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Der glückliche Herr Tolar

Günter Tolar sitzt in seinem Haus im niederösterreichischen Berndorf. Er lässt noch den Hund hinaus in den Garten, „sonst scheißt er mir herein“, dann nimmt er sich zwei Stunden Zeit. Einstmals Ikone des Österrei­chischen Rundfunks und Weg­bereiter der Gleichstellung von Schwulen und Lesben, ist der 80-Jährige heute ein glücklicher Mensch mit schönen Erinnerungen und klaren Meinungen.

Datum: 17. 02. 2021 um 10.00 Uhr
Ort: Skype
Interview: Manfred Rebhandl
Foto Header: Alexander Amon

wiener: Ich begrüße Sie in meiner Jogginghose im Homeoffice.
tolar: Ich Sie auch, aber in meiner Trainingshose!

Marke?
Peek und Cloppenburg? Kik? Ich leiste mir schon lange keine ­Marken mehr.

Ich war gestern beim Friseur.
Mein Friseur ist mein Mann. Der kommt mit dem Scherer, stellt ihn auf einen Zentimeter ein, und fährt mir drüber, aus, Ende.

Und nachdem ihr in eingetragener Partnerschaft lebt, ist das sogar ­erlaubt.
… ist es A erlaubt und B mir wurscht, weil öffentliche Auftritt mache ich keine mehr, also was soll’s? Schön war ich eh nie.

Haben Sie Ihr Jaukerl schon ­bekommen?
Natürlich! Ich hab mich vor zwei Monaten in Wien registrieren lassen, der Kerl dort hat alles von mir aufgenommen, Halsweite, Schuhgröße, Geburtsdatum, ich war mir dann gar nicht mehr sicher, ob er mich auch nach meinen Kontaktdaten gefragt hat. Aber dann ist das alles sehr schnell gegangen, Wien macht das wirklich super.

Der Kerl dort hat Sie vielleicht noch aus FS1 und FS2 gekannt?
Der hat mich wirklich gekannt! „Na, san Sie der Günter Tolar? Na also so was!“ Gut, aber deswegen braucht er nicht meine Telefonnummer vergessen.

Wie oft passiert es, dass Leute freudig erschrecken, wenn sie Sie sehen?
Immer wieder. Aber die müssen alle mindestens 40 sein. Wer jünger ist, kann mit mir nichts mehr anfangen, ich hab ja 1992 aufgehört im Fernsehen.

Heute ist Aschermittwoch. Ich sehe keine Asche auf Ihrem Haupt.
Der Aschermittwoch bedeutet mir nichts. Der Faschingsdienstag dafür umso mehr, weil ich an einem solchen genau vor 20 Jahren meinen Mann kennengelernt habe, an einem 12. Februar.

Haben Sie von ihm Blumen ­bekommen zum Valentinstag?
Tiefkühlblumen vom Hofer, die gleich am selben Tag die Kopferl hängen haben lassen.

Wir sind beide Oberösterreicher, Sie ein Erdapferl aus Wels.
Es war 1939 so: Die Mama war jüdischer Mischling zweiten Grades und Lehrerin, und der Gemeindearzt in Wimsbach, wo wir gewohnt haben, war der Chef des Schulrates und ein strammer Nazi, der hat ihr einen Brief geschrieben, dass es unzumutbar wäre, dass eine wie sie arische Kinder unterrichtet. Jetzt hat sie sich nicht getraut, mich 1939 mit seiner Hilfe in die Welt zu setzen, weil wer weiß, vielleicht lässt er mich fallen? Also ist sie mit der Lokalbahn nach Lambach gefahren, dann weiter zwei Stationen nach Wels, zu Fuß ist sie um halb sieben in der Kinderklinik eingetroffen, und um 23.45 Uhr war ich schon da, sie hat extra ­angetaucht, damit ich noch ein Sonntagskind werde. So bin ich mit einem Antaucher auf die Welt gekommen, womit ich ein richtiger Österreicher geworden bin, weil als Österreicher schaffst du ohne Antaucher nix.

