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Frohe Weihnachten!

Werner Gruber empfängt in seinem vollgeräumten Büro im Planetarium im Wiener Prater. Er bietet Kaffee und Kuchen, und dann redet er mit dem WIENER über Weihnachten und solche Sachen.

Datum: 26. November, 14 Uhr.
Ort: Büro des Professors im Planetarium Prater
Interview: Manfred Rebhandl
Fotos: Maximilian Lottmann

wiener: Herr Professor, haben Sie Stress?
gruber: Ich habe nie Stress, ich habe nur Arbeit. Wenn ich Stress hätte, hätte ich keine Handlungsvollmacht.

Sie haben da ja irrsinnig viel Lego-Spielzeug in Ihrem Büro!
Das ist kein Spielzeug! Das da zum Beispiel ist das Modul, mit dem die Amerikaner am Mond gelandet sind, wir verwenden es zur Demonstration. Darum ist es kein Spielzeug.

Das mit den goldenen Füßen!
Genau. Wir zeigen das hier auch den interessierten Menschen und erklären ihnen anhand dieses Modells, wie es tatsächlich mit der Mondlandung war. Das ist also kein Spielzeug, das sind jede Menge Experimente, die hier ­herumstehen.

Ganz schön vollgeräumt ist es hier jedenfalls.
Da wir auch sparen müssen …

Nagen Sie am Hungertuch?
Nur so viel: Die Leute sind jedes Mal überrascht, wenn sie erfahren, wie viel ich verdiene.

So viel?
So wenig!

Hier hängen ein paar Fotos von Astronauten herum. Haben Sie ­einen persönlichen Helden unter all den Apollo-Astronauten, abseits von Neil Armstrong und Buzz Aldrin von Apollo 11?
Ich habe gar keine Helden.

Auch nicht die, die auf dem Weg hin zur ersten Mondlandung ­besonders mutig waren?
Das ist eine Frage, mit der ich gar nichts anfangen kann. Die haben halt alle ihren Job gemacht, die waren alle gut trainiert, da war nichts dabei, wo ich nicht auch gesagt hätte: Ich mach das …

Ich hätt’s nicht gemacht.
Wieso? Was soll passieren?

Ich hätte mir ständig gedacht: Das geht jetzt schief, da flieg ich dann runter, jetzt bricht dieses und ­jenes ab …
So kann man sein Leben natürlich auch führen. Man kann sein Leben aber auch so führen, dass man die Gefahren mit analytischem Denken realistisch einschätzt.

Dann vertraut man darauf, dass nichts passiert?
Nein, da geht es eben nicht um Vertrauen. Es geht um eine realistische Einschätzung mit der Überlegung: „Wie schaut ein Worst-Case-Szenario aus, und wie reagiere ich dann darauf?“ Wenn Sie das machen, haben Sie auch keinen Stress, weil Sie ja Handlungsoptionen haben. Ich denke auch in meinem Job hier im Planetarium darüber nach, was wäre, wenn das und das und das passieren würde. Mein Stellvertreter z. B., ein hervorragender Mann, geht Eisklettern, und es wird irgendwann der Tag kommen, wo er mich anruft und sagt: „Du, ich werde jetzt zwei Monate nicht kommen.“ Dafür gibt es in der untersten Schub­lade meines Schreibtisches einen Plan, was zu tun ist. So kann man sein Leben auch führen, dann habe ich keinen Stress. Die bei der Mondlandung haben für alles einen Ersatzplan gehabt, dadurch ist dann ja auch nichts passiert. Wenn man seine Optionen sehr genau kennt – wovor soll man sich fürchten?

Na, davor, dass einer von den 200.000, die da mitgearbeitet ­haben, nicht aufgepasst hat?
Dafür gab es ja Leute, die sich gegenseitig überprüft haben. Auch wir haben die wichtigsten Funktionen im Planetarium dreifach abgesichert.

Sind Sie „Star Wars“-Fan oder „Star Trek“-Fan?
Beides. Ich bin der ehrlichen Meinung, dass verantwortungsvolle Eltern ihren Nachwuchs bis zum zwölften Lebensjahr mit beidem versorgen müssen, dann sollen sich die Kinder entscheiden, was ihnen wichtiger ist.

Gibt es etwas, was in „Raumschiff Enterprise“ vorweggenommen wurde?
Gesellschaftliches. Ich meine, da wird respektvoll mit einer schwarzen Frau umgegangen, die eine verantwortungsvolle Position auf der Brücke hat, mit Lieutenant Uhura nämlich.

