnet uns aus, und auf die sind wir stolz. Auch wenn sie uns manchmal erstickt. Vor allem, wenn man sich verliebt.
Was Pornos angeht: Ja, am Anfang war das spannend. Irgendwann wurden aber auch sie zum Alltag. Die Kategorien haben sich nicht verändert, die Kameraeinstellungen auch nicht. Pornos sind für uns Mittel zum Zweck. Wenn jemand aus meinem 20something-Umkreis sagt, dass er mal für einen Monat auf Pornos verzichtet, dann ist das eine Sensation. Wir wissen schon – die ganzen Experten, die sagen, dass uns das sexuell kaputt macht. Dass wir gar nicht wissen, was echter Sex ist. Vielleicht stimmt das auch für jemanden, der aus einer Generation kommt, die Sex mit Scham belegt hat. Für uns stimmt das nicht. Das Internet hat uns aufgeklärt: Wir können wegen YouTube Tantra-Übungen lernen und auf YouPorn das Squirten üben. Wir wissen, was Tantra und Squirten sind. Wir kennen die unmoralischsten Abgründe der menschlichen Sexualität, aber wir kennen auch ihre positivsten Seiten.
Sex ist für uns auch textlich möglich. Wir waren sexy in MSN, jetzt sind wir es auf Tinder oder WhatsApp. Wir sind richtige Poeten und Wortakrobaten, wenn es ums textliche Ficken geht. Auch wenn das Geschriebene selten stimmt. Wenn ich sage, dass ich meinen Spitzentanga wegen zu viel Feuchte ausziehen musste, dann sitze ich wahrscheinlich in der Jogginghose auf der Couch und esse bestellte Pizza. Lustigerweise ist Telefonsex ziemlich tot, außer bei Fernbeziehungen, die ja dank der Globalisierung immer öfter der Fall sind. Telefonsex ist irgendwie zu persönlich. Da kann man nicht so tun als ob und nebenbei Netflix schauen. Wir telefonieren ja sowieso ungern, weil das zeitaufwendig ist und man sich konzentrieren muss. Wir schicken Sprachnachrichten.
Dem Feminismus, den wir neu aufleben haben lassen, verdanken wir, dass wir reflektieren. Wir fragen uns, ob man als Frau wirklich glatt sein muss. Oder ob der Schwanz wirklich eine gewisse Größe-Dicke-Ratio erfüllen muss. Ob’s okay ist, mal nicht so zu quietschen, als wäre man die personifizierte Asian-Kategorie. Wir sind die Generation, die sich seit der frühen Jugend von Pornos hat verunsichern lassen. Heute verunsichern uns scharfe Influencer auf Instagram. Der Mensch ist ein vergleichendes Wesen und wir leiden ziemlich darunter – fast immer unbewusst. Wir fragen uns auch, ob Monogamie vielleicht nicht doch eine Utopie ist. Wir sind nämlich auch die Generation, die die Beziehung ihrer Eltern teilweise sehr unschön scheitern gesehen hat.
Wir verdanken den Neo-Feminismus aber auch – Gott behüte Sasha Grey und Stoya –, dass wir Frauen so etwas offen sagen können. Dass es okay ist, sich mal einfach nur so ficken zu lassen, und keine so tun muss, als wäre sie eine besondere, unberührte Butterblume. Das haben wir unseren Millennial-Männern abtrainiert: Erwartungen an uns und unser Verhalten. Die Frau 2.0 kann nicht kochen, ist derb und schämt sich nicht, wenn sie bewusst ein Tinder-Date zum Austausch von Körperflüssigkeiten trifft. Es gibt auch unter uns verschiedene Zugänge: Die einen lassen mit Absicht die Haare sprießen und scheißen aufs Internet, die anderen refreshen nach dem Hochladen eines Selfies ihr Social-Media-Profil im Sekundentakt. Wir sind einfach die Brücke zwischen denen vor uns und denen nach uns.