Haben Sie in der Folge alle oberösterreichischen Sehenswürdigkeiten besucht? Die Salzstollen in Ischl, das Geburtshaus in Braunau?
Nein, das hab ich alles nicht besucht. 1949 sind wir ja nach Linz gezogen, da hatte ich mein persönliches „Braunau“ in der Schule. Wir hatten ja Lehrer, die alle aus dem Krieg heimgekommen sind, Haferlschuhe, grüne Zopfmusterstutzen, Knickerbocker, gutes altes österreichisches Brauchtum. Dem einen hat ein Haxen gefehlt, dem andern ein Aug, wieder einem ­anderen die Hand …

Und wer beide Hände hatte, der hat damit fest zugehaut?
Watschen hab ich einmal eine richtige gekriegt. Ich kann mich erinnern, im Fach Literaturpflege hat uns der Professor 1955 die Meistersinger von Wagner lesen lassen, „weil Ihr dürrrrft nicht vergesssssssen, dasssssss Wagner ein großßßßßßer Teutscher Musiker war und großßßßer Tichter Teutscher Tzunge!“ So war das damals. Andererseits ist die Ausbildung auf der Spittelwiese meine ganze Basis gewesen, gnadenlos und dennoch vergnüglich. Wir mussten so viel schaffen, und wir haben viel geschafft! Das humanistische Gymnasium überhaupt in der ­Mindestzeit und mit einem Notenschnitt von 2,8 zu absolvieren, war schon ein Erfolg. Wobei ich kein Streber war! Ich hab mir mit allem schwer getan, aber ich hab den Erfolg so geliebt, und die Freude auf den Erfolg hat mich immer weitergetragen.

Dort lernten Sie auch die Rede und das Vortragen?
Wir haben immer Theaterstücke gelesen, ich den Mephisto, den ­Jason in der Medea, den Torquato Tasso, den Beckmesser in den Meistersingern, und der Professor hat dann einmal gesagt: „Regen Sie sich nicht so auf, Tolar!“ In der Oberstufe waren die dann ja per Sie mit uns, das war auch durchaus erhebend. Ich fand das klass.

Ihre geschlechtliche Identität ist damals bereits festgestanden, anders als heute bei vielen?
Ich war ein Mann, und ich war stockschwul, aus. Aber das Wort „Sex“ hat ja keiner ausgesprochen, ich wusste also bis dahin gar nicht, dass es so was wie „Homosexualität“ überhaupt gibt, na gut, einmal werd ich es in Zusammenhang mit „Wääh!“ schon gehört haben, aber ich hab gar nicht gedacht, dass mich das betrifft.

Wären Sie vielleicht lieber in einem bischöflichen Knabenseminar gewesen?
Na. Am Anfang bin ich ja auch „auf die Menscha gegangen“. Und ich muss irgendwie gut gewesen sein, weil die Madln waren alle sehr zufrieden.

Sie haben Ihnen den Orgasmus nicht vorgespielt?
Das weiß ich nicht. Ich versteh ja bis heute nichts von dem, was sich bei den Frauen da unten abspielt. Ich hab halt meins gemacht, und wenn ich fertig war, war ich fertig, aus. Alles andere war mir – wie sagt Hans Krankl? – primär. Aber mit dem Peter, das war meine erste Erfahrung, da krieg ich heute noch Herzklopfen, wenn ich an den denke.

Was wurde aus dem Peter?
Der ist tot.

Foto: Alexander Amon

Eine oberösterreichische Dragqueen mit Dirndlgwandl und großen Quasteln wollten Sie nie sein?
Drag wollt ich überhaupt nie sein. Manchmal beim Lifeball mit Kleid und ausgestopftem Busen, ja gut, was tut man nicht alles für ein Foto in der Zeitung? Aber ich war überhaupt ein atypischer Schwuler. Schwule sind ja immer schön und gepflegt und riechen gut, ich hab aber immer Probleme gehabt mit Duschen, im 57er-Jahr gab’s ja keine Duschen.

Guter Sex muss schmutzig sein.
Ja, heute. Aber damals haben wir alle einfach ein bissel gmiachtelt. Mein Vater war so sparsam, dass er beim Heißwasserboiler den Drehschalter abmontiert hat, damit wir den unter der Woche nicht einschalten konnten. Am Samstag hat er den Stecker montiert, da haben wir dann alle gebadet.

Das war der oberösterreichische Brauch: Körperpflege am Samstag.
Brauch bei Tolar. Und ab Dienstag haben wir wieder alle fest gerochen.

