Interview

Er hat Wien schon bei Nacht gesehen

Manfred Rebhandl

Der Wirtschaftssprecher der Wiener NEOS, Markus Ornig, hat sich der Förderung des Wiener Nachtlebens verschrieben. Nachdem er mit beinahe jedem Clubbesitzer gesprochen hat, sieht er vor allem ein gigantisches Wirtschaftspotenzial in der „Stadt nach Acht“.

Ort des Interviews: Im Hof des Wiener Rathauses
Zeit: 13. 09. 21 um 10 Uhr
Interview: Manfred Rebhandl
Fotos: Eryk Kepski

WIENER: Was wissen die NEOS über Partykultur? Die stehen meist mit dem umgehängten pinken Pullover herum und wippen mit dem Fuß, während sie Kontakte für ihre Karriere knüpfen, richtig?
ORNIG: (lacht) Das ist ein Klischee, und die von Ihnen Beschriebenen sind doch längst alle bei der Jungen ÖVP im Geilomobil.

WIENER: Wo dann Punkte ver­geben werden, wenn man entsprechend geschmust oder kopuliert hat.
ORNIG: Ist naheliegend, wenn man sich die Chatprotokolle ansieht… Bei uns NEOS hingegen weiß jeder, wer mit wem geschmust hat, wir gehen mit allem sehr transparent um, vor allem mit Parteikassen.

WIENER: Nun treffen wir uns um 10 Uhr vormittags im Wiener Rathaus. Sie als Clubexperte Ihrer Partei haben sicher ein Auge darauf, wenn Abgeordnete von einer langen Partynacht gezeichnet sind.
ORNIG: (lacht) Das kann natürlich vorkommen! Aber es gab auch schon Nächte, die wir uns im Parlament um die Ohren geschlagen haben. Wir hatten einmal eine 28-Stunden-Sitzung und im Festsaal drüben war gleichzeitig eine Veranstaltung. Da hat man dann gemerkt, dass immer wieder welche dorthin verschwunden sind und sich ein Glaserl genehmigt haben. Bei einer 28 Stunden Sitzung sei es ihnen aber vergönnt!

WIENER: Hört sich schon fast nach einem durchtanzten Wochenende im Berliner Berghain an.
ORNIG: Es war auf jeden Fall ähnlich strapaziös! Wir durften nicht raus, die Blauen haben einen unnötigen Filibuster zur Bauordnungsnovelle veranstaltet, wir haben Feldbetten aufgestellt und Schichten eingeteilt. Ich glaub’, es war ein, zwei Monate, nachdem ich in die Politik eingestiegen bin, und ich dachte: Um Gottes willen! Wo bin ich denn gelandet!

WIENER: Wo werden Sie aufschlagen, wenn Sie bald Ihren 42. Geburtstag feiern werden? ­Brunchen mit Freunden zuhause samt zehn Bugaboos im Stiegenhaus und schreienden Kindern, oder geht noch was in der Nacht?
ORNIG: Diesmal hab ich mir fest vorgenommen, wieder einmal richtig zu feiern, die Freunde sollen alle Babysitter mobilisieren, und dann geht es hinein in die Nacht.

WIENER: Mit 42 will man keinen Erdäpfelkas mehr machen?
ORNIG: Genau.

WIENER: Werden Sie beim Martin Ho im Vie i Pee „mit großzügigem V.I.P.-Bereich“ feiern?
ORNIG: Weiß ich noch nicht, aber die Entscheidung fällt mir tatsächlich schwer.

WIENER: Sie sind nach wie vor selbst Eventmanger?
ORNIG: Ja, und das halte ich für extrem wichtig. Wir Abgeordneten sind für fünf Jahre gewählt, das kann schnell vorbei sein. Wir wissen, dass es Minister gab, die nach vierzehn Tagen Ihre Hacke wieder los waren (lacht). Als Wirtschaftssprecher meiner Partei wollte ich nie den Anschluss verlieren und auch immer wissen, wovon ich rede. Und das geht am besten, wenn man selbst als Unternehmer tätig ist.

WIENER: Sie haben sich stark für die Vienna Club Commission eingesetzt, die jetzt für fünf Jahre installiert wurde. Warum heißt das Vehikel nicht mehr „Nachtbürgermeister“?
ORNIG: Es gab mal die urban legend, dass der Bürgermeister in Wien das nicht will. Mittlerweile hat sich aber herausgestellt, dass auch andere Städte – Amsterdam, Mannheim, Paris, New York – sagen, der „Nachtbürgermeister“ ist ein Problem, weil die Leute ihm eine ähnliche Kompetenz zuschrieben wie dem richtigen Bürgermeister – warum ich jetzt neben New York, Paris und Amsterdam Mannheim erwähnte, weiß ich übrigens nicht. (lacht)

WIENER: Haben alle den Nachtbürgermeister angeschrieben, ob er vielleicht eine billige Wohnung für sie hätte oder ob man den ­Buben bei den Mistküblern unterbringen kann?
ORNIG: Möglich! Obwohl er ja meist nur ein Angestellter der Stadt war oder ein von der Szene Gewählter. Jedenfalls gab es eine massive Überbewertung seiner Möglichkeiten. Daher haben wir uns in Wien an Berlin angegehängt und nennen das Ganze jetzt Club Commission.

