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Neid – Die hippe Todsünde

Die Tools des vergangenen Jahrzehntes haben das spaßbefreiteste Hauptlaster, das längst in der „Tut man nicht“-Lade vor sich hin staubte, wieder hochgehypt. Wie kriegen wir die Lade wieder zu? Oder hat Neid auch etwas Gutes?

Text: Franz J. Sauer / Foto: Getty Images

Der Experte zerlegt den Neid ja gleich in mehrere Partikel. In Neid und Missgunst etwa. Ersteres beschreibt den Zustand, wenn ich es mir fäule, dass ich keinen so tollen Sportwagen habe wie mein Nachbar, funktioniert also reflexiv. Und Missgunst ist, wenn ich mir wünsche, dass es ihn mit dem Kräubl um den nächsten Baum wickelt. Ein Bild, das mir, wenn ich so ­veranlagt bin, vermutlich Freude bereitet. Ich grinse dann also ­hämisch aus dem Fenster. Was im Gegensatz zum nur neidischen Blick doch Spaß macht. Aber heißt das schon, dass Neid auch seine guten Seiten hat?

Fest steht: Gerade jenes der sieben Hauptlaster Hochmut, Geiz, Wollust, Zorn, Völlerei, Faulheit und eben Neid, das man im gesellschaftlichen Konsens längst als „Pfui!“ punziert hatte und sich ­daher, wenn überhaupt, nur ­geheim gönnte, ist plötzlich wieder ziemlich en vogue. Facebook und Co erlauben es dem Selbstdarsteller von Welt, mit einfachsten Mitteln und vor allem zensurfrei seine eigene Lebensrealität hemmungslos aufzupimpen, auf dass allen anderen gar nichts anderes übrig bleibt, als fest zu neiden. Sogar ein eigenes Berufsbild entstand daraus: jenes der Influencer. Eine Kohorte von Netz-Menschen, die ohne Neid keine Existenzgrundlage hätten. Und deren Beste es auf wundersame Weise schaffen, den von ihnen provozierten Neid in Sehnsucht zu verwandeln. Missgunst? Fehlanzeige. Höchstens bei anderen Medienarbeitern, denen die entsprechend umgeleiteten Marketingbudgets der Werbetreibenden nun schmerzlich abgehen.

Den Neid und die damit nicht unverwandte Eifersucht bezeichnet schon Nietzsche als „Schamteile der menschlichen Seele“. Folglich ist das alltägliche Geschäft von Medien, speziell von jenen der schmierigen Sorte, schon per Definition wenig tugendhaft. Wenn etwa von Gratiszeitungen zum Kapitalverbrechen hochgejazzt wird, dass der ehemalige SP-Geschäftsführer sein Bürozeug mit einem 20 Jahre alten Porsche abholt, zielt das einzig auf niederste Instinkte ab. Und wenn das Gehalt eines Vorstandes, der aus rein partei­politischen Gründen seinen Platz räumen musste, mit Argumenten wie „Ein normaler Mensch verdient in 100 Jahren nicht so viel wie der!“ in die Wucherecke gedisst wird, zeigt der öffentlich inszenierte Neid seine hässlichste verfügbare Fratze: jene nämlich, die sich als Gerechtigkeitssinn ausgibt. Und folglich Extreme triggert. Plötzlich wabert romantische Sehnsucht nach dem guten, alten Kommunismus durchs Netz, freilich unter rechtschaffener Ausblendung realsozialistischen Ungemachs (nicht minder lähmend: die „Es war nicht alles schlecht“-­Sermone der ewiggestrigen Nationalen). Als Verstärker dient hier behände, dass jeder via Social Media seine Meinung zu allem kundtun kann, ohne das ihn jemand dafür zur Verantwortung zieht. Und wenn ein einfacher Farmer aus irgendeinem Flyover-Staat der USA auch dann noch Trump-Fan bleibt, wenn ihm dieser per Twitter sinngemäß ausrichten lässt, früher wäre es einfacher gewesen, zu Geld zu kommen, weshalb er eben jetzt Präsident geworden sei, dann ist der gute Mann zumindest eines: frei von Neid.

Aber macht ihn das wirklich zu einem besseren Menschen?

Trottel bleibt Trottel, könnte man hier nun trefflich entgegnen. Dabei sind die größten Deppen normal die größten Neidhammel. Bloß fährt hier oft eine seltsame Bewunderung der Obrigkeit dem Neid in die Parade. Bruno Kreisky etwa trug Maßanzüge und fuhr Zwölfzylinder-Jaguar, noch dazu von der Partei bezahlt. Neidete ihm das irgendwer, außer einer Handvoll Netznerds, die schließlich meinen, auch der gute Bruno sei ja eigentlich kein Sozialdemokrat gewesen? Trump versus Kreisky ist freilich ein arger Vergleich, will man gut und böse trennen. Der eine hat schließlich Österreich modernisiert und der andere … ja, was hat der eigentlich so richtig Böses angestellt bislang? Außer den kleinen Kim vorläufig ruhiggestellt, das Verhältnis zu Russland zumindest von Kriegsgefahr auf argwöhnische Belauerung reduziert und sich mit China wirtschaftlich angelegt, was die ­weltweite Flutung mit dort pro­duziertem Billigzeugs zumindest ansatzweise einschränkt? Ist der allgegenwärtige Trump-Hass, fleißig verstärkt von allerlei Intelligenzia, am Ende doch auch nur Neid? Auf die endgültigste Ausformung des viel propagierten American Dreams? Oder, noch viel archaischer: auf rund drei Milliarden Dollar Vermögen? Den Trump-­Tower? Auf Mar-a-Lago? Auf die fesche Melania? Auf die fesche ­Melania in Mar-a-Lago?

