AKUT

Rechts? Geht auch richtig!

Warum Rechts sein o. k. ist. Warum Rechts sein nichts mit Rechtsextremismus zu tun hat. Warum wir echte rechte Parteien brauchen. Und warum die Linke am Abgrund steht.

Text: Manfred Klimek / Fotos: Maximilian Lottmann

Prolog: Kein kluger Demokrat
London, Herbst 1998. Es ist die Zeit des „New Socialism“, den Tony Blair der Labour Party verordnet hat, und in Deutschland bilden Sozialdemokraten und Grüne die erste rot-grüne Koalition Europas. Überall am Kontinent herrscht der Mainstream des Wohlfühlsozialismus, der islamische Terror sendet kaum noch Botschaften, und die akademische Linke ist noch nicht ins Irrationale der „zweiundsechzig Geschlechter“ abgedriftet – das Binnen-I noch unbekannt.

Ich sitze bei einer Veranstaltung, bei der ich eigentlich nichts verloren habe. Im „Mises Club“, einem Treffpunkt rechtsliberaler Jour­nalisten, Ökonomen und Politiker, wird über die Zukunft der Rechten diskutiert, die dieser Tage weit ­davon entfernt scheint, je wieder eine Regierung bilden zu können.

Der Mises Club ist nach Ludwig Heinrich Edler von Mises benannt, einem österreichischen Nationalökonomen, der ultraliberale Grundsätze vertrat. Linkspopulistisch – und dafür bin ich anfällig – könnte man Mises als Sozialstaat-­Hasser und Sozialdarwinisten festmachen. Es ist freilich etwas komplexer – aber wer will noch differenzieren?

Halten wir uns nicht zu lange mit Mises auf, er spielt hier keine Rolle. Eine Rolle aber spielen jene Personen, die an diesem Tag bei dieser Veranstaltung anwesend sind. Ihnen allen ist eines gemeinsam: die strikte Ablehnung jeglichen linken Gedankenguts. Ich bin, wie gesagt, Zufallsgast. Und als Linker eingeführt. Soll heißen: Bei all der mir entgegengebrachten Freundlichkeit schlägt mir und meinen Ausführungen offene ­Ablehnung entgegen.

Als ein Journalist der „Times“ eine besonders rechte Rede schwingt – er plädierte für die Verschärfung des Strafrechts für Drogenhändler, für die Verfolgung von Drogenkonsumenten wie auch dafür, dass eine lebenslänglich Haftstrafe grundsätzlich eine solche bedeuten solle –, da falle ich ihm ins Wort und schreie (was in Londoner Clubs selten gut rüberkommt): „What comes next? Reinstallation of the death ­penalty? Death by hanging?“

Schweigen.

Wäre das eine linke Runde, und ich fiele mit einer unorthodoxen Position auf, so wäre ich jetzt niedergeschrien worden – Linke haben es gerne laut. Hier aber hält man ein paar Sekunden inne, um dann den in seinen Ausführungen von mir unterbrochenen „Times“-Journalisten antworten zu lassen. Dieser sieht mich streng an und erläutert, dass seine Forderungen nicht gleichbedeutend einer Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe sind, dass die ­Todesstrafe ein Unding sei und nicht zur Debatte ­stehe und auch, dass kluge Demokraten den Unterschied zwischen Forderungen der Rechten und Forderungen von rechts außen (und damit war nicht rechtsextrem gemeint) kennen würden.
Ich bin also kein „kluger Demokrat“ an diesem Herbsttag 1998. Danach wurde ich einer.

Eins: Rechts ist o. k.
Angela Merkel und Sebastian Kurz haben eines gemeinsam: Sie definieren sich als Politiker der Mitte, obwohl beide einst eindeutig rechten Parteien vorstehen. Das schwammige Konzept der Mitte haben sie von den erneuerten Sozialdemokraten übernommen, die Mitte der Neunzigerjahre nach dem Fall des miefenden Kommunismus eine neue sozialdemokratische Ära einleiten wollten. Dass sie damit derart krachend gescheitert sind, liegt vor allem daran, dass sie ihre einst so stolzen und unabhängigen Parteien dem Finanzmarkt auslieferten. Man muss das freilich verstehen: Auch die Sozenpolitiker wollten ungeniert so leben wie die Journalisten, Start-upler und Werbefuzzis, die der Sozialdemokratie nahestanden und sich selbst in einer Art Beschwichtigung „linksliberal“ nannten, das damals taten. Kein Journalist vor 1990 nannte sich je linksliberal.

