Motor

Angezählte Boxer, geschenkte Zitronen und andere Sprüche

Angezählte Boxer sind selten ­gefährlich. Angezählte Boxer verlieren meist in der nächsten Runde, wenn sie sich nach dem Pausengong überhaupt noch mal aus ihrer Ecke bemühen. Und den Lucky Punch gibt es auch nicht. Zumindest im Boxring gibt es den nicht, vielleicht ja nächste Saison als Cocktail mit ein paar bunten Schirmchen zum Après-Ski. Wer drei Lucky Punch trinkt, bekommt den vierten aufs Haus mit Wunderkerzen beim Servieren. Damit es die anderen Idioten auch sehen.

Was einen nicht umbringt, macht einen sicher nicht stärker. Ich hatte viele Freunde, die so dachten, und die waren zwar kurzfristig stärker, aber längerfristig waren sie tot und bleiben das wahrscheinlich auch. Nur der Spruch mit den geschenkten Zitronen leuchtet mir ein, allerdings verstehe ich den Teil mit der Limonade dann wieder nicht. Wenn mir das Leben Zitronen schenkt, bestellte ich mir bei meinem liebsten Pan-Asiaten „Rindsfilet in Thai-­Basilikum und Curry“ und eine doppelte Portion Reis.

Die Zitronen schenk ich dann dem Hipster, der mir mein Essen bringt. Der kann sich dann Limonade machen, aber nicht bei mir in der Wohnung, weil ich die dampfenden Radfahrer immer schnell loswerden will. Der Haken daran: Mir hat das ­Leben nichts geschenkt. Nicht mal Zitronen. Das Einzige, was mir das Leben je geschenkt hat, war dieser Autorenvertrag beim WIENER mit zehnjähriger Laufzeit. Aber letztlich war das mehr ein Geschenk für Sie und die anderen geschätzten Leser meiner Kolumne.
Wo war ich stehen geblieben? Richtig, ich wollte ein wenig Trost spenden und vor falschen Wahrheiten warnen, die einem diese halbgescheiten Sprüche vermitteln möchten. Wäre da sehr vorsichtig, besonders in Zeiten der Pandemie. Betrachten wir es einfach als Schicksal. Das Schicksal ist eben ein Hund. Persönlich betrachtet sowieso. Aber diesmal haben wir weltweit die große Gruppenreise gebucht. Es geht bergab, und das stetig. Die Tages­ausflüge nach Konkursistan und zu den Klippen der Beziehungsprobleme sind im Fahrpreis dabei. Und wer alleine lebt, muss erst ­erkennen, wie viel Arschloch man eigentlich mit sich selbst sein kann. Da hilft dann kein Tinder, auch wenn es wieder erlaubt ist oder nie verboten war.

Ein Freund von mir ist immer viel gereist. Mindestens um die ganze Welt, wenn nicht darüber hinaus. Jedenfalls ist er eines Tages nie mehr gereist, sondern nur noch zum Billa gegangen und bei seinem Stammwirten gesessen. „Weißt du, mein Freund“, hat er gesagt. Und dann hat er noch gesagt: „Ganz egal, wie weit ich weg fahre von Wien, ich bin doch immer in der Nähe von mir selber“. Und da hat er recht irgendwie. Wenn man also meint, dass einen Krisen näher zu seinem wahrhaftem Ich bringen, empfinde ich das als gefährliche Drohung, und das aus gutem Grund. Nähe ist immer furchtbar und wird auch in Beziehungen meist überschätzt. Keine Nähe: keine Probleme. Nur den Namen sollte man wissen vom Partner und die Nummer von der Bankomatkarte. Alles andere wird zu intim.

Osho hat gesagt, dass es ein gewisses Maß an Dunkelheit braucht, um die Sterne zu sehen. Das ist ihm wahrscheinlich in seiner ­Corniche aufgefallen, und rein theoretisch hätte er damit gar nicht so unrecht. Allerdings: Ich persönlich will diese Scheißsterne gar nicht sehen. Abgesehen davon – Dunkelheit kann gar nichts, auch nicht im „gewissen Maß“. Ich will beleuchtete Boulevards. Ich will fette Nebelscheinwerfer an jedem Auto, gleißend helle Schaufenster und Lichtorgeln und Discokugeln in ­jeder Waschstraße. Hauptsache, ich muss nicht an diese rotierenden Riesensteine in einer Million ­Kilometer Distanz denken. In dem Zusammenhang möchte ich jetzt bitte nichts von „Lichtsmog“ hören. Ein selten dämliches Wort für Menschen, die sonst wirklich keine Probleme haben. Das sollte auf den Index und bestraft werden. Journalisten, die über Lichtsmog schreiben, 3.600 Euro Strafe, und die wird zweckgebunden den unverdrossenen Vespafahrern gewidmet, damit die sich die Front mit zusätzlichen Scheinwerfern und Rückspiegeln bepflastern können. „Pop-up-Radweg“ wäre auch so ein Wort. Gleich abstrafen, jeden Radfahrer, der so einen Weg benutzt, und, ganz wichtig, jeden bestrafen, der nur darüber nachdenkt, da zu fahren. Sicherungshaft und Schubhaft. Vielleicht nach Holland abschieben. Die freuen sich über jeden Hippie.

Abschließend zur versprochenen Portion Mut. Deswegen haben Sie ja überhaupt bis zum Ende durchgehalten. Wir alle waren jetzt Teil dieser riesigen Inszenierung, und das meine ich nicht im verschwörungstheoretischen Sinne. Inszenierung im Sinne einer großer Welttragödie, und da saßen wir doch recht auf den besten Plätzen. Schlimm genug, keine Frage, aber es wird einen Frühling geben nach der Krise. Nicht, weil sie uns stärker gemacht hat, die Krise, sondern lebendiger, wacher, gieriger und interessierter. Auch die Misanthropen haben gelernt, die Nähe der Menschen zu vermissen. Und sollten wir uns auch wie angezählte Boxer fühlen, ­werden wir es halt sein, denen das seltene Comeback gelingt. Verdient hätten wir es allemal.


Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.