AKUT

Und irgendwo in der Agentur brennt immer das Licht

Liebe Mutti!

Hier bei der DMLH&W New AdDigital Group überschlagen sich wieder mal die Ereignisse. Vor ein paar Tagen wurde das aktuelle Kreativranking veröffentlicht. Das Ergebnis war leider wenig ­erbaulich, war doch die Agentur vom fünften auf den siebenten Rang abgerutscht. Unsere Geschäftsführung reagierte sofort geistesgegenwärtig. Ein neuer Social-Kunde muss her! Ein Kunde, den wir fast pro bono betreuen werden und der sich dafür nicht in das kreative Produkt einmischt. Ein Kunde, der, dankbar für unseren Einsatz, auch wirklich Großes zulässt.

Zum Glück hatte einer unserer Geschäftsführer auch gleich den richtigen Kontakt zu einer entsprechenden karitativen Organisation. Halte dich fest, Mutti, es handelt sich dabei um niemand Geringeren als Manager in Not, und ich darf auf dem Etat arbeiten. Alle meine anderen Kollegen übrigens auch, und so saßen wir dann die letzten fünf Tage am Stück und brüteten über dieser tollen Aufgabe. Alle waren bis in die Haarspitzen motiviert, und man merkte einfach, was für ein Ruck durch das Haus ging. Was soll ich dir sagen? Wir haben zwölf verschiedene Kampagnen ausgearbeitet. Tolle Sachen dabei. Zum Teil echt unter die Haut ­gehend, so beinhart und nah am Schicksal dieser bedauernswerten Kreaturen. Die Ansätze haben wir dann der Geschäftsführung ­präsentiert.

Alle waren begeistert. Alle bis auf unseren Chief Creative Officer. Das sei ihm immer noch alles zu Werbung, zu wenig tomorrow und null edgy. Und noch während vor allem ein paar der jüngeren Kollegen mit den Tränen der Enttäuschung kämpften, schoss er, einfach so mit der Kraft seiner unendlichen Erfahrung, eine Idee aus der Hüfte, von der man noch lange sprechen wird, glaube ich.

„Noch mal ganz von vorne“, sagte er. „Die Betroffenen brauchen viel Geld, und das so schnell wie möglich. Eh klar. Aber was sie noch mehr brauchen, diese armen Teufel, ist Anteilnahme an ihrem Schicksal. Das Gefühl, gebraucht zu werden. Liebe. Und das heißt: ‚Manager in Not‘ kann man nicht einfach abtun wie irgendeine Spendenkampagne. Das Elend der Betroffenen schreit geradezu nach etwas Revolutionärem. Vergesst alles Herkömmliche! Kein Film, kein Plakat, keine Onlinebanner, kein gar nichts! Nein, wir gehen einen anderen Weg. Wie wäre es – nur mal so als Idee – mit lebens­echten Manager-Puppen? Zum Liebhaben, Knuddeln und Kuscheln? Wir nennen sie Manager-­Hug-Dolls, total echt, Maßstab 1 : 12. 29.90 Euro das Stück. Perfekt als Geschenk, Mitbringsel, Sammlerstück. Erhältlich an Tankstellen, Supermarktkassen, überall, Kooperationen mit der ‚Krone‘, dem ORF, alle dabei, alles ganz big. Der Reinerlös geht ­direkt an die bedauernswerten Seelen, und darüber hinaus ­werden wir ihnen beweisen, dass ihre tragischen Schicksale diesem Land nicht egal sind.“

Erschöpft von so viel Emotion ließ er sich in einen der 83 Barcelona Chairs fallen, die extra für das große Meeting aus dem Lager geholt worden waren, und einen Moment war es mucksmäuschenstill in unserem Konfi IV. Und dann brachen alle Dämme. Der historischen Tragweite der Idee bewusst wurde geweint, gelacht, wir lagen uns in den Armen, schluchzten vor Freude.

Und obwohl wir bereits 74 Stunden am Stück durchgearbeitet hatten, gingen, nein rannten wir zurück in unsere Großraumbüros und machten uns sofort an die Arbeit.

Das erste Ergebnis kam heute in die Agentur. Die Prototypen der Manager-Hug-Dolls. Noch nicht ganz perfekt, aber schon jetzt können sich nicht mal die abgebrühtesten Profis unter uns der Wirkung dieser knuffigen kleinen Gesellen entziehen. Die Ernst-Strasser-Hug-Doll zum Beispiel kann „Hab mich lieb“ sagen, und die Uwe-Scheuch-Puppe „Halt mich fest“, wenn man ihr den Bauch krault. Ein ehemaliger deutscher Minister, dessen herziges Alter Ego sogar „Somewhere over the Rainbow“ singt, wenn man ihm übers Haar streichelt, hat uns bereits durch seine Privatsekretärin ausrichten lassen, dass er, seit er um die geplante Aktion weiß, schon viel besser mit seinem Exilleben in diesem gottverlassenen Golf­resort in Marbella umzugehen weiß. Ach, es ist so erfüllend, mit Werbung auch mal richtig etwas Gutes zu tun! Und ich kann es gar nicht erwarten, bis die ersten Hug-Dolls in den Regalen stehen. Platzend vor Neugier, was dafür bei den Award-Shows für uns ­herausschaut,

Gruß und Kuss, Dein Vinzenz.


Alexander Rudan
Kreativdirektor von Havas Wien, ist seit mehr als 25 Jahren in der Werbung. Sein Alter Ego ­Vinzenz Birngruber gibt uns in Briefen/Mails an seine Mama daheim in Salzburg Einblicke in den ganz nor­malen Werbealltag.

Foto: Alexander Rudan