KULTUR

„Mal schauen, was es technisch Neues gibt“ – Rebhandl liegt Probe

Um unser Bestattungsmuseum beneidet uns die ganze Welt und unser Umgang mit dem Tod ist sowieso vorbildlich. Einmal im Jahr kann man sogar Probeliegen. Eine Reportage.

TEXT: MANFRED REBHANDL / FOTOS: DOMINIK IZAQUIEL TOMÉ

Eine geöffnete Achsel oberhalb meiner Nase, deren dazugehörige linke Hand sich am Haltegriff festhält, lässt sich scheinbar nicht mehr schließen. Sie riecht wie Oma Trude an einem sehr schlechten Tag unter ihren Wickelröcken. Und der Arsch vor mir braucht, wie man so schön sagt, einen eigenen Abgeordneten im Parlament, weil er so groß ist. Er versperrt mir die gute Sicht hinaus auf die Straße, wo Western Union, Döner Ci und Schnitzel Grill, Wettpunkt und Sportwetten und wieder Döner Ci den Weg zum Friedhof säumen. Friseur Tatar, lese ich, schneidet Haare nur an „Herren und Kinder“, und ich frage mich, wie das mit den Federn der Ladys sein wird, wenn sie dereinst das Zeitliche segnen: Eines der vielen Gerüchte, die den Tod umranken, lautet ja, dass die Haare weiterwachsen!

Die Anreise im 6er, Wiens legendär verlotterter Straßenbahnlinie, die von der Burggasse bis zum Zentralfriedhof fährt, ist keine schlechte Vorbereitung auf einen Besuch in Wiens Bestattungsmuseum, zu der die Lange Nacht der Museen mich heute ruft. Drogen, Alkohol, schlechtes Essen, schlechte Luft und schlechtes Karma lassen einen befürchten, dass hier einige das Weihnachtsfest nicht mehr erleben werden. Im babylonischen Sprachgewirr kann man sich obendrein auf die Tage nach der Auferstehung vorbereiten, wenn man sich endlich mit all den tschetschenischen Rübezahlbartträgern unterhalten kann. Wird auch Gott sich vor Angst in die Hose machen, wenn sie vor ihm stehen? Aber nein, er ist ja Gott!

 

Seit jeher pflegen die Wiener eine weltbekannt weinselig-entspannte, ja rührend enge Beziehung zum Sensenmann. Auf Heurigenbänken besingen sie die irgendwann, jedenfalls unausweichlich bevorstehende Begegnung mit dem Tod, der ein Wiener sein muss, wie es im Lied heißt. Entsprechend kann es Tor 2, der Haupteingang zum Zentralfriedhof, locker mit dem Eingang zum Stahlwerk in Nowa Huta aufnehmen, und betritt man das Areal, dann denkt man sofort mit Commander James T. Kirk auf seinem Raumschiff Enterprise: Unendliche Weiten! Die Kassahäuschen sind heute in Sargform gehalten, was witzig ist, und davor drängen sich schon um 18 Uhr die Besucher, als gäbe es ein paar Jahre Lebenszeit extra zu gewinnen: „Kommen Sie näher, machen Sie mit!“

Die Halle 2 dann, in der das Museum untergebracht ist, ist zwar nicht sixtinisch dimensioniert, aber auch kein Raucherkammerl. Hier werden traditionell Kammersänger, Burgschauspieler, allerlei „G’stopfte“ oder Politiker aufgebahrt, bevor sie den letzten Weg antreten müssen, getragen oder geschoben irgendwo hinaus auf den „Zenträu“, der mit 2,5 km2 Fläche und 330.000 Gräbern zu den ganz Großen in Europa zählt. Frau Lemmermaier, die Leiterin des Museums, führt uns gleich hinunter in die Ausstellungsräume, wo schon kurz nach Einlass – mit Verlaub – die Hölle los ist, und es hätte sich tatsächlich falsch angefühlt, hätte sie uns irgendwo hinaufgeführt! Seit 2014 ist das Museum hier untergebracht und bietet allerlei Wissens- und Sehenswertes zum Thema: Ein Bahrtuch mit strahlender Sonne auf dunklem Hintergrund für „Bestattungen der Sonderklasse“; Partezettel, die Einblick in damalige Krankheitsverläufe geben: „Karoline Littrow starb infolge der Abzehrung.“ Auch lernen wir, dass früher „Hausbesitzerwitwe“ so eine Art Beruf war und selbstverständlich eine Bestattung der Sonderklasse nach sich zog. In einer Ecke lehnt ein historischer Drahtesel mit Gundel-Gaukeley-Hexenbesen dran, sowie Schaufel und Krampen – das Fahrzeug der Totengräber.

