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Als ich war

Eine Überdosis MDMA brachte mich vor sieben Jahren an das Ende alles Denkbaren. Von dort kam ich nie zur Gänze zurück. Ein Reise­bericht.

Text und Bild: Manfred Klimek

Einen Text über Drogen, über den Gebrauch von Drogen, die Wirkung von Drogen und das Beständige dieser Wirkung: So einen Text muss man nüchtern schreiben. Wann ist das? Wann ist nüchtern? Nüchtern ist, wie es das Spital vorschreibt, der frühe Morgen vor dem Frühstück. Zu dieser Zeit sind die Gedanken frei von einem Außen, einem Innen auch, von einer zweiten, dritten Stimme, die dem Text eine andere Richtung geben will. Der frühe Morgen ist mein einziger ganzheitlicher Moment am Tag, der Moment einer vereinten Identität, nach einem radikal unterbrochenen Schlaf. Da bin ich ein Ich. Fast ganz das Ich, das ich 2012 verloren habe.

Wie erzählt man von einem Erleben, das sich im Nachhinein als tatsächlich singulär herausstellt; ein Erleben, das auch andere, die die gleiche Droge nahmen, nicht gemacht haben: Personen, die viel geringer in dieses andere Sein eingetaucht sind, ein Sein, in dem das Ich verschwindet, der Mensch und all sein Erlebtes, seine Erinnerungen. Ist das der Tod? War ich tot? Die Ärzte im Berliner Klinikum, die diese Phase beaufsichtigten, sagten: Nein. Meine Ausschläge auf den Instrumenten, die das Hirn überwachten, schlugen ganz gegenteilig heftig aus. Ich war also „da“. Aber wo? Wo war ich? Und warum nahm ich mich wahr, ohne zu wissen, wer ich bin, was ich tue, ob ich liebe, hasse oder überhaupt lebe? Vor dieser Auslöschung, schon in einer Art Koma, erlebte ich einen Ritt durch das Unbeschreibliche. Und das ist so gemeint, wie es hier geschrieben steht: Es gibt dafür keine Worte, außer für die Bilder des Eintritts.

Die Droge war MDMA, ein Mittel gegen Schizophrenie, das auch heute noch verschrieben wird. MDMA, das außerhalb einer klinischen Therapie verboten ist, erlangte Berühmtheit, weil es gering dosiert auch in der Partydroge Ecstasy vorkommt. Ich jedoch hatte medizinisches MDMA eingenommen. Hoch dosiert. Zu hoch dosiert.

MDMA ist in geringer Dosis eine extrem befreiende Droge; eine Droge, die Leid und Schmerz verschwinden und die ein großes Ganzes erkennen lässt. Zudem: MDMA macht Liebe zur wirklichen Liebe. Nimmt man MDMA gemeinsam mit einem geliebten Partner ein, und lässt sich fallen, so ist das ein unbeschreibliches Glückserlebnis.

Nein, das ist keine Fürsprache für den legalen Konsum psychosozialer oder anderer Drogen. Ganz im Gegenteil rate ich – als einst ausufernder Drogenkonsument – von allen Drogen ab. Warum dann trotzdem drüber schreiben? Und warum jetzt, sieben Jahre nach meinem MDMA-Absturz? Die Antwort: Ich will darüber schreiben, weil seit etwa einem Jahr Berichte seriöser Forscher in Magazinen wie „Nature“ oder „Lancet“ erscheinen, die den Gebrauch psychosozialer Drogen zu therapeutischen Zwecken empfehlen. Manche Schilderung von Psychiatern, die sich selbst in das Erleben stürzten, erinnern mich stark an selbst Erlebtes. Ich beschloss, über mein Erleben auf MDMA zu schreiben, nachdem ich erkannte, mit meinem Erlebten doch nicht alleine zu sein, Miterlebende zu haben, die ebenfalls vom Auflösen des Ichs berichten. Das ist wie eine Erlösung. Man muss sich das so vorstellen, als ob man einen fremden Planeten entdeckt und bereist hätte und niemandem davon erzählen kann, weil keine und keiner mit den Schilderungen etwas anzufangen weiß.

© Manfred Klimek

Am 30.12.2011 nahm ich mit einer mir immer noch nahestehenden Person eine etwas größere Dosis in Wasser aufgelöster MDMA-Kristalle zu mir. Im Abklingen der Wirkung, in der man – das sollte man zwingend wissen – emotionell extrem verletzlich ist, wurde ich am 1.1.2012 einer Art „Schicksalsschlag“ ausgesetzt (es war weit weniger dramatisch, als es klingt), den ich gegen Abend des Tages, alleine zu Hause, mit einer weiteren, sehr hohen Dosis MDMA zu bekämpfen versuchte. Das war eindeutig das falsche Konzept.

