Film & Serie
Volle Kanne: Der Rausch
In ihrer zweiten Zusammenarbeit nach dem aufwühlenden Drama „Die Jagd“ von 2012 erkunden der dänische Regisseur Thomas Vinterberg und sein Landsmann Mads Mikkelsen erneut soziale Untiefen, diesmal in der Form von Alkohol. Ein Oscar scheint möglich!
Foto: Filmladen
Vinterberg, das ehemalige Dogma-95-Talent, greift in der Tragikomödie „Der Rausch“ das Thema Alkohol in der westlichen Gesellschaft unter einer interessanten Prämisse auf: Vier Lehrer, privat gut befreundet und jeder auf seine Weise von der üblichen Midlifecrisis gebeutelt, beschließen im leichten Dusel einer Geburtstagsfeier, einen Selbstversuch zu starten. Basis ist die ungewöhnliche Theorie eines Philosophen, wonach Menschen nicht mit genügend Alkohol im Blut auf die Welt kommen und erst mit einem Grundpegel von 0,8 Promille ihr volles Potenzial entfalten können. Gesagt, getan. Die vier Freunde beschließen einfache Regeln und gönnen sich fortan regelmäßig ein Schlückchen, um praktisch immer „auf der Welle“ zu sein. Unbemerkt von Arbeitsplatz und Familie natürlich, die aber schon bald deutliche Veränderungen bei den vier Amateur-Alkoholikern bemerken – und zwar zum Positiven. Die einst desillusionierten, antriebs- und ideenlosen Männer scheinen plötzlich ihr Mojo wiedergefunden zu haben und schwingen sich im Job, aber auch privat zu jugendlichen Höhen auf.
Wie bei jedem normalen Alkoholabusus hält das Hoch aber nicht allzu lange an. Aufgrund von Gewöhnungseffekten einerseits und der Vermutung „mehr ist besser“ andererseits schrauben die Lehrer ihr selbst auferlegtes Limit immer mehr nach oben und saufen zügellos weiter. Es kommt, wie es kommen muss. Schon bald wandelt sich die vormals beflügelnde Alkohollaune in die sattsam bekannten Probleme, die Trinker nun mal so haben.
Thomas Vinterberg und ein herausragender Mads Mikkelsen schaffen vor dem Hintergrund der dänischen Gesellschaft, in der das Saufen nicht nur sozial voll integriert, sondern auch problematisch ist, eine Achterbahn der Gefühle, die den Zuseher packt und nicht mehr loslässt. Komische Szenen bis hin zum Slapstick wechseln sich mit großem Drama und harter Sozialkritik ab. Auch als Beobachter ertappt man sich dabei, nach einem gepflegten Gläschen, passend zum Film, zu greifen, nur um es im nächsten Moment wieder betroffen wegzustellen. Ein (wieder mal) überwältigender Autorenfilm aus Dänemark, der ganz ohne moralinsaure Belehrungen den Finger auf das Thema Alkohol im Alltag legt, das gerade in Europa aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Konstrukte sträflich verharmlost wird.
Der Rausch
Produzenten: Sisse Graum Jørgensen, Kasper Dissing, Drehbuch: Thomas Vinterberg, Tobias Lindholm, Regie: Thomas Vinterberg, Hauptdarsteller: Mads Mikkelsen, Verleih: Filmladen, Start: Voraussichtlich April