Nachdem die Champagnerlinke aufgrund des Verrats an ihrer Stammklientel (in Deutschland etwa die Hartz-IV-Verordnungen von 2003/04) den Abgang machte, übernahmen die meisten wert­konservativen Parteien in Europa das „System Mitte“ – selbst die traditionell sehr rechten britischen Tories drifteten dorthin. It was the Zeitgeist, stupid.
Was für ein Fehler! Denn das, was kurzfristig Wählerstimmen holen konnte, führt heute zur Erosion dieser Parteien. Menschen, die Heimat, Nation oder Recht & Ordnung für richtig hielten und halten, wanderten und wandern scharenweise zu so genannten rechtspopulistischen Parteien ab (die natürlich meist rechtsextreme Parteien sind), wo sie auf enttäuschte ehemalige Parteigänger der Sozialdemokratie trafen und treffen. Diese ganzen neuen rechtsextremen Bewegungen sind letztlich nichts mehr als ein ­Haufen Entwurzelter, die glauben, der Bodensatz Nazis würde ihre Wünsche bedienen. Weit gefehlt.

Was fehlt ist eine konservative, rechte Partei. So eine, wie Frankreichs Gaullisten früher waren oder die Tories unter Thatcher. So eine, wie die CDU unter Kohl eine war und die ÖVP zuletzt unter Mock. Eine Partei mit strikt konservativen Werten, der Wirtschaft zugewandt, dem Neoliberalismus aber nicht hörig. Eine Partei, die Heimat und Tradition voranstellt, die christliche Werte tatsächlich vertritt, die Kirche dabei im Dorf lässt und sie nicht in die Parlamente zurückbringt (wie das gerade in Polen geschieht). Eine Partei, die den Rechtsstaat und die Verfassung achtet und – trotz strikter Verteidigung ihrer Werte – mit dem politischen Gegner in Dialog tritt. Damit beide Welten wieder Unterschiede haben; damit beide Welten wieder ihr Ding hegen und pflegen können.

Man kann einwenden, dass das Humbug ist, weil die alte Welt der Parteien untergegangen ist. Das scheint, wenn man in der Stadt lebt, tatsächlich so. Aber am Land sieht das völlig anders aus. Und wer bemerkt, dass die Rechtsex­tremen gerade mit den Werten des Autochthonen ihre Wähler im Jetzt abholen, der weiß, dass die viel verbreitete Werteverschiebung derart nicht stattgefunden hat.

Wahr aber auch: Viele verinnerlichte linke Positionen können rechte Parteien nicht mehr abstreifen. Wer gegen Homosexuelle hetzt, wer Juden bedrohlich findet (was in konservativen Parteien noch vor 30 Jahren nicht zwingend eine Minderheitenposition darstellte), wer Frauenrechte wieder beschneiden will, der ist bei Rechtspopulisten, Rechtsextremen und den fälschlicherweise als ­konservativ bezeichneten, rechten Regierungsparteien in Polen und Ungarn gut aufgehoben. Mit der demokratischen Rechten, die den Linken als Sparringpartner abgeht, hat das alles nichts zu tun. Rechtssein, das kann o. k. sein. Rechtssein heißt nicht, Nazi zu sein.

Sebastian Kurz erscheint den europäischen Rechten wie eine Engelsgestalt. Dabei ist sein Kabinett (und er selbst) von intellektuellen Defiziten gezeichnet. Kurz geht es ausschließlich um den Machterhalt; er sieht sich als Gestalter, ist aber nur Dünnbrettbohrer des Verwaltens, und wenn seine Migrationsverhinderer-Erzählung erst mal auserzählt ist (wonach es gerade nicht aussieht), wird sich herausstellen, dass Kurz tatsächlich die Mitte ist. Die Mitte von nichts. Der einzige wirklich amtierende aufrechte Rechte dieser Tage ist der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte.

