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Daddy oder Abschied vom Ego

Es wird ein Baby sein, und du wirst nicht mehr der wichtigste Mensch in deinem Leben sein. Ob du willst oder nicht.

STORY: Manfred Sax / ART: Ronald Konkolits

Es ist einer dieser Wo-warst-du-Momente, die jeder kennt. Du weißt, wo du warst, als 9/11 passierte. Wenn du Babyboomer bist, weißt du, wo du warst, als Neil Armstrong am Mond spazierte. Und wenn du Vater bist, ist dir der Moment, als dein Ich nicht mehr ganz auf deiner Seite war, klar in Erinnerung.

Möglich, dass du es ohnehin gespürt hast. Schon lange keinen Tampon gesehen, fällt dir ein, als sie dich ansteuert, mit Ein-falsches-Wort-und-ich-bring-dich-um-Miene im Gesicht und „Ich muss dir was sagen“ auf der Zunge. Vielleicht hat sie auch nur den Frühstückstisch abrupt Richtung Badezimmer verlassen, um sich hörbar zu erbrechen; dann kennst du ja den Drill: Dein innerer Superhero ist gefragt. Deine Göttin ist schwanger, und du wirst sie umarmen und herzen und dich als glücklichsten Mann des Planeten outen. Was natürlich kaum der Fall ist, tatsächlich stehst du im Begriff, den Boden unter den Beinen zu verlieren, noch während der Umarmung beginnst du, deine Träume abzuhaken, oh fuck, das war’s mit der Freiheit, du bist nicht mehr der wichtigste Mensch in deinem Leben und überhaupt, wer soll das bezahlen … nur muss das jetzt Nebensache sein, jetzt zählt nur die Göttin, in deren Leib ein Fremdkörper wächst, deswegen hat sie sich ja erbrochen.

Schwangerschaft also. Unglaublich, wie viele Gegenargumente dir einfallen, wenn es nur noch ein Dafür gibt. Verdammt, es wird ein Baby sein, so ein Dings, für das es noch kein Zimmer gibt. Es wird keiner Arbeit nachgehen und keine Miete zahlen, den nächsten Schiurlaub kannst du gleich mal stanzen, und aus Tokio 2020 wird wohl auch nichts. Das Baby wird von deiner Zeiteinteilung nichts halten, es wird wach sein, wenn du schlafen willst, und deinen Ansichten über Hygiene wird es was scheißen, wär ein Erwachsener so drauf, würdest du ihn aus der Wohnung schmeißen. Aber es ist ein Baby, nämlich dein Baby; die neue Nummer 1 im Haushalt.

Das Ominöse ist die Sache mit deiner Identität. Es passiert gerade was mit deinem Ego. Gestern noch warst du d’accord mit deiner Welt, du warst in Kontrolle, allen Hiobsbotschaften zum Trotz. Du hast gelesen, dass die Menschheit bis 2050 stirbt, und es war okay. 2050 wirst du nicht mehr leben, du musst deinen Lifestyle nicht ändern, dein Diesel-SUV ist safe, nach dir die Sintflut. Jetzt aber expandiert plötzlich dein Ego, um mindestens 30 Jahre. 2080 muss noch was los sein, dein Nachwuchs braucht eine Welt, also brauchst du eine Nachwelt. Als Daddy kannst du die Zukunft nicht mehr verdrängen, du willst dir nicht vorwerfen lassen, dass deine Generation den Planeten ruiniert hat, so, wie du deinen Eltern vorgeworfen hast, dass ihre Generation die Nazis hat passieren lassen. Das willst du nicht. Du brauchst einen positiven Spin, du brauchst Zukunft. Das ist die Natur des Biests, das man „Leben“ nennt.

