Film & Serie
Binge-TV: Die Kathedrale des Meeres
Jungfrauen & Herrenrecht: Barcelona im 14. Jahrhundert: Wenn du die, die du begehrst, nicht heiraten darfst, aber die, die du heiraten musst, nicht begehrst: Dann kann das nur heißen, dass die katholische Kirche mehr Macht hat, als die Stadt braucht. Willkommen zur Kathedrale des Meeres, einer Orgie aus Blut, Schweiß und Tränen.
Text: Manfred Sax
Ius primae noctis – das sogenannte „Herrenrecht“ – ist eines der großen klassischen Themen der Weltliteratur. Es sorgt bereits im ältesten überlebenden literarischen Werk, dem Gilgamesch-Epos (2100BC), für Drama, wenn der Tyrann Uruk die Braut in spe eines Krieger missbraucht, und fand seither in den Werken der Großen häufig eine Nische – etwa bei Shakespeare (Henry VI), Voltaire (Dictionnaire philosophique) und Mozart (Hochzeit des Figaro). Zuletzt sorgte das Thema in Mel Gibsons Film „Braveheart“ für roten Nebel beim schottischen Helden William Wallace, der deswegen einen Krieg gegen England anzettelt, wie es halt ist, wenn du dich in ein nettes Girl verknallst, sie aber vor der Hochzeitsnacht bei einem Adeligen antreten muss – und noch dazu einem Engländer. Als explosiver Zündstoff ist das „Recht der ersten Nacht“ für Literaten ein kaum widerstehliches Thema. Vorbeugende Warnung: Bei der spanischen TV-Serie „La Catedral del Mar“ (= Kathedrale des Meeres) geraten wir in die Abteilung „Historisches Drama“. Nichts für Leute, die mittelalterlicher Brutalität nichts abgewinnen können. Aber ein Dorado für Fans von „Game of Thrones“, und für bediente Katholiken, die beim Pornokonsum gern im BDSM-Sektor landen, schlichtweg spektakulär.
Wir sind im Barcelona des 14. Jahrhunderts, das gerade seine kosmopolitische Toleranz, die das Zusammenleben von Menschen aller Glaubensrichtungen gestattet, zu Gunsten weltlicher Machtgier der Katholiken verliert. Bernat ist ein armer, rechtschaffener Bauer, der seine ebenso arme und rechtschaffene Francesca ehelichen will, als der adelige Grundbesitzer auftaucht und Francesca vergewaltigt – das Recht der ersten Nacht, wie gesagt. Um zu verhindern, für den daraus eventuell entstehenden Nachwuchs zahlen zu müssen, zwingt der Grundbesitzer auch Bernat, dessen blutüberströmte Braut zu vergewaltigen. Selbstverständlich entsteht daraus ein Sohn, nämlich Arnau, dessen Leben in Folge Sache der Serie ist. Francesca flieht und fristet ihr Leben als Prostituierte, ein Schicksal, das später auch Arnaus erster Liebe Aledis widerfährt, zumal ja im Mittelalter nicht Liebe, sondern elterliches Arrangement die Basis für die Ehe ist.
Die Eckdaten sind somit etabliert: viel Blut, viel Schweiß, viele Tränen. Scheiterhaufen für die jüdischen Bürger, wenn die Pest ausbricht (weil irgendwer schuld sein muss). Und, weil Liebe nie zu einer Beziehung, aber gern zu Sex führt, viele Schuldkomplexe und gefolterte „Sünderinnen“, tatsächlich kommt praktisch jede Frau in der „Catedral“-Serie verdammt schlimm weg. Bis auf eine, nämlich – erraten – die Jungfrau Maria. Deren Ikone – einer Statue, die heute noch in Barcelona steht – die Armen von Barcelona eine Kathedrale bauen. Arnau, sehr bald ein schöner Mann, der heute Model für ein Parfum wäre, ist in der Tat so arm, dass ihm die Karriere eines „Bastaixos“ – das Schleppen schwerer Steine für den Bau der Kathedrale – wie ein Traumjob erscheint. Er mausert sich zum besten aller Steineschlepper – und zum perfekten platonischen Liebhaber der Jungfrau Maria. Wenn du die Frau, die du begehrst, nicht ehelichen kannst, und die Frau, die du heiraten musst, nicht begehrst, wird die Jesusmutter zur logischen Alternative.
„La Catedral del Mar“ ist brutal, emotionsgeladen und heftig, für Liebhaber von Quälfilmen eindeutig Binge-verdächtig; die Adeligen und Machtmönche großartige Arschlöcher, die weiblichen Darsteller zum Niederknien attraktiv, wenn auch vom Skript unterfordert, wirklich starke Sager haben nur die Huren.
La Catedral del Mar
1 Serie mit 8 Episoden à 50 Minuten, spanische OF mit UT
Darsteller: Aitor Luna, Silvia Abascal, Andrea Duro, Michelle Jenner (!!)
Zu sehen auf: Netflix