Zwei: Wie der Journalismus, die Politik und … ach was, wie überhaupt alle versagt haben
It’s the wording, stupid. Und der zum Stupiden verkommende Begriff Narrativ. Die sich selbst meist als links- oder selten als rechtsliberal sehenden Journalisten haben den Begriff „rechts“ in den letzten zwanzig Jahren als rechtsextrem gebrandmarkt.

Das führte dazu, dass – etwa in Österreich – rechte Kommentatoren wie Christian Ortner oder Andreas Unterberger als rechts außen bis rechtsextrem fest­gemacht werden. Man kann die Schreibe der beiden Journalisten (und anderer) als unappetitlich empfinden: Rechts außen oder rechtsextrem sind beide Autoren (und andere ihrer Ausrichtung) aber noch lange nicht. Weder Ortner noch Unterberger wollen die Demokratie beseitigen, die FPÖ und die AfD wollen dies aber schon.

Das führte auch dazu, dass selbstverliebte ehe­malige linke deutsche Autorinnen und Autoren wie Henryk Broder oder Cora Stephan ohne Scham mit der AfD flirten, dass journalistische Plattformen wie die einst so gute „Achse des Guten“ hin zu einer Spielwiese intellektueller Rechts-außen-Spinner ­mutierten. Aufrecht anständiger, rechter Journalismus findet in Deutschland nicht mal mehr bei den Springer-Medien statt. Am ehesten noch beim ­konservativen Flaggschiff „Frankfurter Allgemeine“.

Die groteske Begriffsverschiebung führte zudem dazu, dass CDU-Politiker wie Vorsitz-Kandidat Friedrich Merz gegen besseres Wissen nach rechts ­außen gerückt werden. Dabei ist Merz, der einem ­beileibe nicht sympathisch sein muss (weil er das nicht ist), einer der letzten aufrechten demokratischen Rechten im Politikbetrieb der wichtigsten ­europäischen Nation. Alle, die den Begriff „rechts“ nach „rechtsextrem“ verschoben haben, tragen die Verantwortung für diese dieser Tage beliebige und zuletzt auch handlungsunfähige Politik, die zum derzeit vorherrschenden mangelnden Glauben an die Kräfte der Demokratie ­geführt hat.

Drei: Die Welt braucht diese Linke nicht
Weil rechts nicht mehr rechts ist, zum Schluss ein paar letzte Worte zur vergehenden Linken, die sich verirrt und irrtümlich in einem neuen Linksbegriff verfängt, der maximal für gerade noch zwei­stellige Wahlergebnisse gut ist.

An Anständigkeit ist nichts falsch, an Gleichberechtigung ist nichts falsch, am korrekten Umgang mit Minderheiten jeder Art ist nichts falsch: Ganz gegenteilig waren diese Forderungen seit jeher Bestandteil des Gelebten der Linken und sind im Großen und Ganzen – auch wenn es reaktionären Gegenwind gibt – bei der Mehrheit der Bevölkerung durchgesetzt. Nur die nervenden linken Kulturpessimisten behaupten ­anderes.

Was aber Correctness-Fanatiker, Gender-Jakobiner (Stichwort, wie zuvor: „zweiundsechzig Geschlechter“) und Identitäts-Spinner (WOKE-Linke) der Linken bescheren, ist nichts weniger als der Untergang des Begriffs und der Bewegung. Diese Personenschaft führt den Krieg dauerbeleidigter Opfer („I’m offended“), verkriecht sich in Safe-Spaces, will nicht mit Kontroversen konfrontiert werden („Trigger Warning“) und übt sich in einer Art modernen, antidemokratischen Stalinismus. Die Linke, sollte sie je wieder mitregieren wollen, muss sich von dieser Personenschaft trennen, klare Worte zum Weltbild vieler Migranten finden (auch wenn das maximal unangenehm ist) und die soziale Frage wieder in den Mittelpunkt stellen. Das ist auch die Frage der Umverteilung in Zeiten geringer werdender manueller und zukünftig auch geistiger Tätigkeit. Diese neue Linke (dazu zählen auch nicht minder die zum Bürgertum tendierenden Grünen) könnte in der neuen, ­alten, modernisierten Rechten ­ihren zünftigen, demokratischen Gegner finden.