Gab es damals schon Schwulenbars?
In Linz wird’s was gegeben haben, aber ich hab eine Linzer Szene nicht konsumiert. Ich hab so genug Sex gehabt, daher hab ich keinen Notstand gehabt, darum war das alles kein Thema. Erst mit 19 war ich in Wien auf einer Party, hab mich in den zweiten Stock hinaufgekämpft, damals haben die Hausmeister erst um 21 Uhr die Türe zugesperrt, und dann macht einer auf, und der Blitz hat eingeschlagen. Der war’s dann fast ein ganzes Jahr für mich. Der hat mich reingeführt an der Hand, da hab ich gleich gesehen, dass sich da Männlein und Männlein geküsst haben und Frauchens und Frauchens. Da hab ich endlich in meine Welt ­hinein gefunden, da wusste ich: Homosexualität gibt’s, und ich bin einer von ihnen, das ist klass, jetzt hab ich’s endlich. Danach musste ich meinen drei oder vier Freundinnen, die ich damals hatte, eröffnen: „Es hat sich was verändert …“ Die eine hat gesagt: „Ja, hab ich mir eh gedacht.“ Die andere: „Na geh, endlich hab ich einen, und dann ist er ein Warmer!“ Und die Dritte hat mir dermaßen eine Watschen gegeben. „Ich! Eine Frau, die jeden haben kann! Falle auf einen Warmen rein! Schleich dich!“ Die lebt noch.

In Wien haben Sie dann beim ­VSStÖ angedockt, den sozialis­tischen Studenten.
Unser Finanzreferent war der Hannes Androsch, unser Pressereferent der Beppo Mauhardt, Chefideologe war der Charly Blecha …

Der war immer ein Weiberer?
Ja, ja, ja, ja. Dann kam eine Anfrage vom Theater in der Josefstadt, die suchten Komparsen, und da stand ich dann auf der Bühne, und das weckte eine Sehnsucht. Der Zauber, die Kostüme, die kurze Zeit, in der man ein anderer sein durfte und musste. Bin ich also zur Schauspielschule Prayner, bei der Aufnahmeprüfung wollten die was Klassisches, was Modernes und was im Dialekt hören. Hab ich mir drei Reclam-Heftln gekauft: Der Zerrissene, den Mephisto und weiß ich nicht mehr. Und die haben mich genommen. Ein Freund hat mich aber dann gedämpft, weil der hat gesagt: das ist eine Privatschule, die nehmen sowieso jeden.

Ihre erste Fernsehrolle hatten Sie dann in „König Drosselbart“, sehr glamourös.
Ja, und ich kann sogar noch den Text: „Guten Morgen“. Den zweiten Freier hat der Heinz Petters gespielt, auch er sagte „Guten Morgen“. Und der Dritte war der Roger Murbach, gleicher Text.

Gute Gage?
500 Schilling waren nicht wenig. Als Regieassistent am Volkstheater hab ich im Monat 2500 bekommen. Dann hast 20 Schilling pro Abend als Komparse gekriegt und für die Abendregie noch einmal 50.

Dann spielten Sie Kabarett mit dem schwer erträglichen Felix Dvorak?
Na Moment, da gab’s verschiedenste Leute um die Kabarettgruppe Würfel und um das Theater in der Himmelpfortgasse, das wir uns selbst eingerichtet haben. Aus dem alten Apollotheater haben wir uns die Plüschklappsitze geholt, dafür hatten wir sogar ein Auto zur Verfügung, in das ein Sitz hineinging. 145 Sitze hatten wir. Dort haben wir dann der Not gehorchend Kabarett gespielt, der Bronner hat gerade aufgehört, der hat sich gerade mit allen zerstritten, der Farkas hat sein Unterhaltungskabarett gespielt, und wir waren halt auf der literarischen Schiene. Und der Felix Dvorak hat damals ein Parteikabarett gespielt, der kam viel später zu uns und war für das Blödelzeug zuständig, wir ­waren ja hochliterarisch.

Das wurde dann im ORF gesendet?
Es war so, dass der Kuno Knöbl, unser Chef, unterm Bacher plötzlich Unterhaltungschef geworden ist. Also, wenn man mich heute früge, wie ich ins Fernsehen kam, dann durch Protektion! Der Knöbl hat sich seine Leute geholt, so war das. Dadurch wurden wir bekannt und sind auch zu anderen Sendungen eingeladen worden.