Die Natur des Biests will, dass du nach deinem Tod weiterlebst. Tust du auch, flüstert dein Ich, das beginnt, wie ein Vater der Spezies Homo sapiens zu denken. Du lebst weiter, weil dein Nachwuchs 50 % deiner Gene hat, weil das Leben nicht einen subjektiven Sinn hat, sondern lediglich ein generelles Wesen, ausgestattet mit dem Motto „nur ned sterben“. Flüstert dein Ich, die plötzlich fremde Denkstelle, die nun ungefragt empathisch Anwandlungen hat und vom Baby besessen ist – für die Partnerin ein Fremdkörper, für die Beziehung eine Gefahr, für deinen Egoismus ein Ende. Braucht das Dings überhaupt einen Vater? Leider ja, weißt du, die Welt ist voll von schlechten Müttern und schlechten Vätern, und es sind offenbar nie die mutterlosen Kinder, die kriminell werden, sondern immer die vaterlosen. Der Gschrapp braucht einen Vater, nur: Was ist das eigentlich?

Welche Art Daddy bist du oder wirst du sein – ein Blede-Gschicht-Daddy mit Abhaufantasie, ein Scheidungsdaddy, ein Alleinerzieher (in späterer Zukunft eventuell mit Haushaltsroboter bestückt)? Ein Facebookdaddy, online immer „stolz“ auf das Kind, das er offline nie sieht? Letztlich ist das nicht deine Entscheidung. Sie wird dir abgenommen – vom Sex, der zur Schwangerschaft führte. Was war das? Eine besoffene Geschichte, ein One-Night-Stand mit geplatztem Kondom? Oder eher doch eine Unvergesslichkeit, die alle Vorsicht vergessen ließ? Egal. Das Dings braucht einen Vater, und das Problem ist, dass du keinen Tau hast, wie das geht.
Ein Rückblick wird fällig, auf deine Kindheit und deinen Vater. Das bringt wenig, er konnte nicht einmal Windeln wechseln. Aber es schafft immerhin die ominöse Erkenntnis, dass sich die Zeiten geändert haben. Zum Schlechteren. Trotz massiver technologischer und sozialer Vorteile ist der prospektive Vater schlimmer dran, um Lichtjahre schlimmer. Was ein Vater ist, jagt heute nach der Arbeit heimwärts, geht einkaufen und Kind(er) von irgendeiner Pflegestelle abholen und wird dann wohl auch noch kochen, weil die Kindesmutter noch arbeitet. Verblüffend. Angeblich war es mal so, dass Väter nach der Arbeit auf einen Drink gingen, ehe es heimwärts ging, wo schon das Dinner am Esstisch dampfte, gesäumt von einer Familie, die sich über die endliche Ankunft des Brotgebers sehenswert freute. In den vergangenen Dekaden ist offenbar was passiert, die Gesellschaft hat ein großartig funktionierendes Lifestyle-Modell ruiniert.

Deine Vaterwelt wird eine andere sein als deine Männerwelt, sie braucht andere Helden als deinen inneren James Bond, der hilft nicht weiter, der hat zwar ständig gebumst, aber nie die Rechnung kassiert. Überhaupt haben Superheroes nie Kinder. Aber Heldenmut brauchst du, Kinderkriegen ist kein Spiel, die Stimme des gegenwärtig dominanten Angsthasen in deinem Gemüt muss verstummen. Echte Vaterschaft ist was Heldenhaftes, das gelegentlich Spaß macht, meist aber einem Guerillakrieg ähnelt. Weil Kleinkinder wie surrende Küchenmixer sind, für die du keinen Deckel hast. Es hat keinen Sinn zu beteuern, dass man zu jung für Vaterschaft ist, das jammert ohnehin jeder Vater in spe, egal wie alt er ist. Ad hoc also gleich mal der Stand der biologischen Dinge: Das ideale Alter für Vaterschaft, sagt die Biologie, ist 32 oder früher, danach nimmt deine Fruchtbarkeit sukzessive ab. Der aktuell übliche Kinderwunsch („ja schon, nur halt später“) ist ein quasi programmiertes Auslaufmodell.

