Meinung

Juliette Gréco und der Peugeot 204 – Menschen und meine Neurologin

Menschen! Es gibt sie. Die anderen meine ich. Die, die nicht ich sind und in keiner Weise zu mir gehören und die ich trotzdem brauche. ­Irgendwie und gut sortiert. Im ­Kaffeehaus gibt es Tische. Jeder Tisch ein abgeschlossenes Biotop. Auf meinem Tisch sitze nur ich. Ich will niemanden bei mir haben. Ein Stück weiter weg ist ganz gut. Ein größeres Stück weiter ist noch ­besser. Der Winter ist eine harte Zeit. Da drängt sich alles in den geheizten Gasträumen. Im Sommer kommt meine Zeit. Der Sommer im Kaffeehaus ist großartig, wenn sich die Hitze drinnen staut und all die Weicheier draußen im Gastgarten sitzen. Dann bin ich König im Kaffeehaus. König ohne Volk. Also der beste König, der man sein kann.

Ich vermisse den Rauch so sehr. Im Kaffeehaus, meine ich. Ich möchte, dass die Industrie ein Raumparfüm erfindet. Eines, das nach „Krugerhof“ 1977 riecht oder zumindest nach „Kaffee Ritter“ 2018. Vielleicht auch beides alternierend. In die Edition „Krugerhof“ gehört eine Obernote Haschisch und ein Hauch Patschuli. Ich rauche selber nicht mehr, aber ich küsse Raucherinnen so gerne, weil sie nach Leben und nach Sünde schmecken. Raucherinnen mit einem Hauch Chanel und einem schwarzen Juliette-Gréco-Roll­kragenpullover, der nach Rotwein riecht, sind meine wunderschönen Prinzessinnen des Lebens. Ich wäre als junger Mann so gerne mit Juliette Gréco in einem Peugeot 204 Cabriolet gefahren. Das Fetzendach wäre selbstverständlich geschlossen gewesen. Immer geschlossen ebenso selbstverständlich, und ich hätte noch geraucht, und immer, wenn ich mich aufgeregt hätte, und ich rege mich oft auf, hätte mir Juliette eine Zigarette angezündet. Den Aschenbecher hätten wir vollgeraucht in wenigen Tagen. So voll, dass man ihn nie wieder richtig zumachen hätte können, und wenn er voll gewesen wäre, hätten wir ihn so gelassen. Unser ganzes Leben hätten wir zum Fenster rausgeraucht, und das Verdeck wäre zu geblieben. Das habe ich schon erwähnt, erwähne es noch einmal, weil es das wichtigste ist am Cabrioletfahren mit Juliette Gréco.

Menschen in Autos mag ich oder ertrage ich zumindest. Eine Tonne Blech um meinen Körper. Eine Tonne Blech um den Körper meines Kollegen, und ich schließe eine Freundschaft nicht aus. Schwul bin ich nicht. Keine Sorge. Volkstanzen gehe ich auch nicht. Niemals, weil ich da keinen Sinn sehe und nichts fühle außer dem Gefühl des Wegwollens. Allerdings, wenn am Matzleinsdorfer Platz das mit dem Reißverschlusssystem funktioniert, fühle ich mich als stolzer Teil einer großen männlichen Choreografie. Am Matzleinsdorfer Platz, an der Stelle, wo sich zwei Spuren zu einer verengen, bin ich froh, Teil einer Gruppe zu sein. Dieses Gefühl kenne ich nur dort, und nur dort funktioniert das auch so wunderbar mit dem System. Ein geweihter Ort. Ohne Zweifel ein scheißgeweihter Ort. Beein­druckend.

Menschen in Gastgärten mag ich, wie erwähnt, weil sie nicht drinnen sind, wo ich sein möchte. Allerdings gaffen Menschen in Gastgärten, weil sie nichts im Kopf haben oder kein Leben. Meistens haben sie beides nicht. Ich kann so schlecht einparken. Also eigentlich gar nicht. Je mehr ich mich anstrenge, desto schlechter werde ich. Es ist zum Verzweifeln. Und obwohl ich schon 59 Jahre alt bin, habe ich noch Sex, und ich verhüte konsequent, weil ich Angst habe, schwanger zu werden. So schlecht parke ich ein. Ich weiß, der erste Mann, der ein Baby zur Welt bringt, bekommt eine Million Dollar, und die könnte ich gut brauchen, aber trotzdem ängstigt mich das alles zu sehr. Manchmal gaffen diese Menschen ohne Leben und mit nichts im Kopf, und manchmal lachen sie mich aus. Einmal saßen da so Landmenschen mit inzüchtigen Kartoffelgesichtern bei ihrem großen Vormittagsbier und haben gegafft und gelacht, und ich bin einfach stehen geblieben, mitten auf der Straße. Gedemütigt vom gescheiterten Einparken und von den Bierzeltraufern, und ich bin hingelaufen zu dem Tisch und habe den, der am lautesten gelacht hat, gefragt, ob er noch einem seiner Freunde einen blasen wollen würde, bevor ich ihm das Gesicht bräche. Und ob er dann auch noch lachen würde. Und die drei haben gar nichts mehr gesagt und nicht mehr gelacht, und die Autos haben gehupt, weil ich da mitten auf der Straße stand, und das war auch besser so, weil das mit dem Gesicht brechen sagt sich so leicht, aber ich weiß nicht, ob ich das ­geschafft hätte. Aber ich hätte es versucht. Ich schwöre, ich hätte es versucht.

Ich gehe jetzt wieder in Therapie. Die Neurologin hat gesagt, ich soll doch vielleicht Medikamente nehmen, wegen all der Sachen mit den Menschen und so, aber das mache ich sicher nicht. Und sie hat gesagt, ich soll nicht so viel im Kopf sein, sondern mehr in der Emotion. Die Neurologin hat keine Ahnung. Absolut keine Ahnung.


Götz Schrage
war bis vor Kurzem exklusiv am Zweirad unterwegs. Nach einem Unfall, bei dem er bewusstlos auf der Gumpendorfer Straße gefunden wurde, hat er als Spätberufener den B-Schein gemacht. Die Ärzte meinen, es gäbe keinerlei Folgeschäden nach dem Unfall. Wir von der Redaktion sind uns da nicht so sicher.