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Millennial im Interview: „Auf Tinder findest du nur das kurze Vergnügen.“
CONNECTED. Autorin Verena Bogner im Interview: Warum verwendest du Dating-Apps? Was macht Partnersuche so kompliziert? Warum traust du deinen Gefühlen nicht? War früher alles besser?
Verena Bogner ist 26 Jahre alt, kommt aus Braunau, studierte Publizistik in Wien und arbeitete zuletzt als Managing Editor bei VICE Austria. In ihrem Gastkommentar für den WIENER widmete sie sich der Beziehungswelt der Generation Tinder: dass Kennenlernen heute viel einfacher ist als früher; dass es aber auch einfacher ist, sich keine Mühe zu geben; dass Beziehungen nicht mehr das sind, was sie mal waren. Ms Bogners Text findest Du per Klick auf HIER. Ein Text, der uns zu Fragen animierte. Die sie hier beantwortet.
WIENER: In Deinem Text steht, dass früher möglicher Weise alles besser war, also Beziehungen besser funktionierten. Wie stellst Du Dir vor, dass es früher war, und was wäre das „Bessere“?
VERENA BOGNER: Natürlich ist mir klar, dass im Hinblick auf Dating jede Generation ihre Vorteile und Troubles gehabt haben muss. So sehr ich Tinder und Online-Dating in meinem Text auch verteufle, hätte sich die Generation meiner Mutter vielleicht ein so einfaches Kommunikationsmittel gewünscht. Ich stelle es mir jedoch schön vor, wenn man in eine Person, die man datet, ein wenig Zeit investiert. Zeit für ein Kennenlernen, anstatt das Facebook-Profil zu stalken; man kommt vielleicht erst beim zweiten Date auf Gemeinsamkeiten, die einen noch verbundener machen, anstatt sie vorher schon auswendig zu kennen; und man behandelt Dates schlichtweg nicht so, als würde man am Fließband hackeln.
Du schreibst, dass Online-Dating die Partnersuche vereinfachte. Was war vorher so kompliziert? Was hemmt einen, den ersten Schritt zu machen?
Ich glaube, Plattformen wie Tinder und Social Media generell machen es viel einfacher, neue Menschen außerhalb des eigenen Dunstkreises kennen zu lernen, da man ständig mit der Außenwelt verbunden ist; jeder kann sich mit jedem connecten. Außerdem ist es wesentlich einfacher, jemandem eine flirty Message zu schicken, als im Club oder auf der Straße auf jemanden zuzugehen, der einem gefällt. Warum? Aus Angst vor unmittelbarer Abweisung oder einer Blamage. Im Chat hat man mehr Zeit, humorvoll oder gelassen zu reagieren und kann sich am Ende immer noch rauswinden.
Dir fehlt bei Tinder das Erhöhende. Was macht Dating zu etwas Besonderem?
Bevor es Tinder gab, war für mich jedes Date irgendwie besonders. Immerhin lernte ich nicht jeden Tag jemanden kennen, mit dem ich etwas trinken gehen wollte – und umgekehrt. Seit Tinder ist das ein wenig anders: Matches im zweistelligen Bereich sind ganz normal. Wenn man möchte, könnte man jeden Tag jemand anderen daten und sich über den Fail vom Vortag hinwegtrösten. Das nimmt für mich ein wenig den Zauber aus dem Datingleben, und es verhindert vielleicht zum Teil auch, dass man sich mit sich selbst und den Menschen im Umfeld auseinandersetzt.
Was ist mit den Gefühlen, den Schmetterlingen im Bauch auf ersten Blick, wird denen nicht mehr getraut? Ist da Angst? Und warum verstehst Du Dating als „Arbeit“?
Stimmt, mein Ansatz klingt sehr Ratio-bezogen. Dabei spreche ich tatsächlich von Emotionen: Mit „Arbeit“ meine ich, dass man in jemanden Zeit investiert, sich gegenseitig gut kennen und lieben lernt. Wenn man immer schon die nächsten 150 Optionen in der App bereit stehen hat, ist das oft nicht besonders förderlich.
Vor Tinder kam es in der Schule, am Arbeitsplatz, bei Freizeit-Tätigkeiten und Clubbing zu Beziehungen. Was ist aus diesen traditionellen Kontaktzonen geworden?
Ich erlebe immer mehr, dass diese Kontaktzonen wieder wahrgenommen werden. Weil man auf Tinder oft nur das kurze Vergnügen findet. Also ich bin bei allem Online-Hass doch recht optimistisch, dass sich die Dating-Welt der Millennials wieder zum Angenehmeren verändern kann.
Was ist Millennial-typisch? Hotel Mama? In der Öffentlichkeit kein Händehalten? Eher monogam oder eher polygam?
Ich glaube, es ist vor allem Millennial-typisch, dass ALLES geht. Du kannst polyamorös sein, Langzeit-Single aus Überzeugung, das eingespielteste Paar – alles ist erlaubt. Das finde ich sehr angenehm an unserer Generation: Den Druck, sich einem gewissen Beziehungsmodell, das dann wahrscheinlich monogam wäre, anzupassen, nehme ich unter Millennials nicht als besonders groß wahr.