Und Technisches?
Schauen Sie sich an, wie der Captain Kirk telefoniert! Dreißig Jahre später baute Nokia (Anm.: Es war ein Motorola) so ein Klapphandy.

Wir wollen jetzt ein bisschen über Weihnachten reden. Als kleiner Werner in Ansfelden in Oberösterreich, wo Sie aufgewachsen sind: Ab wann haben Sie sich gedacht, dass das, was der Pfarrer da über Weihnachten in der Kirche erzählt, ein Blödsinn sein könnte?
Ich war nie in der Kirche. Darum weiß ich nicht, was der Pfarrer dort erzählt hat.

Und wenn er erzählt hätte, dass der Heilige Geist auf die Erde herniederkam und die Jungfrau Maria schwängerte? Hätte man den Heiligen Geist physikalisch nachweisen können?
Ich habe mit dem Zeug nie etwas zu tun gehabt. Wahrscheinlich hat es eine Person Jesus Christus gegeben, die mit „Seids liab zueiander, bringts eich net um“ sogar eine gar nicht so schlechte Botschaft transportiert hat, aber das hat mit Physik nichts zu tun.

Hat Sie diese Geschichte mit den Engeln nie berührt?
Das hat mich nie berührt!

Dann sind Sie aber das einzige Kind gewesen!
Also ich kenne viele Kinder, die sagen, ich kann mit dem Konzept Glauben nichts anfangen.

Aber mit dem Konzept Weihnachten?
Sie haben nichts von Weihnachten gesagt, Sie haben von Engeln gesprochen! Engel haben nichts mit Weihachten zu tun. Engel sind in der christlichen Glaubenslehre ein klar definierter Begriff, das sind unschuldige Kinder, die gestorben sind …

Ich rede von den Engeln um Weihnachten herum.
’Tschuldigung, aber Engel und Weihnachten hängen nicht zu­sammen.

Äh …
Sagen Sie mir bitte eine einzige Stelle in der Bibel, wo Engel und Weihnachten zusammen hängen.

Die Engelein … die machen Purzebäumelein … so ähnlich
Das ist ein Kinderlied. Das hat nichts mit der römisch-katholischen Kirche zu tun.

Es steht sicher was drin über Weihnachten und Engel.
Die Stelle zeigen Sie mir.

Ich werde sie suchen …
(Anm: Lukas 2, 9) Andere Frage: Von dem Gold, das die Heiligen Drei Könige Jesus brachten – könnte davon heute noch etwas in der Charge drin sein, die bei den Freiheitlichen im Tresor in der Pension Enzian in Tirol liegt?
Also, dass es heute bei den Freiheitlichen im Tresor liegt, das würde ich bezweifeln. Aber das Gold von damals ist heute sicher noch irgendwo vorhanden, weil: In was sollte es sich denn aufgelöst haben? Das klingt jetzt vielleicht blöd, aber sogar die Atome von Jesus Christus sind noch irgendwo vorhanden. Das ist ja eine große Frage der römisch-katholischen Glaubenskongregation, ob die Atome von Jesus Christus noch auf der Erde sind, auf unserer Erde, insbesondere die seiner Vorhaut. Als Jude war er ja beschnitten, und die Vorhaut wurde separat von seinem Körper aufgehoben. Nun ist die Frage, ob diese auch mit seinem Leib, nachdem er auferstanden war, in den Himmel aufgefahren ist oder eben nicht.

Sie wissen es?
Nein, wir als Naturwissenschaftler beschreiben die Natur, wir erklären sie nicht. Wir haben folglich mit keinem Glauben etwas zu tun. Wenn jemand sagt, die Welt ist in sieben Tagen entstanden, unsere Forschung aber etwas anderes ­ergeben hat, dann haben wir in Österreich ein wunderbares Konzept, nämlich die Religionsfreiheit. Jeder kann glauben, was er will. Wenn er glaubt, die Erde ist flach – bitte. Ich weiß nicht, wofür die Bibel geschrieben wurde, aber in der Naturwissenschaft gilt sie nicht als relevantes Buch, da gibt es andere, die wichtiger sind. Wir sind auch nicht die, die urteilen. Wir beschreiben die Natur, aus.