Am 2.1.2012, gegen 4h früh, begann mein Hirn vollkommen abzudriften – überall Halluzinationen, die Realität war zunehmend schwerer als Realität festzumachen. Ich erkannte quasi im letzten Moment die prekäre Situation, verließ schnell meine Wohnung und ging zu Fuß durch den Schnee in die Klinik in Berlin-­Friedrichshain. Schon an den Vier-Kilometer-Marsch – seltsam, dass ich kein Taxi nahm – kann ich mich nicht erinnern.

Ich erkannte quasi im letzten Moment die prekäre Situation, verließ schnell meine Wohnung und ging zu Fuß durch den Schnee in die Klinik in Berlin-­Friedrichshain.

Im Krankenhaus wurde ich von fachkundigem Personal niedergespritzt. Doch ich war schon nicht mehr in der Wirklichkeit. Das Letzte, an das ich mich erinnern kann, sind die Worte des Arztes: „Sie werden jetzt eine Zeit lang weg sein.“ Ich ging durch einen hohen, kirchenähnlichen Raum, mit unzähligen kleinen Kanzeln. In diesen Kanzeln standen Personen, die mir im Leben viel bedeuteten. Alles war in dunkles, aber strahlendes Blau getaucht. Kein Licht mit Lichtquelle, sondern ein Schimmern. Und alles war Liebe. Das ging endlos. Tage? Wochen? Keine Ahnung. Ich kann nur sagen, dass die Zeit eine unfassbare Spanne hatte. Alles dauerte und geschah dennoch im gleichen Moment. Nach diesem endlosen Durchschreiten trat ich in einen Raum, der grell und weiß war, eine Schlachtbank, in der Menschen beider Geschlechter mit bloßem Oberkörper und in unterschiedlich karierten, eng anliegenden Hosen verkehrt an Haken aufgehängt wurden, bevor grau gekleidete Wärter ihnen die Kehle durchschnitten. Ich weiß nicht, wie viele Menschen vor meinen Augen ermordet wurden: Es mögen Tausende gewesen sein. Auffällig: Keine und keiner beklagte sein Schicksal, jammerte, weinte oder zeigte Angst. Das Grausame schien keinen Schrecken zu verursachen. Auch ich hatte keine Reaktion, fühlte nichts, obwohl ich knietief im Blut stand. Danach war ich plötzlich, ohne dorthin zu gehen, in einem grellweißen Raum auf ein Bett gefesselt und musste über Stunden die Bettdecke aufessen. Bis die nächste Bettdecke kam. Dieses Erleben war das Grauen pur, ich dachte ersticken zu müssen. Aber auf die mir selbst mehrmals gestellte Frage, wer ich bin und warum ich hier sei, konnte ich keine Antwort geben. Was folgte, waren andere Episoden des Grauens, aber auch des umfassenden Glücks: Episoden, die ich nicht näher beschreiben kann, weil sie bildlich nicht oder nicht mehr festmachbar sind. Zuletzt dann ein neuer, weiter Raum, hell, weiß und grell, der zwar Boden und Decke hatte, aber keine Wände, kein Ende nach jeder Richtung hin.

Dieses Erleben war das Grauen pur, ich dachte ersticken zu müssen.

Hier stellte ich mir noch einmal die Frage nach dem Selbst. Wer bin ich? Was mache ich? Wieso bin ich hier? Doch kein Erinnern. Das Körperliche war verschwunden: Obwohl ein Boden da war, stand ich nicht, war kein Körper in diesem weißen Raum und ich konnte erneut und wieder und wieder keine Antwort geben, wer ich bin. Das war seltsam, aber nicht beunruhigend. Zunehmend verschwanden dann auch Boden und Decke und es war nur mehr weiß. Ich bekam – auch das kann man nicht so sagen, aber auch nicht anders sagen – die Gewissheit, dass Raum und Zeit nicht existieren. Aber ich hätte zu diesem Zeitpunkt keinen Satz gehabt, das verbal festzumachen. Und obwohl sich alles auflöste, auch das Ich, obwohl das Denken verschwand und nur das Sein blieb, blieb ich immer ich. Die Persönlichkeit war ausgelöscht, aber trotzdem empfand ich mich nicht als Teil eines Gesamten oder in einem Gesamten verschwindend, sondern hatte eher das Empfinden, dass das Gesamte in mich einzog. Alles war Frieden. Einer der letzten Sätze, die ich dachte, als ich noch denken konnte, war: „Jetzt sterbe ich also.“ Was danach kam, weiß ich nicht mehr. Und dann wachte ich auf.