WIENER: Auf die haben die Jungen nach zwei Jahren Corona-Stillstand gewartet?
ORNIG: Es gibt ja schon länger ein Pilotprojekt, das jetzt auslaufen wird. Die haben großartige Vorarbeit geleistet und viele Herausforderungen evaluiert. Die gilt es jetzt umzusetzen. Zum Beispiel wissen wir jetzt, dass die Wiener Nachtgastronomie ein extrem wichtiger Wirtschaftszweig mit alleine 24.000 Mitarbeitern und einer Milliarde Umsatz jährlich ist. Eine ganz andere Nummer freilich ist Berlin, wo die Clubkultur alleine acht Milliarden Euro umsetzt.

WIENER: Plus noch einmal die gleiche Summe Schwarzgeld?
ORNIG: (lacht) Das weiß ich nicht. Dass die Szene früher dafür anfällig war, ist, glaub ich, kein Geheimnis, aber das ist eine Herausforderung für den Finanzminister.

WIENER: Was macht die Club Commission?
ORNIG: Sie sollte auf die Rahmenbedinungen schauen, Behördenwege erleichtern, den Austausch mit der Polizei, darauf schauen, dass behördliche Überprüfungen vielleicht nicht am Freitag in der Nacht durchgeführt werden, wenn der Laden gerade voll ist …

WIENER: Oder die Drogenkäufer gerade das Lokal fluten …
ORNIG: Auch ein Thema! Wir haben gute Sucht- und Drogenberatung in Wien, aber bei Check-it-Initiativen könnte man noch niederschwelliger werden.

WIENER: Die Neos sind nicht gegen Zeug, sondern nur gegen schlechtes Zeug?
ORNIG: Wir sind dafür, dass die Konsumenten nicht in einem Hinterzimmer bei irgendwelchen Dealern kaufen müssen, sondern dass das ganze Thema entkriminalisiert wird. Insgesamt geht es für mich um das Miteinander in einer „Stadt nach Acht“. Da müssen so viele Dinge zusammenspielen: Verkehr, Beleuchtung, Sicherheit, Lärm, Jugendbereich. Die Club(sub)kultur ist für die Jugend extrem wichtig, da muss man schauen, dass es genug Räume gibt, und dann wird das auch ein wirtschaftlicher Faktor. Wir haben Jahr für Jahr neue Tourismusrekorde, aber jünger werden die Besucher nicht.

WIENER: Uns fehlen ein bisserl die Easyjet-Säufer?
ORNIG: Ich sage so: Es fehlen Leute mit einem kulturellen Anspruch, die nachts auch weggehen wollen. Beim Thema Ausgehen sind wir nicht der Nabel der Welt, bei der Kultur schon.

WIENER: Der Wochenendtourismus arbeitet natürlich gegen jeden Klimaschutzgedanken.
ORNIG: Schönen Gruß an die Verkehrsministerin – wenn ihre Nachtzuginitiative umgesetzt ist, freue ich mich darauf, dass viele junge Leute zu leistbaren Preisen im Nachtzug nach Wien kommen werden. Sollte halt besser laufen als beim 1-2-3 Ticket (lacht).

WIENER: Viele versaute, alteingesessene Hütt’n müssen zusperren, weil auch in Wien die Mieten mittlerweile oft unleistbar sind.
ORNIG: Der Raum ist nicht mehr da, das ist im innerstädtischen Bereich leider oft richtig. Aber ein paar solche Bars gibt’s schon noch … Grundsätzlich legt man in der Stadtplanung aber leider schon länger keinen Wert mehr auf einen konsumfreien öffentlichen Raum. Ein Thema, das wir verbessern wollen. Wir hatten ja in der Corona Zeit die Jungen am Karlsplatz und am Donaukanal erlebt …

WIENER: Wo sie sich öffentlichen Raum zurückgeholt hat, den die Stadt nur noch den Reichen, Gstopften und Investoren überlässt.
ORNIG: Das Pilotprojekt der Club Commission hat jetzt mal 70 Flächen in Wien evaluiert, die wir prüfen werden dahingehend, ob man sie ähnlich wie in Zürich an jeden vermieten kann, der dort etwas veranstalten will. Auflage: Man darf keinen Eintritt verlangen und muss sich über die Gasto finanzieren. Das Modell finde ich spannend. Wichtig ist, dass man das in Abstimmung mit Anrainern macht und keiner sich belästigt fühlt.