Wie wahrscheinlich war es, dass Jesus goldene Locken hatte?
Da müssen Sie einen Biologen fragen! Aber wahrscheinlich wird Ihnen ein Anthropologe sagen, dass goldene Locken – wobei die meines Wissens auch nicht in der Bibel erwähnt wurden! – zu dieser Zeit in dieser Gegend der Welt sehr, sehr unwahrscheinlich waren, außer natürlich, Jesus wäre Albino gewesen, das wäre aber auch irgendwo vermerkt gewesen. Ist es aber nicht. Wenn Sie also mit mir die Weihnachtsgeschichte abklopfen wollen, sind für mich nur die Sache mit dem Weihnachtsstern und die Frage, wann Weihnachten wirklich war, interessant.

Am 24. Dezember.
Na. Das steht in der Bibel nicht drinnen. In der Bibel steht: Zur Zeit des Königs Herodes, und das sind schon einmal minus vier bis minus sieben Jahre vor Christi Geburt … und wir haben vom Evangelisten Matthäus ein weiteres Zitat, wonach „die Hirten die Herde draußen gelassen“ haben. Damit wissen wir: Weihnachten kann nicht im Winter gewesen sein, weil im Winter es auch in ­Judäa – oder heute in Palästina – so kalt ist, dass die Schafe draußen erfrieren. Es muss also irgendwann im Sommer oder Herbst gewesen sein, wenn man die Story auf die Wahrscheinlichkeit ihrer Informationen hin abklopft.

Das ist aber enttäuschend.
Wieso?

Im Sommer gibt’s keinen Schnee.
Aber Weihnachten hat auch nichts mit Schnee zu tun. Fahren Sie zu Weihnachten mal nach Australien!

Würde ich nie machen. Was ist dann mit dem Weihnachtsstern?
Es gibt mehrere Möglichkeiten, wobei sich keine einzige als befriedigend erwiesen hat.

Berührt Sie an Weihnachten auch irgendetwas? Müssen Sie weinen, wenn Sie Nat King Cole hören?
Nein. Aber „Lasst nicht die Leute vor der kalten Türe draußen stehen!“, das hat mich als Botschaft natürlich schon berührt, auch als kleiner Bua.

„Wer klopfet an? Oh zwei gar arme Leut“
Genau. Das war eine Botschaft, die auch vor 2.000 Jahren schon relevant war, weil wir wissen, dass es auch damals eine große Völkerwanderung gab.

Haben Sie bei einem Krippenspiel mitgemacht?
Ja.

Welche Rolle?
Nebenrolle.

Was berührt Sie noch in Zusammenhang mit Weihnachten?
Ich gehe gerne auf Weihnachtsmärkte, wenn ich Zeit dafür finde.

Haben Sie einen Lieblingsweihnachtsmarkt?
Also, der Rathausmarkt war vor zwanzig Jahren grottenschlecht, der ist jetzt wieder viel besser. Dafür hat der Spittelberg richtig nachgelassen. Und wo ich wirklich gerne hingehe, ist die Freyung. Du gehst das in einer halben Stunde gemütlich ab, und damals gab es Demmers Teehaus, die haben den besten Punsch in der Stadt ausgeschenkt, der Punsch am Rathausplatz, der ist … na ja. Rostentferner.

Gibt es Weihnachtsgerüche, die Sie besonders lieben?
(Denkt nach, kriegt wässrige Augen) Wissen Sie was, weil Sie mich das jetzt fragen: Ich kann mich wirklich an einen speziellen Weihnachtsgeruch erinnern, an den Ozon­geruch von meiner Eisenbahn nämlich, die ich damals geschenkt gekriegt habe, als ich fünf Jahre alt war …

Eine Märklin?
Nein, das war eine andere Marke, eine H0. Die Märklin war mit Gleisbett, die hätte ich wahnsinnig gerne gehabt, aber … leider. Es war auch ein Güterzug, und ich hätte lieber einen Personenzug gehabt, das hat’s auch nicht gespielt. Und es war auch keine Weiche dabei, also nur vorwärts, rückwärts, schnell, langsam.

Sie haben es also nicht wie Neil Young oder Rod Stewart zu einer Riesenmodelleisenbahnanlage geschafft, die sich über das ganze Dachgeschoß ausdehnt?
Ich kenne keinen Neil Young.

Neil Young, der Musiker.
Und Rod Stewart?

Auch Musiker. „I am sailing …“ – nie gehört?
Na. Da muss ich sagen, was in meinem Leben nie eine Rolle gespielt hat, das ist die Musik. Ich höre zwar Musik im Radio, und ich bin froh, wenn dazwischen niemand redet, aber was da läuft – ich weiß es nicht.

Kennen Sie nicht einmal „Stille Nacht“?
Nur standardmäßig von der CD, zwei Strophen. Also, Musik ist nicht mein Thema.