© Manfred Klimek

Ich wusste gleich, wo ich war: in der Klinik. Ich dachte, ich wäre Monate weggewesen, dabei waren es gerade drei Tage. So seltsam es klingen mag, aber man schickte mich schon nach wenigen Stunden wieder nach Hause. Mit der Auflage, den Psychiater des Spitals zu kontaktieren. Was ich auch tat. Wieder in meiner Wohnung angekommen, kam ich schlecht mit den Dasein zurecht, hatte enorme emotionale Ausbrüche, weinte, lachte, blieb verwirrt. In den Nächten kamen die Halluzinationen. Einmal war der Boden des Wohnzimmers verschwunden, dahinter das Weltall in schierer Größe – beängstigend und beglückend zugleich. Als ich das Licht anmachte, kam auch der Holzboden wieder zurück. Aber das dauerte. Ich war in diesen Momenten unfassbar fasziniert. Und ich redete mit mir selbst: „Unglaublich, dass das möglich ist.“ So blieb ich bei mir und wurde nicht wahnsinnig.

Die Halluzinationen vergingen und ich kam drauf, dass ich über zehn Tage lang zwar getrunken, aber nichts gegessen hatte. Zwei Monate später, 20 Kilo leichter, gingen auch die letzten kleinen Halluzinationen vorbei und das Leben erklärte sich. Ich war wieder „da“. Und ahnte, dass das nicht die ganze Wahrheit sein konnte.

Ich war in diesen Momenten unfassbar fasziniert. Und ich redete mit mir selbst: „Unglaublich, dass das möglich ist.“

Eines Nachts wachte ich nach einem Traum in einem Hotelbett auf. Und wusste erneut nicht, wie ich heiße, wer ich bin und was ich mache. In Panik knipste ich die Nachttischlampe an, wo meine Uhr und mein Kalender lagen. Es dauerte keine Sekunde und mir fiel alles wieder ein. Gut ein Jahr später, wir schreiben inzwischen 2014, geschah das Gleiche erneut: wieder Nacht, wieder Hotelbett. Doch diesmal ließ ich die Augen zu und strapazierte mein Hirn mit den Fragen nach Namen, Beruf, Beziehung und Dasein. Ich wusste, dass ich nur das Licht anmachen musste und sofort die Antwort bekäme. Aber ich wollte nicht. Ich wollte, dass meine Person von alleine in mein Bewusstsein zurückkehrt. Es dauerte mehr als fünf Minuten, bis mir das Wort „Fotograf“ einfiel. Danach war alles augenblicklich da. Aber diese fünf Minuten, in welchen ich von meinem Bewusstsein getrennt war, waren eine heftige, bewusst zugelassene, erschütternde Rückkehr in das ichlose Sein.

Ein Fazit? Ja, ich kann eines geben. Nichts ist heute so, wie es vor dem 2.1.2012 war. Ich habe die Angst vor dem Sterben verloren, vor dem Tod. Sie ist einfach weg. Und ich sehne mich nach dieser anderen Welt, in die ich bei luziden Träumen fragmentär zurückkehre. Es ist eine schwer erklärbare Sehnsucht. Aber sie ist da. Hat die Droge, die ja zur Bekämpfung von Schizophrenie eingesetzt wird, bei mir selber Schizophrenie ausgelöst? Ja, sagte der mich behandelnde Psychiater, als ich aus seiner Behandlung ging, weil es nichts mehr zu behandeln gab. Er sagte auch, sie wird bleiben, sie wird sich aber ändern. Und sie trägt bei mir keine Paranoia oder Aggressivität mit sich.

Sieben Jahre später, im Heute, kann ich sagen, dass es immer noch eine gewisse multiple Persönlichkeit gibt, die sich aber in keinem anderen Ich, keinem Jekyll, erkennbar macht. Und ich verliere zunehmend diese Multiplizität. Das ist auch so, als würde etwas in mir sterben und eine Lücke hinterlassen. Auch empfinde ich Einsamkeit, große, schöne Einsamkeit. Über das Erlebte schreiben zu können, bedeutet nicht, es auf- oder abarbeiten zu können. Es ist einfach da: dieses größte Ding in meinem Leben. Und der Tod wird mich entweder davon befreien oder mich zurück in den weißen Raum bringen. Wo es weder Boden noch Decke noch Wände gab; wo es kein ich gab und das denkende Selbst sich aufzulösen begann. Und wo es okay war.


Manfred Klimek
wurde 1962 in Wien geboren und stieß 1983 zum WIENER, zunächst als Fotograf. Seither ist der auch als Autor wie Weinkenner Ausgezeichnete dem WIENER wichtiger Kontributor, sei es als Bildkünstler, Kolumnist (Klimeks Gummizelle) oder auch scharfer Kritiker.


MDMA
Kurz für 3,4-Methylendioxy-N-ethylamphetamin, gehört zur Gruppe der Methylendioxyamphetamine. Unter dem Sammelbegriff „Ecstasy“ bekannt, wirkt MDMA im Zentralnervensystem als Ausschütter von Serotonin und Noradrenalin. Gesteigerte Euphorie und das Gefühl höchster Empathie verliehen MDMA auch den Begriff „Kuscheldroge“.