Essen
Die Stadt aufessen
Wo urbane „Fressbotaniker“ fündig werden, hat Alexandra Rath in ihrem Buch „Wildes Wien“ aufgelistet: Uns erwarten 31 Pflanzen für den Kochtopf, die in Wien wachsen, gratis pflückbar. Notizen und Rezepte zur Bärlauch-Saison.
Text: Roland Graf / Foto Header: David Maninger
Die Wirte haben zu, man kommt nicht raus und wird zum Eigenbrötler – im wahrsten Sinne des Wortes: Alle Teige für hausgemachtes Brot sind mittlerweile durchprobiert. In dieser kulinarisch tristen Ausgangslage kommt Alexandra Raths Buch gerade zur rechten Zeit. „Wildes Wien“ ist eine unkonventionelle Anleitung, wie man in der Stadt Nahrung findet. Als „Fressbotanikerin“, so die Eigendefinition, durchstreift die Wienerin sämtliche Bezirke, um die Funde dann zu verkochen. Ins Sammelkörbchen kommen bei ihr Veilchen von der Hermesvilla ebenso wie Löwenzahn, der im Schlosspark von Schönbrunn wächst, oder Giersch aus dem Oberen Belvedere. „Giersch ist der Renner schlechthin“, gibt die Autorin Bio-Nachhilfe, „er ist Petersilie nicht unähnlich und damit für sämtliche Wiener Speisen einsetzbar – etwa als Giersch-Erdäpfel zum Schnitzel.“
Tatsächlich finden sich viele in Vergessenheit geratene Pflanzen oder die „wilden“ Verwandten von Küchenkräutern in den 40 Rezepten der Ernährungsberaterin. So kommt statt Majoran etwa Dost ins Wiener Gulasch. Diese Urform wächst wild in Wien, vor allem am Waldesrand. Und wenn er schon gepflückt wird, „verwildert“ er auch gleich die Beilage, indem fein gehackter Dost in den Nockerlteig kommt.Diese Wiederentdeckungen liegen im Trend. Auch online tauchen immer mehr Bilder von der persönlichen Ausbeute auf; vor allem der Frühlingsklassiker Bärlauch steht dabei hoch im Kurs in Sachen „Instagramability“. Ihn holt die Autorin zum Beispiel von der Jubiläumswarte am Wilhelminenberg, während wilder Spinat wiederum am Alberner Hafen wächst. Und es wäre nicht Wien, wenn nicht auch der Friedhof eine Rolle spielte. Von den Rosensträuchern am Zentralfriedhof pflückt Alexandra Rath die Hagebutten für ihre Wildsauce: „In Wien ist es recht leicht, über 50 Prozent der Stadt sind Grünflächen.“ Von wenigen Schutzzonen abgesehen, etwa im Nationalpark Lobau, warten also reichlich Alternativen zum Supermarkt.
Dass die wilde Sammlung mehr als „Hasenfutter“ und Wildkräutersalate ergibt, ja sogar gourmettauglich ist, bewiesen Pioniere wie der 2016 verstorbene Meinrad Neunkirchner („Freyenstein“ im 18. Bezirk) schon vor Jahren. Und auch aktuell packen Spitzenköche in der Freizeit wieder Körberl und Taschenmesser ein. „Ich bin eher der Wienerwald-Sucher“, hat Walter Leidenfrost seine grünen „Jagdgründe“ auch in Niederösterreich. Löwenzahn, Brennnessel, Sauerampfer, Pimpernelle, Hollerblüten und Gänseblümchen nennt der „Fuhrmann“-Chefkoch als liebste Beute. Verkocht werden sie in der Josefstadt etwa zu Brennnessel-Topfen-Ravioli mit brauner Butter und karamellisierten Pekannüssen, aber auch als Dessert reicht Leidenfrost die Gaben der Natur: Sein Sauerampfer-Eis kommt mit Topfen und Rhabarber auf den Tisch.
Wir halten fest: Kennt man „seine“ Pflanzen, dann erweitert sich auch der Geschmackskosmos. Bestes Beispiel dafür ist das „Bruder“ im 6. Bezirk. In der Windmühlgasse schöpfen Bar wie Küche aus regelmäßigen botanischen Pirschgängen der Gründer. Konkret werden etwa „Wiener Kapern“ von Holunder oder Bärlauch verarbeitet. „Es gibt beim Bärlauch zweimal die Möglichkeit der Kapern“, erläutert Auskenner Peter. „Einmal mit Bildung der Blüte im geschlossenen Zustand und ein anderes Mal bei Abblühen und Entwicklung zu den Samenknospen.“ Dazu werden die Knospen gesäubert und einfach mit grobem Salz vermischt. Mittlerweile gibt es diese haltbar gemachten Fundstücke der Natur auch in einem eigenen Shop des Duos im „Raimundhof“. Schräges wie die Wien-Version der japanischen Salzpflaume „Umeboshi“ mit Kriecherln oder Schlehen-Gin wird je nach Saison nachproduziert.
