STIL

Die Zeit der Hedonisten

Franz J. Sauer

Jede Epoche hat ihre Zeitmesser. Mussten Armbanduhren in den wilden 1920ern klein und eckig sein, entdeckte man in den Roaring Sixties die Chronographen für sich, musste in den Siebzigern, wer was auf sich hielt, Digitaluhr tragen, und in den Achtzigern waren schließlich Damenuhren-Durchmesser an­gesagt. Erst Mitte der Neunziger kam der Wascher am Handgelenk in Mode. Und hält sich seither ebendort als Zeichen für Männlichkeit.

Fotos: Hersteller

Okay, ich merke schon, mit dem letzten Wort im vorigen Absatz hab ich mich zeitgeistig in die Nesseln gesetzt. Daher meine ­flehentliche Bitte an dieser Stelle an den P. T. Leser und die ebensolche Männlichkeit: Könnten wir die Diskussion um toxische Männlichkeit im Allgemeinen und die Brutalität eines Hand­weckers, mit dem man ganz ­locker auch jemanden schwer verletzen könnte, würde man ihn als Wurfgeschoß einsetzen, im Speziellen kurz mal außen vor lassen?

Andererseits muss das mit den Oversize-Uhren am Männerhandgelenk natürlich auch irgendwas mit den Attributen „groß“, „stark“, „wild“, „brutal“ und noch mal „groß“ zu tun ­haben. Ich meine, dass Taucheruhren ebenso gut in Hunderten Metern Meerestiefe funktionieren, wenn sie nur 40 mm Durchmesser allerhöchstens haben, bewies die Rolex Sea Dweller bereits seit 1967. Und selbst eine Scuba-Swatch aus den frühen Nineties (wird wohl bald wieder zum Sammlerstück, falls Sie noch irgendwo eine herumgammeln haben) war zwar etwas größer als die normale Massen-Plastikuhr, aber nur ein bisschen.

Es geschah um die Jahrtausendwende, dass Armbanduhren für Männer plötzlich wie wild an Fett und Fülle zulegten. Zunächst lieferte Glycine Uhren ab 46 mm Durchmesser aus, dann tauchte die Marke U-BOAT des Toskaners Italo Fontanta am ­Modeuhrenmarkt auf. Und schließlich stießen die Militäruhren von Panerai ins Must-have-Segment neben die Platzhirsche von IWC bis Breitling, von Omega bis Rolex vor, um es sich dort gemütlich zu machen. Während Graham oder Corus bald wieder vom Radar verschwanden, war Panerai gekommen, um zu bleiben. Und ganz unvermittelt begannen auch die Durchmesser bei den eingesessenen Schweizern und Deutschen unauffällig zu ­wachsen.

Heute hat die Basis-Sea-Dweller von Rolex 43 mm Durchmesser, die IWC Pilot kommt auf stolze 44 mm. Damit sind beide noch immer kleiner als etwa eine Breitling Bentley (48 mm) oder eben die diversen Big Blocks von Panerai oder Anonimo Militare.

Müssen wir uns nun also für die Wuchtbrummen unter der Manschette genieren? Wir ­werden darüber nachdenken. Morgen dann …

Panerai Submersible Carbotech 47 mm
Wieder mal die Welt retten
Wen spielt Jason Statham wohl in seinem neuesten Film? Einen veganen Bienenzüchter? Einen schwulen Fahrradboten? Einen verstockten Buchhalter mit Ärmelschonern und Herrenhandtasche? Oder doch vielleicht einen Action-Held dies- oder jenseits der Gesetzesmacht mit dem unvermeid­lichen Auftrag, die Welt zu retten? Ihren Tipp bitte auf eine Postkarte an die Kasperlpost, 1136 Wien. Der Tintifax wird den Gewinner im Beisein eines Notars ermitteln.

Gemeinsam mit dem strammen Schnuckel Statham gibt sich in „Five Eyes“ (demnächst im Kino, wann auch immer das sein wird) Hugh Grant die Ehre, in Szene gesetzt wird das Abenteuer um den MI6-Agenten Orson Fortune (James Bond kann ja schließlich jeder heißen) von Action-Meister Guy Ritchie. Damit sollte man den Streifen, dessen Plot inhaltlich wohl nicht gerade vor schöngeistigen Überraschungen glänzen wird, eher wegen der Humorkomponente am Schirm haben. Denn dass Statham, Grant und Ritchie gemeinsam witzig sein können, haben sie mehrfach bewiesen.

Orson Fortune ist ein Agent der „alten Schule“, sein Handy hat also noch eine echte Tastatur, dafür ein fuzzikleines Display, schon allein daher stand eine obercoole Smartwatch, egal, ob von Apple oder Birne, schon gar nicht erst zur Wahl. Also sprang die italienische Brutal-Uhren-Schmiede Panerai ein und hängte dem streitbaren Jason, damit ja nix schiefgehen kann, gleich eine übergroße Carbon-Uhr ans Handgelenk, die nicht nur martialisch aussieht, sondern auch sonst alle Stückeln spielt. Gottlob ist der Statham gut gebaut, da fallen die 47 mm Durchmesser nicht weiter auf am Ärmel.

www.panerai.com


Anonimo Militare Chrono Oxidized Bronze
Sagen Sie niemals Plagiat zu ihr!
Klar besteht eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der schönen Uhr hier oben und der dunklen da drüben. Aber – who cares? Weder sind die Marken Panerai und Anonimo mitsammen verwandt noch verschwägert. Und dass beide aus Italien kommen – geschenkt.

