GENUSS

Betreutes Blackout – Der WIENER geht aus

Wirkungstrinken ist keine Ideal-Sport-Art für alternde Männer. Das zeigt der WIENER-Selbstversuch in sechs Bars: Wie man die Besinnung verliert und das noch dabei protokolliert.

Text: Roland Graf / Fotos: Peter M. Mayr

„Heinz hasste diese …“ Mehr steht da nicht. Wofür sich „Skybar“-­Chef Heinz Kaiser nicht erwärmen konnte, verliert sich im Dunkel der Freitagnacht. Ein Filmriss. Oder besser gesagt: Zettel unleserlich. Doch wir greifen vor.

Im Reich des Heinz Kaiser in der Skybar. Foto: Peter M. Mayr

[Sechs Stunden und acht Drinks vorher:]

Die grandiose Aufgabenstellung des Herausgebers für diesen WIENER-Report, der eigenartiger­weise in der Rubrik „Genuss“ erscheinen wird, lautete schlicht: „Wir machen einen Ziager“! Klingt nach Spaß, Sex und Spesenkonto. Einzige Voraussetzung: Es gibt nur harte Drinks, und es wird parallel darüber geschrieben, bis der Griffel oder der Autor bricht. Klingt vor allem auch machbar. Es bedeutet aber tatsächlich betreutes Betrunkenwerden. Was mir allerdings erst klar wird, als ich umlauert von „Ziaga-Meister“ Franz J. Sauer, der altruistisch und nahezu alk-frei Taxler-Dienst versieht, und Lichtbildner Peter M. Mayr in der „Sign Lounge“ sitze.

Kan Zuo, Mixer und Eigner der „Sign Lounge“, ist Meister des dreilagigen Long Beach Ice Tea. Kan Zuo hier im Gespräch mit WIENER-Chefredakteur Franz J. Sauer (li.) und WIENER-Genuss-Redakteur Roland Graf (re.). Foto: Peter M. Mayr

Die mehrfach zur besten Bar Österreichs gekürte Trinkstätte kann auch „Long Island Ice Teas“. Und wie in jeder seriösen Bar fragt man zur Sicherheit nach, ob es wirklich dieser Zerstörer werden soll. Mixologe Kan Zuo erklärt souverän den Unterschied des berüchtigten Wirkungsdrinks zum „Long Beach Ice Tea“ – Cola oder Grapefruit-Limo? – und bringt zum Warmwerden Sangritas. Mezcal und Mango-Avocado-Püree als Aperitiv für den Alk-Eis-Tee? Das wird wohl noch heiter werden. „Sicher doch“, grinst sich der Herausgeber eins und verfrachtet seine zart angefeuchtete Fracht in den Land Rover.

Die einzelnen Etagen des legendären Long Beach Ice Tea der Sign Lounge sind mit dem Strohhalm ertrinkbar. Foto: Peter M. Mayr

Mit einer Menüfolge aus Drinks beantwortet der „Elder Statesman“ der Wiener Bar-Kultur, Erich Wassicek, unsere Frage nach einem möglichst starken Cocktail. In der „Halbestadt“ ruht gerade der ewig junge James-Bond-Drink „Vesper“ im Holzfässchen. Kleschkalt geshaked vom Chef, folgt man dem kurzen Exkurs zum Thema Alkohol mit Aufmerksamkeit. „Wer sich volllaufen lassen will, soll zur Tankstelle gehen“, meint er, während der „Martinez“ gemischt wird. Basis ist ein Overproof-Rum, notieren wir, also sind mindestens 57,15 % Alkohol in der der Flasche. „Keine Säfte, keine Sirups, nur Alkohol – und der kann großartig schmecken, wenn er ausbalanciert ist“. Eh, Erich, eh!

Bei Erich Wassicek in der „Halbestadt“ kommt kein Eistee ins Glas: „Wer sich vollaufen lassen will, soll das an der Tankstelle tun.“ Foto: Peter M. Mayr

Doch erste Anzeichen der Berauschung fallen uns beim nächsten Drink auf. Während rundum die Zigarren angefacht werden und die Versuchsleiter einen Kaffee mit Chefin Conny Wunder trinken, laufe ich an der Bar auf und ab. Notiz an mich selbst: Zappeligkeit – kein gutes Zeichen! Erich Wassicek gibt inzwischen seine Definition des nicht betrunkenen Gasts (jene, die man in der „Halbestadt“ als einzige sehen mag): „Das ist, wenn der Alkohol nicht die Kontrolle über Geist und Körper übernommen hat“. Na ja, für den Geist bürgt zumindest diese Niederschrift. Dem „Green Point“ zum Trotz, der in diesem Fall mit Mezcal statt Rye Whiskey meine Schritte beschleunigt.