Zum Heinz Conrads zum Beispiel, damals Traum so ziemlich jeder Österreicherin zwischen 40 und 100. Haben Sie seinen Spruch „Griaß eich de Madln, servas de Buam!“ erfunden?
Na, der war ja schon seit 1957 im Fernsehen, ich bin erst zu seiner Halbzeit quasi eingestiegen. Da war ich dann mit 42 Sendungen im Jahr sehr gut beschäftigt, dann sind noch zehn Mal „Dalli Dalli“ dazugekommen, für jede Tätigkeit eine Gage, fürs Spielen, fürs Moderieren, fürs Schreiben, fürs Produzieren. Ich war sehr gut bezahlt damals, das ist gut gelaufen.

Zwischen Ihnen und dem Heinzi hat es nie gefunkt?
Was? Jetzt bin ich etwas perplex, nein, also wirklich! Wir waren zwar 16 Jahre praktisch ununterbrochen zusammen, jede Woche eine Sendung, das verbindet. Aber unser Verhältnis war ein Arbeitsverhältnis, für mich ein unglaublich bequemes. Der war ja wie die Mona Lisa. Den musste man nicht erfinden, den musste man nur abstauben und ihm genügend schöne Dinge zum Präsentieren geben. Meine Vorschläge kommentierte er so: „Ja. Na. Jaaaa. Naaaa. Ja.“ Dann hatten wir eine Sendung.

Bald hatten Sie Ihre eigenen ­Sendungen.
Mit einem Kollegen vom Süd­deutschen Rundfunk hab ich „Wer dreimal lügt“ erfunden. Dafür brauchten wir aber noch einen Moderator. Wir haben gesucht und nicht gefunden. Alle, die wir probiert haben, waren Conferenciers! Aber ich wollte einen, der einfach redet, so wie der Conrads. Mein Regisseur, der Herbert Fuchs, hat immer gesagt: „Herr Tolar, Sie sprechen schon wieder! Reden Sie einfach!“ So wie der Kortner ­gesagt hat: „Treten Sie nicht auf, kommen Sie einfach auf die ­Bühne!“ Das sind so Merksätze. Bis es geheißen hat: „Tolar, in sechs Wochen senden wir, wo ist der Moderator?“ Hab ich mich selbst vor die Kamera gestellt, hat der Redakteur gesagt: „Du machst das!“ Damit hab ich wirklich nicht gerechnet. Das hat eingeschlagen, bist du deppert. Erste Sendung drei Millionen Zuschauer, 78 Prozent Seherbeteiligung.

In FS1 oder FS2?
FS1. Ich weiß schon, da wird immer gelacht heute, aber man muss bedenken: Wir mussten mit den zwei Sendern das ganze Publikum zufriedenstellen, die konnten nicht zappen und ausweichen, die hatten nur uns. Wir mussten gut sein! Dann kam ein neuer Unterhaltungschef, und die Sendung wurde abgesetzt. Ich musste ­„Rätselbox“ machen. Dann kam wieder ein Neuer, und ich hab „Was schätzen Sie?“ erfunden, das mir selbst nicht gefallen hat. Die erste Kandidatin wollte ich fragen: „Ist das Ihre erste Sendung, was schätzen Sie?“ Gesagt habe ich aber: „Ist das Ihre erste Schändung, was setzen Sie?“ Na bumm, hat gut angefangen, damit war ich dann bei den „Hoppalas“ vom ­Peter Rapp. Dann kam der Harald Windisch, dem hab ich gesagt, ich will aufhören. Der hat gesagt: „Was tust du mir an? Kaum bin ich Chef, heißt es, der Tolar hört auf!“ Da kam von der Wirtschaftskammer der Vorschlag mit „Made in Austria“.

Wo man „Denkende Cremes“ und „Koffersets aus dem 23. Bezirk“ gewinnen konnte.
Ja, ja. Aber erst gestern hat mir ein Mann eine E-Mail geschrieben, der hat damals eine Segel­yacht als Hauptpreis gewonnen, also haben wir nicht nur Auer Tortenecken verklopft. Der hat gefragt, ob es die Sendungen noch zum Anschauen gibt.

Und Sie haben eh alle auf VHS, weil Sie sich in Ihren karierten Sakkos gerne anschauen?
Nein, hab ich nicht. Und eingekleidet bin ich beim Licona worden, übrigens oft mit dem Vranitzky, der war um halb acht in der Früh schon da, dann bin ich gekommen: „Grüß Sie, Herr Kanzler!“ – „Grüß Sie, Herr Tolar!“ Das war eine schöne Geschichte damals, den Tolar einzukleiden.