In der Tat wurde die Marke Anonimo erst 117 Jahre nach Panerai, konkret im Jahr 1997, gegründet, also rechtzeitig zum Großuhren-Boom, und ja, auch die Anonimo-Militare-Wecker sind bei Tauchern beliebt. Als eine der ersten Uhrenmarken überhaupt begann Anonimo bei der Militare-Serie, mit dem Werkstoff Bronze zu experimentieren, und damit hat man eine USP für sich entdeckt, die den Zeitmesser abseits seines höchst lebendigen Sellita-SW 300-Automatik-Werks gleich noch mal zum Leben erweckt.

Tatsächlich verändert sich die Bronze des Gehäuses, wird grünlich, dunkler, rauer. Die Uhr entwickelt sich quasi weiter, je mehr sie mit den Elementen in Berührung kommt. Konterkariert wird das sichtbare ­„Altern“ vom tiefblauen Zifferblatt, das einen feinen optischen Kontrapunkt zum Gehäuse und seinem Werkstoff setzt.
Die hier gezeigte Oxidized Bronze war übrigens auf 25 Stück limitiert und ist damit längst zum Klassiker gereift. Wenn Ihnen eine unterkommt: schnell zugreifen!

www.anonimo.com


Rolex Sea-Dweller „Red“ Oystersteel Ref 126600
Sag Hai, wenn du sie siehst …
Wie immer bei Rolex ist auch die Funktion der Sea-Dweller todernst gemeint. Soll heißen: Man kann mir ihr wirklich in Gegenden um die 1.200 Meter unter dem Meeresspiegel vordringen, sollten die eigenen Lungen mitspielen. Ein Heliumventil sorgt für den Druckausgleich in dunklen Tiefen, und ja, wir wissen sehr genau, dass die wenigsten Sea-Dweller im Alltagseinsatz jemals über die Untiefen eines besseren Planschbeckens hinaus eingesetzt werden.
Mehr als alle anderen Uhren mit ähnlichen Features haben die Sportuhren von Rolex einen ­Nimbus inne, den man rein äußerlich nicht bemerkt, den aber jeder, der sich schon einmal mit ­Uhren beschäftigt hat, kennt. Wer Rolex trägt, setzt damit ein Statement. Und hat ganz nebenbei stets ein international anerkanntes Zahlungsmittel an der Hand. Eine echte Rolex kann rund um den Erdball meist schneller zu Geld gemacht werden, als Bankomaten Geld ausspucken.

Womit man eigentlich einen schönen, metaphorischen Kreis zum Begriff der Wasserdichtigkeit schließen kann.
Bereits 2018 ist die klassische Sea-Dweller vom bis dahin gültigen Gardemaß von 40 mm Durchmesser auf 43 mm angewachsen. Ein längst überfälliger Schritt, stylewise. Wem das noch immer zu wenig Wumms am Ärmel ist, der greift zur „Deepsea“ (seit 2008), die hier noch einen Millimeter drauflegt. Erkennbar ist die „neue“ Sea-Dweller übrigens am roten SEA-DWELLER-Schriftzug am Ziffernblatt, und falls Sie es noch nicht wussten: Um die diversen Bezeichnungen der Rolex-­Uhren aller Baujahre rankt sich ein interessanter Kult, der auch auf Preise und Wertsteigerungen Einfluss nimmt. Das Internet weiß – wie immer – Bescheid.

www.rolex.com


IWC Big Pilot’s Watch 43
Auch Klassiker wachsen weiter
Sie ist der Inbegriff der Fliegeruhr, half schon in den 1930ern zivilen wie militärischen Piloten beim Navigieren, inspirierte zahlreiche andere Marken beim Gestalten ihrer Sportmodelle und kommt in der Saison 2021 in einer auf 43 mm Durchmesser angewachsenen Version auf den Markt: die IWC Big Pilot.

Klar nimmt der Pilot von heute allerlei andere Messgerät zur Hilfe, und wenn er nur eine Drohne überm Gemeindebau platziert. Jede Smartphone-App kann heute besser Sachen anzeigen als eine Handuhr, wegen der Ablesbarkeit kann das Wachstum also kaum geplant worden sein. Da könnte man schon eher darauf schließen, dass das sensationelle neue IWC-Manufakturkaliber 82100 mit Pellaton-Aufzug ein bisschen mehr Platz als bisher vereinnahmt – aber auch damit wäre man in Schaffhausen spielerisch fertig geworden. Also muss das neue Format doch den Zeichen der Zeit geschuldet sein, zumal es einer Uhr wie der Big Pilot ja auch vorzüglich steht, in entsprechender Größe aufzutreten.

Ein besonders feines Erkennungsmerkmal ist die markante Kegelkrone, die sich einem gerne in die Handgelenksbeuge bohrt, wenn man die Uhr zu weit gen Hand rutschen lässt, allerdings den wohlgemeinten Sinn hat, dass man sie in der wackeligen Pilotenkanzel auch mit feisten Pilotenhandschuhen gut bedienen kann. Nicht minder markant kommen die vier Nieten im Lederarmband, das wir schon alleine des Wiedererkennungswertes wegen dem (nun ebenfalls erhältlichen) Metallband vorziehen würden. Das Zifferblatt kommt in Blau oder Schwarz, auf der Rückseite ziert ein Sichtglas aus Saphir das Edelstahlgehäuse, auf dass man dem Werk beim Werken zusehen kann.

www.iwc.com