Feinste Drinks im Halbestadt. Foto: Peter M. Mayr

Von der nächsten Station bleiben gerade zwei Zeilen hängen: Russin mit Stirnband und mein erster „Zombie“. Besagte Russinnen mit nicht nur deplatziertem, sondern grottenhässlichem weißen Stirnband lassen an Tante Cäcilia denken. Die hatte ein ähnliches Teil auf, wenn der Hund gefüttert wurde. Winters. Draußen. Doch die fröhlichen Mädels sitzen im tropischen Bambus-Ambiente der „Matiki“ in der Gardegasse. Zweitens – und für das Alko-Narrativ viel wertvoller – drückt mir Arik Vinnitsky meinen ersten „Zombie“-­Sammelpass in die Hand.

Von der Drink-Kathedrale der Halbestadt in die wilde Hawaii-Atmosphäre des Matiki in Wien 7. Arik Vinnitsky (Mitte) sorgt für den ersten Kleber auf des Grafen „Zombie-Pass“, während der Herausgeber kurz Pause macht. Wo ist Mayr? Ach ja, hinter der Kamera. Foto: Peter M. Mayr

„Zombie“-Time in der einzigen Tiki-Bar Wiens: Matiki. Foto: Peter M. Mayr

Den legendären Stark-Drink befeuern dreierlei Rums, darunter ein 74 %-iger Overproof. So will es das Rezept von Don the Beachcomber, dem die „Matiki“-­Brüder Matty und Arik folgen. Lichtbild-Mayr rechnet schnell den Alkoholgehalt aus – er kann das im Gegenteil zu mir noch im Kopf. Wir kommen auf 47 Volumsprozent. Der Sammelpass – für zehn „Zombies“ gibt es einen gratis – wird sich heute wohl nicht weiter füllen. „Grobkörnig, aber sehr stimmungsvoll“, meint Mayr noch zu einem Foto. Ich dachte, er meint meinen „Matiki“-Text. Klasse! Jetzt hör ich in Bar Nr. 3 bereits Stimmen.

Arik Vinnitsky mixt köstlichen Karibik-Flair im Matiki in Wien 7. Foto: Peter M. Mayr

Womit es sich gut trifft, dass man beim nächsten Stopp nicht umfallen kann im Lokal. Das „Prunkstück“ in der Bäckerstraße ist seit drei Wochen offen und hat in der Zeit gefühlt mehr Gäste gesehen als der Vorgänger „Kix“ in seinem letzten Betriebsjahr. Sentimental werden allerdings nur der Herausgeber und eine Frau in Blond, die mit ihrer streng blickenden Freundin von den alten Zeiten schwärmt. Ein oranger Farbklecks erinnert an die bunte Alt-Bar. Hat was von einem Mahnmal. „Holde Jugend“, sang irgendwer immer im Regional-­Programm. Rudolf Schock?

Die Notizen werden krakeliger, Popcorn schafft auch keine Basis mehr. Roland Graf will sich im Matiki nochmals auf seinen Artikel für den WIENER konzentrieren. Foto: Peter M. Mayr

Und danach: Total bsoffen, oder was? Da reißt es sogar Inspektor Clouseau im „Prunkstück“. Foto: Peter M. Mayr

Aber egal, gleich daneben sieht man an der Wand, wie die Bar in einem Jahr aussehen soll. Eine Galerie wird aufgedoppelt, würde ich „Natural Born Planlese-Depp“­ nach dem siebenten Cocktail meinen. „Sieht dann ein bisserl aus wie die „Eden Bar““, erkläre ich Barchef Daniel Schober quasi als Dank für seinen „Sage Rage“. Der hat im Stress der vollen Hütte bestimmt nur auf solche Weisheiten gewartet, schüttelt den Haarschopf und dann den nächsten Drink kalt. Mein Cocktail fährt ein, in diesem Fall positiv, denn der frische Salbei schärft die Sinne. Ich merke – eine halbe Stunde zu spät? –, dass Mayr weg ist. Er spricht aber nur eine Armlänge entfernt mit einer Frau, die er angeblich „aus dem Zirkus“ kennt. Vielleicht habe ich mir das aber nur eingebildet. Klingt lustig jedenfalls. Wien-Touristinnen – auch die unansehnlichen aus dem Ruhrgebiet – tragen offenbar jetzt alle Stirnbänder, ich dafür den Rausch im Gesicht.

