AKUT
Der andere Rebhandl – Rock Rockenschaubs Kolumne im WIENER #W442
„Du bleibst doch?“
Ich weiß nur noch, dass ich durch tiefen Schnee gewatet und in diese Bar gestolpert bin, da stand sie und lud mich auf einen Becher Wodka ein – sie mich! Sie war nicht mehr ganz frisch, aber das war ich auch nicht mehr, und so lag ich nun bei ihr in der Kiste. Draußen schneite es, und aus ihrer Küche roch ich Lebkuchen. Mit ihren Wurstfingern strich sie über meine Brusthaare, während sie mich geil anschaute. Ich fragte mich: Wo zum Teufel bin ich hier gelandet?
An der Wand ihres Schlafzimmers hingen ein paar Fotos mit Mick Jagger drauf, als er noch halbwegs knitterfrei aussah. Vielleicht hatte sie also richtig was erlebt, vielleicht hatte sie aber auch einfach nur einen Dachschaden. Sie merkte, was ich dachte, und seufzte: „Ach, der Mick! Schöne Erinnerungen habe ich an ihn, und heute sind sie nur noch Zucker. Aber ich habe auch geweint, geweint hab ich oft wegen ihm.“ Um dann grundsätzlich zu werden: „Bei mir ist die Liebe ja nie lange geblieben, ach, allzu oft zog sie viel zu schnell wieder weiter. Und am Heiligen Abend …“
Ich dachte: Du lieber Himmel! Gut, dass sie mich erinnerte! Ich musste dann unbedingt noch einen Baum für Lemmy besorgen!
„… war dann sowieso nie einer da, den ich hätte überreden können, zu bleiben. Aber du bleibst doch? …“ Ich sagte: „Schaun wir mal, dann sehn wir schon.“ Sie packte mich an den Eiern und klang nun deutlich fordernder:
„…. Am Heiligen Abend waren sowieso immer alle zu Hause, die mich während des Jahres begehrt haben. All die Ehemänner, die zwar vor und nach Weihnachten immer ihren Schwanz in mich hineinstecken wollen, aber spätestens am 24. immer heim zu ihrer Waltraud, zur Gertraud, zur Edeltraut, Rotraut, Gisela, Ursula oder Jerry wollten, allesamt brave und duldsame Ehefrauen, aber halt verheiratete Ehefrauen, was ich ihnen immer geneidet habe.“
Ich sagte: „Echt?“
Sie festigte ihren Griff und schaute mich an, als würde ich gleich zur Ursula gehen wollen, dabei wollte ich doch nur zu Lemmy oder eventuell vielleicht zur Jerry. Sie fragte: „Du bleibst doch?“ Und ich sagte: „Ich überleg’s mir.“
„Zu Weihnachten“, fuhr sie fort, mich anzulabern, „wollen auch die größten Schweine immer nur an den heimeligen Herd und zu den Würschteln mit Saft. So versaut können die Ehemänner gar nicht sein, dass sie nicht immer wieder selbst nach dem dreckigsten Rudelfick ihre Füße in die Filzpatschen zu Hause bei Mutti stecken möchten, auch der Mick ist ja nicht geblieben!“
Ich fragte: „Mick wer?“
Sie schrie: „Er!“
Und ich: „Ach so, der.“
Und sie: „Weißt du denn nicht, dass er ‚Angie‘ für mich geschrieben hat?“
Ich fragte: „Heißt du denn Angie?“
Sie schrie: „Ich heiße Angela! Aber das hat nicht so gut zur Musik gepasst, also hat er mich halt einfach Angie genannt. Angieeeeeee!“
Ich sagte: „Geile Nummer, aber hör bitte auf, sie zu singen.“
Sie senkte den Blick: „Ich habe nie einen gehabt, der mir die schmerzenden Füße massierte und zu mir sagte: ‚Ich freu mich auf Weihnachten, mein kleiner Liebling, das Leben ist schön mit dir, wollen wir gemeinsam alt werden?‘“ Dann legte sie sich mit ihren 100 Kilo auf mich drauf, sodass ich kaum mehr Luft kriegte, und fragte: „Du willst doch mit mir alt werden?“
Ich sagte: „Ja, von mir aus gern. Aber erst muss ich noch für kleine Mädchen.“ Sie wälzte sich von mir runter und drehte fast durch vor Freude: „Ach, Rocky! Ich freu mich so! Aber hör zu, du läufst doch nicht davon?“
Ich schaffte es in die Vertikale und schaute zu ihr hinunter, dann sagte ich: „Sag doch bitte erstens nicht Rocky zu mir, ich heiße Rock wie der Felsen, und nicht Rocky wie das Felsily. Und wie soll ich denn zweitens in der Unterhose davonlaufen, ha?“
Das beruhigte sie. Ich ließ mir den Weg zum Scheißhaus erklären, entdeckte aus den Augenwinkeln heraus die Wohnungstüre, und schon war ich draußen. Und die Kälte auf der Straße machte mir nicht halb so viel aus wie die weihnachtliche Wärme, in die mich diese Verrückte betten wollte.
Manfred Rebhandl
Autor in Wien. Zuletzt erschien von ihm „Sommer ohne Horst: Rockenschaub löst auf alle Fälle alle Fälle“ (Haymon Verlag 2020)