Lass ma das. So kommen wir nicht weiter. Widmen wir uns eher der geschichtlichen Neid-Komponente. Womit man unweigerlich bei Kain und Abel landet, den Söhnen des Adam. Kain grub am Feld, Abel hirtete Schafe, beide erbrachten dem lieben Gott brav Opfer, wobei das Tier des Abel dem Chef besser gefiel als das Korn des Kain. Dieser neidete also dem Abel das Mehr an Zuneigung Gottes und erschlug den jungen Bruder kurzerhand. Diesen ersten Neidmord der Geschichte goutierte der Aller­heiligste zwar keineswegs, aber er brauchte schließlich einen der beiden Racker für seine Pläne mit der Nachkommenschaft, Menschheit und so. Also verstieß er ihn bloß, stattete ihn aber doch noch mit dem Kainsmal aus, auf dass man ihn gleich als einen der seinen identifizieren könne, wenn’s hart auf hart käme. Eine Beigabe, um die der gute Kain sicherlich von zahlreichen Mitmenschen heftigst beneidet worden wäre – hätte es denn schon welche gegeben. Und die Moral von der Geschichte: Neid bleibt letztlich unbestraft. Zwar Todsünde, aber folgenlos, ­gewissermaßen.

Die Psychiatrie ordnet das Phänomen Neid dem Krankheitsbild des Narzissmus unter, zur besseren Unterscheidung eingeteilt in weißen (guten) und schwarzen (bösen) Neid. Neurowissenschaftliche Versuche verorten Neid in einem Teilbereich des anterioren cingulären Kortex (ACC), einer Region im vorderen Bereich der Hirnrinde also, wo sich generell gerne negative Emotionen tummeln. Bei Schadenfreude wurde im selben MRT-Test erhöhter Blutfluss im Striatum gemessen. Also dort, wo sich – erraten – Belohnungsreize aufbauen. Müßig, zu erwähnen, dass die größten Neidhammel besonders schadenfroh waren (Quelle: Theodor Schaarschmidt, „Die Kirschen in Nachbars Garten“, erschienen auf spektrum.de). Anders gesagt: Während leichter, weißer Neid uns im besten Fall motiviert und positiv über uns hinauswachsen lässt, funkt böser, schwarzer Neid erst dann ein Erfolgserlebnis ans Stammhirn, wenn es den Beneideten so richtig aufpeppelt. Die gesamte Versuchsanordnung dauert bis zu deren positivem Ergebnis allerdings länger, braucht daher auch mehr Energie. Merke daher: Es ist durchaus anstrengend, so richtig leidenschaftlich neidisch zu sein.

Sobald nun Geld, Macht oder Politik im Spiel sind, wird Neid – und zwar in seiner schwärzesten Form – zur Triebfeder. Nämlich für Taten und Aktionen, die man, kämen sie vom jeweiligen Gegenüber strikt verurteilen würde. Überhaupt gehört es zum Tagesgeschäft im Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition, eher den Fortschritt des anderen zu neiden, und sei er noch so nützlich für das große Ganze. Diese Mechanismen sind seit Jahren so eingelaufen, dass man sich ein Miteinander politischer Widersacher gar nicht mehr vorstellen kann. Konsens verkauft viel schlechter als Dissens, und sogenannte „Spindoktoren“ verkaufen das Gezänk dann als „geschärftes Profil“, Kiebitze nächtlicher „Im Zentrum“-Sendungen, vor allem in Wahlkampfzeiten, können ein Lied davon singen. Was dabei zumeist außer Acht bleibt ist: Neid macht berechenbar, schränkt den Handlungsspielraum beim Reagieren ein. Woraus sich der Schluss ziehen lässt: Neid ist unkreativ und lähmend, eignet sich proper als Sand im Getriebe. Und führt im besten Fall zu faulen Kompromissen. Jener Form der Einigung also, bei der keiner kriegt, was er wirklich haben wollte.

Fassen wir zusammen: Neid gibt es seit der frühesten Genesis, glaubt man der katholischen Menschheitsgeschichte. Wenn er schon keinen Spaß macht, dann wird man dafür auch nicht wirklich bestraft, was ihn zu einer recht billigen Emotion macht. Das wiederum erklärt die Beliebtheit des berechnenden Neides in fast jedem Lebensbereich, in dem es kräftig menschelt. Richtig anstrengend wird es erst, wenn man versucht, Neid zu überwinden – eine These in der sich seltsamerweise Psychoanalytik, Neurowissenschaft, Philosophie und Soziologie einig sind. Wenn ich meinen Neid auf die Errungenschaften eines Mitmenschen abstellen will, hilft einzig, mir ­eigene Ziele zu stecken, die auch gerne niedriger leveln als die Vorgaben der anderen. Denkt man dieses Neidbewältigungsmantra zu Ende, beginnt man irgendwann damit, seinem Nächsten den besseren Wagen, das größere Haus, die feschere Frau zu gönnen. Und dann sprudelt’s so richtig im Striatum, sagt die Neurowissenschaft.

Wem die Gönnung als Gegengift zum Neid hingegen zu „Moneyboy“ ist, dem sei abschließend ein netter Aphorismus des deutschen Physikers und Denkers Hans-Jürgen Quadbeck-Seeger ans Herz gelegt: „Neid ist Motivation im Rückwärtsgang.“ Kann man also machen. Bringt aber nix.