WIENER: Wer fühlt sich immer belästigt? Die russische Oligarchengattin, die im Ersten mittlerweile die Hofratswitwe verdrängt hat?
ORNIG: Na, na, im Ersten gibts die Bürgerinitiative, die gegen das Bermudadreieck vorgeht, und das sind großteils nicht mehr die Jüngsten. Aber lustigerweise, wenn die erzählen, wie es bei ihnen selbst vor 40-50 Jahren war, sind sie stolz, dass es damals auch wild zugegangen ist. Aber heute interessiert sie das halt nicht mehr. Es ist ein Problem, dass es noch kein Format für Streitschlichtung im Nachtleben gibt.

WIENER: Meist wird angezeigt.
ORNIG: Und Anzeige bedeutet Eskalation! Für den Club; für den, der anzeigt; für die Polizei. Unser Ziel ist es, einen Puffer dazwischen zu kriegen. In anderen Städten wird mehr miteinander geredet, man fragt: Gehts darum, ein Fenster zuzumachen oder eine ganze Lärmschutzdämmung einzubauen, die dann ja ev. von der Stadt auch gefördert werden könnte. In anderen Städten sind die Anzeigen mit solchen Initiativen um bis zu 70 Prozent zurückgegangen.

WIENER: Sie als Südsteirer sind mit dem Heckenklescher in der Buschenschank aufgewachsen.
ORNIG: Und mit dem „Poseidon“ am Röcksee bei Mureck, das war eine wilde Hütte. Ich hatte eine Speedmetal Band mit dem Grazer KPÖ-Geschäftsführer zusammen, also wir haben halt herumgescheppert im Wohnzimmer, ich habe mal Schlagzeug, Bass und Gitarre gelernt, aber ich würde nicht behaupten, dass ich gut darin bin. Ich glaube, wir haben uns die Toten Schlümpfe genannt…

WIENER: Die süßeste Speedmetalband der Welt…
ORNIG: Die nie einen Auftritt hatte. Aber ich war dann viel unterwegs in Wien, im Flex und der Meierei. Dann war die Pratersauna da und wir hatten plötzlich mal den zweitbesten Club Europas.

WIENER: Wissen Sie, wie viel Verbrechergeld im Wiener Nachtleben gewaschen wird?
ORNIG: Keinen Schimmer. Ich hoffe, dass die Club Commission die Nachtwirtschaft aus der Schmuddelecke herausholt, es gibt viele Untenehmer, die 200 Mitarbeiter und mehr haben, und die nicht dem Klischee des zugedröhnten Habschis und Glücksritters entsprechen…

WIENER: Der mit dem Plastiksackerl voller Geldscheine heimgeht.
ORNIG: Ich glaube, das gibt es kaum noch.

WIENER: Wie wär´s in Wien mit der Abschaffung der Sperrstunde?
ORNIG: Berlin hat letztes Jahr „70 Jahre ohne Sperrstunde“ gefeiert, ich bin auch der Meinung, dass eine Abschaffung vor allem den Anrainern dienen würde, weil wann entsteht denn der Lärm? Wenn alle zur Sperrstunde rausgehen und auf der Straße stehen.

WIENER: Und „I wü nu a Bier!“ schreien.
ORNIG: Und dann ist der Club oder die Bar rechtlich immer noch für dem Lärm vor dem Lokal verantwortlich, siehe die Bettelalm. Ein Anrainer hat es dort geschafft, dass der Laden mehr oder weniger zudrehen muss.

WIENER: 2024 kommt die „Stadt nach Acht“ – Konferenz nach Wien, wie wird Wien dann ausschauen?
ORNIG: Ich war schon drei Mal auf der „Stadt nach Acht“-Konferenz, und was ich dort gesehen habe, da dachte ich: Bist du deppert, wie professionell gehen andere Kommunen mit dem Thema um. Diese Professionalität und Inspiration hoffe ich 2024 nach Wien zu kriegen. Im November düsen wir hoffentlich mit der SPÖ nach Berlin und schau’n uns das dort nochmal an …

WIENER: Wollt Ihr nicht lieber den Nachtzug nehmen?
ORNIG: Na gut, dann nehmen wir halt den Nachtzug.


Markus Ornig
Markus Ornig wurde 1979 in Graz geboren und wuchs in der Südsteiermark auf. Er besuchte das Gymnaisum in Bad Radkersburg und absolvierte eine Lehre zum Einzelhandeskaufmann. In Wien schloß er sein Studium zum Master of Business Administration ab und gründete eine Eventagentur. Seit 2005 sitzt er für die NEOS im Wiener Landtag und fungiert als Wirtschafts- und Mediensprecher.