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Von kiffenden Kurden und rauchenden Juden – Nachtasyl Tankstelle

So ein Tankstellen-Leben ist ein ewiges. Oder zumindest ein ununterbrochenes. Eine richtige Tankstelle sperrt auf, wenn die Handwerker fertig sind und sperrt zu, wenn die Bulldozer kommen, oder die Straße einfach geschlossen wird, weil es irgendwo eine schönere und schnellere Straße gibt. Sonst hat sie offen. 365 Tage im Jahre und 24 Stunden pro Tag. Manche sogar länger! Schwule Tankstellen mit Ruhezeiten meide ich wo ich kann, weil sie mir nichts bedeuten und nie etwas bedeuten werden. Ich brauche dieses Wissen, wenn ich spät Nacht schlafen gehe, dass mich von einer Packung Popcorn, einem kleinen Braunen, einem Strauß Blumen und einem 5 Liter Premium Autoshampoo (mit dem Duft grüner Zitronen) nicht mehr trennt, als eine Fahrt von 4.2km (12 Minuten – Schnellste Route trotz üblicher Verkehrslage).

Ja, ich habe eine Warnweste. Griffbereit. Und ich glaube, ich habe ganz sicher ein Pannendreieck und einen Verbandskasten im Kofferraum. Eventuell habe ich auch zwei Verbandskästen und kein Pannendreieck, aber ich hoffe das gilt so auch. Und ich habe ein langärmeliges Tankstellen-Hemd aus mittelwarmen Stoff. Ich brauche das wegen diesen vermaledeiten Klimaanlagen. Diese stürzenden Attacken von beißender Kaltluft, die einem das Leben aus dem Körper rauben. Einmal hatte ich mein Tankstellen-Hemd vergessen und bin mit der Warnweste eingekehrt auf eine schnelle Melange und ein halbes Päckchen MANNER-Schnitten. Da haben mich alle so angeschaut. Noch mehr geschaut, als sie sonst auch schauen.

Ich kenne sie alle und wir kennen uns. Wir verlorenen Seelen von der Tankstelle haben eine Art wechselseitigen Respekt und wir teilen dieses Gefühl der Dankbarkeit. Ich kenne den einbeinigen Junkie, der sich neuerdings die Haare kastanienbraun färbt. Das unterstreicht die aristokratische Blässe seines Gesichts, schlägt sich andererseits ein wenig mit dem kalten Grau der Krücken. Im Winter, wenn das Methadon mal nicht genug zu wärmen scheint, kommt er mit einer grasgrünen Gießkanne auf ein paar Liter Heizöl. Im Sommer holt er sich eher einen Doppler Weißer Musketier. Wir grüßen uns inzwischen und er hat jetzt eine Freundin und ich nicht und das will ich ändern. Deswegen fange ich jetzt auch mit Heroin an, oder ich färbe mir zumindest die Haare Kastanienbraun. Bin noch am Überlegen.

Ich kenne die drei Juden, die bei jedem Wetter rauchend draußen stehen und russisch sprechen. Manche Krone-Leser gehen mit gesenktem Blick vorbei, weil sie sich doch so vor Tschetschenen fürchten. Dabei fahren Tschetschenen niemals so Familien-Kombis, die fahren sportlichere Modelle, oder eventuell diese fetten Mercedes-Busse mit den ultragetönten Scheiben. Wo war ich stehen geblieben? Ja, bei den rauchenden Juden. Also wenn sie auf Tankstellen rauchende Männer mit komischen Bärten sehen, die russisch sprechen, fürchten sie sich nicht und stellen sich einfach auf eine Zigarette dazu. Und zu den Tschetschenen mit den getönten Scheiben. Keine Ahnung, ob es bei denen immer so grell sonnig ist. Jedenfalls liebt der Tschetschene an sich dunkel getönte Scheiben so sehr. Wenn man ihnen beim Pickerl erlauben würde auch die Frontscheibe extradunkel zu tönen, würden sie das sofort tun und dann gäbe es bald auch deutlich weniger. Zumindest auf den Straßen, wenn man das politisch will. Ich will das natürlich nicht.

Ich mag sie alle. Den kurdischen Tankstellenwärter, der ständig ins Büro geht und einen Duft verströmt, wie am Strand von Jamaica an einem warmen Sommerabend. Ich mag die strenge Serbin mit dem entschlossenen Lidstrich und den weißblond gefärbten Haaren. Ich mag die herzliche Kroatin, die der chronisch verwirrten Mindestpensionistin erlaubt ihren kleinen Malteser am Arm zu tragen, wenn sie sich ihre Leberkässemmel holt. Der kiffende Kurde ist da viel strenger. Ich mag den österreichischen Trinker mit den Hooligan Tattoos, weil er ein netter Nazi ist, und ich sitze da am besten Platz aller Plätze und beobachte alles. Einmal gab es ein Gerangel zwischen einem persischen und einem schwarzafrikanischen Taxifahrer, weil der Perser dem Schwarzafrikaner gesagt hatte, er solle nicht am Behindertenparkplatz parken, aber der war das gar nicht, sondern ein Freund vom trinkenden Hooligan und dann waren beide still und das war doch angenehm, wie ich zugeben muss.

Kürzlich lernte ich eine Frau kennen. Beim Obstregal. Dort zwischen Schokolade- Keks und Chips, wo in einem Korb mit Holzwolle die paar Äpfel und Bananen liegen. Wir haben kurz gesprochen, aber ich war zu schüchtern, obwohl sie irgendwie interessiert wirkte. Ich hatte so gute Ideen, was ich hätte sagen können, aber da war sie schon weg. Früher hatte ich immer so abgewetzte Tankstellen- Hemden mit eingerissenen Ärmeln und Flecken von Olivenöl, die nicht mehr raus gehen seit Jahren. Jetzt habe ich ein schickes Flanellhemd dabei, falls ich sie wieder treffe. Drücken Sie mir bitte die Daumen.

Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde und sich an nichts weiter erinnern kann, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Seit sechs Monaten auf den Straßen Wiens unterwegs. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.