Der Sammelspaß als Breitensport, wie ihn „Wildes Wien“ (Gmeiner Verlag, 27 Euro) propagiert, bildet aber auch durchaus weiter in Sachen Gastro-Smalltalk. Der „Weiße Gänsefuß“ etwa ist kein „gebleachter“ Federviehteil, sondern eine ähnlich wie Spinat zubereitete Pflanze, die man auch als „Ackermelde“ kennt. Weiter beflügelt wird der Gang durch die Stadtwildnis aktuell auch vom Streben nach gesunder Ernährung. „Der erwähnte Giersch besitzt mehr Eisen als z. B. rohes Rindfleisch, unglaubliche Mengen an Mineralstoffen wie Kalium oder Magnesium und viermal so viel Vitamin C wie Zitronen“, weiß Alexandra Rath, die Animateurin der städtischen Autarkie.
Eine Frage drängt sich bei der grünen Sammelwut aber auf: Wie ist das wirklich mit den gefährlichen Beeren und Maiglöckchen-Vergiftungen, wenn wir jetzt alle in Auen und Parks ausschwärmen? Vor Verwechslungen, die viele Sammel-Laien abhalten, in die Botanik zu gehen, könne man sich durchaus schützen (siehe auch Kasten mit Raths Einsteigertipps!). Schwieriger falle es aber, die Gier zu bezähmen, die den Fressbotaniker wie alle Sammler mitunter befällt. Daher: „Immer nur ein paar Pflanzen nehmen, nichts ausreißen und achtsam mit der Natur umgehen.“ Schließlich ist sie es, die dem Kräuterfreund wieder die Jagdgründe befüllt.
Die wilde Sammlung
Alexandra Raths Tipps für Anfänger
„Bewegt euch und geht raus, ihr Jäger und Sammler!“ Ihren Appell zum Wildsammeln begleitet Alexandra Rath mit Ratschlägen für alle, die Angst vorm Verwechseln von Bärlauch haben (und keinen Kurs bei ihr buchen wollen).
Mit Pflanzen oder Früchten beginnen, die man bereits kennt! Bei Gänseblümchen, Klee oder Löwenzahn gibt es auch keine giftigen Zwillinge zum Verwechseln.
Falls vorhanden, ist der eigene Garten ein guter Start. Oder der von Freunden: „Die freuen sich, wenn man zum ‚Unkrautjäten‘ vorbeikommt“.
Fangen Sie an, sich mit einer ausgewählten Pflanze zu beschäftigen. Man lernt sie näher kennen, begutachtet sie optisch, bemerkt ihre Besonderheiten. Kostet vielleicht. Und irgendwann kocht man mit ihr.
Inzwischen findet man recht gute Handy-Apps, die beim Bestimmen unterstützen. Fix ist aber: Wir essen nur, was wir auch einwandfrei erkennen! Die Rezepte und Sammelplätze dazu gibt es auf 240 Seiten in „Wildes Wien“.
Wiener Mischung
Beilagen-Rezepte der Wildsammler
Pilzsalz, fermentierter Bärlauch, Kornelkirschenbier oder Holunderkapern – was die Natur hergibt, wird im „Bruder“ kreativ verwertet. Hubert Peter und Lucas Steindorfer in Gumpendorf sind so etwas wie das Zentralkomitee für „wildes“ Essen und Trinken. Hier ihr Rezept für „Wiener Kapern“:
Holunderkapern
1 Kilo unreife Holunderbeeren
1 Liter Weißweinessig
250 Gramm Holunderhonig
3 Zweige von der Tanne
3 Zweige Estragon
Die Holunderbeeren sammeln, reinigen und abrebeln. Weißweinessig, Holunderhonig mit den Tannen- und Estragonzweigerln aufkochen. Die Holunderbeeren darin kurz blanchieren, in ein Rex-Glas füllen und mit dem heißen Sud übergießen. Auskühlen lassen und bis zur Verwendung kühl und dunkel lagern.
Das selbst gesammelte Highlight auf jeder Grillparty sollte laut Alexandra Rath nach Möglichkeit immer Gundelrebe und Schafgarbe enthalten. „Wunderbar ist Quendel, wenn auch nicht leicht zu finden. Überaus köstlich sind Wiesensalbei und Bärlauch“, die es dem Sammler weniger schwer machen.
Wildkräuter-Butter
250 Gramm „zimmerwarme“ Biobutter
3 Handvoll Wildkräuter (ca. 30 Gramm) z. B. Gundelrebe, Quendel, Ehrenpreis, Knoblauchrauke, Bärlauch, Wiesensalbei bzw. nur die Blätter von Giersch oder Schafgarbe
Saft und Zesten von einer ½ Biozitrone
1 Teelöffel Fleur de Sel
½ Teelöffel Schwarzer Pfeffer, grob gemahlen
1 Knoblauchzehe, gepresst
Gepflückte Kräuter gründlich kontrollieren, waschen und trocken tupfen. Die Kräuter auf einem Holzbrett sehr fein hacken und unter die Butter mischen. Salzen, pfeffern, Knoblauch dazu pressen. Zitronensaft und Zeste hinzufügen. Mit einer Gabel vorsichtig durchmischen. Mindestens eine Stunde rasten lassen, erneut durchmischen, nachwürzen. Hält eine Woche im Kühlschrank oder einige Monate im Tiefkühler.