Sie haben also gut ausgeschaut, als Sie sich 1992 im NEWS outeten? Trotzdem hat Ihnen ORF-­Generalintendant Gerd Angelo Roman Bacher einen sehr bösen Brief geschrieben.
„Widerwärtig“ und „unternehmensschädigend“ hat er mein ­Outing genannt, aber gut. Nach drei Wochen hab ich ihn dann beim Bank Austria Forum getroffen, Ausstellungseröffnung. Da ist er zu mir gekommen, strahlend: „Herr Tolar! Grüß Sie!“ Wegen der Fotos für die Zeitungen. So war er.

Nach der ORF-Karriere haben Sie u. a. bei den Winnetou-Festspielen angeheuert …
Ich war ja Schauspieler, hab es auf kleineren Bühnen versucht, dann auch Winnetou, Freiluft mit Mikrofon, jedes Mal 1.000 Zuschauer. Da gibt es kein „Ein zartes Lächeln zeigt sich auf seinem Gesicht“, man muss dort eine ganz andere Art von Theater spielen, drastisch. Der Bühnenboden ist so tief, damit es die Pferde nicht auf die Goschn haut, wenn man da „würdig“ ­gehen soll, dann wie durch Tiefschnee. Meine erste Rolle war ein Wanderhändler am Kutschbock in „Halbblut“, ein wunderschönes Pferd namens Sweepy hat mich gezogen, die lebt noch … in „Winnetou I“ musste ich dann schwer verwundet auf der Sweepy hereinreiten, die hat eh gewusst, was sie machen muss, ich hab ja eine tiefe Wunde gehabt.

Winnetou wurde am Ende Christ, Sie sind am Ende aus der Kirche ausgetreten.
Ich bin ausgetreten, als der neue Katechismus herauskam, wo beim Kapitel „Homosexualität“ gestanden ist, man soll uns mit Respekt und Mitleid begegnen. Mitleid! Da hab ich gesagt: Schluss! Dabei hat die Kirche mich mein Leben lang begleitet. Die schönen Messen, die Kirchenlieder, ich hab das gern gesungen. Mit acht Jahren hab ich schon die Kindermessen auf der Orgel begleitet, bin in die Schönheit der Musik hineingeraten. Ich war enttäuscht.

Von den Sozis waren Sie nie ­enttäuscht?
Der Sozialismus ist die einzige Weltanschauung, mit der ich was anfangen kann, weil er für die breite Masse da ist. Alleine meine Eltern! Meine Mutter konnte in Linz Schuldirektorin werden! Mein Vater konnte in der Voest ­arbeiten, weil die Roten was für die Leute getan haben! Da waren sie noch kein ideologisch verirrter Haufen, sie waren für uns da, machten Politik, die man gespürt hat, und zwar im Guten! Die haben geschaut, dass der Arbeiter mehr Geld kriegt, mehr Urlaub! Und wenn er sich den ersten Kühlschrank leisten konnte, dann war das was! Das haben die Sozis geschafft, indem sie die übermächtigen Schwarzen, die ­Geldleute, überstimmt haben.

Heute sind die Schwarzen türkis, jung und schlank.
Jung und schlank würde mich nicht weiter stören. Aber die Unerfahrenheit! Die haben ja noch kein Leben gehabt! Die haben noch nichts gearbeitet!

Dürfen wir uns Günter Tolar mit all seinen Erfahrungen als glücklichen Menschen vorstellen?
Es wäre sehr undankbar meinem Schicksal gegenüber, wenn ich nicht glücklich wäre!


Günter Tolar
Günter Tolar wurde 1939 im oberösterreichischen Wels geboren. Der begabte Musiker maturierte im Gymnasium auf der Spittelwiese in Linz, studierte zunächst in Wien als Lehramt Musik, Germanistik und Geschichte, bevor er zunächst als Komparse, bald als Regieassistent zum Theater wechselte. Über den Umweg Kabarett kam er zum ORF, wo er zu einem der meistbeschäftigten Sendungsmacher (Heinz Conrads, „Dalli Dalli“) avancierte, bevor er mit der Moderation eigener Sendungen wie „Made in Austria“ berühmt wurde. 1992 outete er sich in NEWS als homosexuell, was ihm überwältigend posi­tive Reaktionen einbrachte, mit Aus­ahme des ORF-­Generalintendanten Bacher, der ihn „widerwärtig“ nannte. Er lebt mit seinem zweiten Ehemann in Berndorf und Wien.