Die müssen auch heute noch an die 2,70 Meter tief in die Erde graben, was ziemlich viel ist. Anschaulich bekommt man das an einer Wand des Museums dargestellt, bis zu vier Särge werden in so einem Grab dann übereinandergestapelt. „Kann ich Vorsorge treffen, dass ich ganz oben liegen werde?“, frage ich Frau Lemmermaier, aber sie meint kühl: „Das müssen Sie mit Ihren Verwandten ausmachen, umschlichten tun wir jedenfalls nicht.“ „Opa, leg dich mal rüber!“ wird es also nicht spielen. Früher, erklärt uns Frau Lemmermaier anhand eines ausgestellten Spezialsarges, hat man auch ein bisserl geschwindelt. Das Teil hat nämlich zwei Falltüren, die man nach Einlass des Sarges in die Erde öffnete. Der Tote fiel dann einfach auf den kalten Lehm zu den anderen dazu und der Sarg konnte wiederverwendet werden. „Praktisch denken, Falltürsarg schenken“, lautete damals wohl das Motto. Richtig Sorgen während des Rundgangs bereitet mir die Schnur mit Glockerl dran und Schlaufe für den Daumen, die man früher an jedem Toten befestigt hat, wegen der Diagnose „scheintot“. Frau Lemmermaier versichert mir, dass es einst, wenn man bei Nacht über den Friedhof ging, ein einziges Läuten war. Ich festige meinen Entschluss, mich verbrennen zu lassen. Herr Erich Kirchstorfer, der einen Schnauzer trägt wie der Finanzminister, aber ungleich sympathischer ist, hat 35 Jahre lang für die Stadt Wien Särge gebaut. „15.000 bis 16.000 Bestattungen gibt es hier pro Jahr, also rechnen Sie sich aus, wie viele Särge ich ungefähr gemacht habe.“ Sehr, sehr viele. 2013 war Schluss damit, denn die hauseigene Sargproduktion wurde eingestellt und Särge werden seither von Subunternehmen zugekauft. „O tempo’a o mo’es!“, heißt es dazu im Asterixhefterl. Wenn man nicht Särge für die eigenen Verwandten schreinert, ist es ein Job wie jeder andere, bestätigt Herr Kirchstorfer. Wenn aber die eigene Mutter darin liegt, dann gibt es auch für einen Profi nichts, was ihn darauf vorbereitet: „Natürlich hab ich geheult!“

Die Stimmung ist trotzdem gut und aus­gelassen, als wir wieder oben in der Halle ankommen. Einzig eine recht mager­süchtig aussehende, blondierte 30­-Jährige (geschätzt!) und ihre unglücklichen drein­ schauende 50­jährige (geschätzt!) Mutter, die ihre Arme am Rücken verschränkt trägt wie Robert Walser beim Spazieren­ gehen in den Schweizer Bergen, finden all das nicht so prickelnd. Ihrer Konversation entnehme ich, dass es sich um Deutsche handelt, und die können zwar unnötig große Autos bauen, aber Särge „made in Germany“ sind bisher kein Renner. Diese calvinistisch geprägten Schaffe­-Schaffe-­Häuslebauer haben einfach den Arsch zu sehr zusammengekniffen, um mit dem Tod etwas anfangen zu können. Anders als wir entspannten Scheißer und Routiniers, die wir uns nun zu Dut­ zenden vor gleich drei bereitgestellten Särgen zum Probeliegen treffen: ein Weichholzsarg, ein Eichensarg und eine Riesentruhe XXXL-­Modell, ein Zuge­ständnis, wie Frau Lemmermaier sagt, an das zunehmende Problem der Bestat­tung extrem Fetter, oder, um es freund­licher auszudrücken: „Adipöser“.

Heute aber kuscheln sich Paare hinein und lassen sich fotografieren, manche schwören sich buchstäblich „ewige Liebe“. Und sollte die Liebe doch einmal erlöschen, hat man immerhin ein Erin­nerungsfoto an bessere Tage.

Das Foto schießt ein Friedhofsangestellter, der aussieht wie Karl Valentin und auf einer Stehleiter in der Mitte des Raumes gerne alle Handys mit entsprechendem Auftrag entgegennimmt. Weil er vorher alle bittet, die Schuhe auszuziehen, riecht es hier sehr bald nach „Fuß“, dem neuen Duft von Impulse, und nicht so sehr nach „Tod“. Die beiden, wie man hört, gut gehenden Museumsshops verkaufen Honig von Blüten, die auf dem Friedhof wachsen (inkl. einiger Leichenmoleküle garantiert!), CDs mit Trauermärschen und Sarguten­silien in allen verschiedenen Modellen und Größen. Lego hat netterweise eine Leichentram aus 350 Teilen entwickelt, soll also keiner sagen, in Wien würden nicht auch schon die Kleinen verantwor­tungsvoll an die große Sache herange­führt. Ein Kinderleichenwagen war heuer schon „Objekt des Monats“ im Museum, und in einem Raum dürfen sie heute sogar Särge bemalen.

Simone aus Steyr hat, glaubt man der mo­dernen Medizin, noch ungefähr 80 Jahre Lebenserwartung vor sich, ist aber trotz­dem mit ihrem Freund hier. Der fragt mich, ob wir „per Du“ sind, nachdem ich ihn gefragt habe, warum er hier sei. Das bringt mich aus dem Konzept, führt mich aber auch zur Frage, wie das wohl der­ einst während der Auferstehung sein wird: Werden wir mit „Sie können nach oben gehen!“ in den Himmel geschickt, oder mit „Du schleich dich hinunter!“ in die Hölle? Zu den ganzen Rübezahlbart­trägern, deren Frauen nicht zum Friseur Tatar gehen dürfen. Jedenfalls hat es Simone der Sarg eines heimischen Brausegetränk­-Erzeugers am meisten angetan. Ansonsten schaue sie mit ihrem Freund einfach, was es „tech­nisch Neues gibt“. Um unsere jungen Leute braucht einem in Zeiten von „Bologna“ nicht bange sein, sie sind neugierig und interessiert.