Haben Sie die Weihnachtsgeschichten von Charles Dickens ­gelesen?
Nein. Aber ich habe mir die ­Zeichentrickverfilmungen ­angeschaut.

Was ist für die liebe Familie am Heiligen Abend die größte ­Gefahr? Der Baum?
Nein.

Der Alkohol?
Nein.

Das Essen?
Nein. Dass Leute zusammenkommen, die das ganze Jahr lang nicht zusammenkommen, und dann aufarbeiten wollen, wofür sie das ganze Jahr keine Zeit gehabt haben. Die sich denken: Jetzt muss ich die Chance nützen und sage meinem Gegenüber, was ich das ganze Jahr über schon mal sagen wollte. Damit fängt der Stress an.

Und das sagt man dann leichter nach drei Schnapserln? Ab wie vielen Einheiten Alkohol sollten die Kinder dem Vati nichts mehr nachschenken?
Kommt drauf an, was ich bezwecke. Wenn ich will, dass er bald seinen Rausch ausschläft, dann sage ich: Füllt ihn an, so gut es geht. Die Frage ist immer, was jemand vertragt und was jemand vorhat. Will ich dieses, oder will ich jenes?

Was haut den Vati am ehesten um?
Muskatnuss.

Wie?
Die Wirkung von Muskatnuss entspricht in etwa der Wirkung von Crystal Meth. Wenn man ausreichend Muskatnuss fein gerieben mit Schnaps ansetzt und das dann trinkt, dann würde ich dringend empfehlen, dass am Heiligen Abend jemand dabei ist, der sich mit Erste Hilfe auskennt … das kann schwer ins Auge gehen. Wenn Sie etwas Harmloseres ­haben wollen, dann nehmen Sie Safran. Safran entspricht in etwa Opium. Da ist kein großer Unterschied, es ist nur deswegen vom Suchtmittelgesetz ausgenommen, weil Safran teurer ist als das Zeug, das Sie am Karlsplatz kaufen können. Also mein Tipp für ein Weihnachtsgeschenk: eine Elektroherdplatte, eine Muskatnussreibe und eine Muskatnuss. Die Dämpfe sind etwas harmloser.

Anstatt Weihrauchkörnern auf der Herdplatte Muskatnuss auf der Herdplatte?
Ja. Wobei Weihrauch sowieso keine euphorisierende Wirkung hat. Weihrauch ist auch schädlicher als Zigarettenrauch, aber Zigarettenrauch ist halt auch nicht sinnvoll.

Karpfen oder Gansl?
„24. oder 25. Dezember?“, ist meine Gegenfrage. Ich halte die Weihnachtsgans am 24. schlicht und einfach für nicht praktikabel, denn es gibt auch noch Keks­teller und, und, und. Das heißt, dass am 24. Dezember ein Essen, das leichter handhabbar ist, tausend Mal sinnvoller ist. Auch und vor allem für die Mama, die es ja immer noch ist, die am 24. die Hauptarbeit verrichtet. Andererseits macht die Weihnachtsgans am 25. für mich durchaus Sinn … Wobei der Karpfen natürlich auch nicht einmal so wenig Arbeit ist … und üppig ist er natürlich auch.

Geht vom Vanillekipferl eine Gefahr für den Körper aus?
Ja. Wenn ich mich verschlucke und es in die Lunge kriege.

Wenn sich alle per SMS oder WhatsApp „Frohe Weihnachten!“ wünschen – ist das messbar in der Atmosphäre?
In der Atmosphäre nicht, aber beim Stromverbrauch.

Die ausgestoßenen Flatulenzen zu Weihachten nach Gans oder Karpfen – sind die unbedenklich im Vergleich zu denen, die die Kühe das ganze Jahr ausstoßen?
Ja. Wenn ich mir kein Feuerzeug dorthin halte.

Welcher Ausdruck der Begeisterung entfährt regelmäßig Ihrem Mund, wenn Sie in das unendliche Weltall hinaufschauen? „Oh mein Gott“?
Na. „Oida!“


Werner Gruber
Der 1970 in Ansfelden/OÖ geborene Physiker schloss sein Studium in Wien als Magister ab, seit 2013 ist er Direktor der Astronomischen Einrichtungen der Volkshochschulen Wiens, darunter des Planetariums im Prater und der Sternwarte in der Urania. Breite Bekanntheit erreichte er als Teil der wissenschaftlichen Kabarettgruppe Science Busters, mit denen er auf zahlreichen Bühnen und im ORF Erfolge feierte. Er ist Autor zahlreicher populärwissenschaftlicher Bücher.