Das aktuelle Vater-Image ist allerdings beschissen, selbst gut gemeinte Ansätze werden verrissen. Schon den neuen Werbeclip für Volkswagens eGolf gesehen, mit dem Astronauten neben der Kinderwagen schiebenden Frau? Wahrscheinlich nicht, er wurde ja verboten – weil die zwei Menschen in stereotypischen Rollen gezeigt wurden. Es ist zwecklos, sich „draußen“ über Vaterschaft zu informieren, alles zu negativ. Tatsächlich kannst du nur morgens aufwachen und hoffen, dass du tagsüber nichts ruinierst. Und weil du alles Mögliche ruinieren kannst, ist vorbeugende Empathie angebracht, jenes Talent, das kraft der Schwangerschaft nun deinem altgewohnten Egoismus die Pole­position in der Denkstelle streitig macht. Es ist eine Überlebensstrategie. Du musst zumindest ahnen können, was mit der Geburt des Kindes auf dich zukommt. Sonst wirst du übermannt, bist nur eine Art Assistent der Kindesmutter, anstatt ein Vater zu sein. Du bist erfolgreich im Beruf, kannst aber keinen 4-Jährigen anziehen? Na eben.
Was also kommt mit dem Baby auf dich zu? Gewisse Dinge sind klar: schlaflose Nächte, Erschöpfung, im Bett eine Trennung von der Löffelstellung mit deiner Loverin, weil dazwischen nun das Dings liegt, die Mutter wollte es so, damit sie beim nächtlichen Stillen nicht aufstehen muss. Dann ein Hormonschwall, der dich zum bemühten Beschützer und Möchtegern-Rollenmodell stempelt – und jedenfalls zum Nestverteidiger. Jeder Schwanzträger ist dein potenzieller Rivale, insbesondere Arbeitskollegen der Loverin, die sich als Freunde ausgeben. Der Rest ist eine Frage von positivem Spin: In späteren Jahren kannst du beispielsweise dem Kind erklären, wie Steuern funktionieren, indem du 50 % seines Eislutschers isst. Du gibst Karrieregedanken auf, weil die Zeit mit Kindern viel abenteuerlicher ist, ehrlich! Du entdeckst, warum deine Beine behaart sind (weil Babys so gern dran zupfen). Du lernst die Kunst des vorgetäuschten Enthusiasmus, wenn das windellose Kind doch mal rechtzeitig am Topferl sitzt. Und derlei Knüller mehr. In aller Voraussicht wirst du trotz Mühe ein schlechter Vater sein, aber das Kind liebt dich trotzdem. Und wenn du dennoch eine etwas distante autoritäre Figur abgibst, so what? Dann beginnt das Kind wenigstens das Konzept von Gott zu verstehen.

Der wichtigste Baby-Ratschlag ist aber dieser: In den Monaten der Schwangerschaft musst du gar nichts machen, da ist auch noch diese zukünftige Milf in deinem Bett. Das können Monate sein, die dich mit dem Leben wenigstens versöhnen bzw vertöchtern. Jetzt oder nie. Wenn das Baby mal an der Frauenbrust klebt und uferlosen Service rund um die Uhr zur Selbstverständlichkeit macht, ist der Ofen aus. Aber jetzt: kein Verhütungsstress mehr, kein durch übereifriges Aufpassen verursachtes Ohren­sausen. Die werdende Mama ist eine Sexbombe, ihr Busen schwer wie nie zuvor, ihr Bauch greift sich sagenhaft an. Es ist die charmanteste Form von Liebe zu dritt. Zwei, die einander einschenken, und ein kleiner „Voyeur“, der nichts dagegen unternehmen kann, von einem Kick in den Muttermagen abgesehen. Carpe diem, Daddy. Und vergiss nicht: Wenn das Baby kommt, bist du dabei. Du wirst nicht irgendwo Gummibärli lutschen, während deine Göttin gebiert. Sie ist gerade Superheldin, aber während einer Geburt ist immer Platz für Helden. Vaterschaft ist ein Job für Helden, väterliche Identität ist wie die Sucht nach einer Droge, die deinen Lebensplan gnadenlos zerstört – und trotzdem stehst du drauf. So ist das mit Vaterschaft. Im Übrigen wirst du den Planeten retten. Warum? Weil dein Kind es so will, weil es Helden braucht, und Daddy seine erste Wahl ist. Männerherz, was willst du mehr …