Endstation der Bar-Runde: die Skybar. Foto: Peter M. Mayr

Die Skybar ist Heim unseres Montagsclubs WIENER Herrenrunde übrigens. See you there! Foto: Peter M. Mayr

Ort des Geschehens ist mittlerweile der „Steffl“-Lift, der uns dem nächsten Stark-Cocktail nahebringt. Hurra! Die „Skybar“ ist gesteckt voll. Wirre Gesten, Verzweiflungsschreie: Deutsche, leg das Stirnband endlich ab!!! „Warum magst nichts G’scheites trinken?“, zweifelt Heinz Kaiser an meinem „Long Island“-Wunsch. Sein Kompromiss ist noch heftiger. „Petrifier“ hat komischen Namen. Stein-irgendwas? Laut „Sky“-Mann: Sechs Schnaps von Cognac bis Wodka. Calvados oben, noch. Wilde Mischung. Persönlicher Berauschungsalarm: Führe Selbstgespräch vorm Klospiegel. Vorsicht! Und nicht vergessen: „Heinz hasste diese …“

[Nachbemerkung des WIENER-Herausgebers:]

Herr Graf hat sich im Vorspann nicht verzählt. Es waren sechs Bars: Wir waren noch in der „Loos-Bar“ – er hatte einen Gin Tonic und „Espresso Martini“ – aber das Schreiben fiel da offenbar schon zu schwer. Außer „Dick Bretzel (?) – Naomi; Salzburg; Radiologe“ war nichts mehr mit Sicherheit von ihm zu entziffern. Quod erat demonstrandum.

Die Drinks des Abends:
Der WIENER-Ziager im Detail

– „Sangrita“ als Shot (Mezcal & Mango-Avocado & Tomate), „Long Island Ice Tea“ in der „Sign Lounge“, Liechtensteinstraße, thesignlounge.at
– „The Vesper“ (fassgelagert), dazu „Martinez“ und ein „Green Point“ in der Halbestadt am Gürtel, halbestadt.at
– „Zombie“-Time war in der einzigen Tiki-Bar Wiens, dem „Matiki“ in der Gardegasse, matiki.at
In der Pop-up-Bar „Prunkstück“ (Bäckerstraße) der „Kleinod“-Crew gab es den Salbei-Drink „Sage Rage“, kleinod.wien
Den ultimativen „Petrifier“ servierte Heinz Kaiser in der famosen „Sky Bar“, Kärntner Straße, steffl-vienna.at/de/skybar
Gerüchteweise folgte auch noch ein Absacker in Form des „Espresso Martinis“ der Loos Bar im Kärntner Durchgang, loosbar.at

Pump up the Volume:
Wieviel Prozent Alk hat mein Cocktail?

Eines der größten Bar-Vorurteile gilt dem Alkoholgehalt von Cocktails. Denn der liegt so gut wie immer unter dem der Basis-Spirituose. Paulo Gomes vom „Red Frog“ in Lissabon ist einer der wenigen, der was dagegen tut – bei jedem Drink stehen die Prozent dabei. „Mitunter sind die Leute erstaunt“, so der Portugiese bei seinem Wien-Besuch, „dabei runden wir auf“. Selbst der kräftigste Drink hat nur 25% auf seiner Karte, die Mehrzahl hält bei 15%, die auch ein kräftiger Chardonnay mitbringen kann.
Berechnet wird der Gehalt übrigens, in dem Mann die Menge und die Prozente aller alkoholischer Bestandteile in Beziehung setzt. Ein Gin-Tonic mit 45%-iger Spirituose ergäbe zunächst den Reinalkohol (also: 0,45% x 0,05 Liter =0,0225). Wir mischen 1:3 mit Tonic und erhalten 11,25% Alkohol (0,0225 Alkohol durch 0,2 Liter Mix-Getränk= 0,1125. Letzteres wird in % umgewandelt).