AKUT

Speed in Air

Zeit für einen Text über Empo­werment von Frauen. Bevor jetzt alle umblättern: Es geht um Niki Lauda!

Vor einigen Monaten bekam ich einen Anruf von einem Freund, der mir die ehrlich gemeinte Frage stellte, wie genau er sich als Mann in diesem Wann-ist-es-Belästigung-und-wann-ist-es-Flirt- Dschungel auskennen sollte. Ich gab’ ihm die ehrlich gemeinte Antwort, dass jemand, der nicht mitbekommt, dass der andere etwas nicht will, schlicht ein Arschloch ist. Und er erwiderte ehrlich, er hätte im Nachhinein und leider zu spät manchmal das Gefühl gehabt, dass die Frauen sich gegen unliebsame Bratereien nicht gewehrt haben, obwohl sie nicht mehr wollten. Ihm wäre da ein beherztes Nein lieber gewesen, weil Trottel gibt es halt auch und in diesem Fall war er einer. Überhaupt, was könnte er denn tun, damit sich da irgendwas ändert, er als Mann? Ich wusste damals nicht viel zu entgegnen, außer dass er achtsam sein sollte.

Dann kam der Tag, an dem ich erfuhr, dass Niki Lauda gestorben war. Ich kannte ihn nicht wirklich. Dennoch, mir fiel auf, er hat mich auf eine gewisse Weise geprägt. Anfang der 90er-Jahre, ich war sehr jung, verdiente ich mein Geld neben dem Studium als Kellnerin in einem Restaurant im Haashaus, gleich am Stephansplatz in Wien. Wir hatten kurze Röcke, recht durchsichtige Blusen und pumpsartige Schuhe zu tragen, was weh tat, zum Beispiel nach einem 12-Stunden-Dienst. Dort war ein Marmorboden. Niki Lauda war oft zu Gast. Er sah kaum auf, wenn man an den Tisch kam. Er bestellte meist Spargelsuppe ohne Spargelstücke. Immer waren illustre Leute an seinem Tisch. Manche von ihnen gehörten zu der Sorte, die uns, wenn sie betrunken genug waren, bis ins Personalklo verfolgten, um zu „flirten“. Verlegen grinsend sperrte man sich ein oder flüchtete sonstwohin. Ich wiederhole: Ich war sehr jung, meine konservativbürgerliche Erziehung, die mit der Mann/Frau-Hierarchie, saß mir völlig unreflektiert im Rückenmark. Eines Mittags war er wieder da, mit ein paar Geschäftsmännern. Ich fragte nach ihrer Bestellung. Niki Lauda sah diesmal ganz kurz auf, dann gleich wieder weg und sagte: „Spargelsuppe. Sie haben zwei unterschiedlich große Pupillen.“ Das war insofern erstaunlich, weil er an mir so blitzschnell ein kleines, doch markantes Detail bemerkt und es ungeschnörkelt und trocken zum Aus­druck brachte, es war ihm gerade noch wichtig genug, um es anzumerken. Deswegen war er wohl auch ein guter Kommentator. Ab dem Zeitpunkt duzte er mich. Ich siezte ihn respektvoll weiter. Weil ich war ja sehr jung. Später schickte sich einer seiner Tischkumpanen wieder an, mir hinterherzutorkeln, um zu braten. Niki Lauda zischte ihn an: „Lass sie.“ Es klingt wohl recht unrühmlich, aber erst da war der Moment, in dem es mich gruselte, dass das jemand anderer für mich sagen musste. Da erst hatte ich das Awakening, dass man selber sagen könnte: „Lass mich“ und zwar noch bevor man sich wirklich fürchtete. Ich war aber auch – ich erwähnte es – sehr jung.

Irgendwann kam mein letzter Arbeitstag. Ich hatte gekündigt (eine ganz andere Geschichte – ein chinesischer Milliardär wollte mich gegen ein dickes Kuvert in ein Hotel locken – ich wollte nicht – die Restaurantleitung meinte, ich solle mich nicht so anstellen – verdammt, ich werde nie erfahren, was in dem Kuvert war) – also an meinem letzten Tag verabschiedete ich mich auch von Niki Lauda. Und er sagte, ohne aufzusehen, es sei gut dass ich gehe, meine Dienst­botenzeit wäre nun hoffentlich für immer vorbei. Ich sag’s wieder ungern, aber auch das war dann der Moment, in dem ich feststellte, dass das eigentlich der Fall sein könnte. Ich kann nicht sagen, ob Niki Lauda ein Feminist war, aber er war ein interessanter Mensch, diesbezüglich. Intuitiv fair.

Ich habe nun meinen Freund angerufen. Ich sagte ihm, was er tun könnte als Mann, außer niemanden vorsätzlich zu belästigen, ist, Frauen ehrlich zu achten. Das hat nichts mit Erhöhung zu tun. Seine Tochter darin zu bestärken, selbstverständlich keine Liebesdienste tun zu müssen, um zu gelten. Psychische nicht, physische nicht. Dass die Augenhöhe das Ziel sein muss. Hineinzugrätschen, wenn unter einem Artikel über Politikerinnen jemand postet, jetzt wäre keine Zeit für Experimente. Fraueninitiativen zu unterstützen. Und Frauen ausreden zu lassen, das wäre auch mal gut. So für den Anfang. Mein Freund traute sich dann nicht zu antworten, weil er nicht wusste, wann mein Vortrag zu Ende war. Sehr guter Schüler, mein Freund.

Speed in Air, Niki Lauda.

Heidi List
Wenn sie nicht liest oder Musik hört, arbeitet die zweifache ­Mutter selbstständig als Kommunikationsmanagerin und freie Autorin.