Und da wäre noch die Sache mit dem wirklichen Sex. Also nicht dem im Internet. Puh, also, ja. Die Real-Life-Aufreißer sind wir so nicht. Wenn wir ausgehen, dann denken wir nur bisschen an Sexualpartner. Denn wir haben Tinder. So wie wir damals SMS.at, Websingles, Netlog und Myspace hatten. Sex ist überall und dadurch ist er nirgends. Da draußen gibt es so viele sexuelle Möglichkeiten – man braucht nur mal gscheit in den Bildschirm zu schauen. Aus dem Fenster? Na, zu anstrengend. Wenn es im Internet nur einen Wisch entfernt die gesamte Bandbreite an Sexualpartnern gibt und man dabei noch am Klo sitzen kann – wer kann es uns verübeln? Es ist nur natürlich, faul zu werden.
Auch wenn wir eingesehen haben, dass Datingapps vielleicht doch nicht das Wahre sind. Durch die vermeintliche Vielfalt steigen die Ansprüche, und das macht uns nicht besonders bindungsfähig. Wir definieren vor dem Kennenlernen, wie der perfekte Partner aussieht und was er tut. Wenn er oder sie nicht passt, dann wird weggewischt – unabhängig davon, ob unsere selbst definierten Ansprüche vielleicht eh das denkbar Schlechteste für uns sind und gar nicht zu unserer Persönlichkeitsstruktur passen. Für einen One-Night-Stand reicht Tinder aber durchaus, manchmal sogar für eine Sexbeziehung.
Es kommt wie das Amen im Gebet, dass sich einer in diese miteinander verbrachte Zeit verliebt. Manchmal verlieben sich beide, dann ist man zusammen und löscht feierlich Tinder.
Eine Sexbeziehung kann aber oft ein Einstieg in so etwas wie eine Beziehung sein. Man hat ein Date, wenn es passt, lernt man sich nach dem ersten oder spätestens dritten Treffen körperlich kennen, und das wird wöchentlich wiederholt – bis sich jemand verliebt und somit nervig wird. Diese Zeit, die wir Sexbeziehung nennen, ist eigentlich eh eine Beziehung. Man hat Kontakt, verbringt gemeinsam Zeit, schaut Netflix, vögelt – aber man lässt sich eben eine Hintertür offen. Es kommt wie das Amen im Gebet, dass sich einer in diese angenehme und miteinander verbrachte Zeit verliebt. Meist nach sechs Monaten. Manchmal verlieben sich beide, dann ist man zusammen und löscht feierlich Tinder. Manchmal hat man aber auch ganz einfach Bindungsangst und will jemand Besseres, obwohl man Gefühle für das Gegenüber hat.
Und das ist das Schöne und das Schlimme gleichzeitig: Bei der Vielfalt und bei dem Angebot ist es sehr schwer, eine monogame, klassische Beziehung einzugehen. Wir haben drölfmillionen Arten von Beziehungen aus dem Hut gezaubert, zehntausend Mal verschiedene Formen von Sexualität definiert und erwarten von unserem Partner achthundert Eigenschaften gleichzeitig. Wir haben uns das mit dem Sex und den Beziehungen selbst schwerer gemacht als alle vor uns – keine Frage. Trotzdem gleichzeitig auch einfacher, weil wir viel mehr Auswahl haben und sehr viel weniger dafür tun müssen. Wir inkludieren alle Formen von Sexualität und jeder hat Raum für seine Entwicklung. Wir gehen offener mit Sex um. Wir müssen nicht heiraten, wir brauchen auch keine Liebe vorzugaukeln, um mit jemandem zu schlafen. Die Freiheit zeichnet uns aus, und auf die sind wir stolz. Auch wenn sie uns manchmal erstickt – vor allem, wenn man sich verliebt. In der Zeit würden wir jede Datingapp und jeden Bildschirm gegen die Zeit von Papas Hefterln und